[Ich hatte alles, was ich wollt']

Ich hatte alles, was ich wollt',
Ein Weib und einen Haufen Gold,
[648]
Sprach: Mit dem Weibe ganz allein,
Kann jeder Mann zufrieden sein.
Europa, dieser alte Fetzen,
Mein Weib, dacht' ich, kann ihn ersetzen.
Ich will die Heimat nicht mehr sehn
Und will zu Gegenfüßlern gehn.
Niemand dir dort im Wege steht,
Wo die Uhr einen Tag vorgeht.
Empfängst du dort dein Morgenblatt,
Zu Haus man Abendzeitung hat.
Kein Gedank' kann dann bei ihr sein,
Stehst du dort auf, schläft sie grad' ein.
Also ich meine Heimat floh,
Verlegte mich nach Mexiko.
Man ist ein gutes Stück dann fort,
Denn spanisch klingt dort jedes Wort.
Und da die alten Traditionen,
Nur schwach im fernen Westen wohnen,
Nahm ich aus Europa das Best',
Was in der Eil' sich packen läßt.
Von Milos Venus lebensgroß
Man mir für Geld den Gipsguß goß,
Tat sie in eine Riesenkist',
Damit sie drüben bei uns ist.
In Bronzeguß den Stier Apis,
Den Sonnengott, den Osiris,
Und nahm auch mit den Gott Buddha,
Der sanft auf seinen Nabel sah,
[649]
Denn lebt man einsam gar so fern,
Hält man doch noch auf Götter gern.
So packte ich ins Schiff sie ein,
Als sollt's die Arche Noah sein.
Ist dann das Schiff in Mexiko,
Dacht' ich, liebt man sich göttlich wo.
Gern schwitz' ich in der Tropenwelt,
Wenn nur der Kitt der Herzen hält.
Doch hatte ich es ganz vergessen:
Fremd sind die Tropen zugemessen.
Mexiko, die Indianerstadt,
Dreihunderttausend Rothäut' hat,
Die nur in weißen Hemden stecken,
Regnet's, tragen sie rote Decken.
Wie ich kam, war just Totenfest,
Wo man die Toten leben läßt,
Man trank statt Bier Milch von Kakteen,
Ich fand, man läßt sie besser stehen.
Kakteen man wie Kühe molk,
Denn seinen Rausch will jedes Volk.
Beim Marktplatz bei der Kathedral'
Tanzte man froh zu dem Cimbal,
Aus Marzipan und Zuckerbrot
Gab's Totenköpf' mit Augen rot,
Grabsteine, Sarg und Leichenwagen,
Auch Schokolad' war süß dem Magen,
Der Tod schmeckte selbst als Skelett,
Aus Kuchen sogar macht er fett.
[650]
Bunt saß der Tod in hundert Buden,
Die lebhaft zum Einkauf einluden,
Ich brauchte nicht den Tod zu kaufen,
Denn Heimweh ließ mich kaum noch schnaufen.
Fremd war der Gegenfüßler Welt,
Fühlte mich stündlich kopfgestellt.
Statt Spatzen, aufgereiht in Gassen,
Aasgeier auf den Dächern saßen,
Ihr Aug' stierte blutgierig still,
Ob man sein Herz hinwerfen will,
Rebellisch rauscht dann ihr Gefieder,
Stürzen sie zu den Gossen nieder,
Reißen sich wegen eines Bissens
Schwarz wie die Geier des Gewissens.
Mein Herz schien mir dazu zu gut,
Wenn's auch was will, was man nicht tut.
Kaum tröstlich wirkten Mißgeburten,
Die liebevoll gepflegt hier wurden.
Menschen, die von Geburt nicht locken,
Taten an Straßenecken hocken.
Halb Kalb, halb Hund manch einer war,
Ein anderer zehnarmig gar.
Anbettelnd dich um dein Erbarmen,
Winkten sie dir gleich mit zehn Armen.
Ich dacht', werd' ich nochmals geboren,
Bring' ich gleich mit die Eselsohren.
Warum hab' ich die Reis' gemacht,
Und hier die Götter hergebracht?
[651]
Ich ging noch zur Arena rot,
Dort stach man festlich Stiere tot.
Den schönen Stier, ich kann's nicht fassen,
Sollte man wirklich leben lassen.
Stolz auf vier Beinen angebracht,
Verkörpert er die Mannespracht.
Nur weil das Rot ihn irritiert,
Wird er mit Kunst zu Tod verführt.
Auch ich kam nur nach Mexiko,
Weil ich vor etwas Rotem floh,
Wie 's rote Tuch vor einem Stier,
Hing stets mein Herz vorm Auge mir.
Vor meinem Blut wollt' ich entfliehn,
Doch tat mein Blut stets mit mir ziehn.
Nachts war gar alle Ruhe hin,
Nachtigalln wie Trompeten schrien.
Die Nacht, die süß zum Liebeswerben,
Taten Kleinigkeiten verderben,
Ich werde niemals sie vergessen,
Fast jede hat mich aufgefressen.
Moskitos leben klein für sich,
Wie Nähmaschinen Stich bei Stich,
Und liegst du unter dicken Netzen,
Sie fressen dich auch dort in Fetzen,
Sie lieben mehr das fremde Blut,
Und dazu ist der Fremde gut.
Mußt nächtlich blutig um dich schlagen,
Kennst bald nur Schlaf vom Hörensagen.
[652]
Frau Königin ward ganz entstellt,
Natürlich, daß ein Weib das quält.
