[659] Betrachtung des Mondscheins in einer angenehmen Frühlings-Nacht. Sing-Gedichte
Sir. XLIII, 6.

Der Mond in aller Welt muß scheinen zu seiner Zeit.

Kaum hatte sich die Nacht zu zeigen angefangen,
Die, nach der Hitze Last, der Kühlung Lust verhieß;
Als sich ein neuer Tag, dem Schein nach, sehen ließ.
Der volle Mond war aus dem grauen Duft,
Der, nach des Tages schwüler Luft,
Mit Purpur untermischt, den Horizont bedeckte,
Und sich rings um die Erde streckte,
Wie röthlich Gold, nur eben aufgegangen;
Aus dessen wandelbarem Kreise,
Der alles in der Nacht mit Licht und Schimmer füllt,
Auf eine wunderbare Weise
Mehr Anmuth noch, als Licht und Schimmer, quillt,
Die grosse Scheibe gläntzt' in einer güld'nen Glätte,
Worauf jedoch recht hell und klar,
Als ob sie ein Gepräge hätte,
Ein schattigtes Gesicht zu sehen war.
Es war die heit're Luft gantz rein:
Man sah von Duft und Wolcken nichts:
An statt des Monds sonst kalt- und blassen Lichts
Schien ein fast röthlich-gelber Schein
Dem warmen Ur-Stral gleich zu seyn.
[660]
Hiedurch gereitzt und halb entzücket
Gieng Thirsis auf das Feld,
Um, bey so heit'rer Nacht,
Die, durch des Mondes helle Pracht,
Zum Nutz und Schmuck bethaute Welt,
Die man nicht gnug bewundern kann,
In stiller Andacht zu betrachten;
Da viele Gegen-Würf' ihn dann
Auf folgende Gedancken brachten:
In dieser lichten Dunckelheit
Und zweifelhaften Heiterkeit
Entfärben sich die Farben, und verschwinden:
Man kann nicht einst die Spur von ihrem Wesen finden.

Arioso.

Wenn hier, so bald die Nacht gebohren,
Sich aller Farben Glantz verlohren,
Und nur allein, im klaren Thau,
Ein ungewisses grünlichs Grau
Der feuchten Felder Fläche schmücket;
Seh' ich am Himmel, halb entzücket,
Ein lichtes Sternen-reiches Blau;
Wodurch, wenn ich, wie folget, schliesse,
Ich gantz besondern Trost geniesse.
Aria.

Wie, wann die Farben auf der Welt
Des Nachts verschwinden;
Wir allererst am Sternen-Zelt
Die allerschönsten Farben finden;
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So werden wir nicht eh'r, als in der Todes-Nacht,
Da ird'scher Farben Glantz und Schmuck für uns vergehen,
Der Himmel Himmel sel'ge Pracht
Im Glantz, der unaussprechlich, sehen.
Oft schweb't ein fast durchsicht'ger, dünner Duft,
Im grünlich-weissen Glantz vom Mond verkläret,
Als wie ein silbernes Gewölck, in blauer Luft,
Der denn des Himmels Pracht und Thirsis Lust vermehret.
Man kann nicht leicht was rein- und hellers sehen,
Als wenn, an den gestirnten Höhen,
Des tiefen Raums Sapphir'nes Blau,
Der zarten Wolcken bunten Schleier,
(Den bald ein hell- und bald ein dunckel-Grau,
Bald ein fast blendend weiß- und bald ein gelblichs Feuer
Mit Strichen mancher Art, mit tausend Bildern, schmückt;)
Durch stille Kraft gemach an manchem Ort zerstückt:
Da denn der Oeffnungen so lichte Grentzen
Der Tiefe Dunckelheit noch mehr verdunckeln,
Wodurch hiernächst der Sternen Strahl- und Gläntzen
Noch desto feuriger und angenehmer funckeln.
Im nah geleg'nen Thal,
Woran ein Wasser grentzte,
Das, durch des Mondes weissen Strahl,
Recht wie ein fliessend Silber gläntzte,
In einem dichten Busch, woran der Blätter Grün
Nicht grün, nicht grau, nicht falb, auf einmal alles schien;
Sah er darauf mit innigem Vergnügen,
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Durch sanft-beweg'ter Zweige Ritzen,
Den regen Silber-Schimmer blitzen,
Und, kleinen Lichtern gleich, bald auf- bald abwärts fliegen,
Die das Gebüsche zwar mit hellem Glantze mahlten,
Doch auch, durch dessen Nacht, selbst wieder heller strahlten.
Er sah, mit recht vergnügtem Hertzen,
Auf manchem weissen Bircken-Stamm,
Der fast dem Silber ähnlich kam,
Der Blätter Schatten lieblich schertzen.
Er sah, durch ihre weisse Rinde,
Das allgemeine Schwartz der Schatten-reichen Gründe
Mit lieblicher Veränd'rung unterbrechen,
Und ihre Dunckelheit theils stärcken, theils auch schwächen.
Ein helles Schlag-Licht fiel zuweilen in das Gras,
So vom gefall'nen Nacht-Thau naß,
Und macht' oft eine kleine Stelle,
Recht mitten in dem Schatten, helle,
Welch holdes Licht und Schatten-Spiel
Den Augen Wunder-wohl gefiel.
Indem er sich hierob ein wenig nun besann:
Fing er von neuen an:
Aria.

