Die bleiche Königin

1.
Es schlummert König Knut der Greis,
Sein Atem fiebernd geht:
Zu seinen Häupten lilienweiß
Seine junge Königin steht.
Den Heilkelch hält die rechte Hand,
Sie hält ihn abwärts schwank:
Es fallen auf des Estrichs Sand
Die Tropfen von dem Trank.
Die Linke preßt, so dicht sie kann,
Die braunen Augen beid'. –
Sie weint: – ist's um den alten Mann? –
Ist's um ein eigen Leid?
Der Greis erwacht – er blickt sie an: –
Sie sieht es nicht vor Weh:
Er denkt: noch nie hat wohlgetan,
Wer Rosen barg in Schnee. –
[290]
Da hebt sich Lärm in Hof und Flur,
Sein Feldherr stürzt daher,
Das Haupt verbunden, mühsam nur
Hält aufrecht ihn der Speer:
»Stirb, Norwegs König, stirb vor Weh, –
Der Tod ist dir Gewinn, –
Wir sind besiegt zu Land und See!« –
Und rasselnd stürzt er hin.
Und Tostig folgt, sein Bruderssohn, –
Blut zeichnet seinen Pfad: –
»Weh', Oheim, dir, und Norwegs Kron': –
Denn Erich Blutaxt naht.
Dein Heer zerstreut wie Laub vom Sturm
Die Schiffe sind verbrannt,
Schon pocht an deinen Königsturm
Wie Donner seine Hand.
Durch Schwert und Schild und Brünne schlug
Sein Beil mir bis ins Mark,
Für Menschen bin ich Mann's genug, –
Den macht die Hölle stark.«
»So muß ich,« rief der alte Mann,
»Den Wiking selbst bestehn,
Auf, legt mir Helm und Harnisch an
Und stützet mich im Gehn.«
Er spricht's und richtet sich empor,
Und sinkt in Ohnmacht hin: –
Da schreitet langsam zu dem Tor
Die junge Königin.
[291]
Jarl Tostig ruft: »Wie? hemmst wohl du
Des Unholds Siegeslauf?«
»Ich will's versuchen!« – sprach in Ruh'
Die Königin darauf. – –
2.
Im Garten rauscht der Brunnen sacht, –
Es flüstern Busch und Baum: –
Ein Duft schwebt durch die Mondennacht
Süß wie ein Liebestraum. –
Der Sprosser lockt mit leisem Schlag,
Bis jede Rose wacht,
Und tausend Blumen, spröd' am Tag,
Erschließt der Kuß der Nacht.
Die Schwäne ziehen still im Teich,
Der Südwind atmet lau
Und koset Stirn und Wange weich
Der schönen bleichen Frau.
Sie lehnt und lauscht: – es biegt ihr Arm
Zurück den Geißblattstrauch:
In ihre Seele flutet warm
Der duft'gen Blüte Hauch.
Da knarrt die schmale Gartentür
Und mächtig pocht ihr Herz,
Und klirrend tritt ein Mann herfür
Gleich einem Gott von Erz.
Auf seinem Helme sträubt sich wild
Ein Adlerflügelpaar,
Auf seine Schultern nieder quillt
Das prächtig schwarze Haar.
[292]
»Herr Tostig« – ruft er – »seid Ihr, sprecht,
Zum Kampf schon wieder heil?
Habt acht, nicht immer trifft so schlecht,
Wie's gestern traf, mein Beil.
Ihr rieft mich her – ich bin bereit« –
Da rauscht es im Gesträuch: –
Die Kön'gin haucht: »Die List verzeiht,
Ich hab' entboten Euch.«
Und Erich zuckt, sein Auge rollt, –
Starr blickt er vor sich hin, –
»Was ist's, das Ihr vom Wiking wollt,
König Kanuts Königin?«
»O Erich Goldmund, höre mich« –
»Mein Nam' ist umgetauft!
In Strömen Blutes längst hab' ich
Viel schönern mir erkauft!«
»O glaube mir« – »Dir glaub' ich nichts!
Ich glaubte dir genug,
Du redest wie ein Geist des Lichts
Und jedes Wort ist Trug.«
»O weißt du noch« – »Wohl weiß ich's noch,
Du sprachst von Liebe heiß,
Du sprachst so treu und logest doch: –
Gib acht, ob ich's noch weiß.
Ich seh' ein Schloß auf Schwedens Höhn,
Wie hier einen Garten grün,
Und die Königstochter wunderschön,
Eine Rosenknospe, blühn:
[293]
Die Brunnen rauschen – auf leiser Spur
Zieht der Schwan im Mondenlicht,
Das Königskind tauscht Kuß und Schwur
Mit einem Knappen schlicht.
