[Doch Moskitos, sie sind auch da]

Doch Moskitos, sie sind auch da
Im angebornen Europa.
Etwas in mir tat heftig bocken,
Und blutdürstig blieb es nicht hocken.
Das ideale Heidentum
Lag stets um Griechenland herum,
Dort ging der Mensch einst nackt auf Erden.
Ich wollt' ein alter Grieche werden.
In Griechenland sind Tropen kaum,
Dort steht auch Birk' und Eichenbaum.
Ich bau' dort irgendwo ein Haus
Und schau' auf Griechenland hinaus.
Frau Königin sprach diesmal: »Nein,
Ich bitte, reis' zuerst allein,
Such du uns unten Haus und Garten,
Ich werd' bei meiner Mutter warten.« –
Neumond hing an der Himmelswand,
Als ich im Mittelmeer mich fand.
Der Mond ward fein wie eine Ahle
Und stach mich in die Seelenschale,
Er drang mir stündlich tiefer ein
Und sagte: »Mensch, du bist allein!«
[657]
In zweiter Nacht ward er zur Wiege,
Mir war's, als ob ein Weib drin liege,
Ein Weib mit dunkeln kurzen Locken,
Der Mund war mir vor Sehnsucht trocken.
Endlich der Mond im Meer still stand
Als Schaumweinkelch mit flachem Rand.
Ich tat nur wenig an ihm nippen
Und fühlt' ihn brennend in den Rippen,
Er gab mir Heimweh zum Begleiter,
Und sprach: »Warum reist man jetzt weiter?
Warum nach Fremdem stets gehetzt?
Komm doch mal in die Heimat jetzt!
Denn wechselst du auch Ort um Ort,
Noch keiner reiste von sich fort.
Du sollst still in der Heimat stehn
Und deine Sünden dort begehn.
Dein Schicksal hat dir's vorgeschrieben,
Zwei Fraun sollst du vor allem lieben.
Entsetzt sah ich das Heimweh an:
Gibt's nichts, was mich noch retten kann?«
»Der Tod,« sprachs Heimweh schnell bereit,
»Doch dazu hast du stets noch Zeit,
Lebst du, so mußt du sündigen
Oder dem Leben kündigen.«
O Gott, wer hätte das gedacht,
Daß Liebe mich zum Zwilling macht!
Ich fürchte mich vor Schuldgewicht,
Doch sterben möcht' ich auch noch nicht.
Nun wußte ich es wieder klar,
Weshalb ich unterwegs stets war.
[658]
Sehnsucht ist heimlich wie die Laus,
Dem schwarzen Mohrle wich ich aus.
Sie sitzt im Pelz mir wie die Motten
Und ist nicht mehr dort auszurotten.
Wie Klimafieber sie mich plagt,
Seit »glücklich bin ich« ich gesagt.
Glück sollte man nie laut gestehn,
Dann ist ein Unglück schon geschehn,
Ausspucken soll man schnell dabei,
Weil sonst das Glück zum Teufel sei.
Zu spucken hatt' ich ganz vergessen,
Da jene Dame nahgesessen.
Was fang' mit jener Lieb' ich an,
Die sich legitimieren kann?
Denn einstmals, als es niemand sah,
Ging ich heimlich zur Großmama,
Blitzschnell ich meine Lieb' gestand
Und bat um Mohrles Kinderhand.
War Übermensch damals noch nicht
Und nur symbolisch ein Gesicht,
Hatt' schöne Zähn' und sonst nichts mehr,
Das ist nicht viel, liebt man auch sehr.
Großmutter kratzte ihre Warze,
Zerschnitt die Lieb' als strenge Parze.
Nie ganz mein Herz vom Mohrle wich,
Wir sahn uns öfter innerlich,
Doch hatt' ich sie vergessen schier,
Bis sie leibhaftig stand vor mir
[659]
Und fragte, ob ich glücklich bin.
Weiß jetzt vor Unglück nicht, wohin.
Heimat schien mir ein Deckelhaus,
Drückt man daran, sprang's Mohrle 'raus.
O Mohrle mit dem Mohrenkopf,
Du machst mich noch zum Sündentropf!
Seufzend fuhr ich zum Mittelmeer,
Der Mond schwamm feurig nebenher,
Ganz afrikanisch roch die Luft,
Der Mond schien eine helle Gruft,
Sah wie der Feuerofen aus
In einem Krematoriumhaus.
