[157] Hirten-Gedicht. Als der grosse und gelehrte Fürst, Günther, zu Schwartzburg, die Göttlichen Wunder, in Vermehrung des Getraides, von mir betrachtet, verlangte

Auf einer sanft erhab'nen Höh', an welcher die bebüschten Seiten
Mit Kräutern überall bedeckt, sich unten allgemach verbreiten,
Auf deren Wipfel Eichen, Büchen und Blätter-reiche Linden stunden,
Wovon die grün- und kühlen Schatten, in stiller Eintracht, sich verbunden,
Saß Hirtenau, nebst Segenfeld, zween Edel-Leute, deren Geist
Den regen Müßiggang, im Jagen, allein nicht groß und edel heißt;
Nein, die, (da sie nunmehr den Hof, mit seiner Lust und Last, verlassen)
Daß man, bey Schafen und bey Büchern, kann froh und ruhig leben, fassen;
[158]
Ja denen, daß man, auf dem Lande, in einer wahren Menschen-Lust,
Der Gottheit Wercke deutlicher, als etwan sonsten, sieht, bewust;
Die, sag' ich, sassen bey einander, auf einer Banck' aus grünen Rasen,
Die, an dem angenehmen Orte, nur neulich erst verfertigt war.
Sie sahen, nebst den muntern Ziegen, der Wollen-reichen Schafe Schaar
Bald, zwischen jungen Büschen, klettern, bald, in beblühmten Kräutern, grasen,
Die dort, mit unterbroch'nem Meckern, durch dicht-geschlung'ne Sträucher schlupfen,
Die hier das feinste Gras, den Klee, mit regen Kiefern, ämsig rupfen.
Zur Lincken lagen hohe Hügel, so sich mit dichter Waldung deckten,
Worauf der Wipfel halbe Circkel sich immer höher aufwärts streckten.
Dort theilt, von schon gereiftem Korn, ein gross- und breiter gelber Strich
Das helle Grün beblühmter Wiesen, am Fusse dunckelgrüner Wälder;
Hier streckt, von kleinen Büschen, sich
Ein langer grüner Strich hingegen, durch Aeren-schwang're gelbe Felder.
Die Schönheit sahe Hirtenau, mit inniglich-gerührten Blicken,
Und wieß sie Segenfeld mit Fingern, der auch, wie er, fast mit Entzücken,
[159]
Sein Aug', an diesem Vorwurf, labt'. Es herrscht' in ihrer Beyder Brust,
Ein', aus den Wercken der Natur, zu dessen Ruhm, entstand'ne Lust,
Der Himmel, Meer und Erde schuf. Ach, riefen Beyde, wie so schön
Ist alles, was wir hier erblicken! Wie herrlich ist es, was wir sehn!
Fuhr Segenfeld, mit Lächeln, fort. Fürwahr das Land- und Schäfer-Leben
Ist auf der Welt das glücklichste! weil man, mit ruhigem Gemüth,
Auf der Natur so reiche Schätze, am füglichsten kann Achtung geben,
Und man des Schöpfers Werck, in ihnen, mit Ehrfurcht, Lust und Andacht, sieht.
Wie glücklich leben wir allhier! Da, so von Stadt, als Hof, entfernet,
Man so von der Natur, als sich, was sonst nicht sichtbar, sehen lernet;
Da die Allgegenwärt'ge Gottheit, in Wäldern, Feldern und in Auen,
In Thieren, in den Elementen, ja im geringsten Kraut, zu schauen.
Da man, vom Reitz der Leidenschaften befreyt, in Ruh' und Musse, sich
Weit besser, als in Hof und Stadt, besieht, erkennet und ergründet,
Und, in der Ruh' und Still', ein sonst umsonst gesucht Vergnügen findet.
An solchen redlichen Gedancken ergetz' ich mich. Oft fällt mir bey:
[160]
Wo kann man wohl, in einem Stand auf Erden, besser alle Pracht
Der stetig wirckenden Natur, als auf dem stillen Land', erblicken?
