Das Stimmrecht der Frauen
Ueberall sind es dieselben socialen Fragen, welche die moderne Welt in ihren Tiefen aufregen. Es ist der Kampf zwischen Aberglauben und Wissenschaft, zwischen Autorität und Vernunft, zwischen dem natürlichen und dem traditionellen oder historischen Recht des Menschen, der immer stärker und nachhaltiger das Bewußtsein der Völkerseelen durchdringt.
Man könnte vielleicht sagen, es sei ein Kampf zwischen Gott und Mensch, der gegenwärtig die Grundpfeiler der Gesellschaft erschüttert.
Der Gott, der überwunden werden soll, ist jener Götze mit dem Medusenhaupt, vor dessen Starrblick der natürliche Mensch zu einem Automaten eingeschrumpft ist, es ist jener Monopolgott, aus dessen Allmacht das Königthum, die Kirche, die Klassen und die Geschlechter ihre Privilegien herleiten, jener Gott, [57] der stets hinter dem Mächtigen steht und sein Angesicht leuchten läßt über ihm.
Ein Hauptfactor dieser großen geistigen Revolution unserer Zeit ist die Frauenbewegung, die eine völlige Reform aller bestehenden Verhältnisse anstrebt. Der Anfang der Aktion auf diesem Gebiet ist das Stimmrecht der Frauen.
Im diesjährigen englischen Parlament ist von Mr. Forsyth, dem conservativen Vertreter für Marylebone die Bill für das Stimmrecht der Frauen zum zweiten Mal eingebracht worden.
Die Fortschritte, die diese Frage in der öffentlichen Meinung zu verzeichnen hat, sind außerordentliche.
Von 1869 bis 1873 wurden gegen die Frauenstimmrechtsbill vier Petitionen eingebracht. Alle vier kamen von kleinen schottischen Municipalslecken. Im vergangenen Jahr waren es drei und in diesem Jahr hatte das Parlament nicht eine einzige derartige Petition in Empfang zu nehmen.
Dagegen ist die Zahl der Petitionen für das Stimmrecht der Frauen von Jahr zu Jahr gestiegen. Bereits zwei Monat nach Eröffnung des Parlaments waren 900 – 1000 Petitionen mit 219,000 Unterschriften zu Gunsten der Bill präsentirt worden. Die feindliche Majorität der vorletzten Abstimmung betrug [58] 161. Für die zweite Lesung der Bill stimmten bei der diesjährigen Abstimmung 152, dagegen 187. Die Bill fiel demgemäß durch die kleine Majorität von 35 Stimmen.
Wenn eine Frage mit einer gewissen Autorität vor das englische Parlament kommt, so kann man sicher sein, daß sie von der öffentlichen Meinung getragen wird, und in der That gehört in England und Amerika die Frauenfrage zu den großen nationalen Angelegenheiten.
So scheint der Zeitpunkt nicht ungeeignet, auch in Deutschland für die Frauen ein Recht in Anspruch zu nehmen, das klar ist wie das Licht der Sonne und ebenso unantastbar.
Wer geneigt ist, Ideen und Principien abzuweisen, weil sie neu sind und unerprobt, wem daran liegt, neue Ansprüche und Forderungen auf historische Rechte zurückzuführen, für denjenigen seien hier einige geschichtliche Notizen zusammengestellt, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß die politischen Ansprüche der Frauen einer geschichtlichen Basis nicht entbehren.
Noch vor der normannischen Invasion und häufig nach derselben haben Frauen in England, als Inhaberinnen von Lehnsgütern, an der Regierung des [59] Landes theils durch Mandatare, theils direct und persönlich theilgenommen.
Thomas Hughes in seinem »Leben Alfred des Großen« berichtet, daß Edeldamen, selbst Verheirathete, im Besitz ihrer Güter belassen wurden, daß sie darüber frei verfügen konnten und auf ihre Besitztitel hin in dem »Wittenagamott«, dem Nationalrath der Angelsachsen, Sitz und Stimme hatten. Sie saßen auch mit in den Provinzial-Versammlungen und bei den Gemeindeberathungen.
Gurdon, in seinem Buch »Considérations sur les antiquités du parlement«, weiß von vornehmen Frauen, welche im Rath der angelsächsischen Häupter zugelassen wurden.
Der Historiker Beda theilt mit, daß die Aebtissin Wilde einer geistlichen Synode präsidirte.
Unter Heinrich VIII. hielt Lady Anne Berkeley im Saal von Glocester als Gerichtspräsidentin einen Gerichtstag ab. Fosbrook, der Gerichtsschreiber von Glocester schildert, wie sie kam, sich im öffentlichen Sitzungssaal auf die Bank setzte, die Präsidentschaft versah, die Zeugenschaften in Empfang nahm, die Angeklagten für schuldig erklärte des Complotts und der Erregung öffentlicher Unordnung, und wie sie dieselben als Feinde des Menschengeschlechts verurtheilte.
[60] Unter Heinrich III. berief man vier Aebtissinnen ins Parlament. Unter der Regierung Eduards wurden im Parlament mehrere Edeldamen durch Mandatare vertreten.
Die letzte öffentliche Manifestation politischer Frauenrechte in England datirt von 1640, doch waren diese Rechte bereits im Absterben begriffen, denn der Sheriff machte damals die Bemerkung, daß es demüthigend für einen Mann sei, von einer Frau gewählt zu werden.
Im folgenden Jahrhundert erkennen die Richter zwar die Rechte der Frauen noch an, aber die Ausübung derselben ist nicht mehr üblich.
1739, unter der Regierung Georg II., als Sir William Lee als Oberrichter und Sir Francis Page als zweiter Richter fungirten, stellte man dem königlichen Gerichtshof die Frage, ob eine »feme sole« (begüterte unverheirathete Frau) ihre Stimme abgeben dürfe für die Beamten der Gemeinde und für die Sakristane, und ob sie selber befähigt sei, diese Funktionen auszuüben. Im Lauf der Verhandlung erklärte Sir William Lee, daß dieses Recht unanfechtbar sei und daß in vielen Fällen die »feme sole« selbst für Parlamentsmitglieder ihre Stimme abgegeben habe. Der Richter Sir Francis Page sprach in einem analogen[61] Falle dieselbe Ansicht aus, und Lord Coke, der in diesen Dingen für eine Autorität galt, bestätigte lediglich das Urtheil der beiden Richter. 1
Eine logische Folge der Feudalrechte der englischen Frau ist die Frau als regierende Königin.
Den »ricos hombres« (vornehme Edelleute) in Aragonien war es gestattet, ihre Stimmen in den Cortes einem andern dieses Standes zu übertragen. Ein ähnliches Vorrecht genossen die Erbtöchter der Freiherrn. 2
Die Gallier, sagt Tacitus, ließen die Frauen an ihren berathenden Versammlungen, in denen die wichtigsten Gegenstände zur Verhandlung kamen, Theil nehmen. Ihre Stimmen entschieden über die Entschlüsse, die man faßte.
Die Föderativ-Republiken der alten Basken verliehen ebenfalls in allen öffentlichen Angelegenheiten den Frauen das Stimmrecht. Später scheint in Frankreich der Einfluß der Frauen auf Staatsangelegenheiten mehrere Jahrhunderte hindurch verdrängt worden zu [62] sein, in der Feudalzeit aber sehen wir ihn wieder aufleben. Die Frauen werden erhoben zur Würde von Herzoginnen, Pairinnen, Richterinnen und Gesandtinnen. Mit allen Rechten einer Feudalherrin bekleidet, entwickelt die Frau bei der Verwaltung ihrer Besitzungen ein ungewöhnliches administratives Talent. Drei Frauen unterzeichnen den Vertrag von Cambrai.
Nach Montaigne durften die Frauen, welchen die Pairswürde verliehen war, in allen Angelegenheiten, die zur Competenz der Pairskammer gehörten, mitstimmen. Man sah sie in ihrer Eigenschaft als Pairinnen von Frankreich ihre Sitze im Parlamente einnehmen, und bei öffentlichen Feierlichkeiten, wie die Krönung der Könige, sich ihrer Würde gemäß verhalten. Die Gräfin von Flandern saß in der Pairsversammlung, der der heilige Ludwig präsidirte.
Es sind uns zahlreiche Verhaftsbefehle aufbewahrt worden, die von weiblichen Richtern aus dem 13. und 14. Jahrhundert herrühren.
Die Aebtissinnen von Remiremont und ihre Dechantinnen handhabten das Richteramt in den zu ihrem Kloster gehörigen Distrikten, auch hatten sie das Recht, Deputirte zu den lothringischen Staaten zu ernennen.
Die Geschichte weiß Beispiele davon, daß die[63] höchsten Aemter in der Magistratur durch Erbschaft jungen Mädchen zugefallen waren.
Unter dem Titel von Lehnsherrinnen (chevalières fieffées) wohnten sie den Gerichtssitzungen bei und präsidirten den Plaidoyers mit dem Federhut auf dem Kopf und der Audienzrobe angethan. In ihrer Abwesenheit durften die Beisitzer und Schöffen nicht plaidiren.
Ungeachtet energischer Protestationen von Seiten der Feudalherren bestätigten eine Zeit lang Päpste und Könige die Frauen in diesen Rechten.
Als Ermengarde, Vicomtesse de Narbonne, in der Ausübung ihrer richterlichen Befugnisse gehindert wurde, flehte sie den Schutz des Königs, Ludwigs des Kindes, an, der ihr als Antwort einen Brief schrieb, in dem die Worte standen: »Nous ordonnons qu'il ne soit permis à personne de décliner votre juridiction«.
Machaut, Gräfin von Artois und Bourgogne, wohnte als Pairin von Frankreich der Krönung Philipps V. zu Rheims bei und hielt mit den andern Pairs des Königreichs die Krone.
Nicht klein war die Zahl souveräner Feudalherrinnen, welche ihre Lehnsleute in den Krieg führten, welche Truppen equipirten und Milizen von Edelleuten und Bürgern befehligten.
[64] Bei einer Belagerung von Remiremont, so erzählt der Geschichtsschreiber der Abtei, erfüllte die Aebtissin Katharina von Lothringen treu ihre Pflicht als Capitain, als Soldat und gute Fürstin.
Erst Ludwig der Vierzehnte hob im Interesse der Centralisation die Rechte der Feudalherrinnen auf.
Die wenigen Daten genügen, das traditionelle Recht der Frau auf politische Theilnahme am Staatsleben festzustellen.
Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß die Frauen dieser historischen Basis keineswegs bedürfen.
Hätte nie eine Frau Gericht gehalten, hätte nie eine Frau im Wittenagamott der Angelsachsen oder im Rath der Gallier gesessen, hätte nie eine Pairin über einem König eine Krone gehalten, so wäre dennoch ihr Anspruch, als selbstständiger Mensch und als Bürgerin im Staate betrachtet zu werden, um kein Gedankenatom geringer.
Diese historischen Notizen beweisen nur die Inkonsequenz der Männer in ihrem Handeln und Denken den Frauen gegenüber und die Willkür, mit der sie die Geschicke derselben von jeher bestimmt haben.
Das Stimmrecht der Frauen findet in England, selbst im Hause der Lords, lebhafte Unterstützung. Mitglieder der Cabinette sprechen zu Gunsten desselben, [65] und im Hause der Gemeinen giebt es keine einzige Partei, die nicht einflußreiche Verfechter des Frauen-Stimmrechts aufzuweisen hätte.
Sehr einfach und sehr stark müssen in der That die Ansprüche der Frauen sein, da sie in gleicher Weise von Radikalen und Conservativen, von kirchlich Gesinnten und Freidenkern anerkannt und unterstützt werden.
Lange Zeit galt es in England, wo die Sitte mächtiger die Meinung beherrscht als vielleicht in irgend einem andern Lande, für ein Zeichen schlechten Geschmacks, ein lebhaftes Interesse für die Frauenfrage an den Tag zu legen. Die Theilnahme an der Bewegung hat aufgehört für unziemlich zu gelten, seitdem hocharistokratische Personen, Mitglieder selbst der königlichen Familie, sich zu Gunsten der Sache ausgesprochen haben. Unter den vornehmen Gönnern des Frauen-Stimmrechts nennt man den Marquis von Lorne, Gemahl der Prinzessin Louise. Im Jahr 1868, als der Marquis sich den Wählern der kleinen Stadt Dunoow als Candidat präsentirte, erklärte er, zu Gunsten der Bill stimmen zu wollen. Man nennt den Vicomte Amberly, ältesten Sohn des Lord Russel, Lord Haughton, Lord John Manners, den berühmten Professor Maurice, Professor Newman, Herbert Spencer,[66] Kingsley, Coleridge und viele andere nicht weniger gewichtige und maßgebende Männer.
Unter den Frauen seien erwähnt: Vicomtesse Amberly, die Schwester des Herzogs von Buckingham, Lady Bowring, Lady Cane, Florence Nightingal, Harriett Martineau und eine große Zahl von Frauen, den ersten und einflußreichsten Familien des Adels und der Bürgerschaft angehörend.
Es ist Thatsache, daß in Amerika fast alle in irgend einer Weise ausgezeichneten Frauen, Anhängerinnen des Stimmrechts sind. Alle diejenigen, welche, trotz Haß, Spott und persönlicher Gefahr als Abolitionistinnen die Führerschaft in der Sklavenfrage übernommen hatten, sie sind es, die wiederum an der Spitze der politischen Frauenrechts-Vereine stehen.
In Deutschland befindet sich die Frauenfrage noch vor dem Beginn ernsterer Diskussion. Von Uebelwollenden verspottet, obwohl Spott noch niemals ein Probirstein der Wahrheit gewesen ist, von Wohlwollenden als Bagatellsache vorläufig bei Seite geschoben, ist sie bei uns noch so sehr in der Kindheit, daß, o heilige Einfalt, selbst socialdemokratische Blätter mit Phrasen, die der Kreuzzeitung entlehnt sein könnten, Phrasen von der Sprengung heiliger Familienbande, gegen das Stimmrecht der Frauen agitiren. Deutschland ist es [67] vorbehalten gewesen, diese Socialphilister zu produciren, diese sittlichen Harlekins, die, mit der einen Hand ihr purpurnes Banner entfaltend, auf dem die strahlendsten Principien reinster Demokratie prunken, mit der andern Hand die Peitsche schwingen für die Hälfte des Menschengeschlechts.
Ein Freidenker Südamerikas faßte sein politisches Glaubensbekenntniß in die Worte zusammen: »All men are borne free except niggers« (Alle Menschen sind frei geboren, die Neger ausgenommen). Viel größer ist das Deficit an Menschenliebe und logischer Gedankenkraft, das jene Charlatane der Demokratie mit ihrer Ausschließung der Frauen vom Stimmrecht documentiren. Gewiß ist es nur ein kleiner Bruchtheil der Socialdemokratie, der mit dieser Prostitution seiner eigenen Principien einverstanden ist. Warum aber desavouirt die große socialistische Partei solche Gesinnungsgenossen nicht und schickt diese Abenteurer der Gedankenwelt dahin wohin sie gehören, in die Redaction der Kreuzzeitung oder an ähnliche Orte. Wer die Selbstständigkeit der Frau nicht will, wird, zur Macht gelangt, die seiner Mitbürger zerstören.
Ich will mich nun so kurz als möglich der Sisyphusarbeit unterziehen, die Hauptgründe der Männer gegen die politische Wirsamkeit der Frau zu erörtern[68] und die Sophistik und Unhaltbarkeit derselben darzulegen. Eine Sisyphusarbeit nenne ich es, weil die Männer niemals unsere Argumente widerlegen, sondern immer nur darauf antworten mit wohlfeilem, längst verjährtem Spott, mit antiquirter physiologischer mittelalterlicher Gelehrsamkeit 3, mit poetischen Deklamationen à la Jean Paul und Schiller und im schlimmeren Fall mit philosophischen Zoten à la Schopenhauer.
Diese Enthaltsamkeit wirklicher Beweisgründe ist nur zu natürlich. Noch nie traten andere Argumente gegen die Frauenfreiheit zu Tage als solche, welche aus Gemüthserregungen, aus Gewohnheit und Vorurtheil stammen.
Ich bitte meine Leser um Entschuldigung, wenn ich hin und wieder schon oft Gesagtes wiederholen muß, aber es gibt wohl kaum neue Gründe, um das einfachste und natürlichste aller menschlichen Rechte zu beweisen. Für die politischen Rechte der Frauen gelten genau dieselben Argumente, deren Anerkennung man in Bezug auf die politische Emancipation der Besitzlosen, [69] der Arbeiter und zuletzt der Neger erzwungen hat.
