[377] Samen-Gehäuse

Abermahl ein neues Wunder der formirenden Natur!
Abermahl ein neues Meer von besondern Seltenheiten,
Welches alle, die es sehn, gantz auf eine neue Spur
Zu der weisen Macht des Schöpfers, die gantz unerschöpflich, leiten
Und zur Andacht bringen kann, ja zur Andacht bringen muß!
So fast vor Verwund'rung starr, rief ich, als mein Julius,
Der mein vierter Sohn, mir jüngst etwas, so er abgepflücket,
Voll Verwund'rung übergab.
Dieß war eine Samen-Hülse, recht verwunderlich geschmücket,
Recht verwunderlich gebildet, von so seltzamer Figur,
Daß ich nie dergleichen sah. Welches, da ich weiter dachte,
Mich auf einen neuen Weg in das Reich der Creatur,
Und zu einer neuen Werckstatt voller neuer Wunder brachte,
Wo hinein ich bis daher, leider! gar nicht hingekommen,
Weil ich, durch Gewohnheit blind, nichts davon in acht genommen.
Dieses war nun die Betrachtung, auf wie wunderbare Weise
Doch der Finger der Natur so gar künstliche Gehäuse
Für der Pflantzen Samen baut. Es ist in der That nicht gläublich,
Ja wahrhaftig nicht begreiflich, und noch weniger beschreiblich
Die Veränd'rung der Figuren, die in ihnen wunderschön,
Wann wir sie genau betrachten, und mit Ernst besehn, zu sehn.
[378]
Von des Samens Formen selber will ich jetzo nichtes schreiben,
Noch viel minder von dem Wesen, das, wie wenig man es gläubt,
Immer der Vernunft verborgen, ein Geheimniß ist und bleibt;
Sondern nur, bey der Gehäuse wunder-vollen Bildung, bleiben.
Es ist wahr, der Blumen Bildung, ihr verschiedliches Gepränge,
Ihre schön-formirten Blätter, ihrer Farben Schmuck und Menge,
Sind mit Recht bewunderns-werth: Aber, zu derselben Zeit,
Da die spielende Natur solcher Wunder Lieblichkeit,
Mit geschäfft'gen Fingern bildet, ist sie noch auf eine Pracht,
Die nicht minder künstlich ist, als die Bluhmen selbst, bedacht:
Zum Beweis, wie an Erfindung sie so unerschöpflich reich,
Und wie ihr, zu ihrer Absicht, aller Stoff gerecht und gleich.
Seh' ich, mit so vieler Müh, aus so viel verschied'nen Sachen,
Menschen, zu dem Schnupf-Toback, mancherley Behälter machen,
Von verschiedenen Figuren; muß ich ihrer wahrlich lachen,
Wenn ich denck', auf wie viel Arten, von nur einem Stoff allein,
Die Behälterchen des Samens künstlich zugerichtet seyn.
Viele Samen-Hülsen gleichen neuen Bluhmen, welche man
Mit den ersten Bluhmen selber oft an Kunst vergleichen kann.
Viele gleichen kleinen Trauben; andre Sternen; viele Hörnern;
Viele Kugeln, andre Strichen; bald Quadraten, kleinen Körnern;
[379]
Bald sind sie gedreht, bald lang; bald gleicht eines einer Gabel;
Jenes ist recht wie ein Pfeil; dort wie eines Storchen Schnabel;
Dieses Zieren tausend Spitzen; dieß ist rauch und jenes glatt;
Das gleicht einer kleinen Blase; das ist dicke, dieses platt
Und so dünn, als ein Papier; kegel-förmig, eng' und weit,
Dicht, durchsichtig, krumm und eckigt, Schnecken-förmig, spitzig, breit.
Wenn verschied'ne zart und weich, sanft, gelind und biegsam seyn;
Schrencken and're sich nicht nur in sehr harten Kernen ein;
Sondern, wie die Dattel-Kerne, sind sie selbst ein harter Stein.
Viele sieht man in dem Kelch, viele bey der Blumen Spitzen,
And're wieder an der Wurtzel, an den Stengeln and're, sitzen.
Viele sind in Kätzgen, Kolben, ja in Blätter selbst gesenckt.
Diese von gefärbten Häuten, die von Blasen, eingeschrenckt.
