[110] Lorenzo di Medici

1.

Die niedren Hütten, wie die stolzen Hallen
Firenze's sind erfüllt von Gram und Schweigen,
Die schönste Jungfrau, edel sonder Gleichen,
Die dort gewohnet, ist dem Tod gefallen,
Zu ihrer Bahre Ströme Volkes wallen;
Ein Jeder will vor ihr die Kniee neigen,
Ihm däucht an dieser lieblichsten der Leichen,
Es sei der Schönheit Reich mit ihr zerfallen,
Denn, wie die Sonne, eh' sie niedergeht,
Noch ihre vollste Gluth der Erde sendet,
Im letzten Blick den höchsten Reiz verschwendet –
So hat im Leben selbst sie nie umweht
Ein solcher Zauber, solcher Schönheit Fülle,
Als schadenfroh der Tod leiht ihrer Hülle!

[111] 2.

Lorenzo folgt dem allgemeinen Drange,
Er tritt herein, er schaut die Engelreine,
Rings um sie her kein Auge, das nicht weine –
Da schlägt das Herz im Busen ihm so bange,
Und ihm wird klar, was er gesucht so lange!
Vor dieser todten Schönheit heil'gem Schreine,
Bei diesem Weh trifft's ihn mit Blitzesscheine,
Und seine Seele löst sich im Gesange.
Wie jach ein Stern hervorbricht aus der Nacht,
Wird Poesie sein unbestimmtes Träumen –
Ein Dichter zieht er fort aus diesen Räumen.
So unvergänglich ist des Schönen Macht,
So muß sein Anblick selber noch im Sterben
Zu neuem Leben neue Schönheit werben!
[112]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Büchner, Luise. Lorenzo di Medici. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-45AA-0