Bald, dacht' ich, schiebt man mich hinein,
Nein, bat ich, ich will Sünder sein,
Will mich als Sünder künftig geben
Und nicht so jung vom Sterben leben.
Doch fiel manch' Regen noch herab,
Und nicht so schnell ich mich ergab.
Ich suchte noch in Griechenland,
Ob ich Ruh' vor Frau Sünde fand.
Nah bei Athen am Hymettos,
Dacht' ich, liegt mir ein Klosterschloß,
Zerschossen sind dort Deck' und Dielen,
Dort nehm' ich Räuber zu Gespielen.
Ich hause in dem alten Bau,
Kaffee kocht mir die Räuberfrau,
In Fallen fang' ich Eulen ein,
Die trag' ich nach Athen hinein.
[660]
Denn scheinst du dort nichts auszugeben,
Nur dann lassen dich Räuber leben.
Und nachts, wenn ich nicht schlafen kann,
Hör' ich Räubergeschichten an.
Am Tag schreib' ich Frau Königin,
Daß ausgemacht ich Sünder bin,
Für sie sei wert ich keinen Zoll,
Und sie mich nicht ersehnen soll.
Das Kloster fand ich wie gedacht,
Doch war zu teuer mir die Pacht,
Und Wäscherinnen lebten dort,
Die schnatterten in einem fort.
Ich war gelandet bei Athen,
Draußen, wo keine Tempel stehn,
Doch feierlich war's mir im Herzen,
Als stünd' das Land voll Räucherkerzen.
An Venusäpfeln war nicht Not,
Im Hafen lag voll Boot bei Boot.
Ich mußte an den Paris denken,
Schwer ist's, Göttinnen nicht zu kränken.
Prachtvoll wie weiße Heidenfrauen,
Waren die Tempel anzuschauen,
Doch fremd fühlt ich auch hier mich wieder:
Sie hatten keine Heimatglieder.
Sie sind nur edel anzusehen,
Man kommt zu ihnen auf den Zehen,
Und auf den Zehen schlich ich weiter,
Und Heimweh blieb die Himmelsleiter.
[661]
Vor den Theatern blieb ich stehn,
Die ohne Dach zum Himmel sehn;
Einst spielte man bei schönem Wetter
Mehr für den Himmel und die Götter.
In Logen, in kornblumenblauen,
Saß da der Gott mit Götterfrauen,
Sah auf die Menschenpüpplein hin,
Denen er seinen Geist verliehn.
Und wie der Gott im Blau auch heißt,
Auch mir verlieh er seinen Geist,
Er tat auch manche Göttin rauben.
Ist Lieb' dabei, tut er's erlauben.
Und auf den Zehen schlich ich weiter,
Stets schleppend an der Himmelsleiter.
Der Marmor der Akropolis
Hoch königlich sich sehen ließ,
Des Tempels heller Wunderbau,
Gemahnte mich an meine Frau.
Vom Berg fällt seine Marmorschleppe,
Ehrfürchtig trat ich auf die Treppe.
Er deutet auf Gebirg und Meer,
Und gibt die Welt verschwendend her,
Und sinkt man an sein Antlitz nieder,
Möchte man nie zur Erde wieder.
Ein Schluchzen steckte mir im Hals,
Der Tempel schien mir wie aus Salz,
Aus Tränen schien er steif geweint,
All Leid der Welt in ihm vereint.
[662]
Er sah so bitter auf mich nieder,
Und heimlich schlich ich weiter wieder
Da festlich bei dem Stadtgedränge
Trat froh ein Tempel aus der Enge,
Hat wie ein Tanz irdisch erfreut,
Und keinem Gott war er geweiht,
Trug einen Helden nur im Sinn:
Dem Theseus gab er stets sich hin.
Irdisch vertraulich war er mir,
Wie Chopin am Salonklavier.
Die Marmorsäulen und die Pforten
Schienen wie Kerzen gelb geworden,
Schon morgens sah das ganze Haus
Wie Abendsonne festlich aus.
Der Tempel, dacht' ich, da vor dir
Scheint wie des Mohrles Seele schier,
Voll Spiel steckt sie schlafend und wach
Und steckt voll Tanz bis unters Dach.
Wie Amor in dem Heimatschloß,
Wuchs sie als Amorette groß.
Das Mohrle läßt dir keine Ruh,
Kehr' um und klapp den Koffer zu.