Nur allein vom Klee zu sprechen, sah ich jüngst, in einem Garten,
Von gantz unterschied'nen Formen, ihrer auf die sechszig Arten,
Wovon viele Kugel-förmig, andre rings-um Spitzen-reich,
Viele Schmetterlingen-Flügeln, viele Schnecken-Häusern gleich,
Viele voll verwirrter Stacheln, wie ein kleines Stachel-Schwein,
Viele Rollen vom Toback, viele Cronen ähnlich seyn.
Hier sieht man aus einer Bluhm' eine nette Spitze ragen,
Die sich unterwärts zertheilet, in vier halbe Cirkel krümmt,
Welche recht verwunderlich, Leuchtern gleich, dazu bestimmt,
Daß sie in vier runden Kugeln zierlich ihren Samen tragen.
[380]
In verschied'nen findet man, nicht ohn inniges Vergnügen,
Da sie recht mit Sammt gefüttert, und aufs weichlichste behahr't,
Nicht allein das Samen-Körnchen vor Gefahren wol verwahrt;
Sondern man sieht ihn darin, recht als wie auf Polstern, liegen.
Viele, die aus Federchen, einem Schloßwerck gleich, bestehn,
Siehet man, um ihren Samen allenthalben hinzubringen,
Wunderbarlich, wenn sie reif, plötzlich von einander springen.
Sie sind gleichsam recht bemüht, ihre Kinder selbst zu sä'n,
Wie die Balsamina thut; ja, was mich noch mehr ergetzet,
Und voll frölicher Verwund'rung öfters in Erstaunen setzet,
Ist ein Blühmchen, welches sich gleichsam selber Flügel schafft,
Um an manchem Ort zu blühen. Wenn die rechte Bluhme fällt,
Wird uns gleich, aus vielen Blühmchen, eine neue, dargestellt.
Jedes Sam-Korn, deren man öfters über hundert findet,
Träget einen zarten Stengel, der sich oberwerts verbreitet,
Und, mit gleich-getheilten Spitzen, sich in netter Ordnung ründet.
Aus der Menge dieser Blühmchen wird ein rundes Gantz bereitet,
Eine schöne weisse Bluhme zeiget sich, zu unsrer Lust,
Die uns aber, weil wir sie nicht des Ansehns würdig achten,
Und (nur Kinder ausgenommen, die sie dann und wann betrachten)
Nicht besehen, nicht erwegen; meistentheils nur unbewust,
Ja fast wie verachtet bleibet. Wilst du sie, mein Leser, kennen
Hör! es ist die gelbe Bluhme, die wir Butter-Bluhme nennen,
[381]
Die in Wiesen häufig blüht, und auf allen grünen Rasen;
Deine Kinder haben sie oft gepflückt und weggeblasen,
Da du zugesehen hast, und vermuthlich nicht entdeckt,
Mit gebührender Betrachtung und mit billigem Vergnügen,
Was in dieser Bluhmen Bildung für ein weises Absehn steckt;
Da die kleinen Samen-Körner, durch die Zäser, Flügel kriegen,
Und, so bald sie reif geworden, in die Lüfte sich erheben,
Durch dieselbe fortgetragen, öfters hin und wieder schweben
Und sich, auf die leicht'ste Weise, nach verschied'nen Seiten lencken,
Wo sie sich, nach kurtzer Zeit, wieder in die Erde sencken.
Sage, forschendes Gemüthe, zeigt nicht diese Bluhm' allein,
Wie so wunderbar der Schöpfer, und wie blind wir Menschen seyn?
Aber weiter fort! wir müssen von der Samen-Schachteln Menge,
Und von ihrem so verschiedlich dargestellten Gepränge,
Doch nur einige besehn. Viele gleichen schönen Knöpfen,
Viele gleichen an Figuren nett-gedrehten Bluhmen-Töpfen;
Wie ich letzters mit Vergnügen jüngst am abgeblühten Mah,
Daß desselben Samen-Hülse allerliebst gebildet, sah.
Das Gehäuse, ründlich lang, fiel ein wenig spitzig ab,
Welches ihm denn die Gestalt einer netten Rose gab;
Sonderlich als sich der Fuß unten etwas aufwerts beugte,
Und sich oben auf der Ründ' ein fast platter Deckel zeigte,
Den ein nettes Sternchen schmückte. Dieser war nur gar zu schön
Nach der größten Richtigkeit, Maaß und Zierlichkeit zu sehn.
