Zweiter Aufzug
Bild: Eine Gartenwirtschaft mit elektrischen Ampeln, bunt voller Leute in Maskenkostümen, doch herrscht die schwarze Farbe vor. Im Hintergrund ein erleuchteter Tanzsaal. Rechts ein Laubengang mit Tischen und Stühlen, die grün und weiß gestrichen sind; auf dem vordersten Tisch ein weißes Tischtuch und ein Schild mit der Aufschrift »Reserviert!« Links unter Bäumen ein langer Tisch, an dessen hinterem Ende der schnarrende Landrat steht, mit aufgedrehten Schnauzbartspitzen, in schwarzer Halbmaske, Frack und Domino. An den Seiten dieses Tisches sitzen der Bergrat und der Bürgermeister, ähnlich maskiert, nur mit andern Bärten, der Bergrat mit dunkelm spanischen Spitzbart, der Bürgermeister mit grauem Tintenwischer-Schnurrbart; dann die Frau Bürgermeisterin und andre Damen in farbigen Masken, ein Kaplan und ein Pastor unmaskiert, der schwarze Karl in Bergknappentracht mit Hornbrille, ihm gegenüber Michel Michael ohne Maske, an der linken Ecke vorn. Die Honoratioren tragen Zylinderhüte; nur der Kaplan hat flachen Seidenhut. Hinter Michel stehen wie Wachtposten der Kaiser Rotbart und der getreue Eckart, immer mit geschlossnem Visier [41] und Kapuze; und Eulenspiegel
hat sich zu seinen Füßen unter die Tischplatte gehockt. In der Mitte der Bühne ein Lindenbaum, hinter dessen Stamm Lise Lied verborgen steht; davor eine grün und weiß gestrichene grade Bank ohne Lehne. Ringsherum maskiertes Volk; darunter auch Kinder.
DER LANDRAT
immer lauter schnarrend, um das Gestampf der Maschine zu übertönen.
Und demnach, da Sie merken -ä- bin zwar in Maske erschienen,
aber -ä- unverkennbar: Ihr Landrat redet zu Ihnen –
demnach, sag'ich, will ich hier -ä- in Ihrer festlichen Mitte,
wo uns Alle nach guter, echter, alter Sitte
sozusagen die brüderlichsten -äh- Gefühle beseelen,
will ich, sag'ich, Jedem väterlichst anempfehlen,
trotz allen, wie Schiller sagt, feindlichen Gewalten
unentwegt unsre heiligsten Güter -ä- hochzuhalten.
Und diese -ä- Gefühle – Gefühle, sag'ich – sollen uns auch geleiten,
wenn wir in diesen unverzeihlich vaterlandslosen Zeiten
demnächst, meine Herrn, wie Sie wissen, zur Wahlurne schreiten.
Also, meine Herrn -äh- und Damen, wolln wir uns jetzt von den Stühlen
zum Zeichen von unsern -ä- unsern -äh-
EULENSPIEGEL
über den Tischrand weg.
Hochgefühlen –
DER LANDRAT.
jawohl: von unsern vaterländischen Hochgefühlen –
[42] wollen wir uns, sag' ich, jetzt mit unsern Gläsern erheben:
unser allverehrter Reichstagskandidat, der Herr Bergrat, er soll leben! hoch!
CHORGESANG MIT MUSIK
während der Landrat dem Bergrat die Hand schüttelt und Alle anstoßen.
Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch!
Dann noch immer das Geräusch der Maschine.
DER LANDRAT.
Himmelkreizrudiment! da muß ja's Trommelfell reißen!
Nach hinten schreiend.
Die Kerls, die Heizer, sollen die Tür zuschmeißen!
Heda!!! Tür zu, sag' ich! Sofort den Kesselraum schließen! –
Man hört eine eiserne Tür zuklappen; das stampfende Geräusch verstummt.
Bande! Frechheit! Da soll man nu Volksfest genießen.
Unerhört! verstand kaum mein eigen Wort.
Tun's selbstredend extra, diese Sozi, uns hier zum Tort.
Mußte schrein, daß mir jetzt noch's Trommelfell klirrt.
DER BERGRAT.
Ach bitte, Herr Bürgermeister, Sie sorgen wohl gütigst beim Wirt,
daß uns die Lichtmaschine, bitte, nicht wieder stört.
DER BÜRGERMEISTER.
Mit Vergnügen, Herr Bergrat.
DER LANDRAT.
Ja! bin wirklich empört!
[43]DER BERGRAT.
Er soll den Heizern ein Achtel Pilsner auflegen.
DER BÜRGERMEISTER.
Gern, Herr Bergrat.
Er entfernt sich mit der Volksmenge nach dem Tanzsaal.
DER LANDRAT.