Die Gründe der Männer heißen:
- 1) Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht,
- 2) Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht,
- 3) Sie haben nicht die Fähigkeit, es auszuüben,
- 4) Ihr Geschlecht schließt die Frau selbstverständlich von jeder politischen Aktion aus.
1) Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht. Das heißt: die Männer sind von jeher so gerecht, so gut, so edel gewesen, daß man getrost die Geschicke der Hälfte des Menschengeschlechts in ihre reinen Hände legen konnte. Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht. Das heißt: Es ist eine den Männern eingeborene Idee, ein göttlicher Impuls, der sie antreibt, mögen sie nun der barbarischen oder der civilisirten Welt angehören, das Weib zu schützen in seinen Rechten und in seinem Glück. Alle Arglist des Schurken, alle Niedertracht des Buben, alle Laster des Vornehmen und Schlechten haben sich von jeher nur gegen ihresgleichen gerichtet. Nur Mann gegen Mann hat sich das starke Geschlecht im Kampf um's Dasein geschädigt und zu Grunde gerichtet.
Abseits auf einem Piedestal stand das Weib und[70] bei ihrem Anblick verstummten im Busen des Mannes die Lockungen des Lasters und der Quell der Tugend that sich auf.
Nie hat ein Mann ein Weib betrogen, geschändet, gemordet, in Tod und Verzweiflung getrieben.
Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht – nein – sie brauchen es nicht in Arkadien, in Utopien und in allen jenen Feen- und Märchenländern, an die kleine Kinder und große Männer mitunter glauben.
Und die Meinung der Geschichte?
Die Geschichte der Frauen ist nur eine Geschichte ihrer Verfolgung und ihrer Rechtlosigkeit und die Geschichte sagt: Die Männer haben von jeher die Frauen unterdrückt in unerhörter und beispielloser Weise, und die menschliche Vernunft fügt hinzu: Und sie werden sie unterdrücken bis das weibliche Geschlecht Theil hat an der Abfassung der Gesetze, von denen es regiert wird, denn jedes Recht, hinter dem nicht eine Macht steht, ist ein Traumbild und ein Phantom.
Ein flüchtiger Blick auf die Stellung der Frauen bei civilisirten und barbarischen Völkern wird genügen zur Aufklärung über die männliche Fürsorge, die von Alters her, von der Wiege bis zum Grabe dem weiblichen Geschlecht zu Theil ward.
[71] In früheren Zeiten ist es selbst eine Streitfrage gewesen, ob die Geburt der weiblichen Kinder ein dem Willen der Natur entsprechender Akt sei? Bischöfe, Philosophen, Heilige und Anatomen haben die Frage verneint und in vollem Ernst behauptet, daß die Geburt eines Mädchens etwas in der Schöpfung Unvorhergesehenes, eine Ungeheuerlichkeit sei, welche ohne Wissen und Willen des Schöpfers aller Dinge vor sich gegangen sei.
Ihrer Zeit angesehene Männer traten für diese Meinung ein. So der Schriftsteller Martely in einer lateinischen Schrift: »de natura animale«, in der er sagt, daß die Frau mit Recht ein Ungeheuer zu nennen sei, denn es sei Brauch, in die Klasse der Ungeheuer alles dasjenige zu verweisen, was gegen den Willen der Natur in's Dasein trete; und da nun, fährt er fort, die schöpferische Kraft der Natur, wie ich bewiesen, nur dahin zielt, Männliches zu produciren, so folgt daraus, daß die Geburt der Frau eine Art Anomalie ist und sie zu denjenigen Bildungen zu rechnen ist, welche als eine Ausnahme der natürlichen Schöpfungsgesetze hervorgebracht werden.
Als Verfechter dieser Ansicht wird ferner angeführt ein Gelehrter Balthazar de Castillon in seinem Buch: »le parfait courtisan«.
[72] »Es scheint,« sagt auch Thomas Aquino, »daß die Frau keine Stelle findet in der Schöpfung der ersten Dinge; hat doch Aristoteles in seinem Buche über die Schöpfung der Thiere erklärt, daß die Frau ein verunglücktes männliches Geschöpf sei. Nichts Verfehltes und Zufälliges aber dürfte aus der ersten Schöpfung der Dinge hervorgegangen sein.«
Man hat Jahrhunderte lang darüber disputirt, ob das Weib wieder auferstehen würde oder nicht.
In verschiedenen Ländern Asien's und Afrika's, bei den alten Arabern z.B., galt die Frau für ein höheres Thier. Man sprach ihr eine menschliche Seele ab und beschränkte ihre Existenz auf diese Erde.
Mahomet schließt zwar die Frauen nicht gänzlich vom Himmel aus, aber er läßt sie nicht in's Paradies der Männer gelangen. Er weist ihnen im Jenseits eine Wohnstätte zweiten Ranges an, von Allah für untergeordnete Wesen hergerichtet.
Ja selbst im siebenzehnten Jahrhundert gab es noch religiöse Sekten, die da behaupteten, die Weiber seien nicht erlöst worden. Nicht für sie, sondern nur für die Männer sei Christus geboren und gestorben. Und solche Interpretationen der Schrift hatten damals durchaus nichts Lächerliches.
Gratien Dupont, ein Schriftsteller im Mittelalter,[73] spricht seine Meinung dahin aus, daß die Frau im Jenseits keine Existenz haben könne, weil am Tage der Auferstehung der Mann in seiner ganzen Vollständigkeit auferstehen werde, und seine Rippe wieder erhalten müsse, aus der der Herr das Weib geschaffen, und darum müsse Eva wieder zur Rippe werden und aufhören Weib zu sein. Dasselbe würde allen Weibern geschehen etc. (Dr. Raymond.)
Fast bei allen Völkern pflegte die Geburt einer Tochter Verstimmung und Kummer zu verursachen.
In Indien erhebt sich die Mutter eines Sohnes vermittelst dieses Titels über alle anderen zur ersten Frau ihres Gatten. Bei der Geburt einer Tochter ertönen keine heiligen Gesänge, keine religiösen Feste finden statt. Die Mutter weint und zittert. Die Frau, welche nur Mädchen zur Welt brachte, durfte im elften Jahre verstoßen werden.
Mahomet sagt in Bezug auf die weiblichen Kinder: »Wenn man einem unter uns die Geburt einer Tochter verkündigt, so verfinstert sich seine Stirn und er erscheint wie übermannt vor Schmerz. Er verbirgt sich um dieses unheilvollen Ereignisses willen vor den Seinen. Soll er das Kind auferziehen und die Schande tragen oder es in den Staub verscharren?« ....
[74] Bei den Juden war die Frau, die einen Sohn geboren hatte, 40 Tage vom Tempel ausgeschlossen; um eines Mädchens willen durfte sie 80 Tage die heilige Stätte nicht betreten.
Zu Athen befahl der Vater, dem eine Tochter geboren wurde, daß man einen Spinnrocken mit Wolle über seine Thür hänge anstatt der Olivenkränze, die freudig der ganzen Stadt verkünden sollten: Diesem Hause ist ein Sohn geboren.
Bei den Chinesen bestand die Sitte, daß, wenn ein Mädchen zur Welt kam, so bekümmerte man sich drei Tage lang gar nicht um dasselbe. Man ließ es auf der Erde auf einem Paar alter Lumpen liegen und erst am dritten Tage nahmen die Eltern Notiz davon. »Das Stillschweigen,« sagt eine chinesische Schriftstellerin, »womit ein neugeborenes Mädchen in der Familie aufgenommen wird, die laute Freude bei der Geburt eines Knaben, die Verachtung, die man dem ersteren beweist, deuten genugsam an, für wie viel geringer man sie ansieht.« Die Tödtung neugeborener weiblicher Kinder ist bei allen alten Völkern ein alltägliches Vorkommniß und findet noch heutigen Tages in einigen orientalischen Ländern statt.
Die Frauen der Guana's, eines amerikanischen Stammes, tödten häufig die neugebornen Mädchen,[75] indem sie dieselben lebendig begraben. Sie thun dies, wie sie sagen, um ihrem Geschlecht ein besseres Loos zu bereiten.
Ein französischer Schriftsteller berichtet: »Was das neugeborene Mädchen in Asien betrifft, so erzieht man es wohl bisweilen, wenn gerade Mangel an dieser Waare herrscht; ist aber Ueberfüllung vorhanden, dann wird eine andere Maßregel ergriffen. Am Abend, wenn es dunkel wird, da hört man oft am Ufer des Flusses mit der Strömung herab leises ersticktes Gewimmer schwimmen, das in der Ferne erstirbt. Es ist das arme kleine Mädchen, das der Vater in eine Kürbisschale gelegt und dann dem Strom übergeben hat. So schwimmt die unglückliche Ophelia in Windeln dem Tode entgegen, ohne noch den ersten Strahl des Daseins gesehen, den ersten Tropfen Milch des Lebens gekostet zu haben.
Da aber ein Fluß nicht immer in der Nähe ist, um seine Kinder zu ersäufen, wirft man sie ohne weiteres in irgend eine Ecke oder auf die Landstraße; jeden Tag wird auf einem Karren diese todte oder lebendige Brut weggeschaft und auf einer Art Schindanger abgeladen, wo die Hunde und Schweine sie fressen.«
Bei den Asiaten bekommen nur die Knaben einen Namen, nicht die Mädchen.
[76] Nicht nur im Alterthum, auch im Feudalstaat war die Geburt einer Tochter ein Trübsal. Ludwig VII., König von Frankreich, sagt in einem Erlaß: »Erschreckt von der großen Anzahl unserer Mädchen, wollen wir inbrünstig zu Gott beten, daß er uns mehr Kinder eines besseren Geschlechts schenke (des enfants d'un sexe meilleur).« Und er bewilligte ein jährliches Geschenk demjenigen, welcher ihm die Geburt eines Sohnes anzeigen würde.
Die Geschichte erzählt, daß der Zorn Ludwigs, als man ihm zu Nogent le Rotron sein erstes Kind, ein Mädchen, zeigte, so groß gewesen sei, daß er sofort nach Paris zurückreiste, jede öffentliche Lustbarkeit verbot, das Kind in das Schloß von Linières einsperren ließ und es während vier Jahre seiner Mutter beraubte.
Lange Zeit haftete dem Mann, dem seine Gattin nur Töchter gebar, eine gewisse Lächerlichkeit an; man hielt ihn für einen Schwächling. Der bretonische Bauer, dessen Frau mit einer Tochter niederkommt, sagt noch heut: »Meine Frau hat falsche Wochen gehalten (a fait une fausse couche).«
Das wäre die Fürsorge der Männer in barbarischen und halbcivilisirten Ländern für das weibliche Geschöpf in der Wiege.
Das junge Mädchen. Die Thatsache, daß bei [77] den alten germanischen Völkern sowohl als bei den Völkern des Orients das Mädchen als ein Handelsartikel betrachtet wurde, den man zum Vortheil des Vaters an den Meistbietenden zu verkaufen pflegte, ist allzu bekannt, als daß wir ausführlicher darüber zu berichten brauchten.
Die Gattin. Nach allen orientalischen Verfassungen ist der Mann der unumschränkte Herr im Hause.
Sobald er seiner Frau überdrüssig wird, schickt er sie fort und nimmt eine andere. »Geh, du gefällst mir nicht mehr und er stößt sie in Elend, Verzweiflung, Schande.« Er konnte sie prügeln, tödten, ohne den Gerichten Rechenschaft zu geben. Machte aber die Frau ein Attentat auf die Existenz des Mannes, so ward sie zur Strafe des Messers verurtheilt. Die Operation bestand darin, die Delinquentin stückweis zu schlachten und ihr die Haut in schmalen Riemen abzureißen.
Bei den Samojeden gelten die Frauen für unrein und haben im Alter ein hartes Loos. Sie müssen in der Hütte auf einer bestimmten Seite bleiben, berühren sie eine andere oder das Geräth der Männer, so werden Hütte und Geräthe durch verbrannte Rennthierhaare gereinigt. Auf den Zügen dürfen sie nicht über den Steig der Männer und Rennthiere, sondern nur an[78] einer Seite desselben gehen. Die Frauen dürfen ferner nicht mit den Männern speisen, sie bekommen nur was diese übrig lassen.
Bei den Tartaren und vielen andern Volksstämmen fällt die Wittwe mit den Kindern dem nächsten männlichen Verwandten zu, der sie behalten oder verkaufen kann.
Dem Nogaier ist die Frau, wie allen Bekennern des Islam, eine Dienerin seiner Lust und seiner Bequemlichkeit. Kommt der Mann von der Reise oder der Arbeit heim, so darf sie erst dann an die eigene Ruhe denken, wenn dem Manne nichts mehr von ihr zu verlangen übrig bleibt. Der Ungehorsamen giebt der Mann seinen Widerwillen durch die Peitsche zu erkennen, wobei er der Sitte gemäß in vollem Recht ist. Sie geht, wenn er im Zimmer sitzt, nie vor ihm vorbei, sondern stets hinter seinem Rücken; sie bleibt auf der Querstraße stehen, bis der Mann, der ihr von ferne entgegenkommt, vorübergegangen ist, sie darf nie ein Wort reden, wenn der Mann spricht, sie sattelt ihm das Pferd u.s.w.
Sollte etwa ein pfiffiger Logiker oder ein malitiöser Spaßvogel aus dem Mitgetheilten schließen, daß ich das Stimmrecht für die Frauen fordere, weil bei den Nogaiern die Frauen hinter dem Rücken des Mannes[79] vorübergehen müssen, so muß ich ihm allerdings zugeben, daß diese wahrheitsgetreuen Sittenschilderungen 4 eine Illustration zu der Behauptung liefern sollen, daß immer und überall die männliche Fürsorge genüge, die Geschicke der Frauen festzustellen.
Alle Reisenden zeigen uns bei den wilden Völkerstämmen die Frauen schwere Lasten tragend, die Waffen des Kriegers, das Wild des Jägers; die Frau ist dem Manne nicht nur untergeordnet, sie ist sein Lastthier.
Ein wissenschaftliches deutsches Journal brachte vor einiger Zeit einen Aufsatz über die Sitten nordamerikanischer Indianerstämme. In einem dieser Stämme (der Name ist mir entfallen), so berichtet der Gelehrte, wurde ein Indianer krank. Er hielt die Frau für die Urheberin seines Leidens und verlangte von ihr geschieden zu werden. Der Friedensrichter begab sich mit einigen Gefährten in den Wigwam des Kranken.
Er führte die Frau hinaus in die Prairie. Er schoß sie nieder und verscharrte sie in den Sand. Das ist eine Form der Ehescheidung, so schließt unser Gewährsmann seinen Bericht, welche bei diesem Stamm[80] der Indianer üblich ist und kein Einfluß der gebildeten Amerikaner hat sie bewegen können, den alten Brauch aufzugeben. Bei den Aenez-Arabern finden die Scheidungen selbst während der Schwangerzeit statt, ja es werden Frauen verstoßen, weil sie ihrem Manne mehrere Kinder geboren haben.
Wenn dem Beduinen seine Frau nicht gefällt, so löst er die Ehe mit den Worten auf: ent-talek! Du bist geschieden. Er ist durchaus nicht genöthigt, irgend einen Grund dafür anzugeben. Zuweilen gestattet er einer alten verstoßenen Familienmutter unter ihren Kindern in seinem Zelt zu leben. Burckhardt kannte einen Mann, der 50 Weiber gehabt hatte, obwohl er erst 45 Jahr alt war.
Nur in sehr wenigen vereinzelten Fällen steht der Frau das Recht der Scheidung zu.
In Neuseeland herrschte ehedem die Sitte, daß bei dem Ableben vornehmer Männer die Sclaven derselben getödtet und seine Frauen genöthigt wurden, sich zu hängen. Die Frauen der Häuptlinge der Fidschiinseln wurden bei dem Tode ihrer Männer erdrosselt.
Dem Verbrennen der indischen Wittwen hat bekanntlich erst der langjährige Einfluß der Engländer ein Ziel gesetzt.
