[269] An Ossians Geist

Im schweigenden Thale des Mondes,
Umkränzet von heiligen Eichen,
Da walten die Geister der Barden,
Wenn Schlummer unrühmliche Menschen begräbt.
Sie schweben auf Silbergewölken
Den thauigen Abhang herunter,
Und wandeln am Rande der Quelle,
Die mitten im Thale durch Blumen sich schleicht.
Dann heben sich Lieder der Vorzeit,
Und Harfen begleiten die Lieder,
Und sanftester Nachhall entzücket
Die lauschenden Wälder und Fluren umher.
Da war es, Erzeugter von Fingal!
Daß Sined in Mitte der Barden
Von ferne dein Antlitz entdeckte,
Dein Silbergelocke vom Monde bestralt.
[270]
Du sangest in Saiten von Selma
Die Thaten des großen Erzeugers, 1
Den blühenden Oscar, den Kummer
Der treuen Bragela des Gatten beraubt;
Den Jammer Temoras, die Preise
Der zärtlichen Everallina,
Den besseren Bruder Cairbars,
Die Wunde Darthulen, die Stärke von Gaul.
Wie war mir! Von welchen Gefühlen
Erbebte mein Busen! Wie brannte
Die Wange! Wie schwellten die Zehren
Der süßesten Wehmuth mein starrendes Aug'!
Noch Knabe vergaß ich des Spieles
Bey Füßen der Barden, und horchte;
Doch niemal, o Kehle von Morven!
Empfand ich so feurig, wie dießmal bey dir.
[271]
Da schwur ich (das schweigende Mondthal,
Die Wipfel der heiligen Eichen,
Die moosigen Trümmer, auf welche
Die Linke sich stützte, vernahmen den Schwur)
Da schwur ich, dich Lehrer zu nennen,
Die Saiten der Donau nach deinem
Gesange zu stimmen, zum Herzen,
Zum Herzen die Wege zu suchen, wie du;
Die Zeiten der Ahnen, die Zeiten
Der Vaterlandsliebe, der Tugend,
Des Muthes, der Ruhmgier und Einfalt
Im Liede zurücke zu führen, wie du.
Du hörtest mich schwören, und blicktest
Mit Lächeln auf deinen Geschwor'nen,
Und schienst mir die Harfe zu reichen,
Und leise zu sagen: Versuche den Griff!
Seit diesem Gesichte bewohn' ich
Die Vorwelt, und lerne die Weisen
Der Barden, und rette der Töne
Zurück' in mein Alter, so viel ich vermag.
[272]
Zwar haben mich Viele verlassen,
Die vormals mir horchten. Sie klagen:
Die Steige, die Sined jetzt wandelt,
Ermüden, wer wollte sie wandeln mit ihm!
Doch Seelen, dem Liede geschaffen,
Empfindende Seelen, wie deine,
Mein Lehrer! und sind sie schon wenig,
Die schließen bei meinen Gesängen sich auf.
Deß bin ich zufrieden. Ein Seufzer,
Von fühlenden Busen gelocket,
Ist Bardenlohn, ist mir erwünschter,
Als lobender Mengen verwirrtes Geschrei.
Und, Vater von Oscar! dein Folger
Bei kommenden Altern zu heißen!
Ha! dieser Gedanke gesellt mich
Im schweigenden Thale des Mondes zu dir!

Fußnoten

1 Hier bezieht sich der Dichter auf den Inhalt vorzüglicher Gedichte Ossians.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. An Ossians Geist. An Ossians Geist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7E1F-7