Wo sieht man besser, als bey uns, die Sonne Wald und Felder schmücken,
Die Sonn', ein wahrer Wunder-Spiegel des Mächtigen, der sie gemacht!
Entfernt von giftiger Verleumdung, Verfolgung, Undanck, Neid und Streit,
Erblickt man hier ein Ueberbleibsel der sonst verschwund'nen güld'nen Zeit.
Hier, wo man, bloß durch nied're Demuth, allein zur wahren Höhe steigt,
Wo alles, was man hört und sieht, uns eine Freuden-Frucht gebiehret,
Und wo uns der Geschöpfe Leiter, mit sanfter Lust, zum Schöpfer führet!
Hier, sag' ich, sind mir meine Schafe der Vorwurf meiner Gunst und Liebe;
Ihr sanftes Wesen, ihre Bildung, ihr Nutz, die Unschuldvollen Triebe
Erregen mir, in meiner Brust,
Je mehr ich alles untersuche, noch immer gröss're Freud' und Lust.
»Kann jemand, sang ich jüngst, wohl, sonder wahre Freude
Und, wenn er's recht erwegt, ohn' innerlichs Vergnügen,
In vollen Hürden bald, bald auf beblühmter Weide,
[161]
Bald hier, bald dort, recht als in Chören,
Das rollende Geblöck der Schaf' und Lämmer hören?
Wie lieblich ist es nicht, wenn alt- und junge Ziegen,
Sammt zarten Lämmerchen, beym tiefern Ton, dazwischen
Ihr kurtz-gebroch'nes Meckern mischen?
Bey welchem lieblichen sanft-lermenden Getön,
Zumahlen wenn dabey die Feld- Schallmeyen klingen,
Wir dann darnach die jungen Böcke springen,
Und jungen Lämmer hüpfen sehn.
Wer siehet, ohne Lust und inniges Vergnügen,
Die weisse Heerd', im grün- und tiefen Grase, liegen?
Man siehet öfters bloß ihr wiederkäuend Haupt,
Indem der Ueberrest, von Kräutern, gantz belaubt.
Wer siehet, ohne Lust, aus glatter Kühe Zitzen,
In Eimern, die beschäumt, die Milch in Strahlen spritzen?«
Du hast recht, sprach Segenfeld, und ich stimme deinem Singen,
Von der Trefflichkeit und Anmuth der so edlen Schäferey,
Daß sie von dem Land-Vergnügen fast das Allerschönste sey,
Gleichfalls bey.
[162]
Dennoch ließ ich ebenfalls auch ein Liedgen jüngst erklingen,
Des nicht minder wahren Inhalts, daß der Land- und Acker-Bau
Mich nicht weniger ergetzt, und recht inniglich vergnüget,
Als in welchem Nutz und Lust gleichfalls sich zusammen füget,
Und worin ich, voller Anmuth, tausendfache Wunder schau'.
Neulich setzt' ich mich und sahe früh, nach wohl genoss'ner Ruh,
Meiner Leute Säh'n und Pflügen, mit vergnügten Blicken, zu,
So daß ich, dadurch gerührt, Feder und Papier ließ bringen,
Um, mit recht erfreuter Seelen, den, draus alle Ding' entspringen,
Den, durch dessen holde Liebe, Macht und Weisheit, Huld und Gunst,
Nun das menschliche Geschlecht zu so Segen-reicher Kunst
Bloß allein gelanget ist, zu erheben, zu besingen.
Ich schrieb: Seit dem, durch Lust zur Ruh, dazu bewogen,
Ich mich dem städtischen Geräusch entzogen,
Seit dem ich hier,
In diesem holden Lust-Revier,
Die Schätze der Natur beachte,
Und den, der sie gemacht, die Urquell aller Welt,
Der sie so wunderbar erschaffen und erhält,
In ihrer Zier und Nutzbarkeit, betrachte:
Hab' ich mich oft, am Feld- und Acker-Bau,
Recht inniglich vergnüget und ergetzt.