»Wenn die Flamme um den Leichnam des Mannes[81] auf dem Scheiterhaufen knisterte,« so berichtet ein französischer Reisender, »und flackernd emporstieg, erschien die Wittwe beim Klange wonnerauschender Musik im scharlachenen Kleide, mit Blumen und Betelblättern bekleidet. Bleich, halb wahnsinnig, betrunken von Safran-Branntwein, halb bewußtlos an die Brust eines Brahmanen angelehnt, ging sie schwankenden Schrittes dreimal um die im Scheiterhaufen befindliche Oeffnung. Beim dritten Mal stieß der Priester sie hinein und mit herzzerreißendem Schrei verschwand sie im prasselnden Scheiterhaufen.«
Diejenige Hinduwittwe, welche das Sutti-Opfer nicht bringen wollte, ward verflucht. Ihr Haupt ward kahl geschoren und sie lebte fortan in Schande und Schmach. »Was hilft ihr Gold,« heißt es im Ramayana, »wer die Sache zu beurtheilen weiß, wird sagen: Es ist nur eine Wittwe! Voll Ekel und Abscheu wich die Menge einer solchen aus, sogar ihr Sohn wendet den Kopf ab, wenn er sie vorübergehen sah: die Erde speit dich aus, stirb, Elende!«
In den Hindudramen spricht die Frau nicht dieselbe Sprache wie ihr Herr, sondern bedient sich des Dialekts der Sklaven.
Das indische Gesetzbuch weist den Frauen ihre Stellung an, indem es sagt: »Ein Mädchen, eine [82] Jungfrau oder eine bejahrte Frau müssen auch in ihrer eigenen Wohnung nichts nach ihrem Belieben vornehmen. In der Kindheit muß ein Frauenzimmer von ihrem Vater abhängen, in ihrem jungfräulichen Alter von ihrem Ehemann, und wenn er todt ist, von ihrem Sohn; wenn sie keine Söhne hat, von den nahen Verwandten ihres Gatten, oder, hat er keine hinterlassen, von den Verwandten ihres Vaters und wenn sie keine väterlichen Blutsfreunde hat, von dem Landesherrn. Ein Frauenzimmer darf nie nach Unabhängigkeit streben. Sollte ein Ehemann auch die eingeführten Gebräuche nicht beachten, in eine andere Frau verliebt sein oder keine guten Eigenschaften haben, so muß ein tugendhaftes Weib ihn doch immer als einen Gott verehren. Nur insofern eine Frau ihren Herrn ehrt, wird sie in den Himmel erhoben.« Nach diesem Gesetzbuch dürfen die religiösen Gebräuche von den Frauen während der Abwesenheit der Männer nicht geübt werden.
Noch viel entschiedner sprechen die Mohamedaner der Frau Menschenthum und Seele ab, indem sie sie außerhalb der Religion stellen.
Die mohamedanischen Frauen sind keine Mitglieder der Kirche. Es ist ihnen nicht erlaubt, beim Gottesdienst der Männer anwesend zu sein, für sie [83] hat die nach Mekka zeigende Tafel »Mehral« keinen Sinn. Sie sind zu den Waschungen nicht verpflichtet, weder zum »Abdestan« noch zum »Güzül«, noch zum »Thüseret«. Sie halten weder die Ramazan-Fasten noch feiern sie das Beyramsfest u.s.w. Der Geistliche traut, unterrichtet, konfirmirt sie nicht und läßt sie nicht beichten, sie haben keine Seele; um sie kommt nicht in der Todesstunde der die Seele vom Leibe scheidende Engel Asrael; sie verhört nicht nach dem Tode der Engel Monkai und Nakir über das Gute und Böse, daß sie in ihrem Erdenleben gethan. Sie gelangen nicht in's Paradies, in den Schatten des großen Baumes »Tuba«, denn ihrer bedürfen dort die Männer nicht mehr, diese erwarten dort die in ewiger Jugend blühenden »Huris«, jeden ihrer sieben und siebzig u.s.w. Die Männer werden im Koran ermahnt: Denjenigen Frauen, von denen ihr fürchten könnt, daß sie unredlich handeln, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer und peitscht sie.
Die männlichen Juden haben in ihren Gebeten einen Abschnitt, in dem sie Gott danken, daß sie nicht als Weiber zur Welt gekommen sind.
Fernand Mendoz Pinto erzählt uns in seinen Reisen: der König von Achem führte Krieg mit den Königen von Jantana (Reich in Ostasien.) Er wurde besiegt [84] und als die Flotte zurückkehrte, ließ er in seinem maßlosen Zorn den Hauptleuten die Köpfe abschlagen, den Soldaten aber befahl er, bei Strafe lebendig in Stücke gesägt zu werden, fortan in weiblicher Kleidung einherzugehen und nur weibliche Arbeiten zu verrichten, welche Schmach die meisten so wenig vertragen konnten, daß sie entweder als Flüchtlinge die Heimath verließen, oder sich selbst durch das Schwert oder durch Gift den Tod gaben.
Wie man von jeher der Frau das Verfügungsrecht über ihre eigene Person geraubt hat, so hat man ihr auch ihr Eigenthum vorenthalten. Ein römisches Gesetz, das Gesetz »Voconia«, welches gegen den Luxus der Frauen gerichtet war, verbot einem Vater, seiner Tochter und wenn es sein einziges Kind wäre, mehr als einen gewissen Theil seines Vermögens zu hinterlassen.
In Rom lebte um's Jahr 600 ein reicher Bürger Namens Annius Asellus. Er hatte im Handel ein beträchtliches Vermögen erworben und seine Mühe und Arbeit galten einem einzigen Kinde, einer Tochter, die er zärlich liebte. Alle seine Fürsorge sollte nun vergebens gewesen sein. Nur ein einziges Mittel bliebihm, das Gesetz zu umgehen, ein verzweifeltes Mittel, denn es beraubte ihn seiner Stellung, seines Ranges und der Achtung seiner Mitbürger. Annius zögerte [85] keinen Augenblick. Das Gesetz theilte die römischen Bürger in sechs Klassen. Fünf davon zahlten Abgaben an den Staat. Die sechste, aus Proletariern bestehend, war von allen Rechten und bürgerlichen Privilegien ausgeschlossen und bildete den Uebergang zwischen dem freien Mann und dem Sclaven. Dieser letzten Klasse anzugehören, war eine Art Schande und das Gesetz Vaconia erlaubte den Vätern dieser Klasse – ein Hohn auf ihre Armuth – ihren ganzen Besitz auf die Töchter zu vererben. Annius ließ sich in die Klasse dieser bürgerlichen Parias aufnehmen. – Eine Protestation gegen die Enterbung der Töchter, die an Energie Nichts zu wünschen übrig läßt.
Legouvé, (l'histoire morale des femmes) dem wir diese Geschichte entlehnt haben, theilt uns auch die rührende Klage eines germanischen Vaters aus dem siebenten Jahrhundert über die Enterbung seiner Tochter mit, eine Stimme, wie er sagt, voll männlicher Kraft, die mit Thränen getränkt ist.
Ein lombardisches Gesetz bestimmt, daß eine Tochter, die verheirathet ist und eine Mitgift empfangen hat, keinerlei Recht mehr an der väterlichen Erbschaft habe, bestände die Mitgift gleich nur aus einem Rosenkranz.
Ferner war es ein mittelalterlicher Brauch, daß[86] Väter und Brüder junge Bräute zwangen, am Vorabend ihrer Vermählung jeden Anspruch an das väterliche Erbe beim Heil ihrer Seele abzuschwören.
Die Autorität des Bruders war in der Feudalzeit eine so absolute, daß er sich nicht nur der Besitzthümer der Schwester bemächtigen, sondern auch ihre Ehre und ihre Person zu seinem Vortheil verkaufen durfte, ohne daß selbst die Eltern Einspruch zu erheben wagten.
Legouvé theilt uns eine rührende bretonische Ballade aus dem 4ten Jahrhundert mit, die einen solchen Kauf zum Inhalt hat.
Der Baron von Janioz.
I.
Ich stand am Ufer zu waschen, da hörte ich seufzend flüstern den Vogel des Todes.
– Weißt du es nicht, du gute kleine Jina, du bist verkauft dem Baron von Janioz.
– Ist es wahr, meine Mutter, was ich vernommen? ist es wahr, daß ich verkauft bin dem alten Janioz?
– Du arme Kleine, ich weiß nichts davon, du mußt den Vater fragen.
– O, lieber Vater, sage mir, ist es wahr, daß ich verkauft bin dem Loys de Janioz?
[87] – Mein liebes Kind, ich weiß nichts davon, du mußt den Bruder fragen.
– Lannik, mein Bruder, sag mir, bin ich verkauft jenem Herrn?
– Ja, verkauft bist du dem Baron und abreisen mußt du auf der Stelle. Den Kaufpreis habe ich empfangen, 50 Thaler von weißem Silber und ebenso viel glänzendes Gold.
II.
Sie war nicht fern von der väterlichen Hütte, als sie die Glocken läuten hörte. Da fing sie an zu weinen: »Lebt wohl, Saint-Anne, lebt wohl ihr Glocken meiner Heimath, Glocken meines Kirchspiels, lebt wohl.«
III.
– Nehmt einen Sessel und setzt Euch, während wir die Stunde des Mahles erwarten.
– Der Herr stand nahe beim Feuer, der Bart und die Haare waren weiß, die Augen wie zwei Feuerbrände.
– Das ist ein gutes Mädchen, die ich begehre seit langer Zeit. Wohlan, mein Kind, komm' daß ich dir zeige alle meine Reichthümer. Komm mit mir, du Schöne, zu zählen mein Gold und mein Silber.
– Lieber wäre ich bei meiner Mutter, zu zählen die Holzspähne, sie in das Feuer zu werfen.
[88] – Steigen wir hinab in den Keller, zu kosten den Wein, der süß ist wie Honig.
– Lieber tränke ich wohl das Wasser der Wiesen, von dem auch trinken die Rosse meines Vaters.
– Komm mit mir von Laden zu Laden und kaufe dir ein Festgewand.
– Lieber möchte ich tragen einen Rock von Leinwand, wenn meine Mutter mir ihn gesponnen.
– Warum hatte ich nicht ein Geschwür auf der Zunge an dem Tage, wo ich ein solcher Narr war, dich zu kaufen, wenn Nichts dich trösten kann.
IV.
– Liebe kleine Vögel, auf eurem Flug, ich bitte Euch, hört meine Stimme. Zu meinem Dorfe eilt Ihr und ich gehe nimmer dort hin. Ihr seid lustig und ich bin traurig. Bringt meine Grüße allen meinen Landsleuten, der guten Mutter, die mir das Leben gab, dem Vater, der mich ernährte, und meinem Bruder sagt, ich verzeihe ihm.
V.
Zwei oder drei Monate später, als die Familie zu Bett war, hörte man an der Thür eine sanfte Stimme. – »Mein Vater, meine Mutter, um der Liebe Gottes willen, betet für mich – Eure Tochter liegt auf der Todtenbahre.«
[89] Aber wie – hat nicht das Christenthum den Frauen die ihnen entsprechende würdige Stellung gegeben? haben nicht im Zeitalter der Minnesänger die Männer im Leben und in Liedern den Frauen den Tribut ihrer Huldigung und Werthschätzung dargebracht?
In Liedern ja, im Leben mit nichten.
Werfen wir nur einen flüchtigen Blick auf das gepriesene Mittelalter.
Die Hexenprozesse wurden bekanntlich von Männern geleitet. Auf einen Hexenmeister, so berichtet Michelet, kamen ungefähr 10,000 Hexen, allerdings eine starke Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts vor dem männlichen.
In einigen Theilen Frankreichs konnte im Mittelalter der Lehnsherr von seiner Vasallin verlangen, den zu heirathen, welchen er für sie bestimmt hatte, »und wäre er 80 Jahre alt und halb verfault«, so lautete der Urtheilsspruch eines Richters.
Ein florentinischer Edelmann, Namens Pandolfin, der eine vornehme Dame aus dem Hause der Strozzi geheirathet hatte, führte sie nach der Verheirathung in sein Betzimmer und ließ sie zur heiligen Jungfrau beten, daß sie ihm viele Knaben schenken möge. Nicht etwa Mädchen, denn die galten für Luxus, die dem Hauswesen nur Verlegenheit bereiten.
[90] Ein Sprüchwort von Poitou sagt sehr naiv: »Wenn ein Vater seine letzte Tochter an den Mann gebracht, dann folgt er dem Zuge mit einem Besen auf der Achsel, denn endlich ist das Haus rein gekehrt.«
Der Historiker Froissart sagt zur Rechtfertigung des salischen Gesetzes: »Das Königreich Frankreich sei zu edler Natur, sich von einer Frau regieren zu lassen.« In gewissen Fällen, meint ein anderer Schriftsteller (Beaumanoir) sind die Männer entschuldigt, wenn sie ihren Frauen ein Leid zufügen und hat die Justiz sich nicht hineinzumischen, denn der Mann kann seine Frau schlagen, nur nicht dabei schwer beschädigen oder tödten.
Geoffroy Landry, als er seiner Tochter Lehren ertheilt, sagt ihr: denn der Mann hat das Recht über Leben und Tod seiner Frau. Nach Südfrankreichs Sitte war der Mann im Voraus entschuldigt, wenn er die Frau im Moment des Zornes tödtete. Dort peitschte einmal ein Ehemann seine Frau bis auf's Blut und wickelte sie in eine mit Pfeffer bestreute Ochsenhaut, aus welcher er sie nicht eher befreite, als bis sie ihm strengsten Gehorsam versprochen hatte.
In dem Gedicht eines Troubadours: »l'art d'aimer« kommt folgende Stelle vor: »Hüte dich, deine Dame zu schlagen, denke daran, daß sie nicht deine Frau ist und [91] daß du sie verlassen kannst, wenn irgend etwas an ihr dir mißfällt.«
In einer jener alten Chroniken, welche unseren Vorfahren ihre täglichen Pflichten vorschrieben, findet sich folgender Rath: Bon battre sa femme en hui. (Quitard).
Humbert IV., der für die Stadt Villefranche eine besondere Vorliebe hatte, bewilligte ihr verschiedene Privilegien, unter andern folgendes: »Tout habitant de Villefranche a le droit de battre sa femme, pourvu que la mort ne s'en suive pas.« (Jeder Einwohner von Villefranche hat das Recht, seine Frau zu schlagen, vorausgesetzt, daß der Tod nicht erfolge.) Einige Chronikenschreiber behaupten, das Motiv einer solchen Concession sei gewesen, recht viel Einwohner nach Villefranche zu ziehen, und der Herzog habe seinen Zweck erreicht.
Bis in unsere Zeit hinein hat der Mann das gesetzliche Recht gehabt, seine Frau zu schlagen.
In der Review Britannique vom März 1853 las man folgende Worte eines Deputirten: »Vor versammeltem Parlament höre ich von einem Mitglied, daß in England ein Ehemann für eine Entschädigungssumme von 5 Pfd. Sterling seine Frau bis zur Verstümmlung schlagen darf. Dieses Mitglied, Mr. Fitzroy, [92] hat bemerkt, man könne die Zeitung nicht lesen, ohne von Abscheu ergriffen zu werden, so zahlreich seien die Beispiele grausamer und brutaler Behandlung, welche das schwache Geschlecht von Männern zu leiden habe, deren Brutalität allen Engländern die Röthe der Scham in's Gesicht treiben sollte.«
Er führt darauf eine Anzahl von Beispielen empörender Mißhandhandlungen an.
Solche Frauendressur mag noch heut in England ihre Anhänger finden, aber in Deutschland – unmöglich.
Meint man?
Vor einiger Zeit war in einer unserer ersten Zeitungen eine Besprechung französischer Bücher zu lesen, die von einem der genanntesten und berühmtesten Literarhistoriker herrührte, einem milden Manne und vortrefflichen Gatten, dessen Privatcharakter unantastbar ist.
In dieser Besprechung heißt es bezüglich des Flaubert'schen Romans »Madame Bowary«: »Wenn sie (Mad. Bowary) einen Mann gefunden hätte, der sie zu besänftigen und mitunter den Stock zu gebrauchen verstand, – denn das war nöthig – so wäre sie vielleicht gar nicht so übel geworden?« Wir wiederholen, diese warme Empfehlung der Prügelstrafe zur Aufbesserung [93] leichtfertiger Weiber geht von einem deutschen Manne aus, der auf der Höhe der Bildung seiner Zeit steht. Haben wir es nicht herrlich weit gebracht? Wer weiß, am Ende ist die ganze moderne Frauenbewegung nichts als eine Emeute gegen das Mürbeprügeln der Weiber, und sie bezweckt nichts, als die Emancipation des Weibes vom Stock.
Aber kehren wir zum Mittelalter zurück.
Wenn es in Gemäßheit des Gesetzes der Gegenseitigkeit einmal einer Frau einfiel, ihren Mann zu schlagen, dann mußte sie sich verkehrt auf einen Esel setzen und so im Lande umherreiten.
Aber nicht blos schlagen durfte der Mann seine Frau, sondern auch verstoßen. Ein berühmter Troubadour, Namens Raymond de Meraval, war vermählt mit Gandereinca, die Trobadour war wie er. Von diesem wird uns erzählt, daß er sich in eine schöne Waldenserin verliebte. Und er sagte zu Gandereinca: »Du machst Verse und ich auch, in einem Hauswesen genügt ein Poet.« Und damit verstieß er sie und heirathete die Waldenserin.