Sie sprach: »Es dauert nicht mehr lang,
Erkennst du mich nur noch am Gang.«
Morgens am Fenster wir auch fanden,
Daß draußen fremde Länder standen.
Statt früh die Milchfrau klingeln tut,
Nahn Mädchen mit Kaffee im Blut.
Sie bieten schweigsam wie die Toten,
Paprika scharf in roten Schoten.
Gefärbte Rosen sie auch gaben,
Wie angestrichne Waisenknaben.
Raben, bemalt wie Hottentotten,
Als Paradiesvögel sie boten.
Im Hintergrunde standen Krater,
Katzenbuckelnd wie falsche Kater,
Und Erdbeben trieb sich umher,
Es kollerte wie Bauchredner.
Sah Hängelampen pendelnd schwanken,
Hielt mich nur aufrecht in Gedanken.
Fühlte mich in dem Wiesenrain,
Mit meiner Frau als Blattlaus klein,
Tat jedes Graslager vermissen,
Denn ringsum tat nur Kaktus schießen.
Die Welt schien mir verkauderwelscht
Und nur mein Heimweh unverfälscht.
Frau Königin, wie immer mild,
Blieb mir im Schmerz Madonnenbild,
[653]
Wenn neue Wunder uns geschahn,
Sah Königin mich fragend an.
Dann senkte sie die Augenlider
Und sah still in ihr Herze nieder.
Das war der einzig glatte Fleck,
Hier war noch nicht die Ruhe weg.
Die Venus blieb im Lagerhaus,
Wir packten sie schon gar nicht aus.
Ich sprach: »Dies ist der erste Grund:
Nie ist ruhige Liebesstund',
Und trotz der Hitz' hat kalt man da,
Es zieht mich heim nach Europa.
Auch sieh mal diese Palmen an,
Die Palm' mich nie verstehen kann,
Ich tue alle sie verfluchen,
Sie sind durchaus nicht wie die Buchen,
Und ich will nicht mein ganzes Leben,
Hier diesen fremden Strünken geben.
Es tut zu Mißgeburten treiben,
Ich will nicht eine Nacht mehr bleiben.«
Königin sprach: »Was gut ich seh',
Gut riecht's nach Zucker und Kaffee,
Wir kaufen viele Pfunde ein,
Und dann soll auch die Heimreis' sein.
Die Götter mögen all hier bleiben,
Daß sie die Moskitos austreiben.
Es ist ein Ach in jedem Wind,
Auch ich die Heimreis' lohnend find'.«
[654]
Ich kaufte klein ein Krokodil,
Es weinte mir der Tränen viel,
So daß ich lachend davon kam,
Als ich vom Land schnell Abschied nahm.
Kaum traten wir auf hohe See,
Da rief das ganze Schiff: »Juchhe!«
Die Wellen rund wie Kugeln schossen,
Und senkrecht auch wie lange Hosen,
Sturm kam da jeden Nachmittag,
Selig ich auf dem Rücken lag,
Der Sturm kam wie Artillerie,
Doch stündlich ich laut »Vivat« schrie.
Das Schiff auf Hinterfüßen stand,
Ging fast vor Freud' aus Rand und Band.
Mit Balken lag das Meer belegt,
Wracks kamen durch den Sturm gefegt,
Ich zähl' es zu dem Wunderbaren,
Daß wir nicht auf dem Kopf gefahren.
Weiß war im Schiff ein Marmorsaal,
Königin lag dort wäschefahl,
Ihr schönes Haar hüllte ein Tuch,
Denn tölpelhaft kam oft Besuch.
Mit schweren Schritten wie ein Gong,
Warf sich das Meer in den Salon,
Wusch scharf mit Salz das Haar uns aus,
Ich rief: »All Gold geht uns heraus.
Heb' ich den Suppenteller auf,
Fließt die Supp' senkrecht mir hinauf,
[655]
Es stirbt im Hirn jeder Begriff,
Ich seh' die ganze Zukunft schief.«
Man schrie sich aus, der Sturm war laut,
Schiffsgötter hab' ich uns erbaut.
Hört' ich die Schiffskatze miauen,
So wuchs in mir das Gottvertrauen,
Und morgens, wenn der Sturm noch schwach,
Krähte ein Küchenhahn mich wach,
Getröstet hat mein Herz gelacht,
Hat Mist und Kühe sich erdacht.
Doch abends, war der Sturm zu viel,
Holt' ich das kleine Krokodil.
Es fraß nicht und hielt Winterschlaf;
Streichelnd, wenn man den Nacken traf,
Sah es aus seinem Traum heraus
Und weinte sich statt meiner aus.
Tat man zwischen zwei Welten schweben,
Ersehnt man endlich Festlandleben.
Beim ersten Leuchtturm von England,
Frau Königin still auferstand,
Zur Nachtstund' brannten wir Raketen,
Daß Lotsen uns bemerken täten,
Am Morgen war schon Hâvre da,
Und hinter ihm ganz Europa.
Wenn man solch' Luftfahrt überstand,
Dann küßt man gern sein Heimatland.
Nachts voll Confetti flog Paris,
Wo man den Karneval einblies,
[656]
Königin sprach am Opernplatz:
»Hier ist wieder Europa, Schatz.
Moskitos konnt' ich nicht forthetzen,
Und dir Europa nicht ersetzen.«
Ich rief: »Laß jeden Weltteil leben,
Wir wollen tanzend weiterschweben.«

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 2. [Ich hatte alles, was ich wollt']. [Ich hatte alles, was ich wollt']. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7503-D