So gar das Pflügen selbst, wie mühsam es auch scheint,
Hegt mehr Vergnügen, als man meynt.
Der Furchen ordentliche Menge
Verschönern ihre kleine Schatten,
Als die sich, mit dem Licht, in reinen Grentzen, gatten.
[163]
Derselben zierliche gerade Länge,
Wenn meine Knechte sie gezogen hatten,
Hat öfters mich so sehr vergnügt,
Daß ich, dadurch gereitzet und bewogen,
Selbst einige, mit Lust und mind'rer Müh', gezogen,
Als man kaum glauben wird. Ist nun das Land gepflügt;
So hat man sich nicht weniger zu freuen,
Wenn, mit gemess'nem Tritt, wir gelben Samen streuen,
Und, daß er, uns zum Nutz, vermehrt mag auferstehn,
Durch Egen, ihn begraben sehn.
Da er von dem, durch unsrer Sonne Kraft,
Begeisterten, durchdrung'nen Erden-Saft,
Recht als geschwängert, sich belebet,
Und, aus der Furchen duncklen Strichen, in grünen Strichen, sich erhebet,
Die, wenn zumahl
Der warmen Sonnen holder Strahl,
Durch ihre Blätter fällt, und alles lieblich glühet,
Man, den Smaragden gleich, durchleuchtig funckeln siehet.
Auch wenn ich reif Getraid, im schwühlen Sommer, schau',
Ergetz sich Aug' und Hertz. Es wallt, selbst Gott zur Ehr',
In dem gereiften Korn, ein gelbes Aeren-Meer.
Man kann der Aeren spielend Wallen,
Wie sie sich sanft erheben, wieder fallen,
Bald wieder in die Höhe steigen,
Bald schweben, bald sich wieder neigen,
Bald für sich selber fliehen, bald sich jagen,
Bald wirbelnd sich im Kreise drehn,
Nicht sonder Lust, nicht ohne Freude, sehn.
Zumahl ergetzet uns, in hellen Sommer-Tagen,
Der Erndte frohe Zeit. Wie blitzt der Sichel Stahl!
Bald zeigt sich hier, bald dort, ein kleiner Strahl,
[164]
Der uns ergetzt, nicht schreckt. Wie rauscht der schnelle Schnitt,
Wenn man, bey einem jeden Tritt,
Die Schwaden fallen sieht. Es fahren grosse Wagen,
Die kaum die Last der grossen Schober tragen;
Man hört den muntern Fuhr-Mann singen,
Aus einer Sorgen-losen Brust;
Mit Freuden sieht man ihn die schlancke Geissel schwingen,
Des Klatschens kurtz- oft wiederholter Knall
Vermehrt, nebst seiner Freud', auch seiner Hörer Lust.
Es wühlt und lebt das Feld jetzt gleichsam überall,
Und wer kann, ohne Freud' und inniges Bewegen,
Den uns vom Himmel selbst geschenckten Segen
Hier annoch stehn, da binden, dorten mäh'n,
Hier in die Scheuren fahren sehn?
So sang ich dazumahl, als unverhofft ein Brief,
Von meinem werthen Freund, Durander,
Mir ungefehr zu Händen lief.
Ich faltet' ihn kaum aus einander,
Als schnell ein Weisheits-Licht mir in die Augen fiel.
Es gab mir sein geschickter Kiel,
Was ihm, von seinem Herrn, dem teutschen Salomo,
Dem Fürsten, Günther, sonder gleichen,
An dessen Lob und Ruhm kein Ruhm vermag zu reichen,
An mich befohlen war gewesen,
Mit ungemeiner Lust, zu lesen.
Wie ward mein Geist gerührt und meine Seele froh!
Wie inniglich ward ich ergetzet,
Als eben das, was ich mir vorgesetzet,
Von mir verlanget ward: ja nicht allein verlangt;
Es war ein weiser Plan dem Schreiben angebogen,
Ein Abriß, den der Geist des Fürsten selbst gezogen,
Drin Andacht, Ordnung, Feur gantz unnachahmbar prangt.
