Die kleine Lise am Brunnen
(Frei nach dem Dänischen von Andersen)
In den Grund des Brunnens schaut
Lischen gar gedankenvoll;
[182]Was hier dieser Brunnen soll,
Hat die Mutter ihr vertraut.
»Meine Schwester sagte zwar
Daß der Storch die Kinder bringt;
Wie verständig es auch klingt,
Ist es aber doch nicht wahr.
Nein, das macht sie mir nicht weis.
Mutter, wie ich sie gefragt,
Hat es anders mir gesagt,
Mutter, die es besser weiß.
Aus dem Brunnen holt bei Nacht
Sie die weise Frau allein,
Die hat jüngst das Brüderlein
Aus dem Brunnen uns gebracht.
Vor fünf Jahren schlief ich auch
Hier im Brunnen, wundersam,
Bis sie mich zu holen kam
Nach dem hergebrachten Brauch.
Könnt ich nur die Kleinen sehn!
Ach, ich säh sie gar zu gern!
Doch sie schlafen tief und fern,
Keines läßt sich heut erspähn.
Wüßt ich, wie die Frau es macht,
Holt ich eines mir geschwind.
So ein himmlisch kleines Kind,
Ei, das wär auch eine Pracht!
O was gäb ich nicht darum!
Seit es durch den Sinn mir fährt,
Bist mir gar nichts, gar nichts wert,
Garst'ge Puppe, stumm und dumm!«
[183]