Donna Bianca Vendramin

Durch die Straßen von Ravenna,
Durch die Hallen und Paläste
Zwischen Schwarzen längst und Weißen,
Ghibellinen tobt und Guelfen
Unversöhnlich grimmer Streit.
Aber heute drängt sich alles,
Ritter, Bürger, Senatoren,
In die schwarz verhangne Rota,
Wo die strengen Richter richten
Über blut'ge Freveltat.
Vendramin, das Haupt der Weißen,
Von Ravennas ältstem Adel,
Weise, mild, ein Greis voll Tugend,
Heute nacht ward er ermordet
Auf der Straße nach Forli!
Und in mitternächt'ger Stunde
Von den Weißen ward ergriffen
Nah der Casa Vendramini,
Ohne Wehrgehäng und Gürtel,
Fortunato Loredan.
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Er, der Schwarzen junger Führer,
Ritterlich und kühn und feurig:
Niemand zieh ihn leicht des Mordes –
Doch er weigert Wort und Auskunft
Und den Argwohn mehrt sein Trotz.
»Strenge Rota, sprich dein Urteil.
Was bedarfst du weiter Zeugnis?
Er verweigert Wort und Auskunft
Und um seine stolzen Lippen
Spielt ein siegreich Lächeln noch.«
Also drängt der Haß der Weißen:
Doch der Konsul, hoch von Ansehn,
Spricht: »Ich kann's und will's nicht glauben!
Nein, du bist kein Meuchelmörder,
Fortunato Loredan.
Aber nun zum letzten Male
Frag' ich dich – es gilt dein Leben –
Sage mir, nur mir, dem Richter,
Wo du diese Nacht gewesen,
Als die grause Tat geschah?«
Doch das Haupt wirft in den Nacken
Stolzen Blicks der schöne Jüngling:
»Edler Konsul, nimm mein Leben,
Aber Himmel nicht noch Hölle
Ringt ein Wort aus meinem Mund.«
Und schon hebt den Stab der Konsul: –
Horch, da murmelt's durch die Menge:
»Platz der Dame! Laßt sie nahen,
's ist die Nichte des Erschlagnen,
Donna Bianca Vendramin.«
[369]
Und mit festem raschem Schritte
Durch die Halle schwebt das Mädchen,
Schwarzen Schleier um die Locken,
Marmorbleich die edeln Züge,
Doch im Auge Siegesstolz.
»Edle Herrn,« spricht sie, »und Richter,«
– Und sie breitet auf die Tafel
Wehrgehäng und Dolch und Gürtel –
»Zeugnis komm' ich abzulegen
Vom Geheimnis dieser Nacht.
Diese Nacht hat der Signore
Vor den Toren von Ravenna
Meinen Oheim nicht ermordet,
Denn Signore Loredano –
Diese Nacht – war er – bei mir.«
Sprach's und aus dem Gürtel riß sie
Fortunatos Dolch und hob ihn: –
Doch es fiel von vorn der Konsul,
Von der Rechten der Geliebte
Selber rasch ihr in den Arm.
Und es sprach der alte Konsul:
– Tränen standen ihm im Auge –
– Tränen auch den andern Richtern –
»Niemals hat ein Weib auf Erden
Eine schönre Tat getan.
Heil, Ravenna, dir und Frieden!
Guelfen hört's und Ghibellinen,
Nun ist aller Streit geschlichtet
Und die Hochzeitglocken läuten:
Loredan und Vendramin.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Zweites Buch. Donna Bianca Vendramin. Donna Bianca Vendramin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-69DB-E