Vetter Anselmo

1

Noch war zu Toledo in hohem Flor
Die heimliche Kunst, die sonst sich verlor;
Ein weiser Meister war dort bekannt,
Yglano, der Magier und Nekromant.
Wie abends er einst vor dem Stundenglas
In seinem Museum sinnend saß,
Trat ein zu ihm demütig fast
Sein Vetter Anselmo, ein seltener Gast. –
[284]
»Herr Vetter Anselmo, wie hat man das Glück?
Was führt Euch endlich zu uns zurück?
Ihr wart ja sonst auf der rechten Bahn,
Was gingen Euch da die Verwandten an?« –
»Seid grausam nicht und ungerecht,
Herr Vetter; versteht mich endlich recht.
Mich hielt von Toledos leuchtendem Stern,
Von Don Yglano nur Ehrfurcht fern.
O wüßtet Ihr, wie der Busen mir schwoll,
Wann Euer Lob mir entgegen erscholl!
Wie stolz und jubelnd ich eingestimmt:
Der ist uns allen zum Muster bestimmt!
Der eine rief, der andere schrie:
So einen sah die Welt noch nie,
Der zaubermächtig und weise zugleich
Beherrscht der Geister nächtliches Reich!
Er ist das Gold der Wissenschaft,
Und ist das Erz und ist die Kraft;
So mannlich fest, so kindlich mild,
So aller Tugend vollendetes Bild!
Doch hat Euch einer zu tadeln gewußt,
Den alle so preisen zu meiner Lust,
Und dieser Tadel, daß Ihr es wißt,
Ist eben der Wurm, der das Herz mir frißt.
Er sprach: wie kommt es, wer macht mir das klar,
Daß euer Löw und Lamm und Aar
Den Biedermann, der sein Vetter doch ist,
Den guten Anselmo so schmählich vergißt?« –
»Was sagtet denn Ihr, wenn ich bitten darf,
Zu solchem Tadel, so spitz und scharf?
Ich machte die Lehre mir gerne zu Nutz;
Ihr nahmt mich, Vetter, doch wacker in Schutz?« –
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»Vermocht ich es denn, der ich da stand
Dem hämischen Kläger bequem zur Hand,
Um so mich zu legen ad acta gleich,
Zerlumpt, verhungert, hager und bleich?
Ich frag Euch, o blickt doch auf mich herab,
Sah je ein Bettler als Leiche im Grab
Erbärmlicher aus? o tilgt doch die Schmach!
Sie trifft Euch zumeist, wie der Neider sprach.
Mir eine Pfründe, ein Bischofsstab!
Das macht nur bald mit dem Teufel ab,
Und ihm und Euch mit Haut und Haar
Verschreib ich mich auf immerdar.« –
»Herr Vetter, Herr Vetter! ei, ei! mit Vergunst!
Von Gott allein ist meine Kunst,
Versteht mich recht, von Gott allein;
Hab mit dem Teufel nichts gemein.« –
»Von Gott, versteht sich! sagt ich es nicht?
Es ist der Hunger, der aus mir spricht.
Mit Gott, Herr Vetter, verhelft mir zu Brod
Und rechnet auf mich auf Leben und Tod!« –
»Ihr wolltet dankbar, erkenntlich sodann
Vergelten, was Gutes ich Euch getan,
Wann einen Gönner und Schutzpatron
Ich einmal suchte für meinen Sohn?« –
»Ja, dankbar, ja! mit unendlicher Lust!
Die Dankbarkeit ist die Tugend just,
Die einz'ge vielleicht, deren, unverblümt,
Mit Fug und Recht mein Herz sich rühmt.
Man hat von mir Euch Böses gesagt,
Mich manches Lasters angeklagt,
Mich angeschwärzt zu aller Stund,
Oft, leider! vielleicht nicht ohne Grund.
Ich weiß, Herr Vetter, ich habe gefehlt,
Das Gute versäumt, das Böse gewählt,
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Gewatet in Sünden bis an die Knie;
Undankbar aber, das war ich nie.
O Dankbarkeit, du süße Pflicht,
Du Himmelslust, du Himmelslicht!
Wie hab ich dich mir eingeprägt,
Wie hab ich stets dich heilig gehegt!
Und Euer vortrefflicher, teurer Sohn –
Wie lieb ich den lieben Vetter doch schon!
O welch ein Glück ist Dankbarkeit!
O wär ich doch erst, Herr Vetter, so weit!« –
»Gemach, gemach! das liegt noch fern,
Und nicht das Nächste versäum ich gern.
Da kommt Frau Martha, die eben fragt,
Was mir zum Abendessen behagt.
So hört, Frau Martha; seid eben gefaßt –
Nicht wahr, Herr Vetter? – auf einen Gast;
Ihr habt zwei Hühner; das zweite Huhn
Steckt erst an den Spieß, wenn ich's heiße tun.
Jetzt aber nehmt die Flasche dort,
Und dort den Humpen von seinem Ort,
Und schenkt mir langsam den edlen Wein
Von hoch, recht perlend und schäumend ein.
Ihr, Vetter, indes kommt näher zu mir,
In diesen Kreis auf dem Estrich hier;
Da, nehmt das Stundenglas in die Hand,
Und schaut nur scharf auf den rinnenden Sand.
Es ist nur so ein Experiment.
Ihr wißt den Anfang, ich weiß das End.
Sie hocus pocus, bracadabra!
Wir sind noch hier und wähnen uns da!« –
Er hatte die Worte murmelnd gebraucht,
Und heimlich zugleich ihn angehaucht;
[287]
Anselmo stand die Augen verdreht
Und starr, wie ein hölzerner Heiliger steht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Lieder und lyrisch epische Gedichte. Vetter Anselmo. 1. [Noch war zu Toledo in hohem Flor]. 1. [Noch war zu Toledo in hohem Flor]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4CE2-9