»Der Ehemann, heißt es im Schwabenspiegel, ist der Frauen Voigt und Meister.«
Im Mittelalter war allerdigs auch eine Scheidung für Frauen zulässig. Aber die Beweisgründe, die sie[94] beizubringen hatten, waren so schamloser und unerhörter Art, daß die Scheidung kaum für die niedrigste der Buhldirnen zu einer Möglichkeit wurde.
In den theologischen und juristischen Schriften jener Zeit wird die Frau stets als ein untergeordnetes Geschöpf betrachtet, das an unheilbarer Geistesverkrüppelung leidet.
Die christliche Kirche hat bis auf den heutigen Tag ihre Geringschätzung gegen die Frauen bewahrt. Als ich vor einigen Jahren in Rom in Begleitung mehrerer Herren in irgend einer Kapelle eine Reliquie sehen wollte, ließ man die Herren eintreten, mich aber wies man mit dem Bemerken zurück, daß es unehrerbietig gegen die Kirche sein würde, einer Frau solche Reliquien zu zeigen.
Es ist eine uralte List der Despotie, ihre Opfer zu schmähen und zu erniedrigen und ihre Unterdrückung zu rechtfertigen.
Die neue Zeit. Aber es ist wahr, die Zeiten sind besser geworden, es ist nicht mehr Brauch, daß der Bruder seine Schwester verkauft, der Vater die Tochter ihres Erbtheils beraubt und die Mutter unter der Vormundschaft des Sohnes steht, und doch ist das Schicksal der Frau auch noch heut schwer genug. Noch heut, [95] wie in alten Zeiten sind und bleiben die Frauen unmündig – lebenslang.
Die Herrschaft des Mannes der Frau gegenüber ist eine mildere geworden, aber die Ehe ist noch immer eine fast absolute und gesetzlich garantirte Herrschaftsform des Mannes, und das junge heirathsfähige Mädchen ist auch noch heut nicht viel mehr, als eine Waare, die besichtigt, behandelt und gekauft wird.
Aber wie – auch das Gesetz wäre gegen die Frauen? Beginnt nicht unser preußisches Landrecht mit den Worten: »Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich?« Ja wohl, alle, nur mit einigen kleinen Unterschieden, z.B. folgenden: Nach deutschem Recht kam und kommt die Frau durch Vollziehung der Ehe mit allem, was sie hat, in Vormundschaft und Gewalt des Mannes, wenn sie sich nicht contractlich gesichert hat. Die Gütergemeinschaft gilt in Preußen und in den meisten deutschen Staaten für so selbstverständlich, daß ein ausschließender Vertrag einer öffentlichen Bekanntmachung bedarf. Während der Mann unbeschränkte Disposition über das Eigenthum hat und die Frau keinen Einspruch bei der Verwaltung ihres Vermögens von Seiten des Mannes zu erheben hat, steht ihr keinerlei Verfügung über das Gemeingut zu.
Ein junges Mädchen, welches sich unter dem Gesetz [96] der Gütergemeinschaft (und das ist das Allgemeine) mit einem unbemittelten Manne, den sie bereichert, verheirathet, kann, wenn dieser Mann geizig ist, der Dürftigkeit anheimfallen. Möglicherweise muß sie ihr eignes Geld, Stück für Stück für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse von dem Manne erbetteln und so gewissermaßen, trotz ihres Reichthums von Almosen leben.
Auch von Todeswegen darf sie keine einseitigen Bestimmungen darüber treffen. Während der Mann für alle Schulden, die er macht, das Gemeinschaftsgut belastet, werden die der Frauen nicht daraus bezahlt. Die Frau darf nicht erwerben ohne die Erlaubniß des Mannes, und was sie erwirbt, gehört dem Manne. Ihr Kopf und ihre Finger gehören ihm. Sie darf nicht einmal ihre Schmucksachen ohne Zustimmung desselben verpfänden, sie erhält keinen Paß, es sei denn, der Mann ertheile schriftlich seine Einwilligung. Sucht eine mißhandelte Frau im Hause einer befreundeten Familie Schutz, so kann der Gatte sie zwingen, zurückzukehren, wieder und wieder; er kann sie verhungern lassen, sie hat kein gesetzliches Mittel, ihn anzuhalten, ihr die nöthige Kost zu reichen. In Hamburg bedarf die Frau zur Vornahme gerichtlicher Acte noch heut eines Curators.
[97] Nach englischer Gesetzgebung geht die Frau noch vollständiger in der Person des Mannes auf als bei uns. Bis vor Kurzem waren die englischen Frauen nach den Aussagen ihrer eigenen Schriftsteller den Krüppeln, Unmündigen und Blödsinnigen gleichgestellt. Bekanntlich trägt die Frau, nach dem gemeinen Recht Englands, keine Verantwortung für die Verbrechen, die sie in Gegenwart des Gatten begeht. Nach jenem Recht erbt der Vater Alles, wenn das Kind stirbt, nur wenn er todt ist, hat die Mutter Antheil an der Erbschaft.
In England und Frankreich dürfen unverheirathete Mütter keinen Unterhalt für ihre Kinder vom Vater beanspruchen. Was die Ehescheidung betrifft, so ist sie für die Frau, so lange sie nicht zu ökonomischer Selbstständigkeit erzogen wird, vollkommen illusorisch.
Von jeher fließt der Menschen Mund in Schrift und Rede, in Prosa und in Versen über von der Kraft und Herrlichkeit der Mutterliebe, die Mutter aber wird nach dem Tode des Vaters nicht als die natürliche und rechtmäßige Hüterin des Kindes betrachtet. An Stelle des väterlichen Consenses tritt der des Vormunds. Die Anordnung der Erziehung des Kindes kommt hauptsächlich dem Vater zu. Nur ihm gibt das Gesetz Rechte in Bezug auf das Vermögen der Kinder. Der englische Vater kann durch Testamentbeschluß, ohne[98] daß die Mütter irgend eine Schuld trifft, ihr die Kinder fortnehmen lassen und anderen Händen anvertrauen. Ein Gesetz, das an Grausamkeit mit den barbarischen Verordnungen asiatischer Völker konkurrirt, ein Gesetz, das keinen Schimmer von der erleuchteten Humanität unseres Zeitalters auf die Frau fallen läßt, sondern ihr, der ewigen mater dolorosa, immer von neuem das Schwert in die Brust stößt.
Was auf dem Gebiete der geschlechtlichen Beziehungen straflos an den Frauen gesündigt wird, ist unglaublich (man vergegenwärtige sich einen Augenblick die Statistik der Verführungen und ihre furchtbare Geschichte) und schmachvoll für die menschliche Gesellschaft. Man braucht nur daran zu denken, daß die Basis für die Moralität unserer Gesellschaft, die Prostitution ist; Diese Ausgeburtsidee einer corrumpirten Gesellschaft, die zu Gunsten der gutsituirten und beschützten Frauen dem weiblichen Proletariat das Laster aufzwingt, es zu den Parias in der moralischen Welt macht und von ihm die Kosten bestreiten läßt für den Tugendschmuck der wohlhabenden Frauenklassen. In der That, eine Tugendgründerei schamlosester Art.
Doch ist das ein Gebiet, auf welches wir bei dieser flüchtigen Skizze nicht näher eingehen können, weil es zu umfassend ist und von zu gewaltiger Tragweite.[99] Der Mann verführt die Frau, stößt sie in's Elend und die Gesetze machen sich zu Complicen des Verführers und geben ihr den Rest. Die Frau spielt in der Geschichte der Menschheit die Rolle einer speciellen Erlöserin des Mannes. Sie, das Lamm der Natur, nimmt seine Sunden auf sich – mag sie unter dem Kreuz zusammenbrechen.
Die Gesetze, die Männer gemacht haben, sind der reine und unverfälschte Ausdruck ihrer Gesinnung in Bezug auf die Frau, alles Andere ist Lug und Trug, Phrase und Affektation. Diese Gesetze aber scheinen nur dazu da, die bürgerliche Untauglichkeit der Frau zu beweisen, sie nehmen an, daß die Frau schlecht, schwach und unvernünftig sei, der Mann hingegen stark, klug und ein Ausbund von Tugend. Hielten die Männer die Frauen nur für schwach und nicht zugleich für schlecht und unvernünftig, so wären Gesetze, wie die angeführten, doppelt und dreisach verwerflich, denn, ist es nicht Pflicht und Aufgabe des Staats, den Schwachen gegen den Starken zu schützen? Solche Gesetze aber drücken dem Starken die schärfsten und schneidigsten Waffen in die Hand gegen Schwache und Wehrlose.
Wie sorgen die Väter unserer Zeit durch die Gesetze für die Erziehung ihrer Töchter?
Man gebe sich die Mühe, Mädchenschulen kennen[100] zu lernen und staune über die Leistungen dieser Institute. Und diese kümmerlichen Mädchenschulen kosten dreimal so viel als das beste Gymnasium für Knaben. Der Preis beträgt z.B. in Berlin für eine sogenannte höhere Töchterschule vierteljährlich 18 Thlr., für ein Gymnasium 6 3/4 Thlr.
Eine etwas starke Stelle in einer englischen Zeitung, der North British Review, lautet: Wir ziehen das weibliche Geschlecht auf wie das Vieh, ohne für dasselbe zu sorgen wie für das Vieh. Wir nehmen die schlimmsten Bestandtheile der barbarischen und der civilisirten Welt und verarbeiten sie zu einem heterogenen Ganzen etc.
Die Erziehung der Mädchen gilt im Allgemeinen für ziemlich unwesentlich. In der Manchester-Freischule in England wurde eine große Anzahl verwahrloster Knaben aufgenommen und der Obhut der Schule anvertraut. Die Schwestern dieser Knaben überließ man auf der Straße ihrem Schicksal. In einer früheren Schrift habe ich schon erwähnt, daß, wenn in England Vermächtnisse für erziehlige Zwecke hinterlassen wurden, männliche Anwälte dieselben nur zu Gunsten der Knaben verwendeten, indem sie die Existenz der Mädchen vollständig ignorirten.
In der letzten Parlaments-Session in England mußte die »Maried Women's Property Bill« (Bill[101] über das Eigenthum verheiratheter Frauen) sechs Mal ausgesetzt werden, weil von 656 Mitgliedern nicht 40 ihre Gegenwart bei der Diskussion für werth erachtet hatten, ein Beweis von der zarten Fürsorge der Männer für das Interesse der Frauen.
Ernest Legonvé, durchaus kein Anhänger der Frauenemancipation, sagt, nachdem er von der ehemaligen traurigen Lage der Frauen gesprochen hat: »Und was sollen wir von der Gegenwart sagen? von gestern, von heut? Für das Mädchen giebt es keine öffentliche Erziehung, keinen professionellen Unterricht; für sie ist keine Existenz möglich ohne Ehe und keine Ehe ohne Mitgift. Als Gattin hat die Frau keine Verfügung über ihr Eigenthum, keine über ihre Person, sie kann nicht geben, sie kann nicht empfangen – ewige Unmündigkeit ist ihr Loos. Als Mutter hat sie nicht das legale Recht, die Erziehung ihrer Kinder zu leiten.
Sie kann sie weder verheirathen, noch sie verhindern sich zu verheirathen, noch sie aus dem elterlichen Hause entfernen, noch sie darin festhalten. Als Mitglied der Bürgerschaft kann sie weder Vormünderin einer Waise sein, noch Theilnehmerin eines Familienrathes, noch Zeuge bei einem Testament. –
Welche Klasse unter den Arbeitern ist die elendeste? Die Frauen. Wer verdient 16 oder 18 Sous für[102] zwölfstündige Arbeit? Die Frauen. Auf wen fällt die ganze Last der natürlichen Kinder? Auf die Frauen. Wer trägt die ganze Schande aller der Fehler, die aus Leidenschaft begangen werden? Die Frauen.«
Es ist vielleicht geradezu kindisch, an Gerechtigkeit zu denken für eine Klasse, die ohne Einfluß und ohne Eigenthum ist. Armuth und Machtlosigkeit erzeugt stets Geringschätzung, es müßte denn die Natur des Menschen von Grund aus umgewandelt werden, das heißt, der Mensch müßte aufhören Mensch zu sein, um eine höhere Rangstufe auf der Stufenleiter lebendiger Wesen einzunehmen. Auf dem Stern des Jupiter mag ewige Gerechtigkeit wohnen, auf dem der Venus ewige Liebe. Auf dem Stern der Erde herrscht Eigennutz, Macht, Eifersucht und Kampf.
Wo die Interessen von Mann und Frau in Conflikt gerathen, da werden die Interessen der besitzlosen und einflußlosen Frauen aufgeopfert werden.
Ein englischer Schriftsteller hat die bemerkenswerthe Thatsache zur Kenntniß gebracht, daß keine Bill zum Vortheil der Frauen eingebracht worden ist, als von solchen Männern, die für das Stimmrecht der Frauen votirt haben.
Der Rechtszustand der Frauen ist noch heutigen Tages: benutzt und beschützt zu werden, so weit und[103] so lange es die Männer für gut befinden. Und wenn es eines Tages die Männer für gut befänden, den Frauen eine noch niedrigere Stellung anzuweisen, als sie heutigen Tages inne haben?
Unmöglich!
Unmöglich? Durchaus nicht!
Ein Theil der deutschen Männer-Nation hält Arthur Schopenhauer für den größten Denker des Jahrhunderts. Der große Napoleon ward von Mit- und Nachwelt angebetet.
Diese beiden Männer nun, die Götter oder Götzen des Jahrhunderts, stimmen fast wörtlich in ihrer Auffassung der Frauennatur überein. Ihnen ist die Frau eine Sache, ein Besitz, nichts als ein nothwendiges Werkzeug zur Fortpflanzung der Gattung und zur Lust des Mannes. Die Stellung der Frauen im Orient scheint ihnen die dem Frauenwesen einzig und allein entsprechende.
Wer die Anschauungen der genannten Genies näher kennen lernen will, der lese den Aufsatz Schopenhauers »über die Weiber« und Napoleons Memoiren von St. Helena.
Ich bewundere eine gewisse Schärfe und Consequenz in ihren Auffassungen. Das Zwittergeschöpf Weib, das zwischen Himmel und Erde schwebt, zwischen [104] Denken und Nichtdenken, wollte sich der Ganzheit ihrer Denkweise nicht einfügen. Sie erkannten vollkommen richtig, daß es sich hier handle um ein entweder – oder, daß diese Melusinennaturen, diese Undinen und Nebelgestalten, diese Sphinxe, mit einem Wort das moderne Weib, in das Reich der Mährchen, der Träume, der Poeten gehöre, in der Wirklichkeit aber keinen Platz finde. Mit der Energie consequenter Geister mußten sie zu dem Resultat kommen: »Entweder ist das Weib ein ganzer Mensch und damit vollberechtigt, in den Genuß aller Menschenrechte zu treten, oder sie ist weniger als ein Mensch, nur ein Werkzeug zur Erhaltung des eigentlichen Menschen, des Mannes«. Sie entschieden sich für das Letztere.
Wären die Beziehungen dieser beiden Männer zu Frauen anderer Art gewesen, als sie gewesen sind, sie würden vielleicht zu entgegengesetzten Resultaten gekommen sein.
Die Art dieser Beziehungen zu untersuchen, ist hier nicht der Ort, ich will nur daran erinnern, daß Schopenhauer – und gewiß aus sehr guten Gründen – ein vollkommner Weiberfeind gewesen ist.
Und könnte es nicht geschehen, daß noch einmal ein Kaiser, gleich dem großen Napoleon, an die Spitze der Nationen träte und könnte es nicht geschehen, daß [105] ein Schopenhauerianer ihm als Cultusminister zur Seite stände!
Armes Weib, dann könntest du getrost über die Pforte deines Lebens die Worte schreiben, die Dante über dem Eingang zur Hölle las.
Der Code Napoléon trägt Spuren der zärtlichen Gesinnung seines Verfassers gegen das Geschlecht der Weiber.
Und die Frauen sollten vor der Möglichkeit einer noch tieferen Herabwürdigung ihres Menschenthums nicht erbeben! Sie sollten sich krümmen unter den Scorpionenstichen der Verachtung, sie sollten sich nicht zu schützen versuchen, auf legitime Weise, durch die Theilnahme an der Gesetzgebung, vor den Ausgeburten solcher Großgeister-Consequenzen, vor einem solchen Delirium des Männerstolzes!