[165]
»Gebenedeytes Land! rief ich, von Lust gerührt,
In welchem solch ein Fürst den Zepter führt,
Der auf den Acker-Bau sein weises Auge lencket,
Der auf des Land-Manns Werck, in güld'nen Zimmern, dencket,
Ja der so gar, mit Danck und Andacht angefüllt,
Auf des allmächtigen Regierers aller Welt,
Der, durch den Acker-Bau, die Thronen selbst erhält,
Aus dessen Weisheit, Lieb' und Macht der Segen quillt,
So weise Wege sinnt, und dessen Allmacht ehrt,
Der, durch das milde Korn, so Vieh, als Menschen nährt.
Nicht zu bewundern ist, wenn zu dem Sternen-Herrn
Dein treues Volck, mit aufgehab'nen Händen,
Für dein beständigs Heil und Wohlergehn, so gern
Und unabläßig fleht!« Ich fieng hierauf mein Singen,
Nach seiner Vorschrift, an:
Doch hab' ich sonst fast nichts dabey gethan,
Als Günthers weise Wort' in Reime bringen.
Darauf nahm Segenfeld ein Blatt Papier,
Aus seinem Taschen-Buch', und reicht' es Hirtenau,
Mit diesen Worten, ein: Dieß war des Fürsten Wille,
Was ich beschreiben sollt'. Ließ, ob ich nicht genau
[166]
Geschrieben, was er schrieb. Ich les' indessen dir,
In dieser Einsamkeit, in dieser süssen Stille,
Was ich davon gereimet, für.
Wobey denn Hirtenau den überreichten Brief,
Mit frohem Blick, Bewund'rungs-voll durchlief.
O ew'ger Ursprung aller Dinge!
Der alles, und auch mich, gemacht!
Gib, daß ich meiner Seelen Kräfte,
Mit Lust und mit Verwund'rung, hefte
Auf deiner Wercke Nutz und Pracht,
Die du, aus Nichts, hervor gebracht,
Und stets, in Andacht, dir lobsinge,
Wenn ich, in ihnen, dich betracht'.
Du rufest dem, das nicht ist, daß es sey,
Und lässest das, was worden ist, vergehn!
Dein Winck heisst wiederum das, so bereits vorbey,
Aufs neue wiederum entstehn!
Dein Wort erhält die Welt, und, mit der Frucht der Aeren,
Weis uns, im Ueberfluß, dein Segen zu ernähren.
Mein Gott! zu Ehren deinem Namen,
Bet' ich, absonderlich in des Getraides Samen,
Die Wirckung deiner Allmacht an!
O du Geheimniß-volles Wesen,
Du scheinst, vom Schöpfer selbst erlesen,
Zum Wunder-Werck, für jedermann!
Wohin sich auch mein Sinnen lencket,
Wie tief sich meine Seele sencket,
Je mehr sie hin und wieder dencket,
Was doch der Samen eigentlich:
Je mehr, je mehr verlier' ich mich.
[167]
Ein gesitig Feuer, das dich füllet,
Ist wunderbar, in dir verhüllet,
Unsichtbar ist die rege Gluht,
Die eingeschlossen gleichsam ruht,
Die aber augenblicklich zündet,
So bald sie einen Zunder findet.
Wie wir ein mannigfalt'ges Brennen,
In abgezog'nen Wassern, kennen,
Das starck, und doch nicht sichtbar ist:
So stellet ungefehr sich mir
Die Kraft, die ich im Samen spür',
Als ein lebendig Feuer, für.
Wie nun ein Füncklein, noch so klein,
Die gantze Welt in Brand kann setzen:
So kann, von einem Korn allein,
Die gantze Welt besamet seyn.
Wie groß ist dieß Geheimniß nicht,
Das in des Samens Wesen stecket,
Das, recht wie ein unsichtbar Licht,
Rings um sich seine Kräft' erstrecket.
