75. Fru Gauden oder Goden.

Meklenburgische Jahrbücher 1843.


Es war einmal eine reiche und vornehme Frau, die hieß »Fru Gauden«; dieselbe liebte so heftig die Jagd, daß sie das sündliche Wort sprach, die Jagd sei beßer als der Himmel, und wenn sie nur immerfort jagen solle, so wolle sie nie zum Himmel ein. Nun hatte sie auch vierundzwanzig Töchter, die hatten gleichen Sinn und gleiches Verlangen. Als nun einmal Mutter und Töchter nach gewohnter Weise in wilder Freude durch Wälder und Felder jagten, erreichte ihre Lust den höchsten Gipfel, und wieder erscholl das ruchlose Wort von aller Lippen: »Die Jagd ist beßer als der Himmel, und wenn wir nur immerfort jagen dürfen, so wollen wir nie zum Himmel ein.« Siehe, da wandeln sich plötzlich vor den Augen der Mutter die köstlichen Kleider der Töchter in zottige Haare, die Arme in Beine, und vierundzwanzig Hündinnen umklaffen den Jagdwagen der Mutter; vier von ihnen übernehmen den Dienst der Rosse, die übrigen umkreisen als Jagdhunde den Wagen, und fort geht der wilde Zug zu den Wolken hinauf, um dort zwischen Himmel und Erde, wie sie gewünscht hatten, unaufhörlich zu jagen, von einem Tage zum andern, von einem Jahre zum andern. Doch längst schon sind sie des wilden Treibens überdrüßig geworden, und schmerzvoll beklagen sie jetzt den frevelhaften Wunsch, insbesondere die Mutter, die nicht nur über ihr eigenes Schicksal, sondern mehr noch über das ihrer unglücklichen Töchter bekümmert ist; aber sie alle müßen die Folgen ihrer [204] Schuld tragen, bis die Stunde ihrer Erlösung kommt. Kommen wird diese Stunde einmal, doch niemand weiß, wann das geschieht, und bis dahin ist ihnen nur vergönnt, ihre Klagen vor den Ohren der Menschenkinder laut werden zu laßen, um auf solche Weise Linderung für ihre Schmerzen zu suchen und zu finden.

