[560] Die lehrenden Ruinen

Nachdem ich bey dem Kern und Auszug kluger Geister,
Dem Welt-bekannten Burgermeister,
Dem theuren Anderson, jüngst Dessen grossen Schatz,
Von tausend Wundern sah; und tausend Seltenheiten,
Womit Sein Haus erfüllt, recht als ein Sammel-Platz-
Von dem, was sonst in den verborg'nen Gründen
Der Erden und der See zu finden,
(Von deren Ordnung, Meng' und Trefflichkeiten
Ich künftig mehr zu melden Willens bin)
Bewundernd angeschaut, mit fast erstauntem Sinn,
Und bald darauf daselbst, von einer fremden Hand,
Ein Wunderwerck der Kunst in raren Rissen fand;
Bin ich bey dem, was ich gesehn, gehört, gelesen,
Mehr als vergnügt, mehr als erstaunt, gewesen.
Berühmter Obrist Lieutenant,
Versuchter Loose du, der an Geschicklichkeit,
An Tapferkeit, Erfahrung und Verstand,
Zumahl im Festungs-Bau, der Erd-meß-Zeichnungs-Kunst,
Absonderlich an weit entfernten Reisen,
Die du durch Ottomans und Deines Königs Gunst,
Im Orient gethan, wie Deine Risse weisen,
Nicht Deines gleichen kennst; was hast Du uns gezeigt!
Wir haben was gesehn, so alles übersteigt,
Was Hamburg sonst erblickt.
Des grauen Alterthums vorlängst verschwund'ne Zeiten,
So die Vergessenheit schon lange weggerückt,
Verjünget Deine Kunst, Du stellst an Seltenheiten,
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Was gleichsam schon zu nichts geworden war,
Aus Moder, Asch und Graus uns auf das Neue dar.
Du zeigest uns nicht nur
Die Wunder der Natur,
Die Lage, die Gestalt der Länder und der Erden
Aufs allerrichtigste; Du zeigest uns zugleich,
Die Wunder, so durch Menschen Witz und Stärcke
Vor dem gewesen sind, und noch gefunden werden.
Da wir, durch Deine Kunst, hier das vor Augen haben,
Was so viel Secula, was so viel Sand begraben.
Denn nichts, als eine Last von Steinen
Fehlt Deinem Zauberwerck; Erfindung, Ordonantz,
Der Maasse Richtigkeit,
Worinnen die Vollkommenheit
Und Herrlichkeit der Kunst bestehen,
Sind hier, in Deinem Riß, aufs deutlichste zu sehen.
Es zeigt uns Deine kluge Hand
Aegypten, das gelobte Land,
Colossen, Gräber, Mausoleen,
Gewes'ne Tempel, jetzt Moscheen,
Palmyra, dessen Rest mich ungemein ergötzt,
Und mich zugleich in Furcht und in Erstaunen setzt,
Deß ungezählter Säulen Menge,
Zerbrochner Uber-Rest, ein wunderbar Gepränge
Noch in dem Staube zeigt. Die unterbrochnen Gänge,
Die nicht zu zählen sind, die kommen mir
Als lauter Grotten-Wercke für:
In welcher Nettigkeit und Moder, Lust und Grausen,
Verachtung, Majestät, erbärmlich-schön,
Vermischt, verwirrt, vereint zu sehn;
Wo Barbaren und Kunst verknüpft zusammen hausen.
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Ich habe drauf die gantze Nacht
Mit tausend Träumen zugebracht.
Itzt da ich meinen Sinn auf das Vergang'ne lencke,
Und, was ich gestern sah, noch einmahl überdencke,
Die Wunder der Natur, das Wunder-Werck der Kunst;
Erhebet sich in mir ein trüber Schwermuths-Dunst,
Benebelt mein Gehirn, wird der erstaunten Geister
In einem Augenblick Tyrann und Ober-Meister:
Ein kalter Schauder presst und ängstet Hertz und Sinn,
Und meine Seele selbst empfand ein schüchtern Grauen,
So viele Wunder-Werck' im Staub und Graus zu schauen.
Welch ein fataler Fall, welch schreckliches Exempel!
Der köstlich-prächtige Sophien Tempel,
Ein Wunder-Werck der neuen Zeit,
An Heiligkeit, an Pracht, an Kunst und Kostbarkeit,
Ist Mahometh geweyht.
Von Türck'schen Seufzern dampft und dünstet der Altar,
Der ehemahls den Christen heilig war.
Erschrecklich-strenge Macht der räuberischen Zeit!
Was lässet uns dein Grimm für wilde Proben sehen!
Von welcher grausen Kostbarkeit
Sind deine gräßliche Tropheen!
Sie hauchen wirklich noch aus Schutt und Graus
So Majestät als Ehrfurcht aus.
Von ihrem Uber-Rest prägt ein bemooster Stein
Zugleich Ertsaunen, Gram, Verwund'rung, Mitleid ein.
Ja eine Lehre selbst find' ich daran geschrieben,
Die auch im Schutt und Graus selbst unversehrt geblieben,
Ja die so gar in ihrem Sturtz und Fall
Recht ausgedrückt, und überall
Erst deutlich vorgestellt,
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Die jedem, der es liest, gleich in die Augen fällt:
Der Menschen Werck ist, wie er selber, nichtig,
Vergänglich, wandelbar und flüchtig.
Ja, fiel mir ferner ein,
Wer weis, ob dieß, was wir in ihnen lesen,
Von ihrem eigentlichen Seyn,
Ihr wahrer Endzweck nicht gewesen?
Wer weis, ob GOTT sie nicht zum Fall erbauen lassen;
Damit die Menschheit, recht die Eitelkeit zu fassen,
Von der Vergänglichkeit ein unvergänglich Bild,
Ein überzeugend Buch, mit Wahrheit angefüllt,
Vor Augen haben möcht'? Und wenn ichs recht erwege,
Und sonder Vorurtheil den Zustand überlege;
So können uns die prächtigen Ruinen,
Auf diese Art, zu mehr Erbauung dienen,
Als ihre vor'ge Pracht.
Man kann in ihrem Schutt mehr Trost und Lehre finden,
Als wenn sie noch, wie vor, im Glantz und Schimmer stünden.
Wo etwas auf der Welt geschickt, zu Gott zu leiten;
So ist es dieß verworrne A.B.C.
In welchem ich in deutlich-heller Klarheit,
Auch in gebrochnen Lettern, seh,
Die Lehre voller Licht und Wahrheit
Von irdischen Vergänglichkeiten.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die lehrenden Ruinen. Die lehrenden Ruinen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43EB-E