Der Adler

Mein Nachbar drüben, über'm Strom,
Der Abt der Schotten, hält zu Rom.
Und wie du, Wald, stets neu mich labst,
Labt ihn stets neu – ein Brief vom Papst.
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Ich gönn' es ihm! – Doch jüngst geschah
Ein Streich ihm, den ich gerne sah.
Den Vöglein stellt er nach mit Netzen,
Nicht, ihrer Lieder sich zu letzen,
Nein, weil er sie gebraten frißt,
Wann just nicht grade Fasttag ist.
Oft nehm' ich unbemerkt und leise
Ihm aus dem Garn die frevle Speise,
Und Drossel, Fink und Hänfling froh
Entfliegen ihm mit Jubilo.
Doch jüngst kam über ihn ein andrer,
Ein sturmgewalt'ger Wolkenwandrer:
Verfolgend eine Dolenschar,
Strich über'n Main der Königsaar,
Und flog, – er sah den Lockherd nicht, –
Flog mitten in die Netze dicht.
Da lief mit lautem Siegsgeschrei
Der dicke Abt zum Fang herbei.
Doch, als er schon ganz nahe war,
Zerriß das ganze Garn der Aar
Und flog so ungestüm hin dann, –
Zu Boden, schreiend, fiel der Mann!
Und mit den arg zerfetzten Netzen
Wird er kein Vöglein mehr verletzen.
Merk: Garn, für Gimpel stark genug,
Hemmt nicht des Königsadlers Flug.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Drittes Buch. Walther von der Vogelweide. Der Adler. Der Adler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-69D0-4