2

Die erste Schiefertafel

Mir war von Freud und Stolz die Brust geschwellt,
Ich sah bereits im Geiste hoch vor mir
Gehäuft die Schätze der gesamten Welt.
Der Edelsteine Licht, der Perlen Zier,
Und der Gewänder Indiens reichste Pracht,
Die legt ich alle nur zu Füßen ihr.
Das Gold, den Mammon, diese Erdenmacht,
An welcher sich das Alter liebt zu sonnen,
Ich hatt's dem grauen Vater dargebracht.
Und selber hatt ich Ruhe mir gewonnen,
Gekühlt der tatendurst'gen Jugend Glut,
Und war geduldig worden und besonnen.
Sie schalt nicht fürder mein zu rasches Blut;
Ich wärmte mich an ihres Herzens Schlägen,
Von ihren weichen Armen sanft umruht.
[470]
Es sprach der Vater über uns den Segen,
Ich fand den Himmel in des Hauses Schranken,
Und fühlte keinen Wunsch sich fürder regen.
So wehten töricht vorwärts die Gedanken;
Ich aber lag auf dem Verdeck zu Nacht,
Und sah die Sterne durch das Tauwerk schwanken.
Ich ward vom Wind mit Kühlung angefacht,
Der so die Segel spannte, daß wir kaum
Den flücht'gen Weg je schnellern Laufs gemacht.
Da schreckte mich ein Stoß aus meinem Traum
Erdröhnend durch das schwache Bretterhaus;
Ein Wehruf hallte aus dem untern Raum.
Ein zweiter Stoß, ein dritter; krachend aus
Den Fugen riß das Plankenwerk, die Welle
Schlug schäumend ein und endete den Graus.
Verlorner Schwimmer in der Brandung Schwelle,
Noch rang ich jugendkräftig mit den Wogen,
Und sah noch über mir die Sternenhelle.
Da fühlt ich in den Abgrund mich gezogen,
Und wieder aufwärts fühlt ich mich gehoben,
Und schaute einmal noch des Himmels Bogen.
Dann brach die Kraft in der Gewässer Toben,
Ich übergab dem Tod mich in der Tiefe,
Und sagte Lebewohl dem Tag dort oben.
Da schien mir, daß in tiefem Schlaf ich schliefe,
Und sei mir aufzuwachen nicht verliehen,
Obgleich die Stimme mir's im Innern riefe.
Ich rang mich solchem Schlafe zu entziehen,
Und ich besann mich, schaut umher, und fand,
Es habe hier das Meer mich ausgespieen.
Und wie vom Todesschlaf ich auferstand,
Bemüht ich mich die Höhe zu ersteigen,
Um zu erkunden dies mein Rettungsland.
Da wollten Meer und Himmel nur sich zeigen,
Die diesen einsam nackten Stein umwanden,
Dem nackt und einsam selbst ich fiel zu eigen.
Wo dort mit voller Wut die Wellen branden,
Auf fernem Riffe war das Wrack zu sehen,
Wo selbst es lange Jahre noch gestanden.
Mir unerreichbar! – und des Windes Wehen,
Der Strom, entführen seewärts weiter fort
[471]
Des Schiffbruchs Trümmer, welcher dort geschehen.
Ich aber dachte: nicht an solchem Ort
Wirst lange die Gefährten du beneiden,
Die früher ihr Geschick ereilte dort.
Nicht also, – mich, es will nur mich vermeiden!
Der Vögel Eier reichen hin allein
Mein Leben zu verlängern und mein Leiden.
Selbander leb ich so mit meiner Pein,
Und kratze mit den scharfen Muschelscherben
Auf diesen mehr als ich geduld'gen Stein:
»Ich bin noch ohne Hoffnung bald zu sterben.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Salas y Gomez. 2. Die erste Schiefertafel. 2. Die erste Schiefertafel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4BC6-4