[Mein Seehündlein war stets zur Stell']

Mein Seehündlein war stets zur Stell',
Und freudig glänzte ihm das Fell,
Es schwamm mir lustig nebenher,
Als wenn es ganz mein Schoßhund wär'.
Man rudert so am hellen Tag,
Bis man am Abend nicht mehr mag.
Da tat es einen Leuchtturm geben
Und bei dem Turm ein Witwenleben.
Sie führte ein beschaulich Sein
Aus einem kleinen Inselstein.
Ein Haus, ein Turm, ein Baum, ein Grab,
Das war der Witwe ganze Hab.
Die Witwe sie war Menschenkenner:
Im Grabe lagen ihr vier Männer.
Ich hielt sie erst für einen Mann,
Die Dame hatte Hosen an,
Teerhosen, und Südwester auf;
Zog mich am Seil zum Fels hinauf.
Dort oben staunte ich noch mehr:
Viel Blumen rannten rot umher.
Plötzlich blieb eine Blume stehn;
Die Blume, sie begann zu krähn.
Sofort sah ich den Zauber ein:
Es waren lauter Hühnerlein,
Hühner wie Steine gelb und grau,
Und sie gehörten jener Frau.
[601]
Vor Steinen konnt' man nichts erkennen
Und sah nur rote Kämme rennen.
Die Witwe rief die Magd, den Wächter,
Und man empfing mich mit Gelächter,
Denn ganz verdummt waren die Drei
Vom steinernen Meereinerlei.
Sie saßen auf dem Felsenriff,
Einmal kam jährlich nur ein Schiff
Mit Proviant fürs ganze Jahr,
So daß ich ein Meerwunder war.
Gewöhnlich fischten sie nur Leichen,
Ich hatte alle Lebenszeichen.
Deshalb sie wie die Wilden lachten
Und tausende Grimassen machten.
Zwölf Fische brachte man zum Essen,
Mir schien, als sollt' ich das Meer auffressen,
Fische in allen Lebenslagen,
Ein Fischbassin war bald mein Magen,
Zum Morgen-, Mittag-, Abendtisch,
Immer und nachts im Traum noch Fisch.
Die Dreie gingen um mich her,
Als wenn ich ganz ihr Säugling wär'.
Erfurchtsvoll saß niemand bei Tisch,
Nur ich allein saß und aß Fisch.
Ich war für sie nicht nur ein Mann,
Ich war gleich eine Karawan',
Mein Schuh, mein Hemd, mein Hut, mein Kragen
Wurden Personen sozusagen,
[602]
Man sprach mit ihnen wie mit mir:
Man schien sich tausend, nicht nur vier.
Man war gesprächig sondergleichen,
Denn sonst sprach man ja nur mit Leichen.
Damit der Wind das Haus nicht raubt,
War es mit Schrauben angeschraubt,
Felsen und Haus, den ganzen Tag
Zitterten die vom Wellenschlag,
Doch in des Hauses stillen Räumen
Hörte man mehr als Wellenschäumen.
Seltsam sind oft die Angedenken,
Die Menschen ihren Toten schenken,
Vier Uhren machten laut Rumor,
Sie stellten die vier Männer vor,
Hießen Niels, Tom, Knut, Kristian,
Jede benannt nach einem Mann.
Bald rasselt Tom, bald schnarrte Knut,
Und jeder hatte seine Wut.
Der Witwe machten sie viel Freuden,
Denn keiner konnt' den andern leiden,
Die Witwe selbst kam kaum zu Wort,
Die Männer lärmten immer fort.
Beim Haus auch zeigte man den Baum,
Doch weiterfort sah man ihn kaum.
Der Baum, er war mehr Phantasie,
Er ging mir nämlich nur ans Knie.
Hier saß die Witwe manchmal still,
Weil ein Baum Schatten haben will.
[603]
Das Grab der Männer lag bergab
Am Strand, wo's einen Sandfleck gab,
Zwölf Schritte nur flach im Quadrat,
Hier war's, wo sie zum Tanz mich bat.
Es war ein ururalter Brauch,
Grab war hier und der Tanzplatz auch.
Denn rings war alles Felsgetrümmer,
Und darauf tanzt kein Frauenzimmer.
Die Sonne schien gar freundlich da,
Die Magd spielte Harmonika,
Es war ein Leben wie auf Rosen,
Die Witwe walzte in den Hosen,
Das Meer kam an in hohen Zügen,
Die Toten schrien vor Vergnügen,
Das Grab ward jedem bald zu heiß,
Die ganze Insel kam in Schweiß.
Bald spielt' die Witwe, bald die Magd;
Ich hab' mich tanzend abgejagt,
Und endlich hab' ich eingestanden:
Mehr geht's nicht, sonst komm' ich abhanden.
Und nicht mehr ließ ich mich jetzt halten,
Ich zog mein Boot aus Felsenspalten.
Ich muß noch sagen: nicht allein
Das Tanzen saß mir im Gebein,
Nein, auch die hunderttausend Fische,
Die ich vertilgt bei jedem Tische,
Die gingen mir nicht aus dem Magen;
Ich konnte Fisch nicht laut mehr sagen.
[604]
Wohl stand die See voll Ungewitter,
Die Wellen schnaubten schwarz und bitter,
Ich ritt mein Schifflein durch den Schaum,
Die Seekrankheit bemerkt' ich kaum.
Die Bibel wurde mir ganz klar:
Sympathisch mir der Esau war,
Gab seine Erstgeburt dahin
Für Linsen und ein Beefsteak drin;
Mein Dasein wollte ich gern geben,
Könnt' ich ein Rostbeaf noch erleben.
Es drängte mich nicht weiter mehr,
Heimwärts zog Herz und Magen sehr.

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 1. [Mein Seehündlein war stets zur Stell']. [Mein Seehündlein war stets zur Stell']. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7208-C