Pros't, Herr Corpsbruder! meinen
volksfreundlichsten Segen!
Er trinkt dem Bergrat zu.
Diese Rasselbande! diese roten Radaugesellen!
MICHEL
hat wieder Platz genommen, stampft seine Weinflasche auf den Tisch.
Mit Verlaub! Indessen: von wegen den Trommelfellen –
DER LANDRAT.
Äh –?
EULENSPIEGEL
unterm Tisch hervor.
Trommelfellen –
MICHEL.
so im Kesselraum schuften, ist auch kein Volksvergnügen.
DER ROTBART.
Volksvergnügen.
ECKART.
Volksvergnügen.
DER BERGRAT.
Bravo, Michel!
[44]DIE FRAU BÜRGERMEISTERIN
auffällig bunt kostümiert, lorgnettierend.
Entzückende Gruppe!
DER LANDRAT.
Gottvoll!
MICHEL.
Verfluchtige Lügen!!!
EULENSPIEGEL (FISTEL) UND ECKART (BASS)
Lügen! Lügen!
DER ROTBART
Baryton.
Man soll nicht meinen, ihr Leute, man könne den Michel betrügen.
DIE BÜRGERMEISTERIN
während die Andern lachen.
Nein, wie reizend!
DER LANDRAT.
Köstlich!
DIE BÜRGERMEISTERIN.
Wie echt gemacht! So natürlich!
so romantisch! so richtig sagenfigürlich!
nicht wahr, Herr Pastor?
DER PASTOR
in schwarzem Gehrock, zugeknöpft, wohlbeleibt.
In der Tat, Frau Bürgermeisterin;
ein Maskenscherz mit tiefem evangelischen Sinn.
[45]DER KAPLAN
in schwarzer Sutane, noch beleibter.
Man könnte, Herr Amtsbruder, eher wohl katholischen sagen.
DER BERGRAT.
Also, meine Damen und Herrn, erlaub'ich mir vorzuschlagen,
weil der biedre Zecher da Michel Michael heißt
und offenbar erfüllt ist von wahrhaft volkstümlichem Geist:
wir erteilen nachher dem deutschen Michel nebst Geisterbegleitung
den Maskenpreis!
ALLE.
Bravo!
EULENSPIEGEL
aufstehend und klingelnd.
Und setzen's in die Zeitung!
DER LANDRAT.
Selbstredend!
EULENSPIEGEL
sich vor ihm verbeugend und weiterklingelnd.
Es lebe die hochwohlweisliche Volksfestleitung! –
Im Saal fängt gedämpfte Tanzmusik an.
MICHEL
ist gleichfalls aufgestanden.
Herr Bergrat spaßen sehr gütig; ja; und ich danke auch sehr.
Aber, wie Herr Bergrat wissen, kam ich eigentlich her,
um mein Haus –
[46]DER ROTBART UND ECKART
während Lise Lied hinter dem Baum hervorschaut.
Haus – Haus –
MICHEL
die Vertragspapiere aus der Brusttasche holend.
Hier – ich bin so frei –
DER BERGRAT.
Schon gut, lieber Michel; gewiß, kommt auch an die Reih.
Jetzt muß ich erst tanzen gehn.
Zur Bürgermeisterin.
Gnädige Frau, darf ich bitten! –
Verschiedene Paare, auch der Landrat mit einer Dame, ab nach dem Saal.
MICHEL
die Papiere einsteckend und sich wieder setzend.
Verdammte, verquere, katzenfreundliche Sitten!
Er stürzt ein Glas Wein hinunter.
EULENSPIEGEL.
Ja, Sitten!
DER ROTBART UND ECKART.
Sitten! –
DER SCHWARZE KARL
hat bis dahin mit dem Kaplan getuschelt.
Gratuliere, Freund Gevatter; scheinst hier recht wohlgelitten.
MICHEL.
Halt's Maul!!!
LISE LIED
ganz, hervortretend, dicht verschleiert, mit verstellter Stimme.
Michel Michael, laß dich zum ersten Mal warnen!
schon beginnt der Stadtrausch deinen Geist zu umgarnen.
[47] Ich bin deine Glücksfee; bang von fern komm ich her,
von den Sternen, durch die Nacht, übers gründunkle Meer,
meinen Wünschelstab in bebender Hand,
flüchtigen Fußes von Land zu Land,
durch den Wald deiner Kindheit bin ich gegangen,
in den Schooß der Berge trieb mich dein Glückverlangen,
bis zum Hörselgrund tief, wo Frau Venus wacht
und den feurigen Quell der Jugendträume entfacht –
Michel Michael, jetzt durch meinen Mund
tut dir die ewige Göttin kund:
du sollst deiner lieben Heimat nicht untreu werden,
damit du kein Flüchtling wirst auf Erden.
Lebe wohl!
