Das Königsurteil

»Hier über diesen Frankenmann,
Den wir dir führen zu,
Herr König Thorsteinn, hör' uns an
Und sprich das Urteil du.
Denn uns versagt hier Spruch und Rat:
Den Frieden brach er nicht:
Doch frevler viel als Freveltat
Ist, was der Franke spricht.
Er zieht mit Singen durch das Land
Und geißelt seinen Leib,
Ein Kreuz statt Schwertes in der Hand:
Gern lauscht ihm Knecht und Weib.
[287]
Er sagt, wir seien falsch und schlecht,
Kein Mensch sei gut entstammt,
Der Himmelskönig hätt' mit Recht
Uns all' zu Hel verdammt.
An Freyas Tag soll'n wir kein Fleisch
Und Roßfleisch essen nie,
Und vor dem Kreuz – so sein Geheisch –
Soll'n brechen wir aufs Knie.
In Walhall keine Schildesmaid
Und Feuer sei in Hel.
Ein Älrausch sei Allvater leid: –
Narr! Odhin selbst liebt Äl.
Dem, der uns ab den Mantel rang,
Soll'n schenken wir das Wams,
Und wer uns schlug die rechte Wang',
– Hör's, König Asenstamm's, –
Soll'n wir die Linke bieten dar:
Schlug wer den Sohn uns tot,
Dem sollen wir – ohne Wergeld gar –
Verzeihn bei Wein und Brot.
Wir soll'n zur Sommersunnwend hehr
Durchs Feuer springen nicht,
Und, schwirrt die erste Schwalbe her,
Nicht danken Baldurs Licht.
Weiblos sei besser als beweibt,
Gott gleich sei Herr und Knecht: –
Wenn solcher Glaube Wurzel treibt,
Herr, wo bleibt Reich und Recht?
[288]
Ein Wort von dir – tot liegt der Mann!«
Der König hob den Stab:
»Du frommer Franke, sag' mir an,
Wenn man die Wahl dir gab:
Zu retten deines Volkes Reich,
Die Franken kühn und stolz,
Indem du wirfst ins Feuer gleich
Dies quer gekreuzte Holz: –
Was wähltest du?« Da sprach der Christ
– Und zürnend klang sein Wort: –
»Wie gäb' ich, was des Himmels ist,
Um sünd'ge Menschen fort?
Die Kirche ewig heilig blinkt:
Das Reich, der Sünde Frucht,
Zusammen mit dem Teufel sinkt
Einst in die Höllenschlucht.
Des Himmels bin ich, nicht der Welt:
Das Recht der Krücke gleicht,
Daran die lahme Zeit sich hält,
Dran siech die Sünde schleicht.
Wann aus den Wolken Gottes Sohn
Tritt auf den Richterstuhl,
Stürzt aller Kön'ge Kron' und Thron
Hinab zum Schwefelpfuhl.
Nicht alle Kronen dieser Erd',
Nicht alle Reiche stolz,
Sind einen einz'gen Splitter wert
Von diesem heil'gen Holz.«
[289]
»Tod ihm!« rief alles zornentbrannt:
Doch Thorsteinn sprach voll Huld:
»Führt diesen Armen aus dem Land:
Irrsinn ist keine Schuld.
Ob Höh'res noch im Himmel ist,
Bleibt ewig unbekannt:
Auf Erden gilt das Höchste, Christ,
Dem Mann sein Volk und Land.
Und glaubst du anders, – glaub' es fromm,
Und lehr' es Frankenfrau'n,
Doch nie mehr solches lehrend komm
In meiner Helden Gau'n.«

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. Das Königsurteil. Das Königsurteil. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-697B-6