Der sang ihr süßer Lieder viel, –
Den Goldmund hieß man ihn.
Er aber ließ sein Saitenspiel,
Ein Held hinauszuziehn.
Er schwur: »Ich bau' mit Schwert und Speer
Mir auch ein Königreich,
Dann hol' ich dich, kein Knappe mehr,
Nein, deinem Vater gleich.«
Er schwur's und ging und hielt sein Wort:
Ein Reich schuf ihm sein Stahl,
Und als er heimkam, – war sie fort,
Und König Knuts Gemahl!
Da lacht' er grimmig, wie der Sturm,
Wann er das Meer zerstiebt,
In seiner Brust, wie einen Wurm,
Zertrat er, was er liebt';
Und sprang in Kampfblut knöcheltief,
Warf Gnad' und Milde weg,
Und weit durch alle Lande lief
Seines neuen Namens Schreck.
Der Rache schwur er nun sein Wort
Und brach durch Meer und Land
Sich blut'gen Weg durch Schutt und Mord,
Bis er sein Treulieb fand.
[294]
Und jetzt, den Sieg in seiner Hand,
Frägt er das Eine nur:
Wohin, wohin die Treue schwand,
Die sie dereinst ihm schwur?«
Sie aber sprach: »Ihr Vater starb: –
Der Däne trug den Tod
Drei Jahr durchs Land, – ihr Reich verdarb,
Ihr Volk verging in Not.
Kein Retter rings, bis König Knut
Bot' Hilf' und Hand zumal: –
Ihr Volk verging in Krieg und Blut: –
So ward sie Knuts Gemahl:
So nahm sie Norwegs Diadem;
Da war ihr Glück dahin: –
Die Menschen heißen sie seitdem
Die bleiche Königin.
Am Tage lebt sie ihrer Pflicht
Und niemals klagt ihr Mund,
Doch Gott und seiner Sterne Licht
Sind ihre Nächte kund.
Willst du nun Rache, zieh' den Stahl
Und tauch' ihn in dies Herz
Und sei bedankt viel tausendmal, –
Du lösest mich vom Schmerz.
Doch scheue des Greises Silberhaar,
Er ist edel, mild und gut,
Und heilig, wer zur Totenbahr'
Die letzten Schritte tut.«
[295]
»Er hat mir all' mein Glück geraubt,
Deine Hand, meines Lebens Licht«: –
Da flüsternd senket sie das Haupt:
»Doch meine Seele nicht!«
»Die Seele nicht! So folge mir
O folge mir, mein Glück:
Und selig, selig kehret dir
Die alte Zeit zurück.
Ich trage dich an Schiffes Bord –
Ha, wie mein Herz erglüht! –
Die günst'ge Welle trägt uns fort
Zum wunderschönen Süd.
Dort ragt mir hoch ein Königsschloß,
Von Marmor glänzt es hehr,
Im stillen Eiland Tenedos
Im blauen Griechenmeer.
Durch Säulenhallen zauberschön
Der Tag dort goldner quillt:
Dich stell' ich auf die Tempelhöhn
Als schönstes Götterbild.
Das Land ein Blütengarten weit,
Der Himmel ewig klar,
O komm, auflebt die Jugendzeit
Und jeder Traum wird wahr.
O komm, in Rosen schönster Glut
Soll wieder blühn dein Leib.« –
»Halt' ein, du sprichst in Fieberwut
Zu König Kanuts Weib.«
[296]
»Sein Weib! Doch nicht für immerdar!
Ich weiß, du liebst mich noch:
Leb' wohl, und sei's nach manchem Jahr, –
Ich seh' dich wieder doch.«
Er geht: – sie kehrt zum Schlosse leis,
Wo sie den König fand
Und legt auf seine Stirne heiß
Die schmale, weiße Hand.
3.
Und als die Morgensonne hell
Aufs Pfühl des Kranken schien,
Da trat herein Jarl Tostig schnell:
»Herr König, Heil, sie fliehn!
Kein Schiff zur See, kein Zelt am Strand,
Hier war ein Wunder nah!«
Da nahm der König ihre Hand:
»Ich weiß, wie das geschah.
Ein Engel Gottes lilienweiß
Hielt vor mich seinen Schild,
In Ehren stirbt der müde Greis: –
Ich danke dir, Swanhild.
Und wann ich nun gestorben bin
Und im Lenzwind rauscht die See,
Dann blühn, du bleiche Königin,
Die Rosen aus dem Schnee.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. Die bleiche Königin. Die bleiche Königin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6A40-F