Der vertriebene König

Cento novelle antiche. Ed. Manni. Nov. VII


Die alle freien Stimmen ihr verdächtigt,
So ihr, dasjenige euch vorzusagen,
Was nur ihr hören wollt, nicht selbst ermächtigt;
Vernehmt die Stimme denn uralter Sagen;
Hie bin ich, schlicht die Worte des Verstandes
Aus eurer Väter Zeit euch vorzutragen.
Es war einmal ein König Griechenlandes,
Dem segnend der Allmächtige verliehen
Macht, Weisheit und die Liebe seines Landes.
Er ließ von Weisen seinen Sohn erziehen;
Die kamen denn und sprachen: »Nimm ihn hin
Und prüf ihn, unser Werk ist wohl gediehen.«
Und daß er prüfe seines Sohnes Sinn,
Hieß vieles Gold aus seines Schatzes Hallen
Er holen und es legen vor ihn hin.
Und vor den Rittern und Baronen allen,
Das Gold ihm schenkend, sprach er zu dem Sohne:
»Verwende dies nach deinem Wohlgefallen«,
Und er befahl, die andern sollten, ohne
Ihm Rat zu geben, scharf auf ihn nur sehen,
Und dann Bericht erstatten vor dem Throne.
Da sah der Königssohn vorübergehen
Die Karavanen aus den fernsten Orten,
Und hieß die Reisenden ihm Rede stehen.
Gewandt und kühn, mit wohlerwognen Worten
Sprach einer: »Herr, ich bin ein Handelsmann
Und mir gehören die Kamele dorten.
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Durch eigene Betriebsamkeit gewann
Ich Schätze, die ich keinem sonst verdanke,
Da mir das Land und mancher danken kann.«
Ein zweiter sprach, verloren in Gedanken, –
Er wäre lieber unbefragt geblieben, –
Indem zur Erde seine Blicke sanken:
»Ich bin der König Syriens, den vertrieben
Die aufgeregten Völker; mein Verhalten
War so, daß sie die Schuld mir zugeschrieben.«
Und alles Gold, worüber er zu schalten,
Gab diesem alsobald das Königskind,
Darob entrüstet die Barone schalten.
Sie klagten vor dem Throne: »Herr, es sind
Nicht deines Sohnes Taten lobenswert;
Er schlug der Weisheit Lehren in den Wind,
Er ließ den Wohlverdienten unbeehrt,
Indem er unbesonnen seine Gabe
Dem andern Unbesonnenen beschert.«
Es wurde vorgefodert nun der Knabe,
Daß Rechenschaft er gäbe, wie verwendet
Das seiner Hand vertraute Gut er habe.
»Ich habe nichts verschenkt und nichts verschwendet«,
Sprach zuversichtlich da der Königssohn,
»Und nicht vom Würdigen mich abgewendet.
Bezahlet hab ich nur verdienten Lohn;
Von dem ich nichts gelernt, den ließ ich ziehen,
Des andern Lehre galt um meinen Thron,
Sein Beispiel hat mir gellend zugeschrieen:
Nur mächtig ist, den seine Völker lieben,
Denn über uns ist ihnen Macht verliehen.
Was ich ihm gab, sein Schuldner bin ich blieben.«

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TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Der vertriebene König. Der vertriebene König. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4DC7-0