[541] Das Fieber

Auf! auf, mein Geist! das mörderische Fieber,
Das deinen Leib sehr Gefoltert und geplagt,
Das dir so Blut als Hertz, recht wie ein Wurm, genagt,
Ist, durch des Höchsten Huld, vorüber,
Und der Gesundheit Sonnen-Schein
Vertreibt den wilden Frost, der Marck und Bein erschüttert,
Wodurch dein gantzer Leib, in grosser Pein, gezittert.
Um Deine Gnade nun, o Gott! recht zu ermessen,
Und der vergang'nen Noth so bald nicht zu vergessen;
So leite mir (daß ich der Kranckheit Jammer-Stand
Und der Gesunheit Schatz recht bilde) selbst die Hand!
Mich deucht', ich fühlte schon des Lebens Tacht verlodern;
Mich deucht', ich säh mein Fleisch schon schwinden und vermodern.
Bald klemmt' ein frostig Eis, und drückt' ein bitter Schmertz
Fleisch, Sehnen, Hirn und Marck. Das sehr bedrängte Hertz
Schlug ängstlich, klopft' und pochte,
Genagt, erhitzt, gepresst von unsichtbarer Gluth.
Das gantz verwirrte Blut
Folg, tobte, schäumt' und kochte.
Wie ein verschlossen Naß, das auf dem Feuer stehet,
Bald auf- bald niederwärts voll Unruh braust und wallt:
Wie ein verwehter Staub sich wirbelt, circkelt, drehet,
In der bewegten Luft ohn' allen Aufenthalt;
So wanckten Sinn und Geist, erbärmlich umgetrieben.
Die Essens-Lust war fort, vom Schlaf war keine Spur:
Nur Dust, in welchem doch fast wider die Natur
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Ein banger Eckel steckt, verzehrte meine Kräfte;
Die starre Zunge lechtzt' und klebt' am dürren Gaum:
Es war die Flüssigkeit der süssen Lebens-Säfte
Verdünstet und verkocht: Ein schleimigt-zäher Schaum
Band oft die Lippen fest; das Hertze wollte brechen;
Oft schien sich's zu bemühn,
Der Marter mit Gewalt sich selber zu entziehn,
Zu steigen aus der Brust. Es ist nicht auszusprechen,
Wie manche Leidenschaft des Leibes Qual noch häuft.
Bald ward der Sinnen Schiff durch Hoffnung aufgehoben,
Bald ins Verzweiflungs-Meer versencket und ersäuft
Durch Schrecken, Furcht und Angst. Wie, wenn die Wellen toben,
Wenn ihr beschäumter Grimm ein schwaches Schiff bestürmt,
Wenn er mit falbem Schwall sich immer höher thürmt,
Und dann im Augenblick, da Mast und Ruder bricht,
Der Schiffer in der Fern' ein helles Licht
Gantz unverhofft erblickt; das aber plötzlich schwindet,
Er seine Noth fast mehr noch, als vorhin, empfindet;
So ward auch ich, durchs Licht verhoffter Besserung,
Das schnell verschwand, getäuscht. Verschiedene Gedancken
Erquickten theils mein Hertz; theils rissen sie die Schrancken
Gduld'ger Hoffnug ein:
Bald kränckt mich der Verlust des neuen Ehren-Standes,
Den ich mir, zu dem Dienst und Nutz des Vaterlandes,
Von Gott geschenckt geglaubt: Mein frommes Eh-Gemahl,
Fünf schöne Kinderchen vermehrten meine Plagen;
Doch kann ich hievon mit Wahrheits-Grunde sagen,
Daß alles dieses mir weit mindern Gram gemacht,
Als mancher glauben wird, und als ich selbst gedacht.
Dieß aber, wie ich es gar wohl erkennet habe,
War ein besond'res Glück und Gottes Gabe,
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Daß ich Gut, Haus und Hof, Weib, Kinder, Ehr' und Leben
Allein als Güter nahm, die Gott allein gegeben,
Und die beständig Sein;
Daß Er allein der Herr; daß sie mir nur geliehen;
Daß ER gar wohl befugt, sie wieder zu entziehen.
Und galub' ich, daß die beste Artzeney
Mir die Gelassenheit gewesen sey.
Itzt aber, da ich nun, durch Gottes Huld, genesen,
Da ich nun wieder bin, was zuvor gewesen,
Da aller Schmertz dahin, als ein leichter Schaum;
Ist mir, ob wacht' ich auf aus einem schweren Traum,
Der uns, bey dunckler Nacht, mit schwartzen Larven plaget,
Mit Schreck-Gespensten droht; der aber, wenn es taget,
Zusamt der Furcht verfleucht, Ich lebe wieder auf;
Die Sinne schärfen sich;
Des Blutes Circkel-Lauf
Fliesst wieder ordentlich.
Der Schlaf, die Essens-Lust,
Erquicken mich aufs neu': Es labt die matte Brust
Ein lieblich-löschender beschäumter kühler Tranck.
Gib dann, o Gott, daß ich die Gnade wohl betrachte,
Gib, da mein Leib gesund, daß ja mein Geist nicht kranck
Um Undancks-Fieber sey, noch deine Huld verachte!
Vergang'nes Gut und gegenwärtigs Leid
Hör't man uns leider oft erwegen;
Vergang'nes Leid hingegen
Und gegenwärt'ges Glück vergisst man allezeit,
Als wär es eine Schuldigkeit,
Und wir verdienten nichts, denn immer wohl zu seyn.
Da diese Thorheit nun so allgemein;
So ist sie auch der Grund von unserm Misvergnügen,
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Und unsers Elends Quell', allein.
Man sieht, wie unser Hertz so trotzig und verzagt,
Daß mir vor Angst vergehn, wenn uns was widrigs plagt,
Und, wenn Gefahr und Noth uns kaum den Rücken kehren;
Ist Danck- und Dencken aus. Man wird kaum einmal hören:
Gott Lob! ich bin gesund! wie wohl ist mir anitzt,
Da mich kein Schaudern quält, kein Brennen mich erhitzt,
Kein ängstlich Weh beklemmt; kurtz, da ich nicht mehr kranck!
Wie glücklich bin ich doch, wie schmeckt mir nun der Tranck,
Wie niedlich meine Speis'! Ich aber dancke Dir,
Allmächt'ger Artzt, lieb-reicher Gott, dafür,
Und sprech' aus innerm Hertzens-Grunde,
Mit Demuths- voller Brust und frohem Munde:
Gott Lob! ich bin gesund! wie wohl ist mir anitzt,
Das mich kein Schaudern qüalt, kein Brennen mich erhitzt,
Kein ängstlich Weh beklemmt; kurtz, da ich nicht mehr kranck;
Wie glücklich bin ich doch, wie schmeckt mir nun der Tranck,
Wie niedlich meine Speis'! Ich dancke Dir,
Allmäch'ger Artzt, lieb-reicher Gott, dafür,
Und wünsche Demuths-voll, daß ich mein gantzes Leben,
Mein Wollen, meine Kraft, Gesundheit und Verstand,
Dir, Ewigs ALL, allein mög' aufzuopfern streben;
Denn alles Gute kömmt aus Deiner Gnaden-Hand

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Das Fieber. Das Fieber. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43FD-4