[63] 20. Vom klinkesklanken Lowesblatt.

Mündlich in Bevensen.


Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, und die jüngste war sein Herzblatt. Einst wollte er nach dem Jahrmarkt, um etwas einzukaufen, und er fragte die drei Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Die erste wünschte sich ein goldenes Spinnrad, die zweite einen goldenen Haspel, die dritte ein klinkesklankes Lowesblatt. Der König versprach es und reiste weg. Als er auf den Markt kam, kaufte er das goldene Spinnrad und den goldenen Haspel; aber das klinkesklanke Lowesblatt war nirgends feil, und so viel Mühe er sich auch gab, er konnte es nicht finden. Da wurde er sehr traurig; denn die jüngste Tochter war ihm lieb wie seine Seele, und er hätte ihr so gern eine Freude gemacht. Als er so mismuthig heimritt, kam er an einen großen, großen Wald und in dem Walde an einen großen Birkenbaum, und unter dem Birkenbaume lag ein großer schwarzer Pudelhund. Als der den König so traurig sah, fragte er ihn, was ihm fehle. »Ach«, versetzte der König, »ich sollte meiner jüngsten Tochter, die mir die allerliebste ist, ein klinkesklankes Lowesblatt mitbringen und kann es nirgends kriegen; deshalb bin ich traurig.« »Da kann ich dir helfen«, sagte der Pudel; »hier in diesem Baume wächst das klinkesklanke Lowesblatt, und wenn du mir nach Jahr und Tag das giebst, was dir heute aus deinem Hause am ersten entgegenkommt, so sollst du es haben.« Erst wollte der König nicht und besann sich lange; endlich aber dachte er: »Ei, was wird denn das anders sein, als unser Hund; versprich es nur«, und er versprach es. Da wedelte der Pudel, kletterte in die Birke, brach das Blatt mit seiner krausen Pfote und gab es dem König, indem er sagte: »Halte aber ja Wort; denn sonst geht es nicht gut!« Der König wiederholte seine Zusage, nahm das Blatt und ritt fröhlich von dannen.

[64] Als er nicht fern mehr vom Hause war, siehe, da sprang ihm seine jüngste Tochter freudig entgegen; und der König entsetzte sich, ihm wurde so weh ums Herz, und er stieß die Tochter von sich. Da weinte sie und dachte: »Was soll das heißen, daß der Vater mich von sich stößt?« und gieng hinauf und klagte es der Mutter. Bald kam auch der König herein, gab der ältesten das goldene Spinnrad, der mittleren den goldenen Haspel und der jüngsten das klinkesklanke Lowesblatt und war still und traurig. Da fragte ihn die Königin, was ihm fehle, und warum er die jüngste Tochter von sich gestoßen habe; er aber ließ sich nichts von der Geschichte aus. Und er war das ganze Jahr betrübt und härmte sich und grämte sich und wurde blaß und mager, so griff es ihn an; wenn aber die Königin ihn fragte, schüttelte er mit dem Kopfe oder gieng weg. Endlich, als das Jahr bald um war, konnte er's nicht mehr aushalten und erzählte das Unglück und meinte, seine Gemahlin würde sterben vor Schreck. Sie verjagte sich auch, faßte sich aber gleich wieder und sagte: »Ihr Männer denket doch an nichts! Haben wir nicht noch das Gänsehirtenmädchen? Das wollen wir ausschmücken und dem Pudel geben; was weiß so'n dummer Pudel davon?« Und als der Tag kam, zogen sie dem Gänsehirtenmädchen die Kleider ihrer jüngsten Tochter an, daß es war wie aus der Beilade genommen; und sie waren noch kaum damit fertig, als es draußen bellte und an der Pforte kratzte. Sie sahen hinaus, und richtig! er war es, der große schwarze Pudelhund. Wer mochte dem nur das Rechnen gelehrt haben? Denn ein Jahr hat doch über dreihundert Tage, und da verzählt sich auch wohl ein Mensch, geschweige denn ein Pudel! Er hatte sich aber nicht verrechnet; er war da, um die Königstochter abzuholen.