Der Grundbegriff, der das Verhältniß der Geschlechter zu einander bestimmt, ist derselbe heut wie vor Tausenden von Jahren. Er ist derselbe in der Nacht der Barbarei unter den asiatischen Völkern und bei den erleuchtetsten Nationen Europa's. Dieser Grundbegriff heißt: Gehorsam. Gehorsam des Weibes gegen den Mann.
Alle socialen Einrichtungen, alle Sitten und Gesetze hier und dort, damals und jetzt, sind nichts als [106] eine Illustration des Bibelspruchs: Er soll dein Herr sein.
Das indische Gesetzbuch befiehlt der Frau, ihrem Gatten zu gehorchen und ihn wie einen Gott zu verehren, auch wenn er ein Bösewicht sei. Der deutsche Geistliche schärft der knieenden Braut ein, ihrem Gatten zu gehorchen, und er schärft es ihr ein, kraft seiner amtlichen Pflicht, auch wenn er weiß, daß der vor ihm knieende Bräutigam ein Schurke ist.
So heißt Gehorchen für die Frau: Gehorsam sein auch der Bosheit, der Niedertracht, so heißt Gehorchen für sie: Ersticken die Stimme des Gewissens, auslöschen das Licht des Geistes.
Wehe der Frau, die in dieser Weise gehorcht. Sie verschreibt ihre Seele dem Bösen. Gehorsam gegen das Schlechte ist eine Todsünde.
Zweiter Grund: Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht.
In der letzten Parlamentssitzung verwirft Mr. Chaplin das Frauenstimmrecht, weil bis jetzt noch Millionen von Frauen vom Stimmrecht nichts wissen wollen.
Wahrscheinlich hat das englische Parlamentsmitglied aus seinen Studien der allgemeinen Weltgeschichte in Erfahrung gebracht, daß von jeher, wo es sich um [107] weltbewegende Principien, um Revolutionen, um durchgreifende Reformen oder um neue Religionen handelte, die Bewegung damit begann, daß die ganze Masse des Volkes sich für die Verwirklichung der betreffenden Ideen einmüthig erhob.
Andere Leute dagegen, die nicht die Ehre haben, im englischen Parlament zu sitzen, wollen bemerkt haben, daß eine neue Lehre oder ein neues Princip, sei es auf religiösem, auf politischem oder auf socialem Gebiet, im Anfang stets nur eine kleine Zahl von Jüngern zählte – nur zwölf Apostel folgten Christo. Sie wollen bemerkt haben, daß oft Jahrzehnte, ja mitunter Jahrhunderte vergehen, ehe der Sauerteig der neuen Gedanken die träge Masse durchdrungen hat, und daß dieser Prozeß sich um so langsamer vollzieht, je universeller und je gewaltiger der Umschwung ist, den die neue Lehre zu bewirken hat.
Indessen mit der Zeit wird jede Minorität zur Majorität. Die Zustimmung Aller aber ist das Ende und nicht der Anfang einer revolutionairen Bewegung.
Schließlich freilich werden immer noch solche übrig bleiben, die nicht frei sein wollen. – Heine theilt uns aus der Gesetzgebung des Mose mit: Wollte ein Sklave, den das Gesetz endlich befreite, durchaus nicht das [108] Haus des Herrn verlassen, so befahl Moses, daß der unverbesserliche servile Lump mit dem Ohr an den Thürpfosten des herrschaftlichen Hauses angenagelt würde und nach dieser schimpflichen Ausstellung war er verdammt, auf Lebenszeit zu dienen.
Uebrigens steht die Thatsache nicht fest, daß die Majorität der Frauenwelt das Stimmrecht zurückweist.
In den vereinigten Staaten Amerika's möchten sich wenige intelligente Frauen finden, die die Erlangung des Stimmrechts nicht für wünschenswerth halten. Unter der weiblichen Intelligenz Englands sind die Anhängerinnen desselben außerordentlich zahlreich.
Mr. Kirkman Hodgson, ein Vertreter von Bristol, hat bis vor Kurzem gegen die politischen Rechte der Frauen gestimmt. Als am 18. December eine Deputation von Damen sich an ihn wandte, antwortete er, er glaube nicht, daß die Frauen das Stimmrecht wünschten. Indessen, fügte er hinzu, wolle er seine Opposition aufgeben, wenn man ihm die Unterschriften der Hälfte der nach englischem Census wahlberechtigten Bürgerinnen von Bristol, deren Zahl 1,300 beträgt, bringen würde. Diese 650 Unterschriften seien Alles, was er verlange. Noch vor dem Beginn der Wahl hatten die Damen, trotzdem sie vielfach anderweitig beschäftigt [109] waren, 1,240 Unterschriften gesammelt. Mr. Hodgson gestand in ehrenhafter Weise seine Niederlage ein und erklärte, in Zukunft für die politischen Rechte der Frauen stimmen zu wollen.
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Theil der Frauenwelt, in Deutschland sicher die Majorität, keinen Werth auf die Erlangung politischen Einflusses legt. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Theilnahme an der Abfassung der Gesetze für die Frauen entbehrlich ist. Sicherlich haben die Neger niemals die Civilisation gefordert und die Orientalinnen haben bis jetzt noch keine Sehnsucht nach der monogamischen Ehe an den Tag gelegt. Nichtsdestoweniger wird Niemand Sklaverei und Polygamie für verehrungswürdige Institutionen erklären, und Jedermann wird zugeben, daß die Civilisation der Barbarei und die Monogamie der Polygamie vorzuziehen sei. Der Werth dieser Güter würde den Betreffenden sofort einleuchten, wenn man sie in den Genuß derselben setzte. Wer zur Knechtschaft erzogen ward, wie Sklaven und Frauen, wird nur langsam den unermeßlichen Werth der Freiheit erkennen lernen. Und wenn man die große Abhängigkeit der Frauen erwägt, so ist die stattliche Zahl der Anhängerinnen des Stimmrechts immerhin sehr beachtenswerth.
[110] Es mag Kreise und Gemeinden von Männern geben, wo durchschnittlich weniger als die Hälfte derselben zum Wahltische gehen. Hier hätte sich also die Majorität gegen das Wahlrecht ausgesprochen und es müßte diesen Kreisen und Gemeinden das Stimmrecht entzogen werden. Wer denkt daran!
Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewaltthat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.
Die Motive, welche die Frauen bewegen, sich entweder direkt gegen das Stimmrecht ihres Geschlechts aufzulehnen oder sich wenigstens der Frage gegenüber indifferent zu verhalten, sind sehr einfache und sehr klare.
Erstens: Die große Menge der Menschen, alle beschränkten und mittelmäßigen Köpfe huldigen niemals einer Idee oder einer Vorstellung, die noch keinen Cours in der öffentlichen Meinung, die ihren tour du monde noch nicht gemacht hat. Die Mehrzahl der Menschen weicht keinen Fingerbreit ab von der Meinung, die in ihrem Lande, in ihrer Generation oder in ihrem Städtchen üblich ist. Sie ist zufrieden in ihrer honorablen Mittelmäßigkeit und bei dem schläfrigen Trab auf der ausgefahrenen Chaussee herkömmlicher Sitten duselt sie gemächlich aus dem Diesseits in das Jenseits [111] hinüber. An der Autorität zu kleben, ist und wird immer sein die Religion aller Schwachköpfe, aller Denkfaulen und aller glaubensstarken Gemüther. Die Vorstellung einer selbständigen Frau ist zu neu, die Tragweite dieser Idee ist zu unermeßlich, als daß die Majorität sie begreifen, geschweige denn ihr zustimmen sollte.
Aber sind alle Sitten deshalb, weil man sie allgemein acceptirt hat, über jede Anklage erhaben? Soll die Gegenwart immer in die Fußtapfen der Vergangenheit treten? Sind wir Automaten, die nur äußerlich durch eine Maschinerie angelernter socialer Glaubenssätze, die frühere Jahrhunderte für uns construirt haben, fortbewegt werden?
Nein, die Zeit heiligt nichts, und jeder Glaube hat nur eine individuelle, eine an Zeit und Ort gebundene Heiligkeit.
Die größten Güter, die im Laufe der Jahrhunderte erlangt worden sind, wurden uns durch das Streben solcher zu Theil, die Ideen verwirklichen wollten, die ihrer Zeit unerreichbar waren. Nie wäre Großes geschehen, wenn nicht Menschen voll göttlichen Instinkts ihren Seherblick voraus in die Zukunft geschickt hätten, wenn nicht kühne Pioniere des Geistes vorgedrungen wären in noch unerforschte Gedankengebiete.
[112] Zweitens: Es werden nicht folgen der Fahne der Frauenfreiheit alle diejenigen Frauen, die, gleichviel ob dumm, klug oder geistreich, lieblosen Gemüths sind. Diejenigen, die sich in einer behaglichen äußeren Lage befinden und mit einer hinreichenden Quantität Egoismus ausgerüstet sind, werden sich hüten, für Andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, denn sie wissen es wohl: Conflikte mit den Mitmenschen sind sehr unangenehme, und Gemüthsruhe, gute Diners, Badereisen und Theaterlogen sehr angenehme Dinge.
»Ich habe Alles was ich brauche«, sagt die Frau an der Seite eines liebevollen Gatten, zu dessen hervorragenden Eigenschaften ein wohlgefülltes Portemonaie gehört.
– Gewiß, meine Gnädigste, aber darum handelt es sich ja gar nicht, es handelt sich um die Gattin jenes Trunkenboldes, der in bestialisch er Rohheit das zitternde Weib zu Boden schlägt und sie und das Kind, um seinem Laster zu fröhnen, dem Hungertode preisgiebt. Es handelt sich um jenes junge Mädchen, das seiner Natur Gewalt anthut und zur Ehe schreitet mit dem ungeliebten Mann um der Versorgung willen, um dem Elend eines leeren und einsamen Daseins zu entgehen. Es handelt sich um jene alte Jungfer, die Tag für Tag über ihre Nadel gebeugt freund- und [113] freudlos durch das Jammerthal der Erde schleicht. Ach, es handelt sich um noch viele andere, gnädige Frau, von denen Sie nie etwas wußten und nie etwas wissen wollen.
Auf das höchste und schönste aller Gebote: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, hat der Egoismus des Menschen noch immer die Antwort der Indifferenz in Bereitschaft gehalten: »Herr, soll ich meines Bruders Hüter sein!«
In England giebt es Frauen, die sich in der günstigsten äußeren Lage befinden und die sich dennoch durch ihren Eifer im Kampf für die Frauenrechte auszeichnen. Das sind Frauen von unantastbar reinem und edlem Charakter, das sind Frauen wie Mary Sommerville, die Mathematikerin, Florence Nightingale, Harriet Martineau, Miß Burdett Coutts und andere mehr.
Drittens: Dem zu widerstreben, von dem man abhängt, erfordert ein muthiges Herz, eine freudige Ueberzeugung. Frauen aber hängen von ihren Männern ab. Wieviel Frauen in Deutschland mögen im Besitz von Gatten sein, die das Stimmrecht der Frauen begünstigen?
Wenn wir heut eine Versammlung zur Förderung politischer Frauenrechte ausschrieben, so würden Hunderte [114] von Frauen, die mit uns einverstanden sind, daheim bleiben, weil ihre Männer nicht wünschen, daß sie einer solchen Versammlung beiwohnen. Sie würden daheim bleiben aus Furcht vor ihren Herren, oder um des lieben Friedens willen, oder um durch ihren Gehorsam dem Gatten dies oder jenes abzuschmeicheln.
Das Stimmrecht werden viertens nicht begehren im Großen und Ganzen die Frauen des Volks, weil es ihnen an Einsicht und Bildung fehlt, und weil im Allgemeinen bei den Unwissenden die Vorurtheile noch stärker wirken als bei den Gebildeten. Die Frauen aus dem Volke vermögen nicht zu erkennen, warum sie für sich den Tisch des Lebens nicht gedeckt finden. Wenn die Proletarierfrau unter den wuchtigen Schlägen des betrunkenen Gatten sich krümmt, so weiß sie nicht, daß das Gesetz die Mißhandlungen dieses Kerls legitimirt. Wenn die Frau, die in wilder Ehe mit dem Manne lebt (nicht nach ihrem, sondern nach seinem Willen, wie gern wäre sie sein rechtmäßiges Weib) von diesem Manne hülflos auf die Straße geworfen wird mit ihren Kindern, so ist sie sich nicht bewußt, daß die Gesetze auf seiner Seite stehn. Ein französisches Journal brachte vor einiger Zeit folgende bezeichnende kleine Historie zur Kenntniß: Eine Frau wurde von dem Manne, mit dem sie lange Zeit gelebt hatte, aus der [115] gemeinschaftlichen Wohnung gestoßen. Ohne Existenzmittel blieb ihr kein anderer Ausweg als Gift. Das Gift im Leibe schlich sie sich heimlich in das frühere Zimmer, von dem sie den Schlüssel behalten hatte, zurück, um dort zu sterben; aber ihr Gefährte betrat bald darauf mit einer neuen Geliebten das Zimmer. Er schleppte die Sterbende auf die Straße und sie verschied in der Gosse.
Dieser Mann war vollkommen in seinem Recht, als er das Weib, dessen er satt war, auf offener Straße sterben ließ. Der Mann ist stets im Recht, wenn er seine natürlichen Kinder verleugnet und so vieler Maitressen sich bedient, unbekümmert um ihr späteres Schicksal, als seine rohe Sinnlichkeit begehrt. Die halbwahnsinnige Kindsmörderin ahnt nicht, daß die Gesetze sie bewahren könnten vor der entsetzlichen That, an der ihre Seele oft genug keinen Antheil hat.
Wir haben zugegeben, daß ein großer Theil der Frauenwelt vorläufig das Stimmrecht nicht begehrt. Folgt aber daraus, daß die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, denen überlegen sind, die es wollen? Gewiß nicht. Ebenso wenig wie die Männer, die von ihren politischen Rechten keinen Gebrauch machen, denen überlegen sind, die am Staatsleben theilnehmen.
Haben aber unsere Gegner recht und die Frauen [116] im Großen und Ganzen wollen wirklich das Stimmrecht nicht, so bedarf es keiner Maßregeln, sie auszuschließen.
Wer brauchte je Gesetzesbestimmungen, um Jemand zu zwingen seiner Neigung zu folgen!
Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht. Ich begreife, daß es erfreulich sein mag, sehr erfreulich für den, der herrscht, anzunehmen, daß der Beherrschte glücklich ist zu gehorchen.
Den guten Damen aber, die das Stimmrecht nicht wollen, bieten die Männer als Aequivalent ihre ritterliche Huldigung an, mit deren Entziehung sie den politischen Weibern drohen.
Also – vorgesehen, ihr Emancipirten! Wenn Euch ein Cavalier im Concert etwa, oder in einer Gesellschaft einen Stuhl angeboten hat, und Ihr wollt Euch darauf setzen und er erfährt noch zur rechten Zeit, daß Ihr das Stimmrecht fordert, so zieht er Euch den Stuhl vor der – Nase wieder fort und stehend mögt Ihr Euren schwarzen Charakter bereuen.
Uebrigens scheint mir die Wirkung dieses Schreckmittels einigermaßen problematisch, in Anbetracht der Erfahrung, daß angebotene Stühle und Arme, Regenschirme und Eckplätze in Eisenbahncoupee's doch nur hübschen jungen Damen zu Theil werden, während die [117] Unbequemlichkeiten, die alte Jungfern und Frauen, die nicht mehr jung und hübsch sind, zu leiden haben, das starke Geschlecht zu Ritterdiensten anzuspornen nicht geeignet sind.
Diese Frauen also – und sie sind in der Majorität – werden von der Frage gar nicht tangirt und können der Drohung spotten.
Dritter Grund: Die Frauen haben nicht die Fähigkeit das Stimmrecht auszuüben.
Dieses Argument ernsthaft zu erörtern erläßt man uns wohl. Es giebt keine körperlichen und geistigen Eigenschaften, die in irgend einem Lande Bedingungen des Wahlrechts wären. Die Schwachen und Kranken, die Krüppel, die Dummen und die Brutalen, in Amerika der noch uncivilisirte Neger, sie alle sind wahlberechtigt. Vollends dem allgemeinen Wahlrecht gegenüber ist dieser Vorwand einfach absurd. Jede Frau, die schreiben und lesen kann, steht an Fähigkeiten über dem Mann, der diese Kunst nicht versteht.
Man frage die Juristen Englands. Schwerlich würden diese Herren den Satz von der Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts ohne Scham und Erröthen zu vertheidigen im Stande sein, nachdem jüngst zwei englische Damen, trotz der Concurrenz zahlreicher männlicher Mitbewerber die beiden ersten juristischen Preise in [118] England davon getragen haben. Seit Jahren werden in England Frauen in der Telegraphie verwandt. Der letzte Verwaltungsbericht hat ihre Superiorität über die Männer in diesem Berufe öffentlich anerkannt.
