Das Taubennest

Im Geschatt von dichten Zweigen
Lag ich tief im Eichenhag,
Ringsum Waldesmittagschweigen:
Fern nur Spechtes Schnabelschlag.
Und ganz leise mir zur Seiten
Rann der Moosquell wispernd hin:
Drüber der Libelle Gleiten,
Der beschwingten Schweberin.
Und ich dachte: »Schön ist's einsam:
Sang und Traum naht keinem Paar:
Aber schöner ist's gemeinsam:
Da wird Sang und Traum erst wahr.
Walther, war es dir zum Besten,
Daß stets einsam bliebest du?« – – –
Horch, da hoch aus grünen Ästen
Scholl's hernieder: »Rukuruh!«
Oben in den Wipfellauben,
Tief im lauschigsten Versteck,
Lag ein Nest von wilden Tauben
Und sie ätzten das Geheck.
Und ich sah – ich sah's mit Neiden,
Ich, der ungeweibte Mann, –
Wie so eifrig da von beiden
Liebgetreues Werk begann.
Wie die Täubin, nimmer säumig,
Flog zu Nest, gefüllt den Kropf,
Wie der Nestling, wollefläumig,
Reckte Fittich, Schopf und Kopf.
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Wie dann auch der Tauber kehrte,
Fütternd wechselnd mit dem Weib,
Und dazwischen gurrend lehrte
Süßer Weisen Zeitvertreib. – –
Herrin, ach von stolzem Sinne!
War der Sänger dir zu arm?
Seine Treue, seine Minne
War wie keine treu und warm! –
Walther auf! – Es neigt die Helle,
Tiefre Schatten fallen ein,
Walther, heimwärts! Deine Zelle,
Ach, die leere, harret dein.
Nicht ganz leer! – Zum Notbedarfe
Tröstung dir dein Stern beschied:
Deine Hausfrau ist die Harfe,
Und dein Kind dein ewig Lied.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Drittes Buch. Walther von der Vogelweide. Das Taubennest. Das Taubennest. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6A84-8