[Mir tat ein bißchen Wasser not]

Mir tat ein bißchen Wasser not,
Darum nahm ich ein Ruderboot.
Das Reisen hab' ich sehr geliebt,
Weil man sich weiter fortbegibt.
Die Nähe wird uns oft zu nah,
Für den Fall ist die Ferne da.
[596]
Ein jeder sagt: das Meer ist groß,
Doch keiner sagt: drauf ist nichts los.
Denn denk' ich an die nasse Brut
Der Fische mit dem kalten Blut,
Der Erde größte Egoisten,
Die liebeleer ihr Dasein fristen:
Das Weib legt schuldigst Ei an Ei,
Das Männchen schwimmt daran vorbei,
Getrennt lieben die zwei Geschlechter, –
Ich bin und bleib' ein Meerverächter.
Trotzdem ward ich jetzt Wassermann,
Kaute Tabak und spuckte dann.
Ich ruderte und lenkte sehr,
Als ob ich die Vorsehung wär',
Sechs Wochen ruderte ich froh,
Und manchmal tat ich auch nur so.
Nachts schlief ich still am Küstenland,
Wozu sich stets ein Leuchtturm fand.
Steiniger ward der Küstenrahmen,
Je mehr die Ruder nordwärts kamen.
Vom Meer geschliffen runde Steine,
Wie Totenschädel, groß und kleine,
Die lagen von der Eiszeit her,
Als wenn das Land ein Kirchhof wär'.
Ein Seehündlein war mein Begleiter,
Es schwamm acht Tage mit mir weiter;
Wie Marionetten an den Drähten
Hingen die Möwen, bellten, krähten.
[597]
Vom leeren Himmel auf mich nieder
Windteufel sangen Orgellieder.
Das Wasser tanzte in Gestalten,
Meergreise, die den Mund nicht halten,
Die spuckten, anstatt daß sie sprachen,
Und tausend unheimliche Sachen
Liefen den ganzen Tag mir nach,
Drum sehnte ich mich unter Dach.
Auf Pfählen standen in den Klippen
Hölzerne Dörflein gleich Gerippen,
Ein Leichenkasten jedes Haus,
Wurmstichig sah das Ganze aus.
Hier legte ich die Ruder ein
Und klopfte an. Man rief: Herein!
Doch ehe ich noch eingetreten,
Zwei Mädchenaugen mich erspähten;
Sie drückten fast die Scheiben aus,
So staunend sahen sie hinaus.
Beim Himmel, dacht' ich, welch Empfang,
Das Land hat also Lebensklang
Der Vater von dem Mägdelein
Sah wie ein Weihnachtsmann darein,
Rotwangig alt und kernig hart,
Schien jünger als sein weißer Bart.
Er grüßte schweigsam wie ein Fisch,
Und schweigsam wies er auf den Tisch.
Die Mägde kamen, deckten schnell,
Ein Tischtuch macht das Zimmer hell.
[598]
Ehrfurchtsvoll schwieg man immerfort,
Als wär' der Tisch ein höhrer Ort.
Ich merkte nur, ich war willkommen
Und hab' die Schüsseln angenommen.
Das Mädchen sah ich gar nicht mehr,
Als ob es eingemauert wär'.
Die Mägde flüsterten im Haus,
Geheimnisvoll sah manches aus,
Und einmal, als es Abend war,
Erklärte es sich wunderbar.
Sturm war und draußen laute Nacht,
Manchmal hat dumpf das Meer gekracht.
Im Schaukelstuhl, den er gern brauchte,
Der Vater saß und Stummel rauchte.
Grog dampfte, man sah kaum den Tisch,
Und Grog gibt Sprache auch dem Fisch.
Wir taten oft die Gläser heben
Und sprachen vom Weltende eben.
Der Sturm stieß schwer am Dach ums Haus,
Auf einmal löscht die Lampe aus.
Ich springe auf, der Vater flucht,
Streichhölzer findet nie, wer sucht.
Es mußten Wände offen stehn,
Der Sturm, der tat das Zimmer drehn.
Ein Lärm, als wär' das Haus zersprungen,
Im Dunkel fühl' ich mich umschlungen.
Der Sturm, er hatte Mädchenarme
Und schnelle Lippen, wilde, warme,
[599]
Mein Name wurde laut geschrien,
Dann fiel jemand im Zimmer hin.
Wenn so etwas so schnell erscheint,
Glaubt man gar nicht, daß man gemeint
Tat überall nur Küsse spüren,
Licht kam, ich durfte mich nicht rühren.
Zu meinen Füßen, gleich den Leichen,
Lag jenes Mädchen sondergleichen.
Der Vater sprach: »Es ist ein Jammer,
Man bringe sie in ihre Kammer!«
Die Mägde hoben sie sacht auf,
Und trugen sie zu sich hinauf.
Im Zimmer war es schweigsam sehr,
Der Grog, der dampfte auch nicht mehr,
Dem Haus lag etwas auf der Brust,
Da sprach der Vaters: »Hab's gewußt,
Zu selten sieht sie einen Mann,
Und gleich verliebt ist sie auch dann.«
Die Magd kam: »Ach, sie wacht nicht auf.«
Der Vater sprach: »Gehn Sie hinauf,
Mein Herr, erretten Sie mein Kind,
Da Sie doch ihr Geliebter sind.«
Gern menschenfreundlich will ich sein.
Doch ach, mein Herz war nicht mehr mein,
Mein Herz, das immer rückwärts lief,
Immer Frau Königin nur rief.
Bin darum schleunigst aufgebrochen,
Bin morgens in die See gestochen,
[600]
Der Vater hat es sehr beklagt,
Daß solch ein Mann wie ich versagt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 1. [Mir tat ein bißchen Wasser not]. [Mir tat ein bißchen Wasser not]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-76C8-F