Die Hexe

Wenn du ein Hexlein richten soll't, blick' nicht ihr in die Augen,
Sonst wird dein töricht Herz ihr hold, kann nicht zum Richten taugen.
Das hat den Burggraf von Tirol geführt in Tod und Schande:
Der war ein junger Ritter wohl und Richter in dem Lande.
Zu Bozen an dem schwarzen Stein, da saßen Schöffen elfe: –
»Die Hexe muß verbronnen sein« – sprach er – »so Gott mir helfe.
Du Klägerin, sag' an geschwind, wes willst du sie bezichten?«
»Sie ist ein höllisch Wechselkind, ihr Trachten bös und Dichten.
Sie hat eine scheue stille Art, das Mannsvolk zu betören,
Und wen sie anblickt stumm und zart, der muß ihr angehören.
Meinem Eh'herrn hat sie's angetan mit ihrem schwarzen Blicke:
Er folgt ihr nach auf Weg und Bahn, als führt' sie ihn am Stricke.
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Der Fischer Kurt sprang in den See, – so wild muß't er sie lieben,
Den Schütz von Klausen hat's vor Weh' in Kampf und Tod getrieben;
In Kirch' und Messe geht sie nicht, ein Greu'l sind ihr die Glocken,
Und grünes Zauberkraut sie flicht in ihre schwarzen Locken.
Man weiß es nicht, woher sie kam, fremd ist ihr bunt Gewande,
Ihre Sprach' ist fremd und wundersam, sie hat kein Recht im Lande.«
»Ihr Schöffen, die das Recht ihr kennt, nun heisch' ich eure Stimmen!« –
»Das Recht ist: eh' die Hexe brennt, soll erst die Hexe schwimmen;
Werft sie gebunden in den Teich, die Hexe kann nicht sinken,
Der Teufel trägt sie federgleich und läßt sie nicht ertrinken.« –
Und von dem Stein der Burggraf schritt mit allem Volk zum Weiher:
Zwei Schergen schleppten die Hexe mit, gehüllt in dunkle Schleier.
»Halt – laßt mich erst dem Teufelskind in die Koboldaugen schauen:
Und ob sie Zauberkohlen sind, – mir soll davor nicht grauen.« –
Er reißt den Schleier fort mit Macht: – da war's um ihn geschehen: –
Zwei schwarze Augen voll süßer Nacht, die haben ihn angesehen.
Sie kreuzt auf ihrer Brust die Arm', ihr dunkles Haar wallt prächtig,
Sie blicket auf in Todesharm: – der Blick war zaubermächtig!
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Er hielt die Hand vors Angesicht, er tät sich baß verfärben:
»Halt! – Sie ist keine Hexe nicht! – Sie ist rein! – Sie soll nicht sterben!« –
»Die Hexe muß verbronnen sein!« – So sprachen da die Elfe –
»Du bist behext: – gedenke fein: du schwurst, so Gott dir helfe!«
Sie halten dem Grafen Schwert und Hand, sie zerren sie fort zum Weiher –
Und als er sich zornig losgewandt, – im Wasser schwamm ihr Schleier.
Er springt ihr nach, er faßt sie wohl: – da täten sie beide sinken: –
So mußte der Burggraf von Tirol um eine Hex' ertrinken. –

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Zweites Buch. Die Hexe. Die Hexe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-688C-8