In den Twölven, denn zu andern Zeiten können wir Menschenkinder sie nicht wahrnehmen, lenkt Frau Gauden ihren Jagdzug zu den Wohnungen der Menschen hin; am liebsten fährt sie in der Christnacht oder in der Altjahrsnacht über die Straßen des Dorfes, und wo sie dann die Thür eines Hauses geöffnet findet, da sendet sie eine von ihren Begleiterinnen hinein. Ein kleiner Hund wedelt nun am andern Morgen die Bewohner des Hauses an und fügt niemandem ein anderes Leid zu, als daß er durch klagendes Gewinsel die Ruhe der Nacht stört. Beschwichtigen läßt er sich nicht, auch nicht verjagen; tödtet man ihn, so verwandelt er sich am Tage in einen Stein, der, wenn auch weggeworfen, durch unsichtbare Gewalt ins Haus zurückkehrt und zur Nachtzeit wieder zum Hunde wird. Der lebendig gewordene Hund aber rächt sich nun, wimmert und winselt zum Entsetzen der Menschen das ganze Jahr hindurch, bringt Krankheit und Sterben über Menschen und Vieh, wie Feuersgefahr über das Haus, und erst mit der Wiederkehr der »Twölven« kehrt die Ruhe des Hauses zurück, wenn es bis dahin vor völligem Untergang bewahrt blieb. Jeder achtet deshalb mit Fleiß darauf, daß während der Abend-und Nachtzeit in den »Twölven« die große Thür des Hauses wohl verschloßen gehalten werde; unvorsichtige Leute versäumen das zuweilen und sind dann selbst schuld daran, daß Frau »Gauden« bei ihnen einzieht. So geschah dieß auch einmal den Großeltern jetziger Hauswirthsleute zu Bresegardt. Die waren noch obenein so thöricht, Frau Gaudens Hündlein zu tödten; aber dafür war auch von Stund an kein »Säg und Däg«, d.i. kein Segen und Gedeihen mehr im Hause, bis zuletzt das Haus sogar in Flammen untergieng. Glücklicher aber waren diejenigen daran, die der Frau Gauden einen Dienst erwiesen. Es begegnet ihr zuweilen, daß sie in der Dunkelheit der Nacht des Weges verfehlt und auf [205] einen Kreuzweg geräth. Kreuzwege aber sind der guten Frau ein Stein des Anstoßes, und so oft sie sich auf einen solchen verirrt, zerbricht sie irgend etwas an ihrem Wagen, das sie selbst nicht wieder herzustellen versteht. In solcher Verlegenheit kam sie auch einmal zu nachtschlafender Zeit, als stattliche Dame gekleidet, einem Knechte zu Boeck vor sein Bett, weckte ihn auf und bat ihn flehentlich um Hülfe in ihrer Noth. Der Knecht ließ sich erbitten, folgte ihr zum Kreuzwege und fand allda, daß das eine Rad von ihrem Wagen abgelaufen war. Er machte das Fuhrwerk wieder gangbar, und zum Dank für seine Mühe befahl sie ihm, die sämmtlichen Häuflein in seine Tasche zu sammeln, die ihre Begleiterinnen beim Verweilen auf dem Kreuzwege zurückgelaßen hatten, wir können nicht sagen, ob als Zeichen großer Angst oder guter Verdauung. Der Knecht ward unwillig über solch ein Anmuthen, ließ sich indes doch einigermaßen beschwichtigen durch die Versicherung, daß das Geschenk so werthlos, wie er wohl meine, für ihn nicht sein werde, und nahm, wenn auch ungläubig, doch neugierig einige Häuflein mit sich. Und siehe, zu seinem nicht geringen Erstaunen begann das Mitgenommene mit Tagesanbruch zu glänzen wie blankes Gold und war auch wirklich Gold. Da war es ihm denn sehr leid, statt einiger Häuflein nicht alle mitgenommen zu haben; denn von den zurückgelaßenen Kostbarkeiten war am Tage auch nicht die Spur mehr aufzufinden. Ein andermal beschenkte Frau Gauden einen Mann zu Conow, der eine neue Deichsel in ihren Wagen setzte, und noch ein andermal beschenkte sie eine Frau zu Göhren, die ihr den hölzernen Stecken in die Deichsel schnitt, über welchem die Wage hängt. Beide erhielten für ihre Mühe, daß die sämmtlichen Späne, die von der Deichsel wie von dem Wagenhalter abfielen, sich in schieres, prächtiges Gold verwandelten. Insonderheit liebt Frau Gauden kleine Kinder und beschenkt sie zuweilen mit allerlei guten Gaben; darum singen die Kinder auch, wenn sie »Fru Gauden« spielen:


»Fru Gauden hett mi 'n Lämmken geven,

Dormit sall ick in Freuden leven.«


[206] Doch hat sie sich allmählich aus der Gegend weggewandt, und das hängt so zusammen. Fahrläßige Leute zu Semmerin hatten in einer Silvesternacht ihre Hausthür sperrweit offen gelaßen. Dafür fanden sie am Neujahrsmorgen ein schwarzes Hündlein auf ihrem Feuerherde liegen, das in nächster Nacht mit unausstehlichem Gewinsel den Leuten die Ohren voll schrie. Da war guter Rath theuer, was anzufangen sei, um den ungebetenen Gast aus dem Hause los zu werden. Und wirklich fand man Rath bei einer klugen Frau, die in geheimen Künsten wohl bewandert war. Diese gebot nämlich, es solle das sämmtliche Hausbier durch einen »Eierdopp« gebrauet werden. Gesagt, gethan. Eine Eierschale ward in das Zapfloch des Braukübels gesteckt, und kaum, daß das »Wörp«, das ungegohrene Bier, hindurch gelaufen war, da erhob sich Frau Gaudens Hündlein und redete mit vernehmlicher und klarer Stimme:


»Ick bün so olt

As Böhmengold;

Äwerst dat heff ick minleder nich truht,

Wenn man 't Bier dörch 'n Eierdopp bruht!«


Und als es das gesagt hatte, verschwand es, und seither hat niemand hier so wenig Frau Gauden als ihre Hündlein gesehen.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 75. Fru Gauden oder Goden. 75. Fru Gauden oder Goden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-564F-6