[360] Ein neblichtes und schlackriges Wetter
Jesaiæ L, 3.

Gott kleidet den Himmel mit Dunckel, und machet seine Decke als einen Sack.

Weit minder aufgeräumt, als ich sonst pflag,
Begab ich mich im Herbst, an einem trüben Tag',
Ans Fenster, um durch dessen Scheiben,
In der Veränderung der Vorwürf', die Beschwerde,
Die meine Sinne drückt', ein wenig zu vertreiben:
Allein, Verwundrungs-voll, fand ich nicht Luft, nicht Erde.
Des Himmels sonst so heitres Blau
Verhüllt' ein kaltes feucht- und trübes Grau:
Ein Etwas, daß man sehn und doch nicht sehen kunnt',
Hatt' alles gleichsam eingeschluckt.
Mein, sonder Gegenstand, verwirretes Gesicht
Ward, durch den falben Duft,
Der weder schwartz noch weiß, und durch die schwere Luft,
Worin fast gar kein Licht,
So wie die Erd' und Fluth, gedruckt.
Die Cörper schienen recht ein Blendwerck und ein Schein,
Ja gantz uncörperlich, zu seyn:
Gebäude sahen aus, wie ein verdickter Duft,
Ja recht wie Schlösser in der Luft;
Die Wagen konnte man nicht sehen, bloß nur hören.
Ein' allgemeine Dämmerung,
Die alles sichtbare verschlung,
Schien sich fast immer zu vermehren.
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Der Farben Zierlichkeit,
Samt der Figur- und Formen Unterscheid,
Hatt' aufgehört. Weil zwischen unsern Blick,
Und jeden Vorwurf sich ein Cörper, der so dick.
War vorgeschoben;
War alle Kraft zu sehen aufgehoben.
Die Menschen waren gleich den Blinden,
Man konnte kaum sein Haus, kaum seine Gasse finden.
Die Augen, die auf solche Weise
Zu sehen nicht gewohnet sind,
Die wurden würcklich trüb' und gleichsam blind,
Der Nebel schien (doch sonder Wolcken-Kreise
Und ohne sich ihm minsten zu bewegen)
Ein feuchter Rauch, er schien ein trockner Regen,
Der keine Tropfen hat, zu seyn.
Ein recht verdrießlichs greises Ein
War allgemein.
Indem ich nun verwirret steh',
Und etwas seh', und doch nicht seh';
Da zog der Nebel sich ein wenig in die Höh:
Wodurch ich denn zuerst die Vorwürf', welche nah,
Hernach ein wenig weiter, sah;
Jedoch war alles braun und traurig anzusehen.
Es schienen itzt die Blätter-losen Hecken
Voll Grauen, Furcht und Traurigkeit zu stecken.
Die gantz entblätterten Alleen,
Die, wenn sie voller Laub, wie grüne Wände stehen,
Die schienen nur, da jeder Zweig genetzt,
Zwar Wände, wie vorhin; allein
Vom rauhen Torf, der schwartzbraun, aufgesetzt.
Der Bäume Stämme, samt den Zweigen,
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Von Duft und Regen feucht, die zeigen
Ein Schwartz, recht wie ein Pech. Die Trauer-Farbe nahm
Fast alles ein, was mir vor Augen kam.
Es ließ, daß diese trüben Schatten
Auf meinen Geist selbst einen Einfluß hatten.
Die Seele schien das Trauren
Der gleichsam weinenden Natur
Selbst zu bedauren;
Denn alles, was man sah, war schlackrig, alles naß.
Beschmutzt, besprützt war Kraut und Gras,
Morastig, schlüpfrig, tief der Weg,
Unbrauchbar fast von Glätte Pfad und Steg.
Des nassen Wand'rers Fuß beklebte;
Oft löst' er sich mit Müh', wie sehr er sich bestrebte,
Dem Sumpf sich zu entziehn.
Wie oft war sein Bemühn
Umsonst, wenn sein nicht fester Schritt
Ihm glitscht' und wieder dahin glitt,
Wo er ihn kurtz vorher mit Müh' heraus gezogen?
Wodurch denn aus der Spur, von der gepressten Fluth,
Die, seit sie sich darin vereint, noch nicht geruht,
Viel kleine Tropfen zischend flogen.
