[247] Die Allee

Wenn man beym Garten-Teich, der voll von schnellen Fischen,
Und rings umher umpflantzt mit Taxus-Bäum- und Büschen,
Sich im geraden Viereck zeiget,
Die breite Stieg' hinunter steiget;
Erblickt man einen grünen Gang,
Deß Seiten Linien so lang,
Daß die darob fast müden Augen
Gespitzt, mit Müh', ihr Ziel zu finden taugen.
Des grünen Kerckers holde Länge
Treibt den gefang'nen Blick in eine schöne Enge;
Er hofft, voll süsser Furcht, daß gar kein Ende sey,
Und wird, wie matt er gleich, dennoch mit Unmuth frey.
In diesem angenehmen Steige
Gehorcheten nicht nur
Die schlancken Bäume, Stämm' und Zweige,
Nein, gar die Blätter selbst, der gleich gezog'nen Schnur.
Die Aeste sind durch's Laub verdeckt,
Worinnen gar die Stämme selbst versteckt.
Dahero scheint's, als ob das grüne Laub
Sich, ohne Stamm, auf Sand und Staub,
Als wär' es aufgemauert, gründe.
Die Blätter schräncken sich so dicht und fest,
Daß ihre Dunckelheit dem Regen, Licht' und Winde
Nicht den geringsten Durchgang lässt.
Der Augen sonst so scharfe Blicke
Begegneten nur dann und wann
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Dem, durch die, von der Luft, gemachten selt'nen Ritzen,
Mit angenehmen schnellen Blitzen,
Eindringenden, gantz zarten Sonnen-Strahl.
Sonst aber war die Wand so dicke,
Daß, wann die Augen oftermahl
Von Blatt auf Blatt, in Schatten-reichen Tiefen,
Verwirret hin und wieder liefen,
Sie keine Thür zu finden wusten,
Und, angenehm-beschäm't, zurücke gehen musten.
Ich fühlt' und sah in diesen Büschen,
Wie, durch der Blätter grüne Pracht,
Sich Hitz' und Kälte, Licht und Nacht,
Nach langem Kämpfen, endlich mischen,
Und, unter den belaubten Zweigen,
Die Kühlung und die Dämm'rung zeugen.
Vergnügte Seele, nimm in Acht:
Ein jedes Blatt dient Hitz' und Wind zu wehren,
Ein jedes Blatt hilft deine Lust vermehren,
Ein jedes Blatt zeigt Gottes Lieb' und Macht.
Ach, so gedencke denn, den Schöpfer zu verehren,
Und laß, in dem Gebrauch von diesen holden Schatten,
In deiner sanft gerührten Brust,
Sich die Betrachtung mit der Lust,
Vergnügung mit der Andacht, gatten!
Oft siehet man mit dunckler Blätter Bildern,
Im Steige, sich die hellen Stellen schildern,
Wobey auch oft der duncklen Stellen Nacht
Ein schnelles Blätter-förmicht Licht,
Das durch der Blätter Oeffnung bricht,
Mit gleichsam güld'ner Blätter Pracht
Und regen Circkeln, helle macht.
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Oft, wenn durch das beweg'te Laub
Der Sonnen spitze Strahlen spielen;
So ließ es, als wenn auf den Staub
Beständig güld'ne Flocken fielen:
Wenn aber Zephirus die schlancken Zweige
In Ruhe lässt;
Scheint es, als wär' im braunen Steige,
Figuren weis', ein güld'ner Sand gestreut.
Indem ich hier, in stiller Einsamkeit,
An dieses Ganges Schmuck und Läng', in sanfter Freude,
Zu Gottes Ruhm, mein Auge weide;
Sah ich von ungefehr auf zwantzig Schritte weit,
Aus einer, von dem Ort, woselbst ich stand,
Nicht sichtbar'n Thür der grünen Wand,
Von einer Seite zu der andern,
Das ält'ste Paar von meinen Kindern wandern.
Sie hielten sich einander bey der Hand,
Und sag'ten nicht ein Wort.
Kaum ward ich ihrer recht gewahr,
Da waren sie schon wieder fort,
Und in der, gleichfalls nicht von mir
Geseh'nen andern grünen Thür,
Indem sie gleich quer über giengen:
Schnell hatten sie sich eingefunden,
Schnell waren sie hinweg, als wären sie verschwunden.
Bald sah ich andre Zwey
Durch eben diesen Weg, in vollen Sprüngen, springen:
Die waren auch im Augenblick vorbey.
Dem folgete gemach gemach
Das dritte Paar, mit kleinen Schritten, nach.
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Zuletzt erblickt' ich noch auf gleiche Weise,
Wie auch das vierte Paar, jedoch gantz leise,
Aus eben diesem Orte kam,
Und, weil die Reise kurtz, schnell wieder Abschied nahm.
Im Augenblick war also, wie vorher,
Der Steig gantz einsam, still und leer,
Und war von allem, was darin geschehen,
Nicht die geringste Spur zu sehen.
Hierüber stutzt' ich recht: von ernstlichen Gedancken
Ward mein Gemüth erfüllt,
Und fiel mir die Betrachtung ein!
»Es scheinet dieß Gesicht ein Bild
Von unserm Lebens-Lauf zu seyn.
Wir treten in die Welt, und, weil wir immer gehen,
Nie aber stille stehen,
So sind wir bald hindruch. Wir treten plötzlich auf,
Und plötzlich wieder ab.
Es ist das Ziel von unserm Lebens-Lauf
Ein unvermeidlich Grab.
Ach ja, mehr als zu wahr, was ich, von unserm Wesen,
In einer alten Schrift gelesen:
Die Bäuche gebähren;
Die Gräber verzehren.«
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Hier drohete nun auch das Angedencken
Der gar zu kurtzen Daur des Lebens,
Mich in den finstern Pful der Schwermuth zu versencken:
Allein, Gott Lob! vergebens.
Denn mir fiel dieses ein:
»Des Höchsten Ordnung ists; kann die zu tadeln seyn?«
Wann nun der Jahre Quell, der Herr der Zeit,
Den Meinigen und mir vielleicht in diesem Leben
Nur einen kurtzen Gang gegeben,
Und etwa mir insonderheit
Kein langes Wandern mehr beschieden;
So bin ich hertzlich wohl damit zufrieden,
Und scheide, sonder Gram, wills Gott, aus dieser Welt,
Nicht darum, weil ich muß, nein, weil es Gott gefällt.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die Allee. Die Allee. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43BC-7