Der Governor Campbell von Wyoming (des ersten amerikanischen Staats, der den Frauen das Stimmrecht gewährt hat) stattet an die gesetzgebende Versammlung des Territoriums von Wyoming einen befriedigenden Bericht über die politische Wirksamkeit der Frauen ab. Er sagt: »Vier Jahre sind es her, seit dem die erste gesetzgebende Versammlung zu W. das Experiment gewagt hat, den Frauen bei den Regierungsangelegenheiten eine Stimme zu verleihen. Ich habe schon einmal die Gelegenheit wahrgenommen, mich über die Weisheit und Gerechtigkeit dieser Maßregel zu äußern und meine Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß die Resultate dieser Maßregel als durchaus günstige zu bezeichnen sind. Zwei weitere Jahre der Beobachtung in Bezug auf das praktische Wirken der neuen Theorie haben die Ueberzeugung bei mir nur vertiefen können, daß dasjenige, was wir gethan haben, wohlgethan gewesen ist.«
Ueber die Art des weiblichen geistigen Unvermögens, [119] die Ausübung des Stimmrechts betreffend, ist man übrigens auf Seiten unserer Gegner sehr verschiedener Meinung. Mr. Newgate, ein streng conservativer Herr, fordert bei einer früheren Gelegenheit das Haus auf, das Stimmrecht der Frauen als eine ultraradikale Maßregel zu verwerfen, während Mr. Godwin Smith, ein vorgeschrittener Liberaler, seine Zuhörer folgendermaßen haranguirt: »The question, wether female suffrage on an extented scale is good for the whole community, is probatly, identical, practically speaking with the question, wether is good for us, to have free institutions or not. Here can be little doubt, that in all cases, if power were put into the hands of the women free governement and with it liberty of opinion would fall«. (Die Frage, ob das Frauen-Stimmrecht in ausgedehnterem Maße gut ist für das allgemeine Beste, ist, um praktisch zu reden, wohl identisch mit der Frage, ob freie Institutionen für uns gut sind oder nicht. Darüber kann kein Zweifel sein, daß in allen Fällen, wo die Macht in die Hände der Frauen gegeben wird, eine freisinnige Regierung und damit die Freiheit der Meinung zu Grunde gehen würde.)
So weisen also die Conservativen die Frauen ab,[120] weil sie zu liberal, die Liberalen, weil sie zu conservativ stimmen würden.
Auf wessen Seite ist nun in diesem Conflikt der Meinungen die so berühmte männliche logische Denkkraft? –
Viertens: Die Frau wird durch ihr Geschlecht selbstverständlich von jeder politischen Aktion ausgeschlossen.
Die Frau hat keinen Anspruch auf politische Rechte, weil sie ein Weib ist. Selbstverständlich, so selbstverständlich wie der Satz 2 x 2 = 4.
Wer sagt das?
Der Mann.
Wie beweist er es?
Es bedarf keines Beweises, weil dieser Begriff eine den Männern von Gott eingeborene Idee ist.
Wer aber auf einen Beweis besteht, dem stellen wir unsere Gefühle entgegen, die die Vorstellung einer politisch emancipirten Frau mit aller Energie abweisen, und die Stimme des Gefühls ist die Stimme Gottes.
Aber welche Gefühle, worauf sind diese Gefühle gegründet?
Auf Vernunft und Gerechtigkeit oder auf Vorurtheil und Egoismus? Das zu untersuchen ziemt sich.
Euer Gefühl empört sich. An die Mission des [121] Weibes im Hause glaubt ihr wie an Gott selbst, oder noch mehr; der intensivste, feurigste Glaube aber, die höchste moralische Extase, wenn sie nicht mit unfehlbaren Gründen bewiesen werden, wie sollen sie für mich Beweiskraft haben? Die Vernunft spottet aller Inbrunst des Glaubens, sie reißt die Gestirne aus ihren Bahnen, die das Vorurtheil ihnen vorgezeichnet, sie hat siegreich gekämpft mit Drachen, Riesen und Teufeln, sie stürzt Götter von ihren Thronen. Vor ihrem siegenden Strahl wird auch der uralte Glaube an die Sphäre des Weibes dahinschwinden.
»Weil sie ein Weib ist.«
Was heißt das, ein Weib sein?
Das heißt eine andere körperliche Bildung besitzen, wie der Mann. Die Differenz der geistigen Vermögen der beiden Geschlechter ist vorläufig unbestimmbar, und die Männer, die Eigenthümer der Schöpfung thäten wohl, noch ein wenig zurückzuhalten mit ihrer Exmissionsklage gegen die politischen Gedanken, die eine Frau in ihrem Gehirnlokal etwa einquartiert hat. Sie thäten wohl, mit dieser Anklage zu warten bis wissenschaftliche Begründung an die Stelle getreten ist jenes marktschreierischen Affichirens subjectiver Inspirationen als wissenschaftliche Wahrheit, jenes metaphysischen Alt-Philosophengeschwätzes, jener poetischen [122] Apercü's und Traditionen der Phantasie, die noch immer an der Tagesordnung sind, wo es sich um Natur und Eigenart des Weibes handelt. Vorläufig müssen wir annehmen, daß ein Geschlecht, welches, wie Fourier hervorhebt, verhältnißmäßig mehr große Königinnen aufzuweisen hat, als Männer große Könige, des politischen Sinnes keineswegs baar ist.
Wollte man das Princip, daß eine verschiedene Körperbildung nothwendig ein verschiedenes moralisches und geistiges Vermögen bedinge, gelten lassen, wo wäre da die Grenze zu ziehen?
Wir könnten ebenso gut den Aberglauben acceptiren, alle Buckligen hätten sich, als von Gott gezeichnete, in das Dunkel des Privatlebens zurückzuziehen, alle Lahme seien Verwandte Beelzebubs, alle Rothhaarigen Verräther und alle Schwarzen – Sklaven. Und in der That, in finstren Zeiten des Mittelalters hat man von physischen Besonderheiten auf moralische Beschaffenheiten geschlossen. Im frühen Mittelalter wurden in Frankreich Frauen, die Zwillinge gebaren, als des Ehebruchs überführt, zum Tode verurtheilt. Alte Weiber wurden haufenweis um rothgeränderter Augen willen als Hexen verbrannt. Man hat behauptet: die Frau, welche Zwillinge zur Welt bringt, ist des Ehebruchs schuldig. Man behauptet: die Frau, weil sie überhaupt Kinder zur Welt bringt, ist mit politischer Impotenz [123] behaftet. Das Gedankenprincip in diesen beiden Vorstellungen ist dasselbe: Einem physischen Vorgang wird willkürlich eine sittliche oder geistige Basis gegeben. Weil die Frauen Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben.Ich behaupte: weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben und ich finde die eine Behauptung mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere.
Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Weib bist! Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Jude bist! hat die menschliche Gesellschaft Jahrhunderte lang den Juden zugerufen. Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Sudra (Mann aus dem Volke) bist, dekretirt das indische Gesetzbuch, und so du dich um Politik bekümmerst, wirst du schwer bestraft. Du hast keine politischen Rechte, weil du schwarz bist und ein Neger, spricht der Sklavenhalter zu seinem Sklaven, und weil du schwarz bist, darum bist du mein Sklave und deine Kinder gehören mir und ich darf sie verkaufen.
Warum?
Weil Du schwarz bist. Was ist ein Neger? was ist ein Jude? was ist ein Weib? was ist ein Sudra?
Unterdrückte Menschen.
Unterdrückt von wem?
[124] Von ihren Brüdern, die stärker sind als sie.
Kain und Abel!
Abel fiel als erstes Opfer im Kampf um's Dasein. So stirbt vielleicht erst mit dem letzten Menschenpaar der letzte Kain, der letzte Abel?
Nicht nur um die Unterschiede der Geschlechter festzustellen ist man zu den absurdesten Ideen gekommen, man hat auch von jeher die merkwürdigsten Erfindungen ersonnen um den Unterschied der Stände festzuhalten. So durfte z.B. vor der französischen Revolution der dritte Stand, um ihn als solchen zu erkennen, keine Tauben halten.
Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil sie Mutter und Pflegerin des Kindes ist, und vor dieser heiligen Pflicht keine andere Thätigkeit bestehen kann.
Eine tiefsinnige Auffassung. Als ob die beste Mutter diejenige wäre, deren ganzes Thun und Denken in dem Kinde aufgeht. Als wäre der der beste Jurist, welcher sein Lebenlang nur juristische Bücher liest, oder der der beste Arzt, welcher nichts thut als Leichen seciren und Arzneikunde studiren. So gewiß das einseitige Studium eines ganz beschränkten Faches nur verbohrte Gelehrte oder wissenschaftliche Handwerker produciren wird, so gewiß wird auch in den meisten Fällen die Frau deren ganzes inneres Leben sich um Küche [125] und Kind dreht, mit jener blinden Mutterliebe und jenem beschränkten Dusel behaftet sein, die selten dem Kinde wohl thun, ihm aber desto öfter Seele und Körper schädigen.
Der bedeutendste der amerikanischen Quäker berichtet als die allgemeine Erfahrung, daß diejenigen weiblichen Mitglieder, die im öffentlichen Leben am meisten leisten, sich auch als die besten Gattinnen und Mütter erweisen.
Sehr natürlich. Je harmonischer eine Frau ihre Kräfte entwickelt, je mehr sie die Veredlung ihrer Gesinnung, ihres Gesammtwesens anstrebt, je besser wird sie auch ihre Mutterpflichten erfüllen. Was im Allgemeinen wirkt, wirkt auch im Besondern. Je höher sie als Mensch steht, je höher als Mutter.
O über dieses Geschwätz von der Sphäre des Weibes, den Millionen Frauen gegenüber, die auf Feld und Wiese, in Fabriken, auf den Straßen und in Bergwerken, hinter Ladentischen und in Bureaus im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot erwerben.
Wenn die Männer vom weiblichen Geschlecht sprechen, so haben sie dabei nur eine ganz bestimmte Klasse von Frauen im Sinn: Die Dame. Wie nach dem bekannten Ausspruch jenes bekannten österreichischen Edelmannes der Mensch erst bei dem Baron anfängt, [126] so fängt bei den Männern das weibliche Geschlecht erst da an, wo es Toilette und Conversation macht und Hang zu Liebesintriguen und Theaterlogen verräth.
Geht auf die Felder und in die Fabriken und predigt eure Sphärentheorie den Weibern, die die Mistgabel führen und denen, deren Rücken sich gekrümmt hat unter der Wucht centnerschwerer Lasten! Könnt ihr allen Frauen ein behagliches Daheim schaffen und einen Mann, der für sie sorge? Nein – ihr könnt es nicht. Seid ihr Sphärenanbeter auch alle, alle verheirathet und habt ihr allesammt arme Mädchen geheirathet, um der Versorgung des weiblichen Geschlechts Rechnung zu tragen? Nein, ihr habt es nicht gethan. Nun denn, aus dem Wege mit Euch, Ihr Sphärenfabrikanten, gebt Raum und Luft für die Millionen, an Geist und Körper gesund gebornen Geschöpfe, die da verkümmern, weil sie Frauen sind!
»Ich kümmere mich sehr wenig um die politischen Rechte«, schrieb kürzlich eine arme Frau an einen Deputirten, der gegen das Frauenstimmrecht eine Rede gehalten, in der er dem erhabenen Geschlecht mit vollen Händen Weihrauch gestreut hatte, »aber, mein Herr, haben Sie die Güte mir zu sagen, wie ich mein Brot verdienen kann, ohne von meinem Piedestal herabzusteigen.«
[127] »Ich habe über diese Frage noch nicht nachgedacht,« antwortete der naive Deputirte. Ist es wahr, was ihr behauptet, daß die Familie der Beruf der Frau sei und auf der Familie der Staat beruhe und sein Wohl, ist das eure aufrichtige Meinung und nicht blos eure Phrase, so schmäht und verachtet jeden unverheiratheten Mann als einen Hochverräther an der Natur und einen Uebelthäter am Staat und nimmermehr öffnet ihm die Pforten der Kammern.
Auf die höhnische Aeußerung eines Gegners der Frauenfreiheit, der da meinte, die Frauen würden künftig auf der Tribüne niederkommen, antwortete eine muthige Französin: »on n'accoucherait pas pour cela si souvent encore à la tribune qu'on accouche dans les wagons de troisième classe, à l'atelier et sur le pavé de nos rues.«
Häusliche Pflichten und politische Pflichten sind unvereinbar.
Wie edel, daß unsere Gesetzgebung sich so sehr gedrungen fühlt, die Weiber zu ihren häuslichen Pflichten anzuhalten! Warum aber sorgt die Gesetzgebung nicht auch dafür, daß der Mann seine Privat-und Berufspflichten erfülle? Und warum ordnet sie nicht an, daß jeder verheirathete Mann, sobald die Glocke zehn geschlagen hat, von einem Schutzmann nach [128] Hause geholt wird, und warum läßt sie nicht Clubs, Restaurants und andere schlimme Lokale zur Polizeistunde schließen, damit der Beamte, der Künstler oder der Kaufmann nicht etwa am andern Morgen durch Katzenjammer, einen Schnupfen und hypochondre Laune an der Ausübung seiner Berufspflichten verhindert werde?
Warum erdreistet man sich, zu glauben, daß die Frau, zur Freiheit gelangt, nichts Eiligeres thun würde, als ihre Pflichten zu verletzen, während man dem Manne gegenüber einem solchen Verdacht nicht Raum giebt!
Wer darf nach Gründen fragen, wo der stupide Glaube Gesetze diktirt!
Häusliche und politische Pflichten sind unvereinbar.
Die naiven Männer meinen nämlich, daß die Frauen deshalb so gut kochen und nähen, weil sie das Stimmrecht nicht haben, und in einem jeden mit dem Stimmrecht behafteten Weibe sehen sie im Geist das Urbild einer Confusionsräthin, der sie zutrauen, daß sie Zeitungsblätter anstatt Petersilie an die Suppe thut und daß sie die Fische, anstatt sie zu braten, politisch haranguirt. Zweifellos aber ist ihnen der Zusammenhang zwischen einem Deficit im Wirthschaftsgelde[129] und der Beschäftigung der Frau mit Steuer- und Budgetfragen.
Wie aber kommt es, daß der wissenschaftliche, industrielle oder künstlerische Beruf eines Mannes sich so wohl verträgt mit seiner politischen Thätigkeit? Hält man das Componiren unsterblicher Wagner'scher Opern, das Malen Kaulbach'scher oder Richter'scher Bilder, hält man das Verfassen umfangreicher gelehrter Bände und das aufregende Spiel an der Börse für weniger zeitraubende und unwesentlichere Beschäftigungen, als das Kochen, Nähen, Klimpern, Zanken und Kinderwaschen der Frauen? Und sind nicht diese Herren von der Feder, vom Pinsel und von der Börse stets bereit, ihren politischen Pflichten Rechnung zu tragen, ohne um dessentwillen weniger und schlechter zu dichten und zu malen, zu speculiren und zu meditiren?
Uebrigens hat in der That die Auffassung, als ob Staat und Politik nur die Politiker von Fach, die Minister, Geheim-, Hof- und sonstigen Räthe anginge, bis in unser Jahrhundert hinein lebhafte Vertretung in der öffentlichen Meinung gefunden.
In einem seiner Aufsätze zieht Börne bitterlich gegen einen solchen Obscuranten zu Felde, der behauptet hatte, der wissenschaftliche Geist müsse bei den [130] Gelehrten ganz ausbrennen und erlöschen, wenn sie sich mit bürgerlichen Angelegenheiten befaßten. »Indem«, sagt Herr Lehmann (diesen wenig aufregenden Namen führt Börne's Gegner), »unsre Philosophen sich in Staatswissenschaften werfen und auf der bürgerlichen Oberfläche der äußeren Freiheit umtreiben, vernachlässigen sie die rein wissenschaftliche Tiefe des freien Geistes, und so sind eben sie es, die eine Barbarei des Geistes über uns bringen; wer sie nun in diesem bürgerlichen Felde angreift, um solche Freiheiten ihnen zu beschneiden, ist dagegen eben der, welcher die eigentliche Barbarei begraben und die wahre Freiheit des Geistes erhalten will.« Börne sagt darauf unter andern: »Die so häufig ausgesprochene Unverträglichkeit des wissenschaftlichen Forschens mit der Theilnahme an bürgerlichen Angelegenheiten ist eine so plumpe Lüge, daß sich auch der schwachsinnigste Mensch nicht dadurch täuschen läßt. Cicero war trotz seiner Gelehrsamkeit ein so großer Bürgermeister als irgend einer unsrer Zeit, der diesen Fehler nicht hat. Cäsar schrieb trotz seiner Heldenthaten so gut als ein Professor in Breslau,« u.s.w.