DER ROTBART.
Halt, Flüchtling!
EULENSPIEGEL.
Halt, edle Fee! Nicht so schnell!
Er läuft ihr nach; sie verschwinden im Hintergrund rechts.
DER ROTBART.
DU scheinst wahrlich kein Flüchtling, Glücksvogel Michael!
MICHEL.
Ach was, Maskenschnack! Lachhaft! Lauter Alfanzerein!
Hee, Bedienung!
Ein altdeutsch gekleideter Kellner erscheint und bringt auf seinen Wink eine neue Flasche.
DER SCHWARZE KARL.
Wer mag's wohl gewesen sein?
Die Jungfer Lise?
[48]MICHEL.
Schnack, sag'ich! Die liegt zu Hause im Bett!
Verstanden?! – Höchstens etwa, daß sie 'ne Freundin hätt
und läßt ihrem Vormund heimlich so'n kleinen Stupps aufschwenken;
braucht drum Niemand nichts Schlechtes von ihr zu denken!
ECKART.
Michel Michael, hüt dich vor des Hörselbergs Ränken!
DER SCHWARZE KARL.
Ja, ich meine auch –
MICHEL.
wie??
DER SCHWARZE KARL.
das heißt, natürlich nur so im allgemeinen;
die bösesten Weibsbilder sind, die die besten scheinen.
So zum Beispiel der Bergrat und die Frau Bürgermeistern.
Da hilft kein Vertuschen mehr, kein Verkleistern;
rein schon öffentlich tut sie's ja mit ihm treiben.
MICHEL.
Meinethalben! Man soll mir mit Stadtklatsch vom Halse bleiben!
DER KAPLAN.
Wohlgesprochen, mein Sohn. Jedoch, in dem städtischen Sündenschwarm
braucht der Mensch eines Schutzpatrons starken Arm;
[49] du hast ihn schon lange nicht mehr im Beichtstuhl erprobt.
Wirst hoffentlich trotzdem, wenn nun die Wahlschlacht tobt,
wissen den rechten Schild hochzuhalten.
MICHEL
aufstehend.
Zu Gnaden, Ehrwürden; ich lass den alten Gott walten.
Obwohl ich, verzeihn Sie, in meinem einfältigen Sinn
eigentlich mehr für die Protestanten bin.
DER PASTOR
gleichfalls aufstehend.
Ein männliches Wort, lieber Freund! Und ich darf wohl hoffen,
Sie wissen, auch unser Arm steht der christlichen Einfalt offen.
MICHEL.
Viel Ehre, Herr Pfarrer. Indeß, um Sie nicht zu vexieren:
ich bin überhaupt fürs Protestieren.
Wenn ich wählen müßt zwischen Pastor und Kaplan,
wär ich doch wohl lieber dem – Stärkeren untertan.
Er verbeugt sich schwerfällig, dreht ihnen den Rücken und setzt sich ans andre Ende des Tisches; der Rotbart und Eckart folgen ihm, seine Flasche und sein Glas nachtragend.
DER PASTOR
zum Kaplan, der ebenfalls aufgestanden ist.
Hm. Wer ist nun der Stärkere von uns Beiden?
[50]DER KAPLAN
die Hände über dem Bauch faltend.
Ich schätze, Herr Collega, wir lassen's vom Publiko entscheiden.
Die Tanzmusik im Saal hört auf.
EULENSPIEGEL
zurückkommend.
Vetter Michel, ich habe den ganzen Stadtpark durch-und-durchgekuckt:
deine Glücksfee scheint von der Hölle verschluckt.
MICHEL.
Glückauf!
DER ROTBART.
Wahr dich, Schalk! daß der Michel nicht Flammen spuckt! –
Währenddem kommt Maskengewühl aus dem Saal. Voran der Bergrat und der Landrat, hinter ihnen her der Kellner mit Sektkübel und Würfelbecher, zu dem reservierten Tisch hin im Vordergrund rechts.
DER LANDRAT
sich mit dem Taschentuch fächelnd.
Himmelkreiz! Doller Fez! Bewundre Sie. Ohne zu schmeicheln.
DER BERGRAT.
Ja, man lernt allmählich die Volkstatze streicheln.
DER LANDRAT.
Na, ich danke!
MICHEL
hat sich durch die Leute nach vorn gedrängt.
Herr Bergrat – wenn Sie jetzt – ich will nicht behelligen –
[51] aber solche Unterschrift ist doch leicht zu bewerkstelligen –
da Sie doch geneigt –
DER BERGRAT.
Aber bester Michael,
Sie benehmen sich wirklich etwas auffällig schnell.
Hat doch Zeit bis morgen.
MICHEL.
Morgen muß ich arbeiten gehn!
DER BERGRAT
den Würfelbecher nehmend.
Na, dann nachher! Jetzt bin ich beschäftigt, wie Sie sehn.
MICHEL.
Ich – seh –
LISE LIED
erscheint im Hintergrund.
Michel Michael, ich warn dich zum zweiten Mal –
horch: schon singen die Bergleut ein Spottlied im Saal –
SPRECHGESANG
auch Kinderstimmen.
Der deutsche Michel, der hat sich verlaufen;
Glückauf!
Er will sein Haus an die Stadtleut verkaufen;
Glückauf!
[52]EIN ZUG MASKIERTER BERGKNAPPEN
kommt weitersingend aus dem Saal, geführt vom roten Karl, der als Militär-Invalide maskiert ist, und begleitet von Kindern in blaugrauen Koboldtrachten mit Zippelmützen und weißen Bärten.
O Michel, die Stadt hat ein Herz von Stein,
bald wirst du ein steinreiches Schindluder sein;
Glückauf!
LISE LIED.
Drum, aus der Berge feurigem Herzensgrund,
tut die Herrin der Zukunftsträume dir kund:
Du sollst deine herzwarmen Augen heller aufmachen,
dann wirst du zum goldensten Traum erwachen.
Glückauf!
Sie verschwindet.
DER ROTE KARL
seine Mütze abziehend.
Ein alter Kriegsveteran, der um ein Almosen bettelt –
MICHEL.
Ah, roter Karl! Du hast das angezettelt?!
Ich sag dir: hüt dich! ich kenn dich! scher dich um Deine Sachen!
Der Michel läßt sich von Niemand zum Popanz machen!
Merk dir's! Sonst: hier: bei meines Vaters Stock –
Die Maschine stampft plötzlich wieder los.
DER LANDRAT
den Würfelbecher aufstampfend und sich die Ohren zuhaltend.
Kreizrudiment –
DER ROTE KARL.
man stopp –
[53]DUMPFE STIMMEN IM HINTERGRUND.
man stopp! man stopp! man stopp!
EULENSPIEGEL.
Platz da, Michel!
DER ROTE KARL.
Platz! sonst gibt's Flecke am Rock!
Drei Maschinenheizer, rußgeschwärzt, kommen mit geschulterten Schaufeln im Marschtritt nach vorn; Eulenspiegel klappt mit der Pritsche den Takt dazu.
DER OBERHEIZER.
Stopp! –
Zum Bergrat.
Euer Hochwohlgeboren haben die Gnade gehabt
und uns mit einer Erfrischung
DER ROTE KARL
soufflierend.
kleinen Erfrischung
DER OBERHEIZER.
kleinen Erfrischung gelabt.
Euer Hochwohlgeboren, wir danken Ihnen sehr
und melden
DER ROTE KARL
wie vorher.
gehorsamst
DER OBERHEIZER.
gehorsamst: das Achtel ist bald leer.
Euer Hochwohlgeboren wissen, die Nacht ist noch lang,
und wir halten
DER ROTE KARL.
ergebenst
[54]DER OBERHEIZER.
ergebenst die Beleuchtung in Gang.
Euer Hochwohlgeboren, wir möchten
DER ROTE KARL.
mit unter
DER OBERHEIZER.
mit untertänigstem Respekt
DER ROTE KARL.
mal probieren
ALLE DREI HEIZER.
mal probieren, ob auch Sekt uns schmeckt!!!
DER LANDRAT
vor sich hin.
Kreuzschwerebrett –
DER BERGRAT
aufstehend, räuspernd.
Leute! Hört mal –
EULENSPIEGEL
steigt hinten auf einen Stuhl und klingelt.
Hört, hört!
DER BERGRAT.
Ich bitte doch dringend, daß man den Geist des Festes nicht stört!
EULENSPIEGEL
nochmals klingelnd.
Ich schließe mich dringend dem verehrten Herrn Vorredner an
und verordne somit strengstens, so geisterhaft ich kann,
[55] auf Geheiß Seiner Allerhöchstgeistigen Majestät
des weiland Kaisers Rotbart, weil er hier auf Gebet
des annoch deutschen Michels auferstanden steht
im Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität,
und weil's ohne diese Errungenschaften nicht geht
ECKART
mit Grabesstimme.
in euerm erleuchteten Jahrhundert –
DER ROTBART
mit Donnerstimme.
über das er sich ungeheuer wundert –
EULENSPIEGEL.
so verordnet er hiermit den Anstiftern der Beleuchtung
zur weiteren nächtlichen Kesselraumbefeuchtung
aus seiner johannisfestlichen Kellerei
unter Aufsicht der hochwohlwürdigen Geisterpolizei
einen Korb Henkell-trocken –
DIE HEIZER UND BERGKNAPPEN.
Ha! Hurra! Bravo! Hei!
EULENSPIEGEL.
Wir werden unverzüglich die nötigen Amtsbefehle geben.
Er springt vom Stuhl und läuft nach dem Saal.
DIE HEIZER UND BERGKNAPPEN
während Michel sich auf den leeren Stuhl setzt.
Hurra! hoch! der deutsche Michel soll leben!
leben! leben! und Kaiser Rotbart daneben! –
[56]DER LANDRAT
während die Heizer und Knappen mit dem roten Karl nach links abmarschieren.
Schwerebrett, Herr Corpsbruder! war ja 'ne nette Bescherung.
Na, pros't! Immerhin sozusagen 'ne soziale Belehrung.
Sie stoßen an und trinken Rest; zugleich klappt wieder die eiserne Tür, und das Geräusch der Maschine hört auf.
Wird der Michelspaß nicht amende bedenklich?
DER BERGRAT.
Unbesorgt. Der Mann ist absolut unverfänglich;
hat sicher mit dem kleinen Putsch nichts zu tun.
Etwas Dickkopf, aber sonst ein gemütliches Huhn;
will mir blos partout sein bißchen Grundstück beibiegen.
Ist auch preiswert; und wie die Chancen liegen,
müßt ich ihn sowieso bald aus seiner Waldbude schassen.
Wollt ihn blos noch 'ne Zeitlang zappeln lassen;
Sie verstehn.
DER LANDRAT.
Vollkommen. Blos diese -ä- Geistergestalten,
die uns da eben die noble -ä- Abfuhr aufknallten –
DER BERGRAT.
Ja, sonderbarer Scherz.
DER LANDRAT.
Schon mehr Impertinenz.
DER BERGRAT
während die Tanzmusik wieder anfängt.
Vermutlich Herren von der linksseitigen Konkurrenz;
[57] scheint mir ratsam, hier niemand zur Entlarvung zu zwingen.
Sie stehen auf, um sich nach dem Saal zu begeben.
EULENSPIEGEL
zurückkommend.
Gnädiger Herr, ich habe zu hinterbringen:
der kaiserliche Geist beginnt schon ins Volk zu dringen.
Held Michel, halt dich zum Hurraschrein bereit!
MICHEL
steht brüsk auf, ein wenig schwankend, und steuert zu dem Bergrat hin.
Um Verzeihung, Herr Rat – in aller Bescheidenheit –
aber es könnt sonst sein, Herr Rat, das Geschäft wird mir leid; –
den Bittsteller machen, fällt mir von Hause aus schwer –
DER ROTBART UND ECKART
sind ihm nachgeschritten.
schwer – schwer –
DER BERGRAT.
So! Seh einer! – Na! Dann geben Sie mal her.
Pardon, Herr Corpsbruder.
DER LANDRAT.
Bitte.
Ab zum Saal.
MICHEL
die Vertragspapiere überreichend.
Hier – zu dienen, Herr Rat –
LISE LIED
aus dem Laubengang tretend.
Michel Michael, hör mich! Zum dritten Mal naht
[58]MICHEL.
Ruhe!!!
EULENSPIEGEL.
Holla, die Glücksfee! Halt, Göttin, halt!
Er setzt ihr nach; sie verschwinden beide.
MICHEL.
Verzeihung, Herr Bergrat; sie drängt sich mit Gewalt
DER BERGRAT.
Wohl ein Schatz?
MICHEL.
Gott bewahre, Herr Bergrat; nein, keine Spur.
DER BERGRAT.
Wär doch keine Schade, Mann; delikate Figur!
Na, nehmen Sie Platz –
Die Papiere aufmachend und seinen Füllfederhalter herauslangend.
aber Eins, mein Lieber, schick ich voraus:
Sie müssen nicht denken, Sie wären der Herr im Haus.
Ihre Scholle ist uns auf alle Fälle verfallen.
MICHEL.
Wie??
DER BERGRAT.
Nun: wenn wir den Luftschacht etwas mehr
seitwärts verstallen
und legen 'ne Schutthalde vor Ihre Tür,
dann gibt kein Mensch mehr 'ne Schippe Kooks dafür.
MICHEL.
Ja, aber –
[59]DER ROTBART UND ECKART
wieder hinter ihm Wache stehend.
aber – aber –
DER BERGRAT.
Da gibt's nichts zu abern leider.
Im Übrigen bin ich kein Halsabschneider.
Kellner, noch'n Glas! – Wollte blos meinen Standpunkt klarmachen – –
Den Vertrag durchsehend.
Nein – aber – Bester – das ist ja rein zum Lachen:
ich nannte Ihnen funfzehntausend als unsern äußersten Preis,
und hier stehn achtzehn?!
MICHEL.
Ja, Herr Bergrat, weil –: ich weiß nicht,
ob der Herr Bergrat weiß:
mein Großahn war Grobschmied – und – und –
DER BERGRAT
während der Kellner das Glas bringt.
Na? Und?
MICHEL.
Es geht eine alte Sage von Mund zu Mund –:
DER ROTBART.
Des Michel Michaels Haus steht auf eisernem Grund –
ECKART.
könnte mancheiner Silber und Gold draus schlagen – –
MICHEL.
Ja! – Das heißt, Herr Rat, ich wollte damit nur sagen –
Da der Bergrat ihm einschänkt.
sehr gütig, Herr Rat –
[60]DER BERGRAT.
Na, Michel: viel ist nicht zu profitieren.
Aber – na gut: Lufthalber wollen wir's mal riskieren.
Also
Ihm zutrinkend.
Glückauf!
MICHEL.
Glückauf!
Er leert sein Glas.
DER BERGRAT
unterschreibt.
So. Abgemacht. Hier:
nun Sie. Nein, hier: auf dem andern Papier.
MICHEL
nachdem er das Duplikat unterschrieben hat.
Uff. Heiß!
DER BERGRAT
hat das erste Schriftstück gefaltet und gibt es ihm zurück.
So; bitte. Nun? sind Sie nun zufrieden?
MICHEL
während jeder sein Schriftstück einsteckt.
Hoh, Herr Bergrat, schon? Jetzt geht's doch erst los, das Schmieden!
das Glückschmieden mein' ich. Hier die paar tausend Mark Geldeswert,
die sind doch blos erst das erste Roheisen auf dem Herd;
hoffe dereinst die Welt noch als Feinschmied untern Hammer zu kriegen.
DER ROTBART.
Michel Michael, laß nur das Feuer nicht verfliegen!
ECKART.
Ist schon manche Glut zu Asche zerstoben auf Erden.
[61]DER BERGRAT
Michels Glas wieder füllend.
Ja, ich rate auch, lieber Michel: nicht übermütig werden!
MICHEL.
Oh, Herr Rat – das sind blos so Volksfestgeberden.
Sein Glas abermals leerend.
Auf Ihr Wohl, Herr Rat! – Ich muß schon den ganzen Abend denken:
wie wir hier so sitzen auf den schönen Stühlen und Bänken,
Hoch und Niedrig zusammen bei den guten Getränken,
und fühlt sich jeder so recht mitbeglückt im Gewühl –
das ist doch ein sehr erhebendes Gefühl!
nicht wahr?
DER BERGRAT
aufstehend.
Hm. Ja. Sehr erhebend. Ja. Aber jetzt –
EULENSPIEGEL
kommt mit Lise Lied Arm in Arm angetanzt.
Hurra, Vetter Michel, hier kommt dein Glück angesetzt!
Hat sich endlich von mir am Schlafittchen kriegen lassen.
Die Tanzmusik hört auf.
ECKART.
Schalk, Schalk! des Michels Glück, das kann nur er selber fassen.
MICHEL
seine Brusttasche befühlend.
Ja, wahrhaftig! –
LISE LIED.
Michel –! –
[62]MICHEL
unwillkürlich.
Lise –! –
Sich besinnend.
Ach nein; dumm Zeuch;
was rührt dich, Michel?! – Schockschwerenot, ihr: was kümmert's euch?
schert euch zum Teufel!
EULENSPIEGEL.
Ha! Hörst du's, Göttin? Verschmäht!
Das fordert Rache! Rache!
Den Würfelbecher nehmend.
Soll ich mit diesem Gerät,
kraft meiner spiritistischen Wupptizität,
hehre Fee, ihn zerschmettern? – Nein? – Ach! das ist bitter.
DER BERGRAT.
O: eine Fee, die findet wohl zartere Ritter.
Aber eine Glücksfee, die sollte sich eigentlich entschleiern;
darf ich's wagen?
LISE LIED
während die Tanzpaare aus dem Saal kommen.
Vielleicht, Herr Ritter – doch müssen wir ihn erst feiern,
der da selig in seiner Selbstherrlichkeit thront
und die Dienste der Geister mit eitel Nichtachtung lohnt.
Versteht Ihr, Ritter?
DER BERGRAT.
Stolze Fee, ich beuge in Demut das Knie
Er tut es.
und verstehe.
DIE BÜRGERMEISTERIN
dazwischentretend.
Aber Bergrat, was treiben Sie!
Man ist sehr erstaunt –
[63]DER BERGRAT
knieen bleibend.
Oh, gnädigste Frau, ich desgleichen!
In der Johannisnacht
EULENSPIEGEL.
erlebt man Wunder und Zeichen!
DER ROTBART UND ECKART:
Wunder und Zeichen!
DER BERGRAT.
Eine holde Fee stieg die Himmelsleiter herab
DIE BÜRGERMEISTERIN.
shocking!
DER BERGRAT
sich erhebend.
und gebeut uns mit ihrem Zauberstab,
damit wir die Geister der Vor- und Nachwelt versöhnen,
den deutschen Michel zum Weltherrn von ihren Gnaden zu krönen.
DIE BÜRGERMEISTERIN.
Empörend!
DER LANDRAT.
Gottvoll, Bergrat!
EULENSPIEGEL.
Hurra, Michel! Jetzt heißt es erscheinen!
Kopf hoch, Brust raus!
DER ROTBART.
Stehst du auch fest auf den Beinen?
MICHEL
aufstehend.
Hoh! Ich?
Er stolpert.
[64]DIE BÜRGERMEISTERIN.
Huch!
MICHEL
brüllend.
Bombenfest, sollt ich meinen!!!
Er stellt sich breitbeinig vor die Bank in der Mitte, während der Rotbart und Eckart hinter sie treten.
DER BERGRAT.
Also – vielwerte Gäste!
ETLICHE BENGEL IN KOBOLDTRACHT.
hurrra!
DER BERGRAT.
und Zaungäste!
DIE KOBOLDE.
hurrra!
EULENSPIEGEL.
und Geister, bitte!
DER BERGRAT.
Bitte!
EULENSPIEGEL.
Danke.
DER BERGRAT.
Hier steht er –
KOBOLDE.
steht er –
DER BERGRAT.
in unsrer beglückten Mitte –
KOBOLDE.
Mitte –
[65]EULENSPIEGEL.
leibhaftig –
KOBOLDE.
leibhaftig –
DER BERGRAT.
unter dem Lindenbaum –
KOBOLDE.
Lindenbaum –
DER BERGRAT.
unser teurer deutscher Michel –
KOBOLDE.
hurrra –
EULENSPIEGEL.
es ist kein Traum!
DER ROTBART UND ECKART:
Kein Traum.
DER LANDRAT.
Himmelkreizrudiment zum Donner! Silenzium jetzt!!!
Ruhe, Bengels! sonst werdt ihr rausgesetzt!
Er nimmt einem der Kobolde seine Zippelmütze weg und treibt die Schreihälse nach hinten.
Weiter, Bergrat!
DER BERGRAT
Lisens Arm nehmend.
Also – bezaubert von dieser Himmelserscheinung
DIE BÜRGERMEISTERIN.
unglaublich!
[66]DER LANDRAT.
pßt –!
EULENSPIEGEL.
und nach der offenbar völlig einstimmigen
Meinung
DER BERGRAT.
aller Freunde und Freundinnen der höheren Sphären
LISE LIED.
wollen wir ihn jetzt zum Beherrscher der – Lüfte erklären!
DER BERGRAT.
zum Alleinherrscher sämtlicher Zukunftsflugmaschinen!
EULENSPIEGEL.
Glücksgondeln, Traumschiffe und sonstiger Zeppelinen!
DER BERGRAT.
Möge er immer flügger, lenkbarer
EULENSPIEGEL.
und bombenfester werden!
LISE LIED.
und selig enden als Luftschloßbesitzer auf Erden! –
DER LANDRAT
die Zippelmütze schwenkend.
Hurrra, deutscher Michel!
ALLE DURCHEINANDER
während Michel auf die Bank gehoben wird und ein Glas Wein in die Hand bekommt.
Hurra! Hurra!
MICHEL
an den Baumstamm gelehnt.
Halt!!! Jetzt komm Ich an die Reih!
[67]DER BERGRAT.
Glückauf, Michel!
Trinkt ihm zu.
MICHEL.
Schön Dank, Herr Bergrat!
Trinkt.
Ja! Schön Dank fürs Geschrei!
Denn der Michel nämlich – ja – kann viel Spaß vertragen.
DER LANDRAT.
Bravo, Michel!
Trinkt ihm zu.
MICHEL
immer wieder Bescheid trinkend, worauf ihm unter Gelächter immer wieder das Glas gefüllt wird, bald mit weißem, bald mit rotem Wein.
Schön Dank, Herr Landrat! – Ja! – Aber – wollt ich sagen:
kann auch Ernst machen! kann – kann sich lange ducken –
DER KAPLAN.
Wohl ihm, Michel!
MICHEL.
Schön Dank, Ehrwürden! – Kann seine dummen Mucken
– ja – vor euch Stadtleuten – ja – auch sein Heimweh verschlucken –
DER BÜRGERMEISTER.
Hoch, Michel!
MICHEL.
Schön Dank, Herr Bürgermeister! – Ja –: kann sich recken –
[68] kann auf einmal – ja: kann er – seine Hand ausstrecken –
kann vielleicht dereinst noch – hupp – die ganze Welt in die Tasche stecken –
DER PASTOR.
Heil, Michel!
MICHEL.
Schön Dank, Herr Pfarrer! – Jawohl –: Luft – Erde – hupp – Meer –
den ganzen Himmel – hupp –
Er fällt von der Bank herunter.
LISE LIED
wirft sich aufschreiend über ihn.
Michel!!!
EULENSPIEGEL.
Kellner! den Eiskübel her! –
DER BERGRAT
während der Kellner Eiskübel und Tischtuch bringt.
Aber teuerste Göttin, er hat sich ja nichts zerbrochen!
DER LANDRAT
während man Michel auf die Bank setzt und an den Baum lehnt.
Kein Bein! Der fällt einfach auf seine gesunden Knochen!
EULENSPIEGEL.
aus der Zippel- der Zappel- der Zeppeline!
DER BERGRAT.
Da! er macht eine ganz majestätische Miene!
[69]DER LANDRAT.
Na, dann kann man ja endlich sozusagen die Krönung vollziehn!
Er setzt Micheln die Zippelmütze auf, sodaß die Troddel ihm über die Nase herabbaumelt.
DER ROTBART.
Hoch lebe unser Michel!
ALLE
während man ihm das Tischtuch wie einen Mantel umhängt.
Hoch!!!
ECKART.
Der Himmel erhalte ihn!
DER ROTBART.
Er mache ihm jede Bank zum Throne –
DIE KOBOLDE.
Throne –
EULENSPIEGEL.
jede deutsche Zippelmütze zur Siegeskrone –
KOBOLDE.
Siegeskrone –
ECKART.
jedes deutsche Stück Leinwand zum Hermelin –
KOBOLDE.
Hermelin –
DER ROTBART.
jeder deutsche Baum sei ein Baldachin –
[70]KOBOLDE.
Baldachin –
EULENSPIEGEL
während man Michel lang auf die Bank streckt und das Tischtuch über ihn breitet.
für den allerhöchsten, allerstärksten, allerlängsten, allergrößten
DIE BÜRGERMEISTERIN
hinter dem Bergrat her, der die halb lachende halb schluchzende Lise nach rechts beiseite führt.
Nein, Sie Wüstling, Sie sollen das arme Kind nicht trösten!
DER LANDRAT.
Pßßt!
EULENSPIEGEL.
und allerreichsten unter den Potentaten
MICHEL
halb erwachend.
wie –?
EULENSPIEGEL.
still, Michel – mit und ohne Staaten.
Seht, hier ruht er –
DER ROTBART.
daheim im Weltgebrause; –
EULENSPIEGEL.
jetzt kann er selig –
MICHEL
wie vorher.
Lise –
[71]EULENSPIEGEL.
ja, Michel –
MICHEL.
ich – will – nach Hause –
EULENSPIEGEL.
ja, Michel –
ECKART.
daheim im unendlichen Hafen –
EULENSPIEGEL.
zwischen Himmel und Erde und Hölle schlafen –
DER ROTBART.
jenseits von euern Zeiten und Räumen –
EULENSPIEGEL.
und träumen –
ECKART
während der Vorhang sich schließt.
träumen – –
[72]EULENSPIEGEL
als Zwischenredner.
Von links kommend, anfangs mit verhaltener Stimme.
Ssst –: er träumt! – Eine Menschenseele im Traum
ist ein schaurig Ding, ist ein Unding, ist verflochtner als ein Baum
in alle Wurzelwirren und Wipfelwehen aus Staub und aus Licht,
ist Feuer, Wasser, Luft, was sie will, und – ist's nicht:
verschlafnes Tier, wacher Gott, urweltvoller Stern, hohler Ball,
allmächtig bis zur Ohnmacht, spielt sich nur auf als All.
Wahrlich: einen Menschen im Traum belauschen, das heißt
mitspielen mit einem höllisch lebenslustigen Geist.
Ich und wir andern längst verstorbenen Geistergestalten,
wir würden uns gern solcher spukhaften Tätigkeit enthalten –
Allmählich lauter.
aber wir müssen uns, ach, noch immer zum Dienst der Menschheit hergeben;
denn unser Herr, der Dichter, dieser Auchmensch, will davon leben.
Dieser Teufel! Nicht genug, daß wir wirklich leibhaftig erschienen,
er läßt uns sogar noch als Hirngespinste nun dienen;
oh, wär ich ein Mensch, ich glaube, mir graute vor mir.
Aber da ich ganz Geist bin, und jetzt ein Doppelgeist schier,
so kann ich Sie nicht mit derlei Halbgottsgefühlen beglücken,
[73] sondern drehe ihnen – den Gefühlen nämlich – im Geiste den Rücken.
Er dreht sich mit hoch erhobenen Armen um und teilt mit beiden Händen den Vorhang.