44. Aschenpöling.

Mündlich in Altenhagen.


Es waren einmal zwei Leute, die hatten elf Söhne und für keinen was zu eßen. Nun begab es sich, daß die Frau noch ein Kind gebar, und das war eine Tochter und sah aus wie eine Prinzessin. Doch so sehr die Eltern sich über das kleine Mädchen freuten; niemand im Dorfe freute sich mit, und niemand wollte Gevatter werden bei dem armen Würmlein. Darüber betrübte sich der Mann, und seiner Frau mochte er es gar nicht sagen. Eines Morgens gieng er in den Wald, um wie gewöhnlich Holz zu hauen; und als er sich müde gearbeitet hatte, legte er sich unter einen Busch und seufzte so recht aus Herzensgrunde. Da kam eine alte Frau hinter dem Busch hervor, die sah sehr traurig aus und sprach zu dem Holzhauer: »Was fehlt dir?« Er mochte es erst gar nicht sagen; zuletzt jedoch erzählte er alles, [143] was ihn drückte, und daß das kleine Mädchen so schön sei, und niemand wolle Gevatter werden. Da schüttelte die alte Frau traurig den Kopf, gieng mit, hielt das Kind über die Taufe, schenkte ihm drei blanke Goldstücke und verschwand. Und sie ließ nicht eher wieder was von sich hören, als bis das kleine Mädchen anderthalb Jahr alt war; da kam sie eines Tages wieder, bat sich die Kleine aus, und die Eltern gaben sie ihr gerne mit. Sie brachte aber das Kindlein in ihr Haus mitten im Walde, und das Mädchen wuchs und gedieh zusehends und wurde die schönste Jungfrau in der ganzen Welt.

An dem Tage, an welchem diese gerade ihren funfzehnten Geburtstag feierte, sprach die treue Pathin zu ihr: »Mein liebes Kind, ich muß dich auf drei Tage verlaßen. Hier hast du alle Schlüßel; besieh dir die Zimmer, so viel du willst; nur das, zu welchem dieser kleine goldene Schlüßel passt, öffne nicht. Gehorche meinen Worten, liebes Kind; du brächtest sonst großes Herzeleid über dich und über mich!« Und sie sah die Jungfrau so bittend an, daß es dieser durchs Herz gieng, und sie alles versprach. Den ganzen Tag aber war sie betrübt, daß sie sich zum erstenmal von der Alten verlaßen sah, und schloß keins der Zimmer auf; erst am andern Tage besah sie dieselben und staunte über all die Pracht und Herrlichkeit; doch das eine Zimmer, zu welchem der kleine goldene Schlüßel passte, öffnete sie nicht. In der Nacht aber hatte sie keine Ruhe, und fortwährend dachte sie: »Was mag nur in dem Zimmer sein, zu welchem der kleine goldene Schlüßel gehört?« Am anderen Morgen besah sie alle anderen wieder, vor dem verbotenen indes gieng sie erst lange hin und her; zuletzt aber meinte sie: »Sollst die Thür nur ein klein wenig öffnen und gleich wieder verschließen; das wird wohl nicht schaden!« Und so gewaltig ihr Herz klopfte; sie öffnete die Thür und sah hinein. Was aber erblickte sie da! An der Wand ihr gegenüber hieng ein großer Spiegel mit goldenem Rahmen, und aus dem Spiegel schaute eine wunderschöne Jungfrau, die hatte königliche Kleider an und trug eine goldene Krone auf dem Haupte. Daß sie selber die Jungfrau sei, das wußte sie nicht; [144] denn sie hatte nie einen Spiegel gesehen, auch trug sie ja kein königliches Gewand und keine goldene Krone. Als sie aber näher gieng, um alles beßer zu betrachten, stieß sie an ein Gefäß voll Menschenblut; sie erschrak und ließ ihren Nähring hineinfallen, und als sie denselben wieder herausholte, da war er voll Blut; und das Blut gieng nicht wieder weg, sie mochte reiben, so viel sie wollte. Eben hatte sie das Zimmer wieder verlaßen, da kam die treue Alte, sah den blutigen Ring und sprach: »Thörichtes Kind! Wann werde ich nun erlöst?« Und die Alte weinte bitterlich, faßte die Jungfrau bei der Hand, führte sie aus dem Hause und sagte: »Wir sind auf ewig getrennt, und eigentlich sollte ich recht böse auf dich sein! Ich kann es aber nicht, und hier hast du mein Pathengeschenk: so oft du dreimal stillschweigend auf dieß Kästchen klopfst und dir dabei etwas wünschest, so bekommst du es. Damit geleite dich Gott! Mir aber komm nie wieder vor die Augen!« Die Alte gieng ins Haus, verschloß es hinter sich, und die Jungfrau gieng schluchzend in den großen Wald.

