Das Lieblichste

Das Lieblichste

Sanft entschläft sich's an bemoosten Klippen,
Bei der dunkeln Quelle Sprudelklang.
Lieblich labt's, wann Glut das Mark durchdrang,
Traubensaft in Tropfen einzunippen.
Himmlisch dem, der je aus Aganippen
Schöpfte, tönt geweihter Dichter Sang.
Göttlich ist der Liebe Wonnempfang
Auf des Mädchens unentweihten Lippen.
Aber Eines ist mir noch bewußt,
Das der Himmel seinen liebsten Söhnen
Einzig gab, die Wonne milder Thränen;
Wann der Geist, von Ahndung und von Lust
Rings umdämmert, auf der Wehmut Wellen
Wünscht in Melodieen hinzuquellen.

Das Sonnett ist übrigens eine sehr bequeme Form, allerlei poetischen Stoff von kleinerm Umfange, womit man sonst nichts anzufangen weiß, auf eine sehr gefällige Art an den Mann zu bringen. Es nimmt nicht nur den kürzern lyrischen und didaktischen sehr willig auf, sondern ist auch ein schicklicher Rahm um kleine Gemälde jeder Art, eine artige Einfassung zu allerlei Bescherungen für Freunde und Freundinnen. –


Noch geziemet sich hier ein Wort der Entschuldigung wegen des Verzuges dieser schon so lange angekündigten neuen Auflage. Meine Absicht war gut, ob ich sie gleich nicht erreichet habe. Ich wollte nicht allein einer ziemlichen Anzahl poetischer Bruchstücke in meinem Pulte die Vollendung, sondern auch den bereits vorhandenen Gedichten einen höhern Grad der Vollkommenheit zu geben suchen, um hernach mit desto mehr Gemütsruhe von der Muse des Gesanges ganz Abschied nehmen zu können. Allein das Klima, die Lage, die Leibes- und Seelenstimmung, worin [11] ich mich befand, waren Produkten dieser Art nicht günstig; und vergebens hoffte ich von einem Jahr in das andre im Buche des Schicksals das Blatt umzuschlagen, worauf Verbesserung geschrieben stünde. Der Anfragen und Anmahnungen, welche indessen entweder herzliches Wohlwollen, oder leere Höflichkeit, bisweilen auch wohl Unbescheidenheit, an mich ergehen ließen, wurden mir denn doch zuletzt zu viele. Ich mußte mich daher entschließen, wenigstens das hiermit zu geben, was sich bis hieher kümmerlich hatte durchwintern lassen. Ich bin nun zwar längst nicht mehr eitel genug, mir einzubilden, als ob das Zurückbleibende ein erheblicher Verlust für das Publikum sei: indessen gibt es doch wohl immer noch gute Freunde und Freundinnen, denen es leid darum ist, und welche ihre Ansprüche darauf im Herzen behalten. Diese muß ich bitten, mich nun nicht weiter zu fragen, von mir nichts mehr zu fodern, nichts mehr zu erwarten. Es kann Lagen und Stimmungen geben, in denen einem dergleichen, anstatt zu schmeicheln, nur zur Last fällt. Zwar will ich mich nicht selbst schon der absoluten Ohnmacht des Alters anklagen, wiewohl ich allerdings über den Johannistag des Lebens hinaus bin, und das Beispiel der alsdann verstummenden Nachtigall die Dichter zu erinnern scheinet, daß sie ihren im Lenz ersungenen Ruhm, in dem schwülen Nachsommer, oder kalten, feuchten Herbste nicht wieder versingen sollen. Auch will ich mir nicht etwa das lächerlich vornehme Ansehn geben, als ob der Umgang mit der jugendlichen, Geist und Herz erhebenden Schönen unter der Würde eines gesetzten Mannes sei, der auch wohl außerdem noch eins und das andre gelernt hat, und auszurichten im Stande ist. Denn schien mir jemals etwas des Spottes, der Verachtung wert, so war es jener dünnethuende Bettelstolz, womit mancher Titulado sich beigehen ließ, auf die Leier Apollons, die er wohl gar selbst in seiner Jugend gespielt, hernach aber mit dem Schreiberkiel vertauscht hatte, als auf eine Kinderklapper herab zu blicken. Die Ergreifung dieses gemeinen Lehr- und Nährkieles ist zwar keinesweges auch dem allerhochadeligsten Göttersohne zu verargen, wenn allerlei Leibesbedürfnisse ihn endlich aus der Gesellschaft der schönen Pierinnen vertreiben. Aber deswegen nun von ihren göttlichen Gaben, und den edlen Vorteilen, welche diese zur Bildung des Geistes und des Gemütes