In den angenehmen Büschen,
Wo sich Licht und Schatten mischen,
Suchet sich in stiller Lust
Aug' und Hertze zu erfrischen;
Dann erheb't sich aus der Brust
Mein zufriedenes Gemüthe,
Und lobsingt des Schöpfers Güte,
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Durch allgemeine Schatten bricht
Ein sanftes Licht,
In welchem Dunckelheit mit sanfter Klarheit schertzet,
Und sich so wunderbar vereint,
Daß öfters jenes Strahl geschwärtzet,
Und dieses Schwartz versilbert, scheint.
Indem ich nun auf einer Stelle,
Die recht vor andern helle,
Mit rechter Ueberlegung achte,
Und dieses Lichtes Grad betrachte;
Fiel mir darüber ein:
Es würde dieses Licht kein Licht, nicht helle seyn,
Und nicht so augenfällig funckeln,
Erblickte man es nicht im Dunckeln.
Der Schatten Dunckelheit allein
Verursacht diesen Glantz, gebieret diesen Schein
Durch ihren Gegen-Satz. Sollt' auch einmahl
Des Tages Licht, der Sonnen-Strahl,
Erscheinen, und mit diesem Licht sich gatten;
Würd', allem Ansehn nach, dieß Licht zu Schatten,
Das Weisse schwartz, das Helle dunckel werden.
Ich dachte ferner nach: Da hier auf Erden
Ein grössers Licht ein kleiners dunckel macht;
Ob es nicht glaublich sey, daß auch der Sonnen Pracht,
Durch das noch grössre Licht der Gottheit, Schatten, Nacht,
Und noch viel dunckeler, als wie des Mondes Schein
Im Gegensatz der Sonne, selbst wird seyn.
So führt demnach das Licht uns Staffel-weise,
Zu des selbst-ständigen und ew'gen Lichtes Preise.
Mit nicht geringerer Vergnügung, Lust und Freude
Erfüllte sein Gesicht,
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Als er sich umgewandt, ein funckelnd Licht
Aus einem zierlichen Gebäude,
Das von den Scheiben rückwärts strahlte,
Und gleichsam sich zum Mond, den Mond zur Sonne, macht',
Ja nicht viel weniger die falbe Nacht,
Als seine Quelle, helle mahlte.
Es schiene fast in allen Zimmern
Aus jeder Scheibe Glas ein heller Stern zu schimmern.
Arioso.

Ach möchte doch auch mein Gemüthe,
Zugleich im heitern Monden-Schein,
Von seines Schöpfers Macht und Güte
Gerührt und angestrahlet seyn!
Ach möcht' auch ich, wie hier die Scheiben
Das Licht des Mondes, so das Licht
Empfund'ner Gnaden rückwärts treiben,
Damit durch mich mein Nächster mercken,
Wie die Natur so Wunder-schön,
Und so in meinen guten Wercken
Mein Licht auch möge leuchten sehn!
Wie die durchs Sonnen-Licht bestrahlte Fluth
Ein gläntzend Glas zu seyn; so scheinet hier das Glas
Ein von der Sonnen Gluht bestrahltes schimmerd Naß,
Nur mit dem Unterscheid, zu seyn:
Das des bestrahlten Wassers Schein
Und seine Wellen flach und niedrig wallen,
Da diese funckelnde Krystallen,
Die wir in solchem Schimmer sehn,
Erhaben in der Luft, (und, wo wir uns nicht drehn)
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Samt Schein und Wellen, stille stehn.
Verändert sich hingegen unser Stand;
So ändert sich auch gleich der wandelbare Schein:
Es wird auf einer jeden Stelle
Der ungewisse Glantz bald dunckel und bald helle.
Wie Kält' und Wärme sich, wie Licht und Schatten,
Aus denen Dämmerung und Kühlung spriessen, gatten:
So mischt sich Lust und Furcht, woraus ein süsses Schrecken
In angenehmer Stille quillt,
Das, wie es Wiesen, Wald und Hecken,
So auch der Menschen Hertzen, füllt.
Aria.

Süsse Stille, sanfte Quelle
Ruhiger Gelassenheit!
Selbst die Seele wird erfreut,
Da, in deiner Süßigkeit,
Ich mir hier nach dieser Zeit
Voll mühsel'ger Eitelkeit,
Jene Ruh vor Augen stelle,
Die uns ewig ist bereit.
Süsse Stille, etc.
Doch dieser Stille Süßigkeit
Ward, aus der Hecken Dunckelheit,
Noch süsser unterbrochen.
Es schlug die Sängerinn der Nacht,
Der Büsche Königinn, die Nachtigall,
Von welcher man den mannigfalt'gen Schall
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Nicht zählen noch begreifen kann,
Mit holer Stimme feurig an,
Und ließ des Mondes Silber-Pracht
Und kühlem Schatten-Licht zu Ehren,
Bewunderns-werthe Lieder hören.
Aria.