O wunderbarer Gott! es sieht,
Im Sam-Korn, mein betrachtendes Gemüth
Eh' meiner forschenden Gedancken,
Als wie desselben Kräfte, Schrancken.
Es scheinet, als ob wir den Samen füglich können
Ein Mittel zwischen Geist und zwischen Cörpern nennen.
Er scheinet eigentlich,
Der Pflantzen Absicht bloß allein,
Und zwar zu diesem Zweck, zu seyn;
Damit sie selbst, durch ihre Kinder, sich
Erhalten, und zu Gottes Ehren,
[168]
Bis an der Erden Ende währen.
Selbst in der Wurtzel steckt die Kraft,
Nicht nur der Pflantzen Nahrungs-Saft,
Nein, auch den Saft des Samens und der Blühte,
Bewunderns-würdig zu bereiten.
Unstreitiger Beweis von dessen Weisheit, Güte,
Und Allmacht, welcher alles macht,
Erhält, und es, aus Nichts, hervorgebracht.
So viel wir äusserlich am Samen sehen,
So scheint sein Cörper, zu bestehen
Aus einer Schalen, einer Haut,
Wobey man noch ein fleischicht Wesen,
Und endlich ein klein Pfläntzlein schau't:
So daß es scheint, als wenn, mit einem Ey,
Er füglich zu vergleichen sey.
Die äuss're Schale dient zu seiner Sicherheit,
Damit er, durch zu viele Feuchtigkeit,
Die oftermahlen in der Erde,
Wie auch durch Ungeziefer, nicht
Verletzet und beschädigt werde.
In seiner äussern Haut sind vieler Adern Gänge,
Durch deren ungezählte Menge,
Das Pfläntzlein sich ernährt, von einem zarten Saft.
Es scheint sein fleischicht Wesen,
Als wie im Ey der Dotter, auch erlesen
Zur ersten Nahrungs-Kraft.
Doch braucht es dessen nur so lang', und ferner nicht,
Als ihm der Erden Saft gebricht.
So bald er sich selbst aus der Erde nährt,
So bald er sich mit diesem weis zu füllen:
Verweset dieser Theil. Das Pfläntzlein scheint allein
Das eigentliche Stück, um dessen willen
[169]
Die andern alle sind, zu seyn.
Desselben Theile sind nicht flüßig nur, auch fest,
Und, wie es durch Vergröss'rungs-Gläser sich
Gantz deutlich unterscheiden lässt;
Erblicket man, in ihnen eigentlich
Viel Fasern, welche, wie wir sehen,
Aus grössern und aus kleineren bestehen.
Die grossen sind, aus kleinern Röhren,
Recht wunderbar gefügt, von denen einige
Die zarte Pflantze nähren,
Wenn and're Röhren ihnen
Zu Luft-Canälen dienen.
Am allermeisten zeigt des Schöpfers weise Liebe,
Die man nicht gnug bewundern kann,
Die Wunder-würdige Vermehrung an,
Die man, zu unserm Nutz, Erhaltung, Lust und Freude,
Im Samen überall, doch meistens im Getraide,
Verspüret. Wer begreift doch die Vermehrungs-Kraft,
So jedes Samen-Körnlein heget!
Und welche Gott, der alles wirckt und schafft,
So wunderbar darein geleget!
Da sie nur bloß, um uns zu nähren,
So unbegreiflich sich vermehren!
Begreift ihr denn, geliebte Menschen, nicht,
Wie wircklich hier ein Wunder-Werck geschicht,
Da Gott sich jährlich hier so Gnaden-reich erweis't,
Und mit so wenig Korn viel tausend Menschen speis't?
Da, Trotz den Vögeln, wilden Thieren,
Gewürm', in deren Meng' und Zahl wir uns verlieren,
Die alle theils die Frucht, den Samen theils, verzehren,
Wir, bis zum Ueberfluß, dennoch gesättigt seyn.
