[328] Der Kürbis

Ich gieng im Garten jüngst vergnüget hin und her,
Und sah in selbigem von ungefehr,
Wie durch der Erlen dichte Wand
Von einem Kürbs die Rancken durchgedrungen,
Sich artig hin und her geschlungen,
Und in dem Steig, auf dem betret'nen Sand,
Sich ausgestreckt und ausgebreitet hatten.
Dieweil ich nun der Rancke Stand,
So wie sie lag, nicht sicher fand,
Indem sie in Gefahr,
An einem solchen Orte, war,
Zertreten und zerknickt zu werden;
Hub ich sie von der Erden,
Um, daß sie möchte sicher liegen,
Sie wiederum dahin zu biegen,
Woher sie kommen war; allein
Kaum mochte sie von mir gefasset seyn;
So brach sie, wie ein Glas. Ey daß dich! fieng ich an,
Ist das nicht Schad'? Ey hätt' ich es gelassen!
Doch dacht' ich, wie ich mich besann,
Da der Verlust nicht groß, kann ich mich leichtlich fassen,
Und darf ja nicht verdrießlich seyn.
Mir fiel jedoch dabey dieß Sprichwort ein,
Das mich zum öftern schon gerühret:
Der Weg, den mancher nimmt, um etwas zu vermeiden,
Ist eben der, so ihn zu solchem Etwas führet.
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Wie ich hierauf die abgebroch'nen Rancken
So voller Früchte fand, als ich sie recht besah;
Gieng es mir zwar aufs neue nah:
Doch trösteten mich folgende Gedancken:
Ich will bey dem Verlust gewißlich nichts verlieren.
Es soll, geliebte Rancke, mich
Die kleine Frucht und Bluhmen, die dich zieren,
Zu dein- und meinem Schöpfer führen.
Wer weis, warum du dich
Hieher gelenckt, warum in dieser Stunde,
Da ich allein, ich dich in solchem Stande funde;
Warum ich so von dir gedacht, wie ich gedacht;
Wer weis, warum ich dich zerbrochen, ob es nicht
Vielleicht darum geschehn, daß mein Gesicht
Mein sonst unachtsames Gemüthe
Doch zur Aufmercksamkeit und zur Betrachtung brächte,
Und ich von Gottes Macht und Weisheit, Lieb' und Güte,
Zu Seinem Ruhm, was nützliches gedächte?
Auf denn, mein Geist! betrachte, mit Vergnügen,
Das fruchtbare Gewächs, woran recht wunderlich
Verschied'ne grüne Röhren sich
Am fünf-geeckten Stengel fügen.
Die Blätter, so an diesem Stengel sitzen,
Sind, wie die Bluhmen selbst, besetzt mit zarten Spitzen,
Nicht weniger die Frucht, so lange sie noch klein.
Aus diesen Stengeln nun, die hohl und lucker seyn,
Wächst ein dem Reben-Laub' an Bildung gleiches Blatt,
Das tausend kleine Adern hat,
Die alle wiederum mit Spitzen reich versehn,
Wodurch sie theils von einem Ort zum andern,
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Mit den fast stets verlängten Rancken, wandern,
Theils wie auf kleinen Füssen stehn.
An jedem Ort, woraus das Blatt entspringet,
Entspriesst, zu einer Zeit, die Bluhm' und Frucht zugleich;
Wobey noch überdem recht Wunder-reich
An eben solchem Ort ein Stiel mit Gabeln dringet.
Derselbe theilet sich in drey verschied'ne Theile,
Die alle, recht wie kleine grüne Seile,
Wo sie Gelegenheit nur finden,
Die Rancken suchen fest zu binden.
Bewund're doch, mein Hertz, die Ordnung der Natur,
In diesem Kürbs-Gewächs', aufs neu'!
Erwege, daß nicht nur
Die Zierlichkeit, nein, mehr hie zu bewundern sey!
Damit dieß Rancken-Werck von wegen seiner Schwäche
So bald nicht breche,
Wächst eine kleine Hand mit dreyen Fingern dran,
Wodurch sie hie und da sich halten kann.
Ach, lasst uns doch, wenn wir dergleichen sehn,
Den, Der dieß alles macht, den weisen Gott, erhöhn.
An dieses Stieles Fuß
Erblicket man, wiewohl so wunderbarlich klein,
Daß jeder sich darob verwundern muß,
Blatt, Bluhme, Frucht und Stiel, die kaum zu sehen seyn,
Und dennoch finden wir, daß die, so an den Spitzen
Der langen Rancken sitzen,
Noch sehr viel kleiner sind, da nemlich man daran
Ein grün verwirrtes Etwas findet,
Das unser Auge nicht, der Geist nur, sehen kann.
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Die Bluhme, welche mich absonderlich verbindet,
An ihrer Farb' und artigen Figur
Mich zu ergetzen, stellet mir
Die wunderbare Kunst der bildenden Natur,
In ihrer brennenden Gold-gelben Farbe, für.
Die Bluhmen zeigen sich zuerst bey andern Früchten,
Hier zeigt sich erst die Frucht; hier sieht man Wunder-schön
Die Frucht mit einer Kron' aus Gold gekrönet stehn,
Doch nicht zur Zier allein, es scheinen die fünf Spitzen
Der süssen Frucht zugleich zu nützen.
Die Bluhme gleichet einer Hand,
Die mit fünf Fingern ausgespannt,
Um Regen, Thau und andre Feuchtigkeiten
Der durst'gen Wurtzel zuzuleiten,
Als welche sie in einem grössern Grad
Für Früchte, die so groß, vor andern nöthig hat.
Von aussen siehet man,
Woselbst die Bluhme glatt,
An jedem Blatt
Viel tausend, tausend Adern gehen.
