[538] Der Tag, der gestern vergangen

Gestern ist nicht heute mehr: Es ist weg, es ist dahin.
Es verspührt, empfindet, fühlet, sieht und höret unser Sinn
Nichts von seiner Gegenwart. Gestern ist, wie ein Geschrey,
Das im Augenblick verschwindet, auch verschwunden und vorbey.
Alles gestrige Vergnügen, Lachen, Fröhlichkeit und Schertz
Ist nunmehr ein leeres Nichts. Aber auch ein bittrer Schmertz,
Der uns gestern drückt' und fraß, der uns Marck uns Bein durchwühlet,
Hat mit gestern aufgehört, und wird heute nicht gefühlet.
Eines Reichen fröhlichs Gestern ist mit allem seinen Prangen,
Und des Armen elend Gestern auch mit aller Noth vergangen.
Beydes bringt besondern Trost. Denn die kurtze Daur der Freuden
Tröstet alle, die nicht glücklich: Und, die Pein und Schmertzen leiden,
Werden ungemein gestärckt, wenn sie dieses überlegen,
Und die unleugbare Wahrheit dieser Lehre wohl erwegen:
Indem du gestern keine Plagen
Mehr fühlen kannst, noch darfst ertragen;
So mind're Kummer und Verdruß,
Und kräncke dich nicht mehr so sehr auf Erden.
Es wird, mit ungehemmtem Fluß,
Ein jedes Heute Gestern werden.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Tag, der gestern vergangen. Der Tag, der gestern vergangen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44D9-C