Bey dieser widrigen Gestalt der Welt
Empfindet man jedoch ein Etwas, das uns eben
Nicht mißgefällt,
Und das uns, durch die Haut, sanft an die Nerven geht.
Wir finden etwas um uns schweben,
Zumahl wenn man im trocknen steht,
Das uns, wenn wir drauf Achtung geben,
Ein schaudrigtes Vergnügen bringet.
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Auch selber in so trüber Zeit
Bringt uns die feuchte Luft ein' Art von Lust.
Ein Etwas voll Vergnüglichkeit
Durchdringt zuweilen unsre Brust.
An manchem sieht man offenbar,
Zumahl wenn etwan er ein Pfeifchen angezündet,
Daß er was Liebliches empfindet.
Ein öfters wiederhohlt- und sanftes Achsel-Zücken
Scheint die empfund'ne Lust recht deutlich auszudrücken.
Noch mehr, es zeigt sich dem Gesicht
Selbst wenn der Himmel trüb', ein Licht,
Das itzt fast überall entspringet,
Und dessen man auf Erden gantz und gar,
Wanns trocken ist, nie wird gewahr.
Auf einem jeden Holtz', auf einem jeden Stein'
Entdeckt sich, wenn sie feucht, ein sanfter Schein.
Die Pfützen, die voll Wasser stehn,
Die lassen uns das Licht noch stärcker sehn,
Indem so gar die Wagen-Gleis- und Lachen,
Samt jeder Fuß-Spur, sich zu kleinen Spiegeln machen,
Worin nicht nur ein Licht in weissen Schimmer fällt,
Nein auch manch Schatten-Bild von Häusern, Sträuchen, Zweigen,
Die sich recht eigentlich auf nassen Stellen zeigen,
Im Wieder-Schein sich uns vor Augen stellt.
Jedoch ist alles trüb' und ungewiß
In einer Dämmerung und lichten Finsterniß.
Indem ich nun des Nebels duftig Grau,
Womit die Luft annoch erfüllet war, beschau;
Gedenck' ich hin und her, und endlich fällt mir ein,
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Was für ein Wunder-Schein
Doch hinter diesem Nebel stecke,
Und welche Herrlichkeit der dunckle Duft verdecke.
Wer, dacht' ich, sollte glauben,
Daß solchen Glantz, der in dem gantzen Firmament
In solcher heitern Klarheit brennt,
Ein Nebel und ein Duft uns könnte rauben?
Ein Dunst, der ein unfühlbar Nichts,
Ist mächtig, uns vom hellen Born des Lichts,
Vom güld'nen Sonnen-Feur, dem Ursprung aller Freuden,
Als wär' er nicht mehr da, zu scheiden.
Auf gleiche Weise raubt des Unglücks Nebel-Duft
Uns, auf der Sonnen Sonn' und Herrn, oft das Vertrauen,
Daß wir von Seiner Gnad' und Seiner Liebe Licht
Fast das geringste nicht,
Vor Gram und Kleinmuth, schauen.
Allein
Wie, wenn die feuchte Luft
Auch noch so schwer vom Dunst und Duft;
Man doch des Tages weissen Schein
So in der Luft, als auf der feuchten Erde siehet;
So ist, wenn man sich nur so viel bemühet,
Und Achtung darauf hat, der Gottheit Gnaden-Licht,
Das alle Ding' erhält, regieret und erfüllet,
(Scheint es gleich noch so sehr verhüllet,)
Uns unaufhörlich nah,
Und stets allgegenwärtig da,
Ja scheinet öfters gar in unsern feuchten Zähren,
Wie auf der nassen Erd', sein Licht noch zu vermehren.
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Ach stärcke, grosser Gott, doch meiner Seelen Augen,
Daß sie Dich, auch wenn Trübsals-Düft' entstehn,
Mit froher Zuversicht zu sehn,
Und kindlich zu verehren, taugen!
So wird gewiß zu rechter Zeit
Der Nebel aller Widrigkeit,
So wie ein Nebel, schnell verschwinden,
Und werden wir, wo nicht an diesem Ort,
Doch unausbleiblich dort,
Der Freuden lichten Glantz und heitern Himmel finden.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Ein neblichtes und schlackriges Wetter. Ein neblichtes und schlackriges Wetter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44A4-4