Deutsche Lieder

(Bei dem Gerücht der Kriegserklärung Rußlands, Frankreichs und Italiens an Deutschland.)

1.

Mein Volk, ja du hast dir in jeglicher Kunst,
In jeglichem Wissen errungen den Preis:
Es gönnte die Palme der Himmlischen Gunst
Der innigen Kraft und dem dauernden Fleiß:
Du hast an dem Himmel die Sterne gezählet,
Hast tief in den Gründen durchforschet den Schacht,
Hast Steine zu atmendem Leben beseelet,
Hast Lieder von ewiger Schönheit erdacht,
Du hast dir die Pforten des Geistes entriegelt,
Die heiligsten Rollen des Ahnens entsiegelt: –
Leg alles dahin, sei zu anderm bereit,
Nach Eisen verlanget die eiserne Zeit:
Zu den Waffen, mein Volk!
Es hat die Olive kein Haupt noch geschützt,
Dem ruchlos das Schwert sich des Feindes genaht:
Hat Hellas die Liebe der Musen genützt,
Als Rom mit dem Fuß auf den Nacken ihm trat?
Vorüber die Tage für friedliches Trachten,
Für Denken und Dichten vorüber die Zeit:
Jetzt sollst du dich gürten zu brüllenden Schlachten,
Für Freiheit und Leben zum grimmigen Streit:
[550]
Fort Becher und Liebe, du freudige Jugend,
Jetzt ist der Haß die oberste Tugend:
Ihr führtet den Griffel, den Meißel genug,
Legt nieder die Feder, den Hammer, den Pflug:
Zu den Waffen, mein Volk!
Schon gilt es nicht mehr für den Ruhm und die Macht,
Zerfetzt ist schon lange dein Ehrengewand:
Die Sterne, die ewigen, hieltst du in acht,
Da stahlen dir Schächer dein Gut und dein Land:
Sie haben zu lange den Speer nicht gekostet,
Der dem Slawen den Schild und Romanen zerspellt:
Sie glauben das Schwert in die Scheide gerostet,
Das blitzend die Kaiser geschwenkt durch die Welt:
Sie wähnen dich alt, und sie wollen dich erben,
Sie wollen dich würgen, dieweil du im Sterben:
Auf, schütze dein Leben, dein Gut und dein Recht,
Zu den Waffen, du reisiges Heldengeschlecht:
Zu den Waffen, mein Volk!

2.

Und wenn's beschlossen ist da droben, daß unser Reich versink' in Nacht, –
Noch einmal soll die Welt erproben des deutschen Schwertes alte Macht:
Soll nicht mehr deutsches Wort erschallen, nicht deutsche Sitte mehr bestehn,
So laßt uns stolz und herrlich fallen, nicht tatenlos in Schmach vergehn.
Zieht einst ein Tag die Schuld der Ahnen, die eigne Schuld vors Weltgericht:
Ihr seid die Schergen, ihr Romanen und Slawen, doch die Richter nicht!
[551]
Wir beugen uns den Schicksalsmächten: sie strafen furchtbar und gerecht:
Ihr aber seid, mit uns zu rechten, kein ebenbürtiges Geschlecht!
Den Schlag der deutschen Bärenpfote ihr kennt ihn, ihr Romanen, wohl,
Seit Alarich, der junge Gote, das Tor zerschlug am Kapitol,
Und euch, ihr Slawen und Polacken, ist deutsche Kraft bekannt seit lang,
Seit dröhnend trat auf eure Nacken der Heineriche Siegergang.
Nein, eh' ihr herrscht in diesen Landen, draus oft euch wilde Flucht entrollt,
Sei noch einmal ein Kampf bestanden, des ewig ihr gedenken sollt:
Und wimmeln zahllos eure Horden, erfüllt von tausendjährgem Neid: –
Erst gilt es noch ein furchtbar Morden, eh' ihr die Herrn der Erde seid.
Schon einmal ward so stolz gerungen von deutschen Helden, kühn im Tod:
Ein zweiter Kampf der Nibelungen sei unsern Feinden angedroht:
Prophetisch war die alte Sage und grauenhaft wird sie erfüllt,
Wenn an dem letzten deutschen Tage der Schlachtruf dreier Völker brüllt.
Von Blute schäumend ziehn mit Stöhnen empört die Donau und der Rhein:
Es wollen brausend ihren Söhnen die deutschen Ströme Helfer sein;
Auf! Schleudert Feuer in die Felder, von jedem Berg werft Glut ins Land,
Entflammt die alten Eichenwälder zum ungeheuren Leichenbrand.
[552]
Dann siegt der Feind: – doch mit Entsetzen, und triumphieren soll er nicht!
Kämpft bis die letzte Fahn' in Fetzen, kämpft bis die letzte Klinge bricht,
Kämpft bis der letzte Streich geschlagen ins letzte deutsche Herzblut rot,
Und lachend, wie der grimme Hagen, springt in die Schwerter und den Tod.
Wir stiegen auf in Kampfgewittern, der Heldentod ist unser Recht:
Die Erde soll im Kern erzittern, wann fällt ihr tapferstes Geschlecht:
Brach Etzels Haus in Glut zusammen, als er die Nibelungen zwang,
So soll Europa stehn in Flammen bei der Germanen Untergang!

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Deutsche Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-68C1-E