Freundlich traten ihm der König und die Königin entgegen und führten ihm das Gänsehirtenmädchen heraus; da wedelte und kratzte er, legte sich strecklangs auf den Bauch und sprach:


»Sett dick up min Swänschen,

Ick will dick hentildenschen!«


und als sie sich auf ihn gesetzt hatte, gieng es fort und davon, daß die Heide wackelte. Bald kamen sie an den großen, großen [65] Wald, und als sie bei der großen Birke waren, stand der Pudel still, um sich erst ein wenig auszuruhen; denn es war heiß, und hier gab es kühlen Schatten. Rings umher streckten aber viele Gänseblumen ihre weißen Köpfchen aus schönem Grase hervor, und das Mädchen dachte an seine Eltern und seufzte so für sich hin: »Ach, wenn hier doch mein Vater wäre, hier könnte er die Gänse leicht hüten; denn hier ist schöne fette Weide!« Da stand der Pudel auf, schüttelte sich und sagte: »Was bist du denn für eine?« Sie antwortete: »Ich bin ein Gänsehirtenmädchen, und mein Vater hütet die Gänse« und hätte gern gesagt, wie ihr die Königin befohlen hatte; aber unter diesem Baume konnte kein Mensch lügen, das gieng nicht und gieng nicht. Da sprang er unwirsch vor sie hin und war gräulich anzusehen und sagte:


»Sett dick up min Swänschen,

Ick will dick hentildenschen!


du bist die Rechte nicht, dich kann ich nicht brauchen.«

Als sie aber nicht fern mehr vom Königshause waren, sahe sie die Königin und merkte, was da für Wind wehe; deshalb nahm sie flugs das Besenbindermädchen, zog ihm noch schönere Kleider an, und als nun der Pudel kam und gewaltig böse that, führte sie ihm das Besenbindermädchen heraus und sagte: »Dieß ist nun aber die Rechte!« »Das wollen wir einmal sehen«, erwiderte der Pudelhund, daß der Königin ganz gräsig wurde, und dem Könige die Kehle fast zugeschnürt ward; der Pudel aber wedelte und kratzte, legte sich strecklangs auf den Bauch und sprach:


»Sett dick up min Swänschen,

Ick will dick hentildenschen!«


und als das Besenbindermädchen sich auf ihn gesetzt hatte, gieng es fort und davon, daß die Heide wackelte. Bald kamen sie wieder an den großen Wald und an die große Birke, und als sie da so saßen und sich ruhten, dachte das Mädchen an seine Eltern und seufzte so für sich hin: »Ach, wenn hier mein Vater wäre, hier könnte er leicht Besen binden; denn hier giebt's schlanke Reiser die Menge!« Da stand der Pudel auf, schüttelte sich und sagte: »Was bist du denn für eine?« Sie hätte gern [66] gelogen, denn die Königin hatte es befohlen, und das war eine strenge Herrin; aber sie konnte es nicht, weil sie unter diesem Baume war, und antwortete: »Ich bin ein Besenbindermädchen, und mein Vater bindet Besen.« Da sprang er wie toll vor sie hin und war über alle Maßen gräulich anzusehen und sagte:


»Sett dick up min Swänschen,

Ick will dick hentildenschen!


du bist die Rechte nicht, dich kann ich nicht brauchen.«

Als sie nun wieder an das Königshaus kamen, und der König und die Königin, die immer aus dem Fenster geschaut hatten, sie sahen, da weinten und jammerten sie, besonders aber der König, denn die jüngste Tochter war sein Augapfel; und die Hofleute heulten und schluchzten auch, und war eitel Wehklagen überall. Es half aber alles nicht; der Pudel kam an und sagte: »Nun gebt mir aber die Rechte, sonst geht's nicht gut!« und sprach das mit so fürchterlicher Stimme und machte dabei so wüthige Geberde, daß allen das Herz still stand und die Haut schauderte. Und als sie die jüngste Tochter herausführten, in weißen Kleidern und bleich wie Schnee, daß es aussah, als wäre der Mond aus düsteren Wolken hervorgetreten; da merkte der Pudel, daß dieß die Rechte sei, und sagte mit liebkosender Stimme:


»Sett dick up min Swänschen,

Ick will dick hentildenschen!«


und lief viel sanfter, hielt auch in dem großen Walde nicht wieder unter der Birke still, sondern eilte immer tiefer in den Wald hinein, bis sie da endlich bei dunkler Nacht an ein kleines Haus kamen, wo er die Königstochter, die eingeschlafen war, leise, lose auf ein weiches Bette setzte. Und sie schlummerte weiter und träumte von ihren Eltern und von dem seltsamen Ritt und lachte und weinte im Schlafe; der Pudel aber legte sich in seine Hütte und bewachte das Häuschen und die Königstochter.

