[303] König Harald Harfagr und Gydha

1.
Zwölf Könige herrschten in Norgeland:
Das waren um elf zu viel:
Wie Harald die andern überwand,
Das singt man zu Harfenspiel. –
Zwolfkönig Harald von Hadaland,
Zu jagen ritt er nach Mochter:
Schön Gydha vor ihrem Hoftor stand,
Des Odalbauern Tochter.
Die schlanken Hüften ihr stolz umfing
Goldgürtel, an Steinen reich:
Noch goldener glänzte des Goldhaars Ring
Auf der Stirn ihr kronengleich. –
Vom Rotroß staunend da Harald sprang
Und hielt die Hand vor die Augen:
»Wie blendest du! Zu der Helden Empfang
In Walhall würdest du taugen.
Zu den Schildjungfrauen wohl zählst du, Kind?«
»Mein Vater, der Bauer, hieß Steinn:
Doch zwölf der Schildjungfrauen sind:
Ich herrsch' im Hof hier – allein.«
Da strich sich Harald langsam den Bart
Und die Stirne furcht' er mit Sinnen:
Doch Gydha spreitete, weiß und zart,
Auf den Birkentisch das Linnen.
Und sie winkt den Mägden: die tragen heran
In gehenkelten Krügen den Meth:
Doch der Wirtin nur achtet der gastende Mann,
Die schweigend die Spule dreht.
[304]
»Wie heißt du?« »Gydha!« »Nun, Gydha, sprich,
Aus dem Bauernstaube dich reiß' ich:
Zu meiner Königin kür' ich dich,
Harald von Hadaland heiß' ich.
Ich biete dir meine goldene Kron'
Für den Gürtel um deinen Leib.«
Aufstand und sprach da mit stolzem Hohn
Und mit blitzenden Augen das Weib:
»Mein Gürtel, Zwölfkönig, ist ganz und voll:
Er trägt zwölf strahlende Steine:
Draus schenk' ich dir einen: das ist dein Zoll
Für die Zwölfteilskrone, die deine.
Du trägst es, Norge vergehen in Harm
Zu schau'n, in Zerrissenheit –
Nur du könnt'st retten: dein Geist – dein Arm –:
Doch du – jagst und verjagest die Zeit.
Mein Gürtel, Harald, ist ganz und Eins:
Deine Kron' ist nicht würdig meiner:
Ein ganzes Reich und Herz, oder keins –
Ein Zwölftel König ist – keiner!«
Und sie wandte den Rücken und schritt ins Tor
Und warf den Riegel ins Schloß:
Und der Gast sprang jäh von der Bank empor
Und im Sturm trug fort ihn das Roß.
2.
Drei Sommer kamen und dreimal schlug
Drei Könige Harald tot:
Da hatten die letzten beiden genug
Und nahmen als Jarle sein Brot.
[305]
»Nun bin ich König von Hadaland,
Ranriki und Thrandheim, dem starken
Von Raumariki und Westfoldstrand,
Heid-Wingul- und Thelamarken.
Und König bin ich von Gudbrandsreid,
Von Upland, Midland und Dal: –
Vom ganzen Norge, schmal und breit,
Bin ich König nun zumal.«
Da ließ er sich schmieden goldene Kron',
Die trug zwölf silberne Zacken,
Aufs Rotroß sprang er mit stummem Drohn
Und warf das Gelock in den Nacken.
Und als er vor Mochters Hoftor stand, –
Schritt Gydha draus hervor,
Trug ihren Gürtel in der Hand,
War schöner als je zuvor.
Statt herben Hohnes süße Scham
Umgoß sie mit rosigem Scheine –
Auf den Birkentisch – wie wundersam! –
Sie warf elf strahlende Steine:
»Heil, König Harald – Vollkönig! – dir,
Heil, Norges Herr und Held:
Elf Steine löst' ich vom Gürtel mir,
Wie du König auf König gefällt.
Nicht verschmähe den letzten: – der rote Rubin
Soll Gydha selber bedeuten.«
Doch er zog sie ans Herz von gebeugten Knien –:
»Knien ziemt nicht Königsbräuten.
[306]
Das wisse ganz Norge, das wisse die Welt:
Wenn den Hader ich niedergestreckt
Und den Frieden geschafft und die Völker gesellt –:
Mein Weib hat dazu mich geweckt.«

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. König Harald Harfagr und Gydha. König Harald Harfagr und Gydha. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6947-7