Von innen siehet man daran
Viel tausend gelbe Spitzen stehen.
Noch sieht man in der Bluhme Mitten,
Als wär' es recht durch Kunst geschnitten,
Ein dreyfach güld'nes Hertz. Ob die zur Zier allein,
Wie oder ob sie sonst der Frucht auch nützlich seyn,
Ist, wie sonst vielerley, uns bekannt.
Indessen hat sich mein Gemüthe
An ihrer Zierlichkeit vergnügt.
Es ist die Allmacht, Weisheit, Güte
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Desjenigen, der, durch die bildende Natur,
So manche zierliche Figur
Aus Erd' und Fluth zusammen fügt,
In allen Dingen zu verehren.
Mein Gott! ach gib, so oft ich etwas schönes sehe,
Daß ich, in meiner Lust, Dein herrlichs Werck erhöhe!
Gib, daß ich Deinen Ruhm mög' überall vermehren!
Die Frucht, die wohl von allen Früchten
Die allergrösseste, verdient mit allem Recht,
Daß wir auf sie so Geist als Augen richten.
Ach, daß ich sie doch hier recht zierlich schildern möcht'!
Ach, daß sie zwar für mich, doch nicht für mich allein,
Wie Jonas Kürbs, von mir möcht' angesehen seyn!
Nein, daß ich auch zugleich, im Kürbs, des Schöpfers Macht,
Indem ich ihn mit Lust beseh', besinge,
Und also Ihm vom Kürbs, wenn ich ihn wohl betracht',
Ein wohlgefälligs Opfer bringe!
Daß an so niedrigem und dünnem Stiele
Solch eine grosse Frucht, ja gar, daß ihrer viele
Daran zugleich entstehn und wachsen können,
Ist wohl mit Recht ein Wunder-Werck zu nennen.
Wie lieblich glatt sind ihre bunte Schalen,
Die bald so gelb als Gold, bald etwas bleich,
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Bald gelb und bleich, und grün zugleich,
Absonderlich, wenn sie der Sonne Strahlen
Mit einem hellen Blick bemalen,
Wodurch ein heit'rer Glantz, recht Wunder-schön
Auf ihrer glatten Ründ', als wie ein Stern, zu sehn.
In Ungarn sah ich einst, mit innigem Vergnügen,
Ein gantzes Feld voll Kürbs', als wie voll Spiegel, liegen,
Indem der Sonnen Licht sie schmückte,
Und in die glatte Haut ihr herrlichs Bildniß drückte.
Wobey das gantze Feld, durch's angenehme Grün,
Voll kleiner heller Blitze schien,
Die mir, so bald den Glantz die Augen spürten,
Mit ihrem süssen Strahl die Seele rührten,
Daß ich an Den, Der aller Schönheit Pracht,
Der Farben, Formen, Licht und das Gesicht gemacht,
Mit Danck-erfüllter Ehrfurcht dachte,
Und Ihm ein fröhlichs Hertz dafür zum Opfer brachte.
Noch macht uns die Natur in einem Kürbis kund,
Wie sehr sie an Veränd'rung reich,
Da diese Frucht zugleich
Bald lang, bald rund.
Kein zierlicher gewund'ner Türcken-Bund
Kann an Figur so zierlich seyn,
Als wie ein runder Kürbs. Er scheinet recht gewunden,
Und theilt die Striche richtig ein,
Die unterwärts und oberwärts mit Haufen
In einen Mittel-Punct zusammen lauffen.
Viel' andre werden noch gefunden,
Die, grossen Flaschen gleich, gestreckt und länglich seyn.
Es lässt recht unvergleichlich schön,
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Wenn wir von ihnen viel auf einem Haufen sehn,
Da so viel Farben, die sie zieren,
Besonders Aug' und Hertze rühren.
Noch fällt mir ein,
Was ich an dieser Frucht bemerckt, nicht sonder Freuden.
Wenn wir in einer Kürbs nur zarte Lettern schneiden;
So wachsen sie. Ach, hätt' auch mein Gemüthe
Des Kürbses Art, daß von des Schöpfers Güte
Die holde Schrift, die Züge seiner Lehren
Sich möchten stets in mir vergrössern und vermehren!
Eh' wir nun dieß Gedicht beschliessen,
Werd' ich, mein Leser, dir noch was,
So ich einmahl vom Kürbs erbaulichs las,
Vorher erzählen müssen:
Ein Land-Mann sahe, mit Vergnügen,
Viel grosse Kürbs' auf seinem Acker liegen.
Die Grösse dieser Frucht an solchen kleinen Rancken
War ihm besonders lieb. Voll fröhlicher Gedancken
Sah er von ungefehr auf einem Eichen-Baum
Desselben kleine Frucht.
Pfuy! Schande, brach er los:
Des kleinen Strauches Frucht ist so gewaltig groß;
Die deine sieht man kaum,
Nichts-werthes faules Holtz! Kaum hatt' er dieß gesprochen,
Mit recht erzürntem Muth;
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So viel ein' Eichel ihm auf seinen Hut.
Er stutzt', und blieb gantz unbeweglich stehn.
Ach! fieng er, wie er sich besann,
Aus einem andern Ton, wie folget, an:
Wie wäre mir geschehn,
Dafern nach meinem Wollen
Und meinem närrischen Verstande
Die Frucht sich hätte richten sollen?
Ich läge schon zerschmettert in dem Sande.
Er danckte Gott, und nahm sich für,
Allein auf Ihn zu sehn, in allen seinen Sachen.
Mein Gott! ach laß auch mich es allezeit, wie hier
Der Land-Mann es gemachet, machen!

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Kürbis. Der Kürbis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4455-5