Ein Platz jedoch noch zu sich lockte,
Es war dort, wo die Pythia hockte.
Nach Delphi wollt' ich gläubig noch,
Der Erde Nabel ist das doch,
Dort, wo man seine Zukunft sah
Und unerwartet nichts geschah.
[663]
Itea hieß die Schiffstation,
Es wartete ein Maultier schon,
Auf heil'ger Straße, jetzt ganz leer,
Lief nur des Esels Schatten her.
Durch Ölwald ging's bergauf, bergab,
Von oben sieht man dann hinab.
Eiskalt kam es aus Felsenspalten,
Mein Fell zog sich in Gänsefalten,
Heilige Quellen, stark versumpft,
Weinten wie Weiber eingeschrumpft,
Und Wolken stets die Welt verschoben,
Man war nicht unten und nicht oben.
In Klüften ward das Echo wach,
Dachtest du laut nur etwas nach,
Und Delphi, das einst schön gebaut,
Lag wild, als ob man Marmor kaut.
Niemand wohnt mehr auf den Ruinen,
Nur Hirten, die den Schafen dienen.
Ich stieg auf Säulen wie Skelette
Und lief im Stadion um die Wette,
Lief ganz allein dort in der Bahn
Und kam zuerst als Sieger an.
Sage: zuerst, denn nebenbei
Liefen plötzlich der Schatten drei,
Und rennt mein Schatten noch mit zwein,
Müssen bei Schatten Menschen sein.
Suchend schaut ich am Ziel mich um,
Doch blieb mein Auge suchend dumm.
[664]
Nachts erst, wo ich im Bett wach lag,
Da wurde mir im Mondschein Tag.
Die Fenster standen aufgerissen,
Der Mond schien wie ein fremd Gewissen,
Pythia saß nackt auf dem Mondstein,
Sprach laut und deutlich auf mich ein:
»Im Herzen trägst du zwei als Beute,
Und ihre Schatten sahst du heute.«
Ich rief: »Ach, daß ich Ruhe finde!«
Sie sprach: »Erlösend wirkt die Sünde.«
Sie zog verklärt ihr Hemd sich an,
Der Mond in Dämpfen dann zerrann.
Der Erde Nabel grunzte nach:
»Sündigen sollst du ohne Ach.«
Ich hab die Fenster zugeschmissen,
Warf mich verrückt in meine Kissen.
Nun wußt' ich, niemals halt ich Treu,
Und vor der Tat kam schon die Reu.
Wollt' erst recht nicht zur Heimat gehn,
Weil ich in Delphi hellgesehn.
Ich schlich mich in Arkadien ein,
Wollte beim Pan ein Hirte sein.
Frühling spazierte durch die Au,
Hinterließ Blumen rot und blau,
Schön saß sich's bei antiken Quellen,
Hörte den Pan am Mittag bellen,
Und sieht der Pan dich meckernd an,
Wachsen auch Hörner jedem Mann.
[665]
So lag ich fauler als die Drohnen
Bei rot und blauen Anemonen,
Und um mich Hirten weiß in Fellen,
Schafe hundert, und hundert Schellen.
Nah im gestorbnen Eichenhain
Stand greis ein mager Tempelein.
Plötzlich entfallen mir die Glieder,
Im Tempel tanzt ein fremder Widder,
Die Hirtenhunde querfeldein
Ziehn rennend ihre Schwänze ein;
Die Schafe scheu zur Seite rücken
Und tuen sich vor Schreck zerdrücken,
Die ganze Landschaft meckert laut,
Die Haare sind mir fast ergraut,
Mir war, als wenn die Hölle lachte
Und Satan schlechte Witze machte.
Später man mich ohnmächtig fand,
Man sprach, es käm vom Mittagsbrand.
Doch Pan, er hatt' mich angesehn,
Und Hörner konnten jetzt entstehn,
Und warum sollten sie nicht kommen,
Da ich mir Untreu vorgenommen.
Denn wo der Mann die Frau betrügt,
Der Teufel leicht mit Hörnern pflügt.
O Liebe, großes Fabeltier,
Auch deine Hörner wünsch' ich mir,
Erleben will ich gründlich dich,
Vor Unerlebtem fürcht' ich mich!
[666]
Und jetzo will ich nicht verschnaufen
Und heute noch zum Mohrle laufen.

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 2. [Doch Moskitos, sie sind auch da]. [Doch Moskitos, sie sind auch da]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7446-E