Als diese am andern Morgen erwachte und sich mutterseelen allein fand, da weinte sie und jammerte sehr und wollte fliehen; aber sie konnte es nicht, denn die Hütte war verwünscht und ließ wohl jemanden ein, aber niemanden wieder aus. Eßen und [67] Trinken stand da genug, und wie es eine Königstochter nur wünschen mag; aber sie mochte nicht und rührte keinen Bißen an. Auch der Pudel war nirgends zu hören und zu sehen; doch sangen die Vögel wundersüß, ringsum weideten muntere Rehe und sahen die Königstochter groß an, und der Morgenwind kam und ringelte ihre goldenen Locken und goß frische Farbe über ihr Antlitz. Und die Königstochter seufzte und sprach: »Ach, wäre doch nur ein einzig menschlich Wesen hier, und wär's auch die elendeste und schmutzigste Bettlerin; ich wollte sie küssen und drücken und lieb und werth halten!« »Wolltest du das wirklich?« krächzte dicht hinter ihr eine grelle Stimme, daß die Königstochter zusammenfuhr, so erschrak sie; und als sie sich umsah, stand ein steinaltes Mütterchen da mit Triefaugen, die glotzte sie an und sprach: »Eine Bettlerin hast du gerufen, eine Bettlerin ist da; verachte künftig keine Bettlerin und höre zu! Der Pudelhund ist ein verwünschter Königssohn, diese Hütte ein verwünschtes Schloß, der Wald eine verwünschte Stadt, und alle Thiere sind verwünschte Menschen; wenn du nun eine echte Königstochter bist und auch die Armen lieb hast, so kannst du alles erlösen und reich und glücklich werden. Jeden Morgen läuft der Pudel fort, weil er muß, jeden Abend kehrt er heim, weil er will; und um die Mitternachtsstunde streift er sein rauhes Fell ab und ist ein ordentlicher Mensch. Wenn er dann an deine Kammer klopft, laß ihn nicht ein, so viel er auch bittet und bettelt, die erste Nacht nicht, die zweite Nacht nicht und die dritte Nacht erst recht nicht; in der dritten Nacht aber, wenn er sich müde gesprochen hat und eingeschlafen ist, nimm das Fell, mach ein lustig Feuer an und verbrenne es; verschließ aber ja zuvor die Kammerthür fest, daß er nicht herein kann, und öffne nicht, so lieb dir dein Leben ist, wenn er an der Thür kratzt; und wenn du Hochzeit hast, so sag dreimal, vergiß es aber ja nicht, hörst du? so sag dreimal:


›Alte Zungen,

Alte Lungen!‹


so sprechen wir uns wieder.« Die Königstochter merkte sich alles ganz genau, und weg war die Alte.

[68] Die erste Nacht bat der Königssohn und schmeichelte, sie möchte doch öffnen; sie antwortete: »Das thu' ich nicht« und that es auch nicht. Die zweite Nacht bat er noch viel süßer; sie antwortete gar nicht, duckte den Kopf ins Kissen und öffnete nicht. Die dritte Nacht bat er so rührend und sang dazwischen so wundersüße Weisen, daß sie eben aufspringen und öffnen wollte, als ihr zum Glück die alte Frau einfiel und Vater und Mutter; da zog sie flugs das Deckbett über den Kopf und öffnete nicht. Klagend zog der Königssohn sich zurück, aber sie hörte es nicht, und als er schlief, brachte sie rasch das Feuer in Schwung, schlich auf den Zehen hinaus, holte das rauhe Fell aus der Ecke, wohin der Pudel es immer legte, verriegelte die Kammerthür und warf es in die Flamme. Heulend sprang der Pudel auf, nagte und kratzte an der Thür, drohte, bat, knurrte, heulte wieder; aber sie öffnete nicht, und er konnte es auch nicht, so wüthend er dagegen sprang. Jetzt zum letztenmal loderte das Feuer hell auf: da geschah ein ungeheurer Knall, als ob der Himmel berste und die Hölle dazu; und vor ihr stand der schönste Königssohn von der Welt, und die Hütte war ein herrliches Schloß, der Wald eine große Stadt voll Paläste, die Thiere aber waren allerhand Menschen. Und als die Hochzeit gefeiert wurde, und der Königssohn und die Königstochter bei Tische saßen, und der alte König und die alte Königin auch sammt den beiden Schwestern und vielen reichen und vornehmen Leuten; da rief die Braut dreimal:


»Alte Zungen,

Alte Lungen!«


und herein kam das zerlumpte Mütterchen. Die alte Königin schalt, und die beiden Königstöchter schalten mit und wollten sie hinausjagen; die junge Königin aber stand auf, ließ die Alte sich auf ihren Platz setzen, aus ihrem Teller eßen und aus ihrem Becher trinken; und als das Mütterchen satt war, sahe sie die Königin und die bösen Töchter an, daß sie krumm und lahm wurden, die junge Königin aber segnete sie, daß sie noch siebenmal schöner wurde, und niemand hat je wieder was von ihr gehört oder gesehen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 20. Vom klinkesklanken Lowesblatt. 20. Vom klinkesklanken Lowesblatt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5687-4