[243] Kaiser Decius

»Der Imperator hat's geboten, der Herr der Erde, Decius:
Ihr sollt zurück, ihr kecken Goten, vom Ufer des Danubius.
Am Purpur Romas, ihr Barbaren, habt ihr gezerrt zu lange schon,
Es kömmt der Erbe der Cäsaren, es kömmt der Decier großer Sohn.«
– »Er komme nur, der Herr der Erde, wir harren sein an diesem Fluß!«
Und siebzigtausend Gotenpferde durchschwammen den Danubius.
Und als der Kaiser kömmt gezogen, frägt er der Opferzeichen Spur:
»Wirfst du in dieses Flusses Wogen das Beste nicht« – spricht der Augur –
»Das Köstlichste, was Rom zu eigen, so ist verloren Sieg und Glück.«
Der Kaiser hört ihn an mit Schweigen, er denkt an seinen Ahn zurück;
Und durch das Lager geht ein Ahnen: »Der Kaiser weihet sich dem Strom
Und von dem Abgrund der Germanen befreit er durch sein Opfer Rom!«
Und aus des Römerlagers Pforten, als nun der blut'ge Tag begann,
Schritt Decius den Schlachtkohorten im Kaiserschmuck zum Fluß voran.
Er ging mit langsam ernstem Schritte: wie eines Priesters war sein Gang
Und also, in der Heere Mitte, sprach er vom steilen Uferhang:
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»Sein höchstes Gut soll Rom versenken, geopfert, in den Donaufluß,
Damit uns Sieg die Götter schenken: – wohlan, ich bin ein Decius!«
Und schon das Haupt geneigt zum Springen, schaut er noch einmal in die Flut. –
Da sieht er schwarz der Wellen Schlingen und sieht der Strömung grimme Wut,
Er fühlt sein Herz im Krampf ersticken, im Ohre rauscht's ihm grausenhaft:
Da wird es Nacht vor seinen Blicken: – er wankt: – es sinkt ihm Mut und Kraft –
Er, der in zwanzig Perserschlachten dem Tod getrotzt hat kühn und stark,
Der mit des Herzens edelm Trachten verjüngen wollte Romas Mark, –
Er will die Großtat seines Ahnen: – doch wehe, seine Kraft, sie bricht:
Die Götter sind mit den Germanen, das Schicksal will sein Opfer nicht!
Er wendet sich, er flieht mit Grausen, fein Haupt verhüllt im Purpurkleid
Und hinter ihm die Goten brausen mit Siegesjubel in den Streit.
Sie fielen all', die Römerscharen, auch Decius fiel an diesem Tag:
Er war der erste der Cäsaren, der stürzte von Germanenschlag.

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. Kaiser Decius. Kaiser Decius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-692C-5