Untreue über alles

Ich lauschte mit Molly tief zwischen dem Korn,
Umduftet vom blühenden Hagebutt-Dorn.
Wir hatten's so heimlich, so still und bequem,
Und koseten traulich von Diesem und Dem.
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Wir hatten's so heimlich, so still und bequem;
Kein Seelchen vernahm was von Diesem und Dem;
Kein Lüftchen belauscht' uns von hinten und vorn;
Die spielten mit Kornblum' und Klappros' im Korn.
Wir herzten, wir drückten, wie innig, wie warm!
Und wiegten uns eia popeia! im Arm.
Wie Beeren zu Beeren an Trauben des Weins,
So reihten wir Küsse zu Küssen in eins.
Und zwischen die Trauben von Küssen hin schlang
Sich, ähnlich den Reben, Gespräch und Gesang.
Kein Weinstock auf Erden verdienet den Ruf
Von diesem, den Liebe beim Hagedorn schuf.
»O Molly, so sprach ich, so sang ich zu ihr,
Lieb Liebchen, was küssest, was liebst du an mir?
Sprich, ist es nur Leibes- und Liebesgestalt?
Sprich! Oder das Herz, das im Busen mir wallt?« –
»O Lieber, so sprach sie, so sang sie zu mir,
O Teurer, was sollt' ich nicht lieben an dir?
Bist süß mir an Leibes- und Liebesgestalt,
Doch teurer durchs Herz, das im Busen dir wallt.« –
»Lieb Liebchen, was thätest du, hätte dir Not
Das Eine fürs Andre zu missen gedroht?
Sprich! Bliebe mein liebendes Herz dein Gewinn,
Sprich! Gäbst du für Treue das Übrige hin?« –
»Ein goldener Becher gibt lieblichen Schein;
Doch süßeres Labsal gewähret der Wein.
Ach, bliebe der labende Wein mein Gewinn,
So gäb' ich den goldenen Becher wohl hin.« –
»O Molly, lieb Liebchen, wie wär' es bestellt,
Durchstrichen noch üppige Feen die Welt,
Die Schönste der schönsten entbrennte zu mir,
Und legte mir Schlingen, und raubte mich dir;
Und führte mich auf ihr bezaubertes Schloß,
Und ließe nicht eher mich ledig und los,
Als bis ich in Liebe mich zu ihr gesellt;
Wie wär' es um deine Verzeihung bestellt?« –
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»Ach! Fragtest du vor der so schmählichen That
Dein ängstlich bekümmertes Mädchen um Rat,
So riet' ich! Bedenke mein Kleinod, mein Glück!
Komm nimmer mir, oder mit Treue zurück!« –
»Wie, wenn sie nun spräche: Komm, buhle mit mir!
Sonst kostet's dir Jugend und Schönheit dafür.
Zum häßlichsten Zwerge verschafft dich mein Wort;
Dann schickt mit dem Korb' auch dein Mädchen dich fort.« –
»O Lieber, das glaube der Trügerin nicht
Entstelle sie dich und dein holdes Gesicht!
Erfülle sie alles, was Böses sie droht!
So hat es ja doch mit dem Korbe nicht not.« –
»Wie, wenn sie nun spräche: Komm, buhle mit mir!
Sonst werde zur Schlange dein Mädchen dafür!
O Molly, lieb Liebchen, was rietest du nun?
Was sollt' ich wohl wählen, was sollt' ich wohl thun?« –
»O Lieber, du stellst mich zu ängstlicher Wahl!
Leicht wäre mir zwar der Bezauberung Qual:
Doch jetzt bin ich süß dir, wie Honig und Wein:
Dann würd' ich ein Scheuel und Greuel dir sein.« –
»Doch setze: Du würdest kein Greuel darum;
Ich trüge dich sorglich im Busen herum;
Da hörtest du immer, bei Nacht und bei Tag,
Für dich nur des Herzens entzückenden Schlag;
Und immer noch bliebe dein zärtlicher Kuß
Dem durstigen Munde des Himmels Genuß:
O Molly, lieb Liebchen, was rietest du nun?
Was sollt' ich wohl wählen, was sollt' ich wohl thun?« –
»O Lieber, o Süßer, dann weißt du die Wahl.
Was hätt' ich für Sorge, was hätt' ich für Qual?
Dann hülle mich lieber die Schlangenhaut ein,
Als daß mir mein Trauter soll ungetreu sein!« –
»Doch, wenn sie nun spräche: Komm, buhle mit mir!
Sonst werde zur Rache des Todes dafür!
O Molly, lieb Liebchen, was rietest du nun?
Was sollt' ich wohl wählen, was sollt' ich wohl thun?« –
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»Geliebter, du stellst mich zur schrecklichsten Wahl:
Zur Rechten ist Jammer, zur Linken ist Qual.
Bewahre mich Gott vor so ängstlicher Not!
Denn was ich auch wähle, so wähl' ich mir Tod.
Doch – wenn er zur Rechten und Linken mir droht,
So wähl' ich doch lieber den süßeren Tod.
O Teurer, so stirb dann, und bleibe nur mein!
Bald folget dir Molly und holet dich ein.
Dann ist es geschehen, dann sind wir entflohn;
Dann krönet die Treue unsterblicher Lohn.
So stirb dann, o Süßer, und bleibe nur mein!
Bald holet dein Mädchen im Himmel dich ein.« –
Wir schwiegen und drückten, wie innig wie warm!
Und wiegten uns, eia popeia! im Arm.
Wie Beeren zu Beeren an Trauben des Weins,
So reihten wir Küsse zu Küssen in eins.
Wir schwankten, berauscht von der Liebe Gefühl,
Und küßten der herrlichen Trauben noch viel.
Dann schwuren wir herzlich, bei Ja und bei Nein,
Im Leben und Tode getreu uns zu sein.

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TextGrid Repository (2012). Bürger, Gottfried August. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1789). Zweites Buch. Episch-lyrische Gedichte. Untreue über alles. Untreue über alles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4703-5