Unter dem gestirnten Deckel waren, auf besond're Weise,
Kleine Löcherchen gebohrt in vollkommen rundem Kreise,
[382]
Diese sah ich, in der Ordnung, billig mit Verwund'rung an,
Weil man eine weise Absicht deutlich darin finden kann.
Die bedächtliche Natur hat sie offen da gelassen,
Daß der Samen-Körner Menge, welche die Gehäuse fassen,
Wenn sie reif, nicht klumpen-weise, sondern einzeln, sich verstreuen,
Und sich selber säen können. Wer dieß Wunderwerck erwegt
Und darin die Vor- und Absicht des Natur-Geists überlegt,
Muß, in Demuth, Danck und Andacht, sich des grossen Schöpfers freuen.
Ja noch mehr, wenn im Gehäus' er die nett-gewachsne Haut,
Die sie von einander sondert, in so richt'ger Ordnung schaut.
Das Hydiserum verdient gleichfalls, daß man es betrachtet,
Und in seines Samens Hülse etwas wunderlichs beachtet.
Sie besteht aus dreyen Cirkeln, welche voller netter Spitzen,
Wodurch sie den lieben Samen für den Biß der Würmer schützen.
Aber über mehr als alle werd' ich für Verwund'rung stumm,
In Betrachtung deiner Hülsen, bläulichtes Geranium!
Dieses siehet eines Storchen Schnabel, Hals' und Kopf so gleich,
Daß man fast nichts gleicher sieht. Schauet man nun dieß Gebäude,
Fast erstaunt, von aussen an; ists auch in sich Wunder-reich,
Und die innern Theile dienen uns zur neuen Augen-Weide.
Die Figur ist hinten rund und besteht aus grünen Blättern,
Die sich einer Bluhme gleichen, von derselben sind bedeckt
Mehrentheils fünf braune Hülsen. Ein paar Samen-Körner steckt,
[383]
Recht verwunderlich verschrenckt, in der hart- und spitzen Haut,
Welche, wie gesaget, braun, und woran viel tausend Spitzen,
Die man gelblich, fast wie Gold, um die gantze Hülse sitzen,
Und, nicht ohn' Verwundern, sie, wie sie recht verhüllet, schaut.
Nimmt man solch ein trock'nes Körnchen, wirft dasselbig' aufs Papier;
So verursacht dieser Spitzen Menge, daß, bald dort bald hier,
Dieses Korn, als wenn es lebet,
Sich beweget, fast nicht ruht, und beständig gleichsam schwebet.
An der Körner Ober-Theil wird nun eine Spitz' erblickt,
Welche wohl fünf Zolle lang; dieses nun sind eingedrückt,
Und sehr künstlich eingefaßt in ein Stänglein, welches spitz
Und so künstlich zugerichtet, daß man es kaum glauben kann.
Unten, wo der Körner Ründung, ist es etwas eingebogen,
Gleich darauf sind in der Länge kleine Rieffelchen gezogen,
Die sich immer vorwärts spitzen. Durch die Bildung siehet man
Anders nicht, als einen Speer, oder nette Lantz', es an.
In den kleinen Rieffelchen (drin der Körner Spitzen passen,
Die, bewunderns-werth, von innen mit dem allerzart'sten Haar
Gleichsam ausgefüttert sind, weißlich theils, theils gelb', und zwar
Immer kleiner und subtiler, daß durchs Aug' es kaum zu fassen)
Bleiben diese Spitzen nicht: Sondern, wenn der Samen reift
Und die innre kleine Stange durch die Zeit sich gnug gesteift,
[384]
Biegen sich die Körner ab, steigen aufwärts, und formiren
Einen grossen Cronen-Leuchter, dessen Arm' erst feste stehn,
Endlich aber, ja so zierlich, sich auf Schnecken-Weise drehn.
Welche Menge rother Knöpfe zeiget uns der Spargel nicht!
Was kömmt uns nicht noch an Erbsen, und an andern zu Gesicht!
Wirst du nun, geliebter Mensch, durch dieß Wunder nicht bewogen,
Und zu dem, der solche Wunder einzig wircket, nicht gezogen,
Die sich, nicht in Bluhm- und Samen, sondern in Gehäusen häufen;
Kann ich, worin deine Menschheit recht bestehet? nicht begreifen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Samen-Gehäuse. Samen-Gehäuse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43D0-8