Wir sehen, daß man dasselbe Argument, mit dem man die Frauen von den Wahltischen fern zu halten sucht, auch stets den Männern gegenüber zur Anwendung [131] gebracht hat. Es ist dasselbe Argument, mit welchem man in der antiken Welt den Plebejern die bürgerlichen Rechte vorenthielt.
Ja wohl, eine plumpe Lüge! Wenn es unweiblich ist zu stimmen, so ist es auch unweiblich, Steuern zu zahlen, so ist es unweiblich für eine Wittwe, ihre Kinder durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren, so ist es unweiblich, zu betteln u.s.w.
Gewohnheit macht Dinge so zur zweiten Natur, daß selbst das wärmste Herz und der weiseste Sinn ihre Sinnlosigkeit, ihre Härte und Ungerechtigkeit übersieht. Ein Beispiel die Sklaverei des Alterthums, an der die Besten ihrer Zeit keinen Anstoß nahmen.
Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil politische und wissenschaftliche Thätigkeit, weil die Entwickelung der Intelligenz die Frau derjenigen weiblichen Reize berauben dürfte, die in das Budget ihrer Lebensfreuden zu verrechnen die Männer das Recht zu haben glauben.
Diese Auffassung, consequent durchgeführt, endigt im Harem. Und in der That, besäßen alle Männer die großartige Wahrheitsliebe eines Schopenhauer, so würden sich unter den edlen Germanen, vorzugsweise unter Aristokraten, Gründern und ältlichen Herren eine erkleckliche Zahl christlicher Türken entdecken lassen.
[132] Diese perverse Richtung, die die Frau taxirt nach dem sinnlichen Reiz, den sie auf den Mann ausübt (Schönheit ist durchaus keine unerläßliche Bedingung dabei) ist eine große sittliche Calamität für die menschliche Gesellschaft, so lange die Frau von dem Manne abhängt, denn Abhängigkeit erzeugt stets die Neigung, sich dem anzubequemen, dessen Brot man ißt. Das beweisen geniale Schriftsteller aller Zeiten, die unter despotischen Regierungen sich zu Schmeichlern ihrer Herren und Gebieter herabwürdigten.
Sind es nun die sinnlichen Reize vorzugsweise und ein gewisser pikanter Chik, die der Mann an der Frau bewundert, so wird sich das Bestreben der Frau vornehmlich auf die Aneignung und Conservirung dieser Reize und ihrer pikanten Zuthaten richten.
Griechische Schriftsteller theilen uns mit, daß Cleopatra Oktavia nicht an Schönheit übertraf. Diese aber besaß außerdem alle Eigenschaften des Herzens und die edelste Gesinnung und doch stieß Antonius sie von seiner Schwelle und lebte und starb für Cleopatra.
Unter der Regierung des letzten Napoleon haben wir staunend mitangesehen, wie die Damen der höchsten Aristokratie in Kleidung, Haltung und Gebahren die Loretten copirten. Die Männer der höheren Gesellschaftskreise hatten begonnen, sich ausschließlich dieser [133] Frauenklasse zuzuwenden. Was blieb den Damen der Gesellschaft übrig? Sie lockten die Ungetreuen zurück, indem sie ihnen zuriefen: »Auch wir sind Loretten.«
Warum dem größeren Theil der Männer Geist und Charakter bei einer Frau unangenehm sind, liegt auf der Hand.
Ich hörte einmal wie ein junger Mann von einer Dame sagte: »Ich kann diese Frau nicht leiden.« Warum nicht? – fragte man ihn – weil sie nicht jung und nicht hübsch ist? »Das ist es nicht, ich komme mir immer ihr gegenüber so dumm vor.«
Widerwillig ertragen die Männer selbst die Superiorität von ihresgleichen.
Nur die Jugend erglüht gern in begeisterter Anerkennung. Wir wissen aus der Welt- und Literaturgeschichte, daß große Dichter und Denker oft genug für ihre Intimität untergeordnete Persönlichkeiten ebenbürtigen Geistern vorgezogen haben.
Und die Männer sollten die Superiorität einer Frau ertragen! So angestammt ist ihnen das Gefühl ihrer Geschlechtserhabenheit, daß die Röthe der Scham ihnen bei dieser Vorstellung in's Gesicht steigt.
Uebrigens bin ich weit entfernt leugnen zu wollen, daß die Einführung der Frau in politische und wissenschaftliche Berufskreise geeignet ist den Contrast zwischen [134] den Geschlechtern zu verringern und wer das Ideal der gegenseitigen Beziehungen der Geschlechter in einem pikanten Gegensatz sieht, in der Darstellung eines effektvollen Bildes, einer überraschenden Antithese, der hat Recht, jeder Aenderung der bestehenden Verhältnisse zu widerstreben, er hätte auch Recht sich für orientalische Zustände zu begeistern, denn dort treten die Geschlechtsunterschiede am schärfsten hervor, sind die Gegensätze am frappantesten. Nach solchen Auffassungen wäre die passendste Gattin für einen Gottesleugner eine bigotte Frau – um des Contrastes willen. Ein blinder Naturdrang müßte einen Blondin zu einer Brünetten ziehen – um des Contrastes willen. Ein Adler im Reich der Wissenschaft müßte einem Gänschen, ein Jähzorniger einer Taube oder einem Lamm und ein Wohlbeleibter einer hageren Dame sich zugesellen – Alles um des Contrastes willen. Das klingt äußerst outrirt, nicht wahr? Und doch werden wir in Wirklichkeit oft mit Ansichten über dasselbe Thema erquickt, die hinter dieser paradoxen Ausführung kaum zurückbleiben. Einer meiner Bekannten, ein junger gescheuter und begabter Künstler, hatte sich mit einem schönen und klugen Mädchen verlobt. Eines Tages sprach ihm eine Verwandte ihre Verwunderung darüber aus, daß er grade diesem jungen Mädchen seine Neigung zugewandt,[135] die jedes Kunstsinns baar, wiederholentlich ihre vollkommne Indifferenz gegen die künstlerischen Leistungen des Verlobten ausgesprochen hatte. Ohne Zaudern antwortete der junge Künstler: »Grade der Antagonismus unsrer Naturen, der frappante Gegensatz unsrer Geistesrichtungen, das ist es, was mich in so unerklärlicher und unwiderstehlicher Weise zu ihr hingezogen hat. Ich würde sie weniger lieben wenn sie mir ähnlicher wäre.« Dieser kluge Mann sprach in vollem Ernst und mit redlicher Ueberzeugung und er sprach wie ein Narr. Nicht im entferntesten fiel ihm ein, daß er sich in die junge Dame verliebt haben könnte um ihrer Schönheit, ihrer Jugend und ihres Geistes willen. Gott bewahre, er liebte sie, weil sie für alle Dinge, die ihn interessirten, kein Verständniß zeigte.
Gewiß ließe sich der jetzt bestehende Gegensatz zwischen den Geschlechtern nicht nur festhalten, sondern durch künstliche Vorkehrungen noch verschärfen und vertiefen.
Wie durch Züchtung bestimmte Thierarten producirt werden, so können wir uns auch eine gewisse geistige Züchtung denken, vermöge welcher einer Menschenklasse durch eine besondere Ernährung, eine besondere Erziehung und Lebensweise eine bestimmte, von [136] anderen Menschenklassen wesentlich differirende Physiognomie eingeprägt würde. Man glaubt gar nicht, wie man durch Kunst und Unvernunft der Natur zu Leibe gehen kann.
Den Höhepunkt eines solchen Contrastes hättedann jenes Volk erreicht, dessen ich bereits erwähnte, bei dem die Frauen eine andere Sprache sprechen als die Männer.
Wenn es heut hin und wieder vorkommt, daß berufsmäßig beschäftigte Frauen mehr Härten und Schroffheiten in ihrem Wesen zeigen als mit der Grazie vereinbar ist, so trägt die Schuld daran nicht der Beruf der Frau, sondern die Art und Weise, wie sie sich diesen Beruf hat erobern müssen im peinvollen Kampf mit dem Vorurtheil, im Conflikt mit der Gesellschaft. Bei der völligen Umgestaltung der socialen Verhältnisse, die wir im Sinne haben, verschwinden diese Conflikte und diese Kämpfe und mit ihnen jene unliebsamen Härten im Wesen der Frau.
Den Frauen soll das Stimmrecht vorenthalten werden, weil die Männer an politischen Frauen kein Gefallen finden. Die Männer mögen an den Frauen am meisten schätzen Unwissenheit, Naivetät, affektirte Munterkeit, elegant servirte Schaugefühle u.s.w.
Folgt daraus, daß diese Vorzüge auch das Glück[137] der Frau ausmachen? Keineswegs. Und darauf allein kommt es an was dem Weibe frommt, was zu seiner inneren und äußeren Förderung gereicht.
Daß die Männer im Allgemeinen geistig wenig begabte Frauen den intelligenten vorziehen, halten sie für eine vernichtende Kritik aller intelligenten Weiber und für einen Beweis, daß geistige Inferiorität das natürliche Element der Frau sei. Ihren Geschmack stempeln sie zu einem Naturgesetz. Kann die kindlichste Anmaßung weiter gehen?
Die Faseleien und Widersprüche der Männer, Frauenwesen betreffend, gehen in's Unglaubliche. So stellt sich Klemm in seiner »Geschichte der Frauen« die aus der weiblichen Sphäre getretene Dame folgendermaßen vor: »Diese Emancipirten, sagt er, streifen in männlicher Tracht umher, sie vertauschen den Strickstrumpf mit der Cigarre und theilweise die Nadel mit der Feder, um mit den Männern öffentlich über die socialen Fragen der Zeit, über den Staat und dessen zweckmäßigste Form zu unterhandeln, im geheimen aber die Zahl ihrer Liebhaber möglichst zu vermehren.« Derselbe Klemm aber erklärt alle Frauen für reizlos, die sich ihrer weiblichen Sphäre entäußert haben, solche Weiber seien den Männern ein Greuel u.s.w. Derartige Widersprüche zu deuten, solche Räthsel zu lösen, [138] darauf lassen sich diese tiefsinnigen Schriftsteller natürlich nicht ein. Eine Frau studirt die sociale Frage um sich Liebhaber zu verschaffen. Welch ein Apparat! Eine Fülle von Spaß liegt in diesem Ausspruch! Nach Klemm scheinen leichtsinnige Weiber es hauptsächlich auf Katheder- und sonstige Socialisten abgesehen zu haben; denn warum sollen sie wohl grade die sociale Frage studiren, warum nicht auch Sanskrit, oder römisches Recht oder Physiologie? Die sociale Frage als Liebestrank, ein origineller Titel für eine Farce. Guter, unschuldiger Herr Klemm, sollte es nicht für den Zweck der Anschaffung von Liebhabern viel einfachere und weniger zeitraubende Mittel geben als das Studium der socialen Frage?
Ein ebenso fanatischer Verehrer der weiblichen Sphäre wie Klemm, Bogumil Goltz, sagt in einem seiner Werke: »die romanische Frau ist herrschsüchtig, dünkelhaft, übermüthig, intriguant, mit wenig Spuren derjenigen Hingebung, Demuth und Bescheidenheit, welche nicht nur das Wesen der deutschen Frau, sondern der Weiblichkeit überhaupt ausmachen.«
Nun giebt es aber merkwürdigerweise auf diesem Erdenrund vielmehr romanische als deutsche Frauen. Und warum soll nun grade die deutsche Frau das Urbild eines Weibes sein! Ist denn unser Gott gleich dem Jehovah [139] der Juden, der sich ein kleines Volk erwählte und zu ihm sprach: »Du bist mein auserwähltes Volk.«
Und wann hat in dieser Angelegenheit der liebe Gott Herrn Bogumil Goltz zu seinem Vertrauten gemacht? Warum nimmt unser Dichter, in einer Zeit, wo die Majorität eine so gewaltige Macht ist, von dieser Majorität nicht die geringste Notiz! Der französische Historiker Michelet, dessen Seele förmlich von Idealität trieft, Michelet, ein Dichter, der mit seiner reinen Menschenliebe selbst seine bleichsten Chimären, seine schwindsüchtigsten Traumbilder wie mit einem Glorienschein verklärt, er meint, im Gegensatz zu Goltz, daß gerade die Französin das eigentliche Weib sei, und daß nur sie, sie allein einen Mann wahrhaft und lebenslang beglücken könne; daneben lobt er auch etwas geringschätzig die Deutsche.
Dergleichen originelle Offenbarungen und widerspruchsvolle Mannesworte, mit denen wir ganze Bände füllen könnten, zeigen wieder und wieder wie alles gedruckte Reden der Männer über Frauen nichts ist als Geschwätz, mitunter aufrichtiges, öfter verlognes, aber immer Geschwätz. Ueber die wahren Gründe desselben belehrt uns Stuart Mill klar und bündig indem er sagt: »die große Masse des männlichen Geschlechts kann die Idee nicht dulden ›with a equal‹ (mit einer gleichberechtigten [140] Persönlichkeit) am häuslichen Heerde zu sitzen und hier ist das Geheimniß seiner Opposition gegen das Recht der Frau in Staat und Kirche.« Der Mann sieht sich durch die modernen Bestrebungen der Frau als Oberhaupt der Familie bedroht. Die Einigkeit ehelichen Zusammenlebens wird, seiner Meinung nach, gestört, die Harmonie der Familie aufgelöst, wenn die Gattin eine andere politische Meinung vertritt als der Mann.
Das Stimmrecht der Frau, sagt er, ist das Grab der glücklichen Ehe. Frauen stimmen mit den Männern auch in vielen anderen Dingen als in politischen nicht überein, in ihren religiösen Auffassungen z.B. Warum legt man ein so großes Gewicht grade auf die Verschiedenheit politischer Ansichten zwischen Eheleuten?
Wenn ein Ehepaar glücklich sein kann, von dem der eine Theil den Papst für unfehlbar und der andere den ganzen lieben Gott für einen Humbug hält (der geistreiche französische Schriftsteller Pelletan sagt: »würde wohl der muthigste Lieutenant eine Frau heirathen, die nicht zur Messe geht?«) warum sollten nicht zwei Gatten glücklich mit einander sein, von denen der eine Bismarck anbetet, der andere die französische Commune hochschätzt!
[141] Von einem, durch politische Meinungsverschiedenheit gefährdeten Frieden, dürfte wohl nur da die Rede sein, wo beide Gatten Politiker von Fach wären, ein Fall, der doch immerhin zu den Ausnahmen gehören würde. Und übrigens ist es doch auch nicht Sache des Staates, sich um eheliche Zänkereien zu bekümmern. Wäre das seine Mission, so müßte er auch den Männern das Billard- und Kartenspielen, das Kneipen und Courmachen und ähnliche Dinge, die ebenfalls dazu angethan sind, das Glück der Ehe zu stören, verbieten und er müßte Sorge tragen, für das übereinstimmende Urtheil der Gatten in Betreff literarischer Productionen, und dafür, daß sie nicht etwa für die Meininger Schauspielkunst schwärme, während er fanatisch dagegen entbrannt ist u.s.w. u.s.w.
Die Gattin darf nur die Meinung des Gatten haben, das heißt, sie darf überhaupt keine Meinung haben, denn unsere aufrichtige und wahrhaftige Meinung hängt nicht von unserm Willen ab und von unserer Liebe für den Gatten, sondern von einem Denkprocesse, über den wir keine Macht haben, von unserm Gewissen, das keine Dressur zuläßt.
Nach dieser Auffassung verlieren also die Frauen in der Ehe ihre Seele, umgekehrt wie in jenem schönen [142] Mährchen, wo Undine erst durch Liebe und Ehe einer Seele theilhaftig wird.
Es steht geschrieben: Mann und Frau sollen eins sein! Der Sinn aber dieser heuchlerischen Sentenz ist: das Eine soll der Mann sein und die Frau hat nur Anspruch auf Existenz als sein Schatten oder seine Karicatur.
Noch einige Worte über die Verhandlungen des letzten Parlaments, das Frauen-Stimmrecht betreffend, gestatte man mir. Die Hauptsprecher unter den Gegnern waren Mr. James, Mr. Chaplin, Mr. Leatham und Mr. Newdegate.