Wo etwas auf der Welt der Gottheit Allmacht zeiget,
[170]
Und das den menschlichen Begriff weit übersteiget:
So ist es die Vermehrungs-Eigenschaft,
Die er, bloß durch ein Wort, in's erste Korn geleget,
Und eine solche Wunder-Kraft
In solchen kleinen Raum gepräget,
Daß alle Körner, so die Welt
Von je enthalten hat, noch jetzt enthält,
Und die, bis zum Vergeh'n der Erden,
Darin verwunderlich gezeuget werden,
Aus dieser Kraft noch ihre Kräft' empfangen,
Und aus dem Wunder-Wort noch ihre Daur erlangen.
Denn ob wir gleich die Art nicht fassen;
So wird sich dieß doch leicht begreifen lassen,
Daß, im gesä'ten Korn, der Halm nicht nur,
Daß auch zugleich darin die kräftige Natur
Noch auf die künft'gen Zeiten,
Sich zu vermehren, auszubreiten,
Vorhanden und mit fortgepflantzet sey.
Wenn nicht in jedem Korn, nebst Frucht, nebst Halm und Aere,
Zugleich die Samen-Kraft auch mit vorhanden wäre,
Und sich verbreitete; hätt' alles, was uns nährt,
Schon längsten aufgehört.
So daß wir daraus deutlich sehn,
Wenn wir von Korn zu Korn zurücke gehn,
Wie alle diese Kräft' aus einer Kraft entstehn.
Wo etwas denn der Gottheit Eigenschaft,
Im Schaffen, und die Allmacht-Kraft
Des grossen Worts: Es werde! zeigen kann;
So zeigt die Unergründlichkeit,
Die unerschöpfliche Beschaffenheit
Der, in das erste Korn, gesenckten Kraft es an.
[171]
Ein Geist, der sich in diese Tiefe senckt,
Und die im ersten Korn vereinte Kraft erweget,
Die Gottes Weisheit, Lieb' und Macht darein geleget,
Und in so kleinem Raum so wunderbar verschränckt,
Erstaunet wohl mit Recht,
Und folglich wird, mit Recht, der Gott von ihm geehrt,
Deß bloß aus Lieb' allein erregtes Wollen
Schafft, daß die Pflantzen ihr Geschlecht,
So lang' die Erde steht und währt,
In und durch sich erhalten sollen.
»Ach, liebster Vater, der du hier
Für uns so liebreich Sorge trägest,
Der du ins kleine Korn Vermehrungs-Kräfte legest,
Laß uns, bey so viel Gnad', absonderlich dafür
Die uns'rer Lippen Opfer bringen,
Und dir, ohn' Unterlaß, ein fröhlich Danck-Lied singen!«
Es hatte Segenfeld vom Korn und dessen Wesen
Die letzten Worte kaum gelesen,
Als Hirtenau, dadurch gerührt,
Ein inniglich Vergnügen spürt'.
Er lobete das Lied, bewunderte den Geist
Des Fürsten, der also die Dichter singen heisst.
Doch ward er gleichfalls, dem, dem ewig Danck gebühret,
Absonderlich dadurch zu dancken, angeführet,
Und fielen ihm dazu die Worte wieder ein,
Die einmahl, zu dem Zweck, von ihm gesungen seyn:
[172]
Du ewiger Gnaden allmächtiger Wille!
Unendlicher Ueberfluß ewiger Fülle!
Quell, Licht und Leben der Natur!
Wir singen mit entzücktem Muthe:
Du krön'st das Jahr mit Deinem Gute:
Von Fett trieft Deiner Füsse Spur.
Du füllest die Felder
Mit Weitzen und Klee;
Du schmückest die Wälder;
Du seg'nest die See.
Es schwängert die Lüfte, befruchtet das Land
Der strahlenden Sonne belebender Brand.
Es glänzet der Anger, es funckeln die Wiesen.
Sey, ewiger Schöpfer, denn ewig gepriesen!

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