[265] Die Wünsche

Der Hügel birgt den König Stein:
Vier Söhne sind die Erben;
In der Halle sitzen sie nun allein:
Um das Erbe die Erben werben.
Der blonde Halfdan streicht den Bart
Und spiegelt sich im Schilde;
Der schwarze Helgi, von düstrer Art,
Sinnt stolze Taten und wilde;
Der rote Hako erwägt, wie den Wert
Von des Reiches Hort zu verwenden;
Der Jüngste hält des Vaters Schwert
In tränenbeträuften Händen. –
Auf sprang von selbst da die eichene Tür:
Nicht wagten die Rüden Gebelle,
Und vor den Brüdern stand Wegafür,
Des Vaters vertrauter Geselle.
Der Alte im Mantel und Wandrerhut,
Er sprach: »Nun höret, ihr Fürsten:
Nicht soll eurer kühnsten Wünsche Mut
Umsonst nach Erfüllung dürsten.
Ihr wißt es: mancher Zauber ist mein,
Ich war des Königs Berater:
Euch sollen vier Wünsche verstattet sein,
Das versprach ich dem sterbenden Vater.
Und der weiseste Wunsch, der wird gewährt. –
Nun wünscht nach des Herzens Triebe.«
Und Halfdan rief: »Auf weiter Erd'
Ist das Süßeste Weibesliebe!
Weichwangiger Weiber wonnige Gunst,
Die sollst du mir, Alter, gewähren!«
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»Die Lieb' ist Wahn und Weh und Brunst,«
Sprach Helgi, »mich dürstet nach Ehren!
Gib mir vor allen Königen Ruhm.«
Doch Hako höhnte, der rote:
»Ruhm ist gar windiges Eigentum!
Mir spende, du Wunschesbote,
Des roten Goldes unendlichen Hort!« –
Da sprach der Alte mit Sinnen:
»Nun, Harald, Braunkopf, du findest kein Wort?
Wie? – Tränen seh' ich dir rinnen?«
»Ich wünsche nur meines Vaters Schwert,
Das hier in Händen ich halte.«
»Du wirst es führen des Vaters wert!
Und nichts weiter?« forschte der Alte.
»Nichts! Ich hoffe nur, daß zuweilen du
In meiner Halle dich zeigest,
Im Schweigen der Nacht, in des Abends Ruh'
Das Antlitz zu mir neigest.
Denn Unausdenkliches liegt gehäuft
Auf deiner Stirne, der hohen,
Und vom Mund dir erschütternde Weisheit träuft
Bei des grauen Auges Lohen.
Dir will ich mich weihn mit des Vaters Schwert!
Nichts andres heisch' ich auf Erden!«
»Heil dir, jung Harald! Dir ist gewährt,
Und das Herrlichste soll dir werden!
Ein erprobtes Schwert in treuer Hand, –
Nach dem Höchsten ein ahnendes Sehnen, –
Ein Geist, zu Adlerfluge gespannt,
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Und im Auge kindliche Tränen: – –
Du sollst gewinnen des Weibes Kuß
Und des Ruhmes Harfenschallen
Und des gleißenden Goldes Überfluß
Und mich, jung Harald, vor allen.
Ich, Odhin von Asgardh, küsse dich jetzt,
Zum Wunschsohn dich mir zu küren,
Und nach tausend Siegen sollen zuletzt
Die Walküren zu mir dich führen! – –«

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. Die Wünsche. Die Wünsche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6956-5