[1] Nachklänge

[1] Was einmal tief und wahrhaft Dich gekränkt,

Das bleibt auf ewig Dir in's Mark gesenkt.

Lenau.

[2]

Gefallene Engel

Es ist die alte finst're Mähr
Von zwei Vermaledeiten,
Die ohne Rast und ohne Ruh
Fort durch die Hölle schreiten.
Von Zweien, die voll Hochmuth einst
Verschmäht des Himmels Frieden,
Und eine Seligkeit hindurch
Sich fremd und stolz gemieden;
Von zwei Vermaledeiten, die
So fern nun allem Reinen,
Sich suchen, finden, halten, ach!
Und weinen – weinen – weinen!

[3] Daheim

In Deinem düstern Zimmer steh' ich wieder,
Vom Fenster hauchen schwül die Blumendüfte,
Die Sterne schauen groß und ruhig nieder
Und müde Töne zittern durch die Lüfte.
Ach! tiefe Wehmuth folgt dem Lied dem langen,
Ich fühle klar, was einstens ich nicht kannte,
Als schweigend hier mit demuthsvollem Bangen
Ich harrte Dein – der mich in's Leben sandte.
Mich dünket, wieder müßt' ich Dich gewahren
An diesem Ort, wo Du so viel verschuldet,
Als bräche heiß hervor nach dürren Jahren
In Thränen hier – was draußen ich erduldet.

[4] Einst

Ach wie war es leer und schaurig,
Als ich einst die Straßen zog,
Lebensmüde, sterbenstraurig,
Still mich in Dein Fenster bog.
Als ich dann mit dumpfem Weinen
Auf der Schwelle niedersank,
Von den eis'gen Marmorsteinen
Glühend heiße Tropfen trank.
Bangte Dir, daß sie mich fänden? –
Doch Du hast mich nicht geschaut –
Denn es ward von Priesterhänden,
Fern, ein Weib Dir angetraut.

[5] Wiedersehen

In bangen Nächten, wenn der graue Wahnsinn
Mit dürren Fingern an das Hirn mir pochte,
Wenn glüh'nde Thränen meine Kissen netzten,
Mein wildes Herz vor Zorn und Sehnsucht kochte –
In solchen Nächten war mir der Gedanke,
Daß Du noch lebst, daß ich Dich wiedersehe,
Ein Stern, nach dem ich zitternd hob die Hände –
Und trotzig weiter schleppt' ich dann mein Wehe.
Ich sah Dich wieder – wieder plötzlich flammten
Sie alle auf, die alten Wahnsinnsgluthen,
Der wilde Zorn, der Schmerz, die herbe Liebe –
Es war, als müßte ich vor Dir verbluten.
Du aber standest mit dem argen Lächeln,
Das mir bekannt aus gottverfluchten Tagen;
Der fahle Blick macht mir das Herz erstarren:
Es war ein freches, antwortsich'res Fragen!
[6]
Und Deine Hände streckten fieberglühend
Sich plötzlich so begehrend mir entgegen,
Und mehr und mehr sah ich Dein Bild erblassen,
Das mich begleitet einst auf allen Wegen:
»Das ist er nicht!« schrie es in meiner Seele,
»So war er nie, so kann er nimmer werden.«
Wofür wär' meine Seligkeit verspielet,
Wofür wär' ich verflucht – verflucht auf Erden! – –

[7] Zorn

Reize mich nicht – o reize mich nicht!
Ich könnte sonst vergessen,
Wie viel ich thörichte Liebe für Dich
Und Selbstverleugnung besessen!
Ich könnte vergessen, was ich Dir galt
Und was ich um Dich gelitten,
Drum reize mich nicht – o reize mich nicht,
Zur Stunde kann ich noch bitten!
Doch wehe! wenn ich es nicht mehr kann,
Dann kenn' ich kein Zögern und Schwanken,
Du weißt, wenn meine Lippe zuckt,
Dann morden die bösen Gedanken.

[8] Vermälte

O sieh', wie von der Wahrheit Wort
Die kalten gift'gen Nebel schwanden,
Gesegnet sei der Tag hinfort,
An welchem wir uns wieder fanden.
Wie lange hielt uns Menschen Trug
Und stolzes Schweigen dumpf umfangen,
Wie hemmten wir der Seelen Flug,
Die zweifelnd in dem Dunkel rangen.
Und stehen wir uns weltenfern,
Ist auch vergeudet unser Leben,
Ich habe jedes Leid doch gern
Aus tiefstem Herzen Dir vergeben.
Es ist des Glückes letzte Huld,
Das wir uns heut' die Hände reichen;
Wir büßen ja die alte Schuld,
Gekettet an lebend'ge Leichen.

[9] Altes Lied

Alter Text und alte Weise –
Wie das durch mein Leben zog,
Und so wehmuthsvoll und leise
Mir den Himmel nieder log.
Fast vergessen pocht es wieder
An das eingewiegte Herz,
Und der erste Ton ist wieder,
So wie einst, ein leiser Schmerz.