Der schallenden Nachtigall liebliche Lieder
Bezaubern der Hörer empfindliches Hertz;
Ihr künstliches Gurgeln, ihr klingender Schertz,
Ihr gluckendes lockendes lachendes Singen
Kann Geister entzücken, kann Seelen bezwingen,
Dem gütigen Schöpfer ein Lob-Lied zu bringen.
Bey diesem reinen Ton der reitzenden Gesänge
Wreckeckeckeckst' und quackt' im feuchten Rohr,
Worin er sich erquickt, der Frösche heis'rer Chor
Mit knarrendem Geschwätz', in solcher Menge,
Daß es nicht anders ließ,
Als ob Gras, Kräuter, Laub und Aeren,
Die Wasser-Tropfen, Sand und Kies
Zu lauter Fröschen worden wären.
Ihr fröhlicher Gesang
Glich einem hertzlichen und unbesorgten Lachen,
Wodurch sie oft, mit süssem Zwang,
Uns, wider Willen, fröhlich machen.
Oft schien es, wenn ihr laut Getöse sich vermehrte,
Als wenn man Wasser-Fäll' und Mühlen rauschen hör'te;
Ein Laub-Frosch stimmt jetzt hier, jetzt dorten, dem Geschrey
Mit einem trocknen Schall und heisern Krechzen bey,
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Wobey denn auch der schnarrende Gesang
Des Grase-Königs sanft erklang.
Da alles nun so angenehm vermischt,
Ward er zu folgender Betrachtung angefrischt:
Aria.

Vertreib auch du, vergnügtes Hertze,
Der Blindheit Nacht, des Undancks Schwärtze!
Des Mondes Silber-weisser Schein
Macht einen Eindruck bey den Thieren;
Und dich allein
Soll seiner Strahlen Glantz nicht rühren?
Wenn, nach des weissen Lichtes Quell,
Wodurch so Nacht als Schatten hell,
Dem klaren Mond, ich Aug' und Hertze lencke,
Und mit Aufmercksamkeit bedencke,
Daß dieses Licht allein der Sonnen Licht,
Als deren Glantz und heller Strahlen Pracht
So gar auch in der dicksten Nacht,
Wenn alle Dinge sich in schwartze Schatten hüllen,
Das gantze Firmament dennoch erfüllen:
Davon durch sie zugleich im Dunckeln
Die Cörper der Planeten funckeln;
Erstaun' ich, daß der Sonnen Gluht,
Zu unserm Nutzen, nimmer ruht.
Dann da sie nicht des Nachts sich selber zeigen kann:
So strahlt sie doch im Gegenschein uns an.
Mein Hertz entbrennt, und meine Seele glühet
Ob dieses Wunders Eigenschaft,
Wenn sie dieß Licht und dessen Kraft
Mit Andachts-vollen Augen siehet.
[668] Aria.

Lebens-Feuer, helle Sonne,
Fürst des Lichts, Monarch der Zeit,
Wahrer Ursprung aller Wonne,
Vater aller Fruchtbarkeit!
Deine Herrschaft, ohne Schrancken,
Uebersteiget die Gedancken;
Deines Lichtes Lebens-Schein
Scheint was Göttliches zu seyn.
Indem ich, fuhr er fort, nun hievon dichte,
Empfind' ich, daß ein Trieb den Geist
Zu einem noch weit grössern Lichte,
Zu dieses Wunders Schöpfer reisst,
Der, unbegrenzt, allein dieß All begrenzt,
Dem er allein das Seyn, Beweg- und Wirkung giebet;
Der jede Creatur, in ew'ger Liebe, liebet;
Durch den, so wie der Mond durch sie, die Sonne gläntzt:
Ja Der, in hundert tausend Sternen,
Giebt hundert tausend Sonnen, Schein:
Woraus wir, welch ein Licht Er Selber müsse seyn,
Vor Ehr-Furcht gantz erstaunt, erkennen lernen.
Wodurch ich denn gerührt in Demuth niederfalle,
Und, heisser Andacht voll, ihm dieß zu Ehren lalle:
Aria.

Vater des Sternen-Lichts! Sonne der Sonnen!
Ewiger Klarheit unendliches Meer,
Aus welchem der Sonnen unzählbares Heer,
Gleichsam wie funckelnde Tropfen, geronnen:
[669]
Dessen untheilbare feurige Triebe
Lauter Barmhertzigkeit, Mitleid und Liebe,
Gütigkeit, Segen, Erbarmen und Leben;
Deinem allmächtigen Wesen zum Preise,
Müssen Dich ewig die leuchtenden Kreise,
Wir, ja die Himmel der Himmel, erheben!
Als ich jüngst dieses Nacht-Gedicht,
Nachdem ich bey dem Monden-Licht
Spatziren war gewesen,
Unmittelbar darauf gelesen;
Erschrack ich recht, weil ich befand,
Und mit gerührter Seel' erkannt,
Wie zwischen meiner Schmiererey
Und dem Original so wenig Gleichheit sey.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Betrachtung des Mondscheins. Betrachtung des Mondscheins. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4421-8