Daß von einer eigentlichen Widerlegung der Argumente unserer Gesinnungsgenossen wiederum nicht die Rede war, braucht kaum erwähnt zu werden, denn die Taktik unserer Gegner bleibt stets dieselbe, die Taktik nämlich, hinter ödem Pathos und rhetorischen Trommelschlägen den völligen Mangel logischer Beweisführung zu verstecken, und dem Publikum mit Hülfe einiger Witze, Citate und einigen moralischen Gewinsels ihre antidiluvianische Weltanschauung für modern zu verkaufen.
Wir wohnen bei Fragen über Frauenangelegenheiten stets dem merkwürdigen Schauspiel bei, von Frauen streng logische Gründe zu vernehmen, während [143] die Männer auf einem Meer von Gefühlen, Instinkten und pietätvoller Gläubigkeit gemächlich und logiklos dahintreiben.
Wieder spielten in ihren Reden Adam und Eva eine Rolle, das Stimmrecht trat als Schlange auf, die das Paradies der Ehe zerstört und die Herren Leatham, Chaplin etc. nannten unverfroren ihre Gedanken die Gedanken Gottes und ihre Gefühle Offenbarungen der Natur.
Herrn Chaplin's Hauptargument, das mit lauten Cheers begrüßt wurde, läßt sich zusammenfassen in dem einen Worte: »Instinkt«. Er lehnt das Stimmrecht der Frauen ab, weil das Parlament nicht verwerfen könne: the collective wisdom of ages and the instinct of the whole human race. (Die gesammte Weisheit der Zeitalter und den Instinkt des ganzen Menschengeschlechts.)
In demselben Sinne äußert sich Mr. James: »When you speak of the unfitness of women for political life, it is not because their minds are some what different, it is because their habits and instincts prevent them from acting in these particular occupations« (weil ihre Gewohnheit und Instinkte sie an der aktiven Betheiligung solcher Berufszweige hindern.)
[144] Der Instinkt, nimmt man gemeiniglich an, finde nur auf niederen Gebieten seine Anwendung und könne sich nur auf Allgemeines beziehen. Wir sprechen von einem Instinkt der Selbsterhaltung, von einem solchen der Fortpflanzung, Mr. Chaplin aber kennt, wie es scheint, noch einen Special-Instinkt, der sich auf das Stimmrecht der Frauen bezieht.
Aber vielleicht interpretiren wir seinen Gedanken falsch und er hat bei seinem Ausspruch nur jenen allgemeinen Instinkt im Sinne gehabt, der die Unterordnung des Weibes unter den Willen des Mannes fordert, und als dessen Consequenz sich dann die Stimmrechtslosigkeit der Frauen von selbst ergiebt.
In der That, ein solcher Instinkt mag vorhanden sein. Bei den Frauen? nimmermehr. Bei den Männern? möglicherweise. Man mag annehmen, daß der Trieb der Selbsterhaltung, auf ein geistigeres Gebiet übertragen, den Trieb nach Freiheit und Macht umfaßt; er würde dann eins sein mit dem »Kampf um's Dasein«.
Ich will nun gern glauben, daß die Sorge für ihr eigenes Fortkommen die Männer instinktmäßig warnt vor der politischen und socialen Freilassung der Frau, vor ihrer Gleichstellung mit ihnen. Derselbe Instinkt, der ihnen lehrt, daß gutes Essen besser schmeckt, [145] als schlechtes, er setzt sie auch davon in Kenntniß, daß herrschen angenehmer und lukrativer ist als gehorchen.
Aber wie? – auch die Frauen sollten mit diesem Instinkt der Unterordnung behaftet sein? Und sehen wir denn nicht täglich, wie der größere Theil von ihnen in der Ehe um die Herrschaft mit dem Manne ringt? und sind nicht diese Insurrektionsversuche der Frauen ein stehendes Capital all unserer Romane und Possen?
Wann hätte sich je der Instinkt einer Frau dagegen empört, über einen oder mehrere Männer oder über ihre sämmtlichen Mitschwestern zu herrschen?
Sagt doch selbst der leidenschaftlichste Verehrer der Frauen-Sklaverei, Bogumil Goltz, »die Frau muß den Mann im Garn und in der Macht haben, wenn ihr ganz wohl zu Muthe sein soll.«
So will Mr. Chaplin denn doch wohl den Instinkt des ganzen Menschengeschlechts nur gegen die Theilnahme der Frau am politischen Leben gerichtet wissen.
Wenn wir nur nicht auf jedem Blatt der Geschichte von Frauen läsen, die begierig nach Einfluß und Macht getrachtet, und die an dieser Macht, wenn sie ihnen zu Theil geworden, mit zäher Beharrlichkeit festgehalten hätten.
[146] Oder meint Mr. Chaplin, daß dieser Menschheits-Instinkt nicht gegen den Privat- oder illegitimen Ein fluß der Frau reagire, sondern einzig und allein gegen die Oeffentlichkeit dieses Einflusses und die legitime Anerkennung desselben von Seiten der Männer?
Sollte wirklich der liebe Gott den Instinkt mit solchen Detailfunktionen betraut haben?
Kann man überhaupt bei dergleichen Angelegenheiten von einem Instinkt sprechen, so wird, wenn wir unseren Sinnen trauen dürfen, Mann und Weib von demselben Instinkt gleichermaßen beherrscht, von dem Trieb nach Geltendmachung der eigenen Persönlichkeit, von dem Instinkt nach einer bevorzugten Stellung in der Gesellschaft. Aber meiner Meinung nach kommt bei Fragen, wo der höchsten Vernunft allein die Entscheidung zusteht, der Instinkt gar nicht in Betracht. Denn mit Instinkt könnte sich ja der Wilde entschuldigen, der seine Mitmenschen so wohlschmeckend findet, daß er von einer das Menschenfleisch ausschließenden Kochkunst nichts wissen will. Auf ihren Instinkt könnte sich die orientalische Welt berufen, in der jeder Mann so und so viel Stück Frauen für seinen Bedarf consumirt. Was diese Partei der Frauenunterdrückung Instinkt nennt, ist eben nichts anderes als eine durch [147] langdauernde Gewohnheit erworbene Gefühls- und Vorstellungsweise.
Gefühle und Vorstellungen aber, die auf Instinkt beruhen, führen leicht zu Stagnation, zur Intoleranz, zur Fiktion absurder Zustände. Instinkte sind nimmer mehr Faktoren des Fortschritts.
Das Hauptargument des Herrn Newdegate lautet: »We need no women to teach us our duty. This bill casts an injust reflection upon the conduct and intentions of Parliament« (wir brauchen keine Frauen, uns unsre Pflicht zu lehren. Diese Bill wirft ein falsches Licht auf das Verfahren und die Intentionen des Parlaments).
Wir sprechen dem englischen Herrn durchaus sein Pflichtgefühl nicht ab, wir meinen aber, daß auch Robespierre seine Pflicht zu thun glaubte – und er ließ die Aristokraten köpfen. Charlotte Corday glaubte ihre Pflicht zu thun – und sie stieß den Dolch in Marat's Brust.
Die Vorgänger des Herrn N. haben zweifellos nach Pflicht und Gewissen gehandelt, als sie durch das Gesetz die Rechtlosigkeit der Frau in Bezug auf ihr Eigenthum, ihre Kinder und ihre Person bestätigten. Herr N. weist voll stolzer Würde jede Mahnung an seine Pflicht als überflüssig ab. Diese Abweisung aber [148] gilt doch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur den Frauenangelegenheiten, sondern sie wird sich beziehen auf Jegliches, was ihm seinen Mitbürgern gegenüber zu thun obliegt. Der Herr N. braucht demzufolge niemals an seine Pflicht gemahnt zu werden, und ebenso wenig wie Herr N. einer Mahnung bedurfte, bedarf ihrer Mr. Smith oder Mr. Clarke und wie alle die Herren heißen mögen, die im Parlament sitzen und seit Generationen darin gesessen haben. Sie alle, alle brauchten nie an ihre Pflicht gemahnt zu werden, und darum hat es niemals Unterdrückte gegeben, nie unerhörte Anmaßung herrschender Parteien, nie Vergewaltigungen über die der Menschen Herz in Entrüstung entbrannt ist. In der That, diese Herren beanspruchen nichts weniger als Unfehlbarkeit.
Von dem Einzelnen läßt sich mit Fug und Recht nicht mehr fordern, als daß er nach seinem Gewissen handle. Und Mr. Newdegate handelt rechtschaffen, wenn er energisch jeder Emancipation der Frauen auf irgend einem Gebiet entgegentritt, denn er handelt nach seiner Ueberzeugung. Man kann aber sehr gewissenhaft verfahren und doch ein verwerfliches Prinzip vertreten, besonders wenn man ein etwas beschränkter Kopf ist; der Einzelne kann seine Pflicht thun und dabei das Gewissen der Menschheit, die ewigen und heiligen [149] Principien der Liebe und Gerechtigkeit tödtlich verletzen. Nicht an das Pflichtgefühl eines Mr. Newdegate oder Mr. Leatham wenden sich die Frauen mit ihren Rechtsforderungen, sondern an die höchste Vernunft der Intelligentesten und an die reinste Menschenliebe der Besten.
»Wir brauchen die Frauen nicht, um uns unsre Pflichten zu lehren,« wirft Mr. Newdegate verächtlich hin. Von diesen Frauen aber sagt sein Gesinnungsgenosse, Mr. Leatham, daß sie das reinere und höhere Geschlecht seien. Wäre es denn nun so sehr unnatürlich, wenn das höhere und reinere Geschlecht das niedrigere und unreinere auf seine Pflichten aufmerksamer machte, anstatt des umgekehrten Falles, der in der hergebrachten Ordnung der Dinge die Regel ist?
Mr. Leatham will die Frau vom politischen Leben fern gehalten wissen, weil ihr Beruf die Linderung des menschlichen Elends sei. »It is in this field that the best women in all ages have been able to satisfy the loftiest ambition and to raise themselves together with their sex to a pinnacle of greatness which the best men have envied in vain.« (Auf diesem Gebiet sind die besten Frauen aller Zeitalter im Stande gewesen, den höchsten Ehrgeiz zu befriedigen und sich selbst mit ihrem Geschlecht zu einem Gipfel [150] der Größe zu erheben, welche die besten Männer vergebens beneidet haben.)
Die barmherzige Schwester wird von den Männern beneidet, vergebens beneidet. Seltsam – daß die Männer dem höchsten Ehrgeiz des Weibes immer ein solches Terrain anweisen, wo der Lohn der That im eignen Bewußtsein ruht oder im Himmel ausgezahlt wird, und wo keinerlei materielle Entschädigung die Glorie ihres reinen Thuns befleckt. Arme Männer! Sie müssen Geld und Ehre, Ansehn und Macht, Champagner und Wettrennen und alles, was Lebensfreude heißt, genießen, verschlossen aber bleibt ihnen die höchste Seligkeit barmherzigen Thuns und vergebens spannen sie alle ihre Kräfte an, um jenen Gipfel der Erhabenheit zu erklettern, auf dem das Weib, an den Krankenbetten der Armen und Elenden, der Ansteckung trotzen, Gebete murmeln und sich des Röchelns der Sterbenden erfreuen darf. Hochbegnadetes Weib! Beklagenswerther Mann!
Mr. James schließt sich dem Vorredner an und hebt hervor, daß z.B. Miß Nightingale niemals das geworden wäre, was sie gewesen ist, wenn sie am politischen Leben Theil genommen hätte.
In England findet alle sieben Jahr einmal eine Parlamentswahl statt. Unsre Gegner schreiben also [151] dieser alle sieben Jahr einmal stattfindenden Stimmabgabe eine medusenhafte Kraft zu, vor der alles, was nicht Politik heißt, in der Seele des Weibes erstarren und ersterben muß.
Daß solche Naivetäten gesprochen und gedruckt werden können! Ich kann sie mir nur erklären durch eine kleine Verwirrung in den Köpfen der betreffenden Herren. Sie verwechseln nämlich wahrscheinlich jene allgemeine politische Theilnahme und jenes Verständniß für das Interesse des Landes und Volkes, das jedem Bürger und jeder Bürgerin inne wohnen müßte, mit der Politik als Fachwissenschaft, und in jeder Frau, die alle sieben Jahr einmal ihre Stimme abgiebt, sehen sie eine ehrgeizige Seele, die nach den Lorbeern eines Pitt oder Fox ringt und anstatt in Liebe, in Politik aufgeht.
Die Argumentationsweise unsrer Gegner ist scharfsinnig. Ich erlaube mir, mit folgendem kleinen Beispiel aufzuwarten:
Mr. Leatham sagt: »Nor is it any argument to say that there have been women whose political capacity has been equal to that of any man ... What should we think of the logik of the logician who argued that because there have been men the equals of any women in the management of children, [152] or of the ›batterie de cuisine,‹ there fore the nursery and the kitchen is the proper field for the exercise of masculine energy?« (Das ist kein Argument für Bewilligung des Frauenstimmrechts, daß es Frauen gegeben hat, deren politische Fähigkeiten denen irgend eines Mannes gleich waren. ... Was würden wir von der Logik eines Logikers denken, welcher behaupten wollte, weil es Männer gegeben habe, die es irgend welchen Frauen in der Kinderpflege und in der Kocherei gleich gethan, so müsse Kinderpflege und Küche das eigentliche Feld für die Bethätigung männlicher Energie sein?)
Gewiß, das Beispiel des kühnen englischen Logikers würde passen, wenn die Frauen behauptet hätten, weil einige unter ihnen Politikerinnen von Bedeutung gewesen, so bestände das ganze Geschlecht aus gebornen Fachpolitikerinnen.
Das, was einzig und allein aus den Thatsachen, daß Frauen mit Erfolg Politik und Männer mit Erfolg Kochkunst getrieben haben, folgt, ist die Erkenntniß, daß die Natur keinen Antheil hat an einem Gesetz für die Frauen: »Du sollst nicht Politik treiben,« ebenso wenig wie sie ein Gebot für die Männer erließ: »Du sollst nicht kochen.«
Ein Schluß, so einfach, daß jedes zehnjährige kleine [153] Mädchen, sie müßte denn eine Tochter des Mr. Leatham sein, ihn zu ziehen im Stande ist.
In welcher loyalen und biedern Weise unsere Gegner in ihren Berichten über Verhandlungen, die Frauenangelegenheiten betreffen, zu Werke gehen, davon giebt ein Referat über die bezügliche englische Parlamentssitzung in der Vossischen Zeitung (vom 11. April 1875) Zeugniß. Es heißt darin: »Eine ernste Bedeutung hat, wie gesagt, die Bewegung in England nicht, zumal da die an der Spitze stehenden Agitatorinnen nicht viel Achtung gebieten. Mr. Leatham nannte sie am Mittwoch eine Handvoll Frauen, welche weder die glücklichsten noch die reizvollsten ihres Geschlechtes seien.«
Daß Mr. Leatham (übrigens war es nicht Mr. Leatham, sondern Mr. Chaplin, der die Aeußerung that) diese Damen nicht reizvoll findet (übrigens sagte er nicht reizvoll, sondern »the most favoured« die begünstigsten) ist augenscheinlich der einzige Grund, der diese Unglücklichen der Achtung des fremden Herrn von der Vossischen Zeitung beraubt.
Ich will dem Herrn recht geben in seiner Mißachtung, wenn er nachzuweisen im Stande ist, daß unter diesen Agitatorinnen sich solche befinden, die unter dem Deckmantel der Anonymität den Ruf und Namen ihrer Mitmenschen angetastet haben ohne Grund und ohne [154] Kenntniß in gewissenloser Willkür. Bis dahin aber erlaube ich mir, das Privat- und öffentliche Leben dieser Frauen (und zwar auf Grund zuverlässiger Quellen) für tadellos zu halten. Ich werde mir erlauben, nach wie vor zu einer Miß Nightingale, zu einer George Elliot, Miß Fry, Miß Martineau mit Verehrung aufzublicken. Frauen wie die Counteß v. Buchan, Lady Mountcashel, Vicounteß Comberno, Lady Helen Stewart, Miß Canning, die sich in England der höchsten Achtung erfreuen, haben Petitionen für das Frauenstimmrecht unterzeichnet.
Aber vielleicht ist dieser Angriff auf den guten Ruf der Verfechterinnen des Stimmrechts nur eine Spiegelfechterei, ein politischer Kniff, und der Berichterstatter will damit dem zarten Geschlecht ad oculos demonstriren, was es zu gewärtigen hat, wenn es aus dem Kreise des Privatlebens hinaustritt.
Was aber soll man sagen zu der unwürdigen Verdächtigung Disraelis, (er gab seine Stimme für die Frauen ab) deren sich derselbe Berichterstatter in der Vossischen Zeitung schