Venus Urania

Kommst du, Grollender?
tief von Unten?
Ueber Felsen und Wolken:
suchst du mich, im dunkeln Mantel Du,
schwarzgekrönter Wetterriese,
mit der bleiernen Stirne?
Höher doch! näher! herauf zu mir,
mir und meiner Sonne,
die hier mein zitternder Arm sich
vom Himmel riß,
die mich erleuchtet,
von mir umglüht,
sie meine Seele, ihr Leben ich,
taumelnd versunken in Eine große
einige, einzige Flammenwelt!
[210]
Ja, du suchst uns,
willst uns segnen,
Du mit deinen Donnerorgelstürmen,
willst empor zu Unsrer
Flamme, Flammender Du!
Sehnst dich, tief in Unser tiefes
lichtes, allumstrickendes Glück zu blicken,
auch ein Lichtkind,
allverkettender Erschüttrer ... komm!
Ja, ich
kenne dich: du bist
mein Bruder!
Komm, tief schaue,
tief auch Ich dir,
tief durchs nächtige Auge,
in dein heißes zuckendes Herz, das gute:
Du wirfst Frucht,
Liebe aufs schmachtende Feld herab,
wenn du mit wuchtender Faust
krachend zerbrichst
das dumpf drückende Dunstbrett.
Tobe nur, Kommender! nimm,
hebe die splitternde Axt!
Hebe die düstern,
schönen,
schattenumhangenen Lider!
Grüße mich, du glühend,
Ewigkeiten sprühend Auge:
satt, ich will mich satt sehn, satt
an dieser funkelnden Unendlichkeit!
[211]
Auf, ihr schmetternden Lippen, jauchzt!
aus eurem rollenden Donnersang rauscht mir
das ewige Lied vom Samen der Sehnsucht,
vom Krieg des Lebens: der Atem der Luft.
Sonne, meine Sonne!
weh – Er – stählerne
Ströme sein Blick,
über uns – brennend –
Sonne, wo bist du –
Licht – oh Sonne –
stehn wir umklammert,
stehn wir von blendenden,
heißen, sausenden Wonnen umzuckt ...
Sonne, mein zitterndes Licht!
Lache! Nur den Baum,
sieh, den Felsen nur
traf sein zischendes Beil.
Hörst du ihn jauchzen?
über der klaffenden Buche,
über den thalab polternden Trümmern,
im flatternden Bart ihn
jauchzen sein eisernes Lied:
Weckender Tod,
komm, reckend loht
von Stamm zu Stamm die straalende Kraft,
Einer stürzt, der tausend drückte!
Stürzen die Ragenden, wachsen die Ringenden;
tausend wachsen, Einer ragt!
Tod-und-Leben-stammelnde Laute dröhnen,
doch darunter schweigt der heil'ge
Mund der Macht ...
[212]
Greller doch, Blitze!
spotte nur, Donner du!
triff, zerbrich,
was furchtsam zitternde Kronen trägt!
Uns
segnest du;
uns
prüftest du,
Blut von Deinem Blut, mit heißen
Fingern in deiner Flammentaufe.
Wir
sind fromm und heilig:
mit gefeitem Diademe krönte
uns die Liebe,
unsre sonnenselige Liebe,
zitternd von Wünschen und steiler Kraft!
Oh, und trifft auch Uns,
will ein Bruderopfer Deine Liebe:
nimm uns! herrlich stürzen wir,
vermählt verglühend in Deiner reinen,
in unsrer eignen reinen Glut.
Nein, wir fürchten dich
nicht,
rasend liebender Bruder!
Wir
sind stark wie Du:
ich und meine Sonne,
meine Lust und Seele,
wir zwei Eines,
Eines aller, aller Lust:
[213]
wir lieben Alle:
Alle müssen
uns
lieben ...

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Aber die Liebe. Die Verwandlungen der Venus. Venus Urania. Venus Urania. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/