[477] Der Zweifel

Mein Gott, ich hab' aufs neu' an diesem Morgen
Der herrlichen Geschöpfe Pracht,
Und in derselben Deine Macht,
Da alles auf der Welt so schön, so wunderschön,
Mit tausend Freuden angesehn.
Ich bin fast halb entzückt, ich kann mich nicht entbrechen,
Es muß und soll mein Mund von Deinen Wundern sprechen.
Allmächtiger Schöpfer der Himmel, der Erden,
Es müsse, zu Deinen unendlichen Ehren,
Der Engel und Menschen Lob ewig sich mehren,
Dein herrlicher Name verherrlichet werden!
Doch halt, mein Hertz! mir fällt ein Zweifel ein,
Sprich: Sollte wohl dein Ruhm dem Schöpfer aller Dinge
Nicht zu geringe,
Und das, so du zu Seiner Ehr' verrichtest,
Das, welches du von Seinen Wundern dichtest,
Dein Lob, dein Danck Ihm nicht verächtlich seyn?
Wodurch bist du doch überführet,
Daß das, was ich zum Ruhm des grossen Schöpfers lalle,
Dem grossen Schöpfer auch gefalle?
Als Den dein schwaches Lob vielleicht nicht rühret,
Was wächst Ihm zu, dein Erheben?
Wird eine Gottheit auch, wie wir, durch Ruhm versühnt?
Was ist doch Gott mit meinem Ruhm gedient?
Was kann ich armer Wurm doch Dem für Ehre geben,
Der aller Ehre Quell, und Dem im ew'gen Licht,
[478]
In seeligster Vollkommenheit
Nichts fehlet, nichts gebricht?
Kann auch ein Mensch, mit seinen eiteln Ehren
Der Gottheit seeligstes Vergnügen wohl vermehren?
Ach nein! sonst würde ja das Göttliche Vergnügen
Zum Theil an dir, und deinem Willen, liegen.
Flicht sich auch Leidenschaft bey einer Gottheit ein?
Kann Gott auch Ehr- begierig seyn?
Ach nein!
Die unbeständige, die eitle Nichtigkeit
Der wandelbaren Leidenschaften
Kann an der Vollenkommenheit
Der Gottheit, die unwadelbar, nicht haften:
Denn wenn du auch die gantze Lebens-Zeit,
Den grossen Gott gelobet und gepriesen:
Ist Seiner grossen Herrlichkeit
Nicht der geringste Dienst erwiesen.
Denn Seine Majestät ist nicht dadurch verbessert,
Und Seine Grösse nicht vergrössert.
Darum giebt die Vernunft den strengen Unterricht:
Gott achtet deines Ruhm und deiner Ehre nicht.
Hierüber ganz bestürtzt, erfüllt mit banger Scham,
Von Schwermuth gantz verwirrt, gedrückt durch Angst und Gram,
Geblendet durch den Strahl von Gottes Majestät,
Vernichtigt durch Sein ALL, das alles übergeht,
Verzweifelt' ich aus Furcht, die dieß mein Nichts mir machte,
Indem es mich auf die Gedancken brachte:
Ich hätte mich gar sehr im Gottes-Dienst geirrt,
Wenn ich des Schöpfers Werck bewundert und besungen;
Wie viele, hätt' auch mich ein Vorurtheil verwirrt,
Und zum phantastischen und sclav'schen Joch gezwungen.
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Es wäre Gottes Lob, so ich zum Zwerck gesetzt,
Ein selbst-gemachter Dienst, und nichts von Gott geschätzt;
Mein Dencken wär' unsonst, mein Loben gantz vergebens,
Mein Rühmen Aberglaub' und Thorheit; folglich sey
Das allerbeste Thun des allerbesten Lebens
Der Menschen Dunst und nichts, die Andacht Schwärmerey,
Die Frömmigkeit ein Tand, und alles gleiche viel.
Aus diesem Schrecken-Meer, worin ich Hülflos triebe,
Riß mich, da ich schon sanck, allein die Liebe
Mit starcker Hand heraus: Und, wie der Sonnen Licht
Durch Schatten, Wolcken, Dunst, durch Duft u. Nebel bricht;
So brach, durch Furcht und Scham, Verzweiflung, Gram und Grauen,
Der Liebe Lebens-Strahl. Allein
Was Liebe für ein Strahl, und welcher Liebe Schein
War dieses? Grosser Gott, nur Deiner Liebe Flammen,
Die ewig unumschrenckt und unveränderlich,
Aus welcher Himmel, Stern' und alle Welten stammen,
Erleuchteten allein, erquickt- und stärckten mich.
