Wer nicht die Worte hält, die im Gesetze stehen,
Dem deutest du den Fluch, o Gott, mit Schrecken an;
1Wer aber wird von uns dem strengen Spruch entgehen,
Dieweil kein einiger sich dessen rühmen kan?
2Ja, wenn ein Sterblicher gleich alles könt' erfüllen,
Hätt' er zu deinem Reich darum kein besser Recht.
Die Wercke gelten nicht. Er thäte deinen Willen,
Doch wär er immerhin ein armer Sünden-Knecht.
3Ich weiß zwar, daß dein Sohn sein heil'ges Blut vergossen,
Und von der Missethat uns alle loßgezehlt.
4Wie vielen aber bleibt der Himmel doch verschlossen!
Weil du die wenigsten auf Erden auserwehlt.
5Wie soll ich das verstehn, daß du hast können hassen
Den Esau, der noch nicht des Tages Licht erblickt?
6Wie kan ich mit dem Arm des Glaubens dich umfassen,
Eh deine Liebe sich zu meiner Schwachheit bückt?
7Du wilst zwar deinen Geist, auf Bitte, mir gewehren,
Den Tröster, welcher uns zum Weg der Wahrheit führt;
8Wie aber kan ich, Herr, den Geist von dir begehren,
Wenn nicht derselbe Geist schon Hertz und Lippen rührt?
9Ich darff, als schlechter Thon, nicht mit dem Töpfer streiten,
Ich red', als ein Geschöpff, nicht meinem Schöpffer ein,
Sonst fragt' ich: kanst du mich so leicht zum Himmel leiten,
Warum steht mir es frey der Höllen Raub zu seyn?
10 [198]Ist an des Sünders Heyl dir, Herr, so viel gelegen,
Sagt solches mir dein Mund und Eyd-Schwur selber zu?
11Warum vergönnest du, daß sich die Lüste regen?
Ist Satan, Welt und Fleisch denn mächtiger als du?
Ach Gott! so qvälen mich zum öfftern die Gedancken;
Noch mehr verwirret mich der Schrifftgelehrten Streit,
Wenn sie sich, nach der Kunst, um deine Worte zancken;
Wenn dieser Gnade bringt, und jener Sterben dräut.
Es scheint, als hätten sie mit dir im Rath gesessen,
Und da mit dir zugleich das Urtheil abgefaßt,
Weil sie sich unterstehn, nach ihrer Schnur zu messen,
Was du, Unendlicher, in dir verborgen hast.
Bald will die blasse Furcht mich in den Abgrund stürtzen,
Bald grübelt die Vernunfft, doch kan ihr frecher Tand
Und mein Gewissen nichts als Zweifels-Knoten schürtzen;
Dadurch nimmt Sicherheit offt bey mir überhand.
Zuletzt erhohl' ich mich, und flieh' in deine Wunden,
Mein Heyland, die dir nicht ümsonst geschlagen sind!
Im übrigen sey dir dein Rath-Schluß ungebunden,
Ich unterwerffe mich dir, Vater, als dein Kind.
Hilff, daß ich wandeln mag, als brächt' ein frommes Leben,
Mir hier in dieser schon die Schätze jener Welt;
Doch wollest du dabey mir solchen Glauben geben,
Der mein Verdienst für nichts, und dich für alles, hält.