gewährten, wie von den Pfeffernüssen der Frau Pate zu sprechen, das ist eine Thorheit, die glaube ich nur in dem gelehrten Deutschland Mode ist, und in England, Frankreich und Italien, wo man mehr auf Geistes- als Faustwerke hält, vermutlich laut ausgepfiffen werden dürfte. Vor [12] einer solchen Thorheit wird mich mein bißchen Vernunft und Einsicht in den Wert der Menschen und ihrer Beschäftigungen hoffentlich auf immer bewahren. Wenn ich den Umgang mit meiner göttlichen Freundin für die Zukunft nicht eben verschwöre, – denn wer wollte das thun? – aber doch zu meiden mich bestrebe; so geschieht es lediglich um deswillen, damit während der Zeit, da die Herren und Damen sich, wie es ihnen selbst zu sagen beliebt, an meinen Liedern ergötzen, nicht ich selbst in mancher Rücksicht mich allzu unergötzlich befinden möge. Dergleichen wäre nun zwar nicht zu besorgen, wenn alle Dinge im werten deutschen Vaterlande so stünden, wie sie unmaßgeblich stehen sollten. Denn alsdann würde z.B. ein von dem Publikum geliebter Schriftsteller, sei er nun Dichter oder Prosaist, quem Deus nec mensa nec Dea dignata cubili est, die besten Jahre seiner Geisteskraft und Thätigkeit auf die Vollendung einiger vorzüglichen Kunstwerke, die aber auch nun desto mehr Unterricht und Vergnügen, desto mehr Ehre seinem Volk und Zeitalter gewährten, nicht zu seinem selbsteigenen Nachteil verwenden. Vielmehr würde er, da diese Werke vermutlich sehr gern gelesen und häufig gekauft werden würden, sich dadurch eine kleine, sichere und ihm wohl nicht zu mißgönnende Rente auf die unscheltbarste Weise erworben haben. Diese wäre vielleicht hinreichend, ihn gegen manche Unannehmlichkeiten zu schützen, welche die Energie seines Geistes schwächten und sein Leben verbitterten, ohne daß er weiter genötigt wäre, irgend einer sterblichen fürstlichen oder unfürstlichen Seele zur Last zu fallen. Allein es soll weise, gerechte, dankbare und großmütige Staatsvorsteher in Deutschland geben, denen vermutlich ein weit höheres Maß von Einsicht und Beurteilungskraft, als unsern philosophischen und juristischen Matadoren, vermutlich ein unendlich feineres moralisches Gefühl, als den Edelsten unseres Volks zu teil geworben ist. Diese sollen nicht der Meinung sein, daß ein Werk der Litteratur auch alsdann noch seinem Verfasser oder Verleger eigentümlich gehöre, wann es in das Publikum zu jedem beliebigen Gebrauche, außer zum Nachdrucke, ausgegangen ist. Eben dieselben sollen auch nicht dafür halten, daß es die gelehrten, geist-und herzreichen, geschmackvollen, beredten Schriftsteller in Prosa und Versen sind, welche dem Verstande Licht, dem Herzen Rechtschaffenheit und Adel, der ganzen Empfindsamkeit Stimmung zu den schönsten und edelsten Melodieen, den Sitten Glätte, Geschmeidigkeit und Anmut, allen Leibes- und Geisteskünsten Vollkommenheit und Schönheit verleihen. Sie sollen es sich nicht träumen lassen, daß jene[13] Schriftsteller es sind, welche den Fürstenthronen Festigkeit und Glanz, den Staaten Reichtum, Macht und Ehre, und überhaupt dem ganzen menschlichen Geschlecht mehr Heil und Segen zur Vollkommenheit und Glückseligkeit in dieser und jener Welt gewähren, als ihre Kriegsscharen mit aller Gewalt wieder niederzusäbeln, ihre Feuergewehre niederzudonnern im Stande sind. Nun, wem glauben sie denn wohl sonst dieses alles, wem glauben sie es verdanken zu müssen, daß sie nicht mehr über Wilde und Barbaren, sondern über aufgeklärte, edle, gesittete, milde und getreue Völker herrschen, die sie nicht mehr für jeden wirklichen, oder vermeintlichen Frevel, nicht mehr für jede Thorheit, sogleich von Land und Leuten verjagen; unter denen sie ohne Leibwache, mit und ohne Überrock, sicher vor Gift und Dolch, umherwandeln, essen, trinken, und bei ihren Weibern oder Mätressen schlafen können? – Welche Frage! Wem anders, als – den Nachdruckern? Christian Gottlieb Schmiedern und Konsorten!