Das vollenkommenste, was menschliche Gedancken
Von Gottes Majestät zu fassen tüchtig sind,
Ist Güte sonder Maass', ist Lieb' ohn' alle Schrancken.
Worin der Menschen Lieb' nichts, das ihr gleich ist find't.
Der Unterscheid von unserm Neigungs-Triebe,
Zu der vollkomm'nen Gottes-Liebe,
Ist so unendlich groß, daß kein Verstand
Ihn je erkennen wird, noch je erkannt.
Und eben dieser Unterscheid
Ist das, was mir von Gottes Gütigkeit,
Und daß Er, unser Seits gantz unverdient, uns liebet,
Unwiedersprechliche Versicherung uns giebet.
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Ein Mensch liebt wircklich nichts, als sich,
Er mag es auch, so viel er will, verheelen.
Sein oft verlarvt, stets eigennützigs Ich
Ist bloß der Vorwurf, Herr und Abgott seiner Seelen.
Ohn' Ausnahm' zielt die Neigung seiner Brust
Auf eigen' Ehre, Geld und Lust;
Gott aber, der unendlich besser,
Unendlich herrlicher und grösser,
Die allerherrlichste Vollkommenheit,
Die ewig in sich selbst vergnügte Seeligkeit,
Liebt als ein Gott, liebt Seine Creatur
Ohn' Absicht, Eigennutz und ohn' Verlangen,
Von ihr Belohnung zu empfangen,
Um ihrenwillen selbst, alleine nur.
Wie dann nun auch bey uns ein Vater seine Lust
An seiner kleinen Kinder Lallen,
Ob es gleich schwach und stammlend, findet;
So lässt sich Gott, der unser Hertz ergründet,
Dem aller Menschen Thun bewust,
Auch unser stammlend Lob, aus Lieb' allein, gefallen.
Er sieht in dem, was wir gethan,
Mehr unser Hertz, als unsre Thaten, an.
Wie sollt' auch Gott sich nicht daran vergnügen,
Er, der nur Liebens- werth allein,
Aus freyer Wahl von uns geliebt, geehrt zu seyn!
Zudem, nach Menschen-Art davon zu lallen;
So lässt es ja, als wenn die Ehre
Noch nicht so gar unwürdig wäre,
Selbst einer Gottheit zu gefallen.
Man sieht an andern Leidenschaften
Was irdisches, was grobes, haften.
[481]
Nur an der wahren Ehre nicht,
Als die ein Anmuth- reiches Licht
Und heller Leitstern edler Seelen.
Wann sich nun die vollkomm'nen Triebe,
Von wahrer Ehr' und reiner Liebe,
Nach unserem Begriff, der Gottheit sich vermählen;
So wirst du auch verhoffentlich nicht fehlen,
Wenn du dich ferner hin, in deinen Lehren,
Bemühest, deinen Gott zu ehren.
Es ist gewiß und gantz unleugbar wahr,
Die Bibel selbst spricht offenbar:
Gott findet Seine Lust an Menschen-Kindern.
Der Herr hat Wohlgefallen
An denen allen,
Die Ihn nur fürchten, Ihm vertrauen,
Und die auf seine Güte bauen.
Darum soll mich hinfort kein Zweifel mehr verhindern,
Und nichts soll mich hinfort von meinem Vorsatz bringen,
In Gottes Wercken Gott mit Freuden zu besingen.
O Abgrund aller Huld, beseeligende Güte,
Wie wird mein Hertz gerührt, wie freut sich mein Gemüthe,
Wenn, durch die Sinnen, ich dein Werck empfind' und sehe,
Und durch den Geist zugleich, daß es Dein Werck, verstehe!
Allmächtiger Schöpfer der Himmel, der Erden!
Es müsse, zu Deinen unendlichen Ehren,
Der Engel und Menschen Lob ewig sich mehren,
Dein herrlicher Name verherrlichet werden!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Zweifel. Der Zweifel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4490-0