Sie kannte aber den Wald nicht weiter, als wie sie von dem Hause der Gevatterin aus davon gesehen hatte, und so verirrte sie sich bald und wußte nicht ein noch aus. Und die Dornen zerfetzten ihr die Kleider und die Hände und das Gesicht; zu eßen hatte sie nichts als die Beeren, die da wuchsen, und schlafen mußte sie auf der kalten Erde. So war sie denn bald ein wahres Bild des Jammers. Da trug es sich zu, daß der König im Walde jagte; als das Mädchen aufsprang, um den Hunden zu entkommen, meinte er, es sei ein wildes Thier, und wollte es erlegen; da zum Glück erkannte er die Gestalt eines Menschen, ließ das Mädchen einfangen, und die Jäger nahmen es mit ins Schloß. Hier mußte es Holz und Waßer tragen und das Feuer schüren, und weil es dabei so voll Staub und Asche wurde, nannten es die Leute nicht anders als Aschenpöling.

Nun begab es sich, daß der König, der noch nicht lange König war, heiraten wollte und deshalb einen Ball ausschrieb, zu welchem alle Prinzessinnen geladen wurden; bei der Gelegenheit wollte er sich denn eine Gemahlin aussuchen. Gegen Mitternacht, [145] als Aschenpöling die Küche in Ordnung hatte, dachte sie: »Möchtest auch wohl einmal tanzen!« Und sie holte das Kästchen hervor, klopfte dreimal stillschweigend darauf und wünschte sich ein königliches Gewand; und sie nahm das Gewand, ringelte ihr goldenes Haar und gieng in den Saal. Der König tanzte eben mit einer schönen Königstochter; als er aber Aschenpöling eintreten sah, ruckte es in seinem Herzen, und er ließ die Königstochter stehen und tanzte mit Aschenpöling die ganze Nacht bis an den lichten Morgen. Da eilte die Jungfrau an ihre Arbeit, und der König mochte suchen und fragen, so viel er nur wollte, er fand sie nicht; und er war sehr traurig, und sein Herz wollte springen vor Sehnsucht. Am folgenden Abend war wieder Ball; und als Aschenpöling eintrat und ein noch schöneres Gewand anhatte, ließ der König wieder die Prinzessin stehen und tanzte mit Aschenpöling bis an den lichten Morgen. Als sie auch dießmal wieder verschwand, wurde er noch trauriger und aß und trank nichts denselbigen ganzen Tag. Des Abends tanzte er nicht eher, als bis Aschenpöling kam, die dießmal ein Gewand trug, wie zuvor noch nie ein Mensch gesehen hatte; und er tanzte mit ihr bis an den lichten Morgen, gab ihr einen goldenen Ring und dachte: »Dießmal kann sie nicht wieder fort; denn ich habe das ganze Schloß mit Soldaten umstellen laßen!« Sie konnte aber doch fort, denn sie blieb im Schloße, that ihr Küchenzeug an und war ein rechter Aschenpöling, weshalb sie der König nicht kannte. Dieser wollte vergehen vor Sehnsucht und schickte Boten in alle Welt, daß sie die schöne Jungfrau suchten. Indes keiner fand sie, und sie war so nahe! Am dritten Tage bemerkte der Koch den Ring an Aschenpöling's Finger; als er die Jungfrau darüber zur Rede stellte, nahm sie den Ring und warf ihn flugs in die Suppenschale. Da fand ihn der König, und er fragte den Koch, woher der Ring gekommen. Dieser erzählte ihm, was er von der Sache wußte; als nun der König in die Küche gieng, stand Aschenpöling da in demselben Gewande, das sie am ersten Abend getragen hatte, und das dem Könige von allen am besten gefiel. Und er nahm sie zur Gemahlin. Als sie aber zur Königin [146] erhoben war und die goldene Krone aufhatte, blickte sie zufällig in den großen Spiegel: da wußte sie, wen sie damals in dem goldenen Spiegel gesehen hatte. Und sie war eine edle Königin, und alle hatten sie sehr lieb.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 44. Aschenpöling. 44. Aschenpöling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5729-1