[205] [207]Empfindsame Reisen

1.

Es schauert durch die Luft ein Klang,
Der hallt im Tiefsten nach;
Ob eine Äolsharfe sprang,
Ob wo ein Glöcklein brach?
Hoch um die Alpenhörner fliegt
Ein goldner Wolkentraum,
Und auf des Sees Wellen wiegt
Sich weißer Segel Saum.
O wüßt' ich nur, wie mir zu Mut! ...
Zerfließen möcht ich ganz,
Vergehn im jener Berge Glut,
In Abend-Duft und Glanz!
Die Arme breit ich weinend aus
Ins Tal und zu dem Wald:
[207]
Ach! eine Hand – ein Herz – ein Haus! –
Umsonst ... der Klang verhallt.

2.

Wir saßen im Wagen zu Drei oder Vier,
Ein verschleiertes Weib gegenüber mir.
Der Mond schien hell zum Fenster herein
Und floß um ihr Haupt wie Heiligenschein.
Es war so heimlich drinnen, so traut,
Ringsum in der Nacht kein Licht, kein Laut.
Nur die Räder knarrten in sandigem Gleis,
Und die ledernen Polster seufzten leis.
Wer bist du, fremdes, liebes Gesicht
Mit dn dunkelen Augen im Mondenlicht?
O halte die Blicke nicht abgewandt,
Du bist einsam wie ich, komm, reich mir die Hand!
Und lehn an meine Schulter Dich an,
Wenn die müde Stirn nicht mehr wachen kann!
Ich hörte sie atmen, ruhig-tief,
Der Busen wogte, – das Mädchen schlief ...
Ein Stunde, so hielt der Wagen an,
Am Schlage harrte ein großer Mann.
Das Posthorn klang, das Mädchen erwacht, –
Ein Grüßen, ein Küssen scholl durch die Nacht.
[208]
Sie hatten sich wieder, ein liebend Paar,
Sie herzten sich, daß ein Freude war.
Der Schleier entfiel, das Mondenlicht
Beleuchtete hell ein Engels-Gesicht.
Ich sah es von fern, mein Herz war voll,
Eine Träne heiß aus der Wimper quoll.
Und als der Wagen von dannen flog,
Da stunden umschlungen die Beiden noch.
Ich fuhr allein hinaus in die Nacht, – –
Ach Gott! wär sie nimmer, nimmer erwacht!

3.

So ströme denn in vollem Maß
Hernieder, du Maienregen,
Ersehntes, köstliches, tröstliches Naß,
Befruchtender Erden-Segen!
Lang konnte der Himmel bang und schwer
Die lindernde Träne nicht finden,
Seine Wimper, die Wolken, drückten sehr
Und zuckten, gejagt von den Winden
Ihm lag es wie vergangene Lust,
Wie Ahnung künftiger Schmerzen,
Bergeschwer auf der schwülen Brust,
Auf dem bebenden Götter-Herzen.
Nun brechen und gießen allzumal
Die Schleusen, die Ströme, die Quellen;
Durch zerrissene Schleier blinkt ein Strahl,
Das neue Blau zu erhellen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

[209]
Wann hast Du zuletzt Dich ausgeweint,
Mein Herz, in Klang und Klage,
Und wann, mein armes Herz, erscheint
Dein Neulicht fröhlicher Tage?!

4.

Es war ein Sonntag-Morgen im Mai,
Daß ich am Pilatus fuhr vorbei.
Ein Freund saß neben mir im Kahn,
Wir sahen uns Wasser und Felsen an.
Der See lag glatt wie ein Spiegel da,
Kein Segel, kein Ruder fern und nah.
Um die Alpen flogen ungestalt
Nebel und Wolken, zu Klumpen geballt;
Nur wenn das Sonnenlicht sie brach,
Zerrissen die Schatten allgemach.
Auf einmal flammten Zinken und Höhn
In heller Verklärung wunderschön.
Ich jubelte: Trifft erst die Spitzen ein Strahl,
So fällt auch bald der Nebel im Tal.
Mein Freund schwieg still und nickte für sich,
Nach kurzer Weile ergriff er mich
Und wies auf die Felsen und wies ins Tal, –
Das war eine Nacht, ein Nebel zumal.
[210]
Im See und am Himmel kein bißchen Blau,
Nichts Grünes am Ufer! – Nur Grau in Grau!
Wir drückten uns stark und stumm die Hand,
Wir dachten – an unser Vaterland.

5.

Über fremde Gräber und Leichensteine
Schreit ich allein im Abendscheine.
Hab ich die Schläfer drunten gestört?
Haben sie mein fragend' Wort gehört?
Mir ist, als könnt ich in süßem Grauen
Durch Schollen und Särge hinunterschauen
Mitten hinein in die stille Stadt,
Wo alles Reisen sein Ende hat.
Wie vieles Leid, wie viele Trauer
Innerhalb jener engen Mauer!
Hinter der eisernen Gittertür
Wie manche Gebete, Gelübd' und Schwür!
Ach! der menschlichen Liebe ist nirgends so viele,
Als hier am letzten Wanderziele;
Ihre Rosen und Dornen streuet sie mild
Über das tränenreiche Gefild.
Nur nicht ohne Liebe allein verderben,
Nur nicht in der Fremde siechen und sterben,
Von Mietlingshand gehegt und gepflegt,
Mit offenem Aug in den Sarg gelegt!
[211]
Und sollt ich sie lebend nicht wiedersehen,
Die Heimat, so möcht ich drin sterben gehen
Und ruhen bei meinem Mütterlein, –
Nur nicht in der Fremde, nur nicht allein!

6.

Die Blätter rieseln von den Bäumen,
Durch kahle Stoppeln bläst der Wind,
Wie lange noch willst du dich säumen
Auf deinen Fahrten, armes Kind?
Von Tal bist du zu Tal gegangen,
In jede Hütte lugtest du,
Was mit dir ging, war dein Verlangen,
Was nirgends weilte, deine Ruh.
Und sahst du neue Berge blauen,
Ob noch so fern, ob noch so hoch,
Du mußtest doch hinüberschauen,
Du dachtest: Drüben find ich's noch!
Verloren hast du schöne Jahre,
Vergeudet manchen schönren Traum,
Von deinem Haupte falln die Haare,
So wie die Blätter dort vom Baum.
Durch deine Seele kalt und schneidend
Weht der Erfahrung böser Ost,
Die letzte Hoffnung krümmt sich leidend
Und schauernd vor dem Winterfrost.
Die Störche ziehen froh von hinnen,
Du weißt noch nicht, wohin du gehst;
Mit ihnen kannst du nicht entrinnen,
So falle nieder, wo du stehst.
[212]
Wärm dich an fremder Menschen Herde,
Denn einen eignen hast du nicht,
Und träume eine Heimats-Erde,
Wo man in fremden Zungen spricht.
Gleichgiltig drück dich in die Ecke
Und stimm in ihren Alltags-Scherz,
Und der Entsagung Leichendecke
Zieh fester um dein starres Herz.
Du hast's gewollt! Du darfst nicht grollen,
Und wenn du noch so elend bist;
Denn ach! du hättest ahnen sollen,
Daß es nicht ewig Frühling ist.

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TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Empfindsame Reisen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8003-5