Beata

In ekle Mißgestalt verstellt,
Als schäbiger Schächer schlich sich feig
Das böse Schicksal in mein Haus
Und stahl mit kalter krummer Hand
Scheeläugig, hinterlistig mir
Der Seele goldnes Heiligtum.
Da war ich viele Wochen lang
Vor Schrecken stumm und war so leer,
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Daß es mir schien, es sei mein Herz
Von dieses Unholds dürrer Hand
Mir aus lebendgem Leib geraubt.
Jetzt aber fühl ichs wieder heiß
Und Schlag für Schlag und Klang für Klang;
Und Reime reihen sich im Tanz
Des Lebens, das von innen quillt;
Und alles ist so gut, so gut,
Als wär ich reicher, wie zuvor.
Wer hat dies Wunder mir gethan?
Wer schloß die Wunde mir so zu,
Daß keine heiße Narbe glüht?
Die Hand, die dies that, weiß es nicht,
Das Wesen, das mich so erhob,
That seine Gnade unbewußt,
Wie Gott wohl sein Erbarmen übt,
Wenn irdend wer in Leiden liegt.
Läßt seine Sonne drüber gehn,
Umschließt die Welt und macht gesund.

Notizen
Erstdruck in der ersten Auflage des »Irrgartens«, 1901.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Beata. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-34A2-B