[10] Mitleid

Vergieb mir, daß der Schmerz aus alten Tagen
Das kranke Herz mir konnte wild verbittern
Und seine rührend kindlich-bangen Klagen
In heiser-schrilles Lachen mir zersplittern.
Ich liebte Dich und wähnte Dich zu hassen,
Als all' die Andern Dir zu Füßen lagen;
Nun da Du alt geworden und verlassen,
Erfasset mich ein unerklärbar Zagen.
O würdest Du wie einst, voll trotz'gem Wagen,
Voll Jugend-Uebermuth mein Herz zerfleischen,
Viel leichter als die Blicke würd' ich's tragen,
Die unbewußt nur tiefes Mitleid heischen.

[11] Zu spät!

Uns're Schiffe willst Du lenken
Nun nach einem gleichen Ziel?!
Fern Dir, losgerissen treib' ich,
Längst der wilden Stürme Spiel.
Fürchte Du das böse Zischen,
Kalte Grollen, fürcht' das Meer,
Lass' mich ringen mit den Wogen,
Einsam, haltlos, ohne Wehr!
Bleibe still und unbekümmert
Ferne mir und nah' dem Strand,
Bald entsinket ja das Ruder
Meiner kraftlos müden Hand –
Oder – stürze muthig nach mir,
Wenn mein Fahrzeug untergeht –
Sterben können wir zusammen,
Doch zum Leben ist's zu spät!

[12] Asche

1.

Wie sie lodern, wie sie beben,
Still verglimmen und verweh'n –
Und ein Stück von meinem Leben
Seh' in Asche ich vergeh'n.
Weiche, goldig-blonde Locken,
Manche Blume, die da schlief,
Es zerstirbt in Aschenflocken
Mancher alte Liebesbrief.
Welches Glück die Worte brachten,
Diese Phrasen, – Gott erbarm'!
Wie sie heiß den Kopf einst machten –
Heute wird die Hand kaum warm!

[13] 2.

Im Kamin lag grau die Asche,
Und ich saß, nachdenklich schürend,
In dem letzten tauben Reste
Nach verborg'nen Gluthen spürend.
Und es flammte aus der Asche,
Wieder helle Funken sprühend,
Eine halbverglomm'ne Kohle
Und zersplitterte verglühend.
Und es flüstert in der Asche:
Warum tödtest Du, berührend
Was noch aufflammt, Dir zur Leuchte,
Dich aus Nacht und Kälte führend? ....

[14] 3.

Wilde, ungeberd'ge Flammen,
Die sich suchen und verstecken,
Wie sie zischeln, wie sie schmeicheln
Und sich schlängeln und sich necken;
Wie sie prasseln, knistern, jubeln,
Sich verfolgen und umschlingen,
Wie sie zu dem heißen Reigen
Ihre lockern Lieder singen!
Wie sie endlich glühend züngeln,
Jauchzend hoch und höher schlagen,
Mit den schlanken rothen Armen
Gierig in einander ragen!
Welches glühend frische Leben
Seh' ich in den Flammen treiben –
Und nichts als ein Häuflein Asche
Soll von all' den Gluthen bleiben? ....

[15] 4.

Todte Liebe, – kalte Asche!
Armer, längst zerstob'ner Traum –
Wie ein geisterhaftes Mahnen
Weht es durch den öden Raum!
Oft ist mir, als müßt ich hüten
Dich, wie einst, mein sterbend Kind –
Doch ein Luftzug – und die Asche
Fliegt hinaus in Nacht und Wind!
[16]

Entweiht!

Fern sei es mir, daß spottend ich
Nach Dir, zerfall'ne Gottheit, zeige,
Wenn ich auch nimmer gläubig mich
Vor Deiner Macht in Demuth neige.
Du stehst mir schmerzvoll, menschlich-nah,
Stehst menschlich-schwach an meiner Seite.
Ich schaue nun, was ich nicht sah,
Als Du in mystisch-ferner Weite!
Ernüchtert starr' ich zu Dir hin,
Und such' die schmerzgefeiten Züge,
Und schau: so elend wie ich bin,
Bist Du – durch Menschenlieb' und Lüge!

[17] Finis!

O, wende ab Dein Angesicht,
Das thränenfeuchte, schmerzenbleiche,
Die Thränen wecken Todte nicht,
Und Du knieest hier vor einer Leiche.
Fleh' nicht mit gellem Jammerschrei:
»Nur eine Stunde soll sie leben!«
Es ist vorbei, – es ist vorbei –
Das fühlst Du durch die Seele beben.
Du suchtest Freude hier und Lust,
Der todten Jugend süße Namen;
O Mann! – schau' in die öde Brust –
Und Du verstehst mein »Nein,« mein »Amen!«
[18]

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TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Nachklänge. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-51D3-2