Diese sind ihnen die wahren Verbreiter der Aufklärung, der Tugend, des guten Geschmackes, der feinen Lebensart und Sitten. Es kann daher gedachten weisen, gerechten, dankbaren und großmütigen Staatsvorstehern nicht einfallen, den Schriftstellern, oder deren rechtmäßigen Verlegern ihr laut angeschrienes Eigentum durch allgemeine, beständige, wirksame Gesetze zu sichern, oder die Schriftsteller, als Schriftsteller 5, für die Wohlthaten, so sie ihnen und ihren Staaten erweisen, zu belohnen. Was sage ich belohnen? Es kann sie bei jener Denk- und Sinnesart auch nicht einmal ein Gefühl der Scham anwandeln, das Brot, welches die Schriftsteller, ohne ihr durchlauchtiges, hochgebornes und excellentes Zuthun, sich durch sich selbst, durch ihre nach langem, schweren und mühsamen Fleiß endlich vollendeten [14] Werke erworben haben würden, dem ersten dem besten Hunde Preis zu geben, der seine Hütte unter dem Thron ihrer Weisheit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Großmut aufschlägt. Weil denn nun aber die Umstände so beschaffen sind und eine Änderung sobald nicht zu erwarten stehet, was bleibt dem Schriftsteller übrig? Soll er sich etwa bei dem aufklärenden, Tugend und Geschmack verbreitenden Nachdrucker als Ballenbinber verdingen? Besser stünde er sich dabei unstreitig, als bei der Schriftstellerei, wenn ohne diese auch nur immer etwas zu bündeln und zu schnüren wäre. Oder soll er, anstatt die Blüte seines Lebens und seiner Kraft einem oder zwei vortrefflichen, vollendeten, bauernden Nationalwerken aufzuopfern, jede Messe mit Alphabeten voll Mittelmäßigkeit oder Erbärmlichkeit beschicken? Denn nur die Engel Gabriel und Raphael sind vermutlich im Stande, das Vortreffliche in der Poesie, Philosophie, Geschichte, jedes halbe Jahr in so starken Ballen zu liefern, daß bei der Gefahr des Nachdruckes der Aufwand an Öl, Holz und Schreib- materialien daran gewonnen werden mag. Da es nicht Jedermanns Sache ist, seine Ehre vor Welt und Nachwelt auf jeder Messe für ein Paar Louisd'or Trankgeld feilzubieten; so wird es weit geratener sein, sich in dunkler Stille zur geringsten Handarbeit, zum Abschreiben, zum Abc-lehren, ja zum Graben selbst zu entschließen, als auf Werke der Homere, der Sophokles, der Plato, der Xenophon, der Tacitus, der Montesquieu, der Gibbon, der Klopstocke, Wielande und Kante sich zu verwenden. In der Erwartung, meine armen Gedichte, deren ich gewiß ungern und sehr verschämt so nahe bei jenen großen Namen erwähne, je mehr sie das Publikum etwa ergötzen möchten, desto eher von den genannten erhabenen Wohlthätern unserer Nation, unter gnädigster Protektion bestmöglichst verbreitet zu [15] sehen, mache ich denn also hiermit, unter Verzichtleistung auf Gerechtigkeit, Dank und Großmut, welche nicht mir, sondern Schmiedern und Konsorten gebühren, dem werten Publikum meine demütige Verbeugung und greife von nun an – zum Spaden. Es ist nun freilich bei so bewandten Umständen nicht möglich, daß ein lern- und lustbegieriges Publikum noch zwei andere ähnliche Bände, oder was sonst eine mangel- und verdrußlose Lage hervorbringen möchte, erhalte. Wenn das aber auch Iliaden und Theodiceen wären, so ist doch offenbar ein solcher Verlust eine wahre Kleinigkeit gegen den halben oder ganzen Gulden, den Ihre Majestäten, Durchlauchten, Hoch- und Hochwohlgeborne Excellenzen, und ein ganzes wirtschaftliches Publikum an dem nächstbevorstehenden gnädigst privilegiirten Nachdrucke gewinnen werden. Ein solcher Gewinn ist es schon wert, die Nationalwohlthäter Schmieder und Konsorten dankbar zu verehren und zu segnen. Amen.


Göttingen, im April 1789.


Bürger.

Fußnoten

1 Ich erinnere mich, daß mir in meinen Schuljahren die Flöte, die doch ein so lieblich tönendes Instrument ist, auf lange Zeit dadurch verleidet wurde, daß eine Menge meiner Mitschüler zur Linken und Rechten, über und unter, hinter und vor mir, die Flöte blasen lernten, und Tag für Tag mir die Ohren darauf voll dudelten.

2 The Spectator. No. 70.

3 S.T. Merkur von 1776. zweites und drittes Vierteljahr.

4 Poëtique Ch. II. v. 83. seq.

5 Sie werden doch wohl nicht das für Belohnung schriftstellerischer Verdienste halten, wenn sie etwa einen großen Geist und Gelehrten zu einem Amt anstellen, wo er für die ihm oft kärglich genug gereichte Leibesnahrung und Notdurft zu ihrem und des Staates besondern Privatnutzen arbeiten muß, daß ihm der Atem ausgehen möchte. Es gibt freilich Schmeichler genug, die so was für Mäcenatenthaten ausschreien, so wie es auch nicht an durchlauchtigen, hochgebornen und excellenten Pfauen und Straußen fehlet, die das für wahr halten. Allein ein edler und tapferer Mann muß, kraft der ihm zuständigen menschlichen, europäischen und deutschen Bürgerfreiheit, die er für sich, seine Mitbürger und Nachkommen mit Gut, Blut und Leben zu behaupten immer bereit sein soll, sich nie scheuen, klare und offenbare Wahrheit zum allgemeinen Heil auch den ersten Staatsdienern vorzupredigen, wenn es gleich schon oft genug von Andern vergeblich geschehen sein sollte. Ein wiederholter Tropfenfall höhlt doch endlich auch Felsen aus. – Praetera censeo, Carthaginem esse delendam – sprach Cato, der Censor, kraft der Befugnis und Sitte römischer Senatoren, so oft er in der Staatsversammlung auch über ganz andere und fremde Gegenstände gestimmt hatte; und endlich stürzte das wiederholte Wort Karthago. Man braucht aber ganz und gar nicht ein Mitglied im Rate der Archonten zu sein, um über Gesetz- und Regierungsmängel des Staates, dessen Bürger man ist, ein freies, offenes und deutsches Censeo sagen zu dürfen, was auch Sultans- und Bassen-Politik dagegen einwenden möchte. Alle Rational-Schriftsteller sollten es zur Sitte machen, ihre Schriften, besonders diejenigen, die für ein größeres Publikum bestimmt sind, unablässig und so lange mit einem ähnlichen censeo zu besiegeln, bis endlich die Hyder Nachdruck vernichtet wäre. Habe ich diese Worte wider den Beifall der Weisen, der Gerechten und Edlen meines Vaterlandes niedergeschrieben, so werde mir wie einem Verbrecher das Haupt abgeschlagen! Vereinigen sich aber ihre tausend und abermals tausend Stimmen mit der meinigen: so blicke dereinst eine bessere Nachwelt mit Verdruß und Mitleiden auf ein Zeitalter zurück, da eines Jeden, und nur das Eigentum des gleichsam in den Stand der schutz- und hülflosen Natur zurückgeworfenen Schriftstellers nicht unverletzlich und heilig war. – Soll er etwa nun auch das Naturgesetz ausüben und den Nachdrucker niederschießen, niederbohren, wo er ihn trifft? Daß das unter solchen Umständen erlaubt sein müsse, getraue ich mir auszuführen; und nur ein Muster menschlicher Inkonsequenz soll es wagen, mich widerlegen zu wollen. Denn nach eben demselben Recht brechen Staaten und Völker einander die Hälse.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Bürger, Gottfried August. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1789). Vorrede. Das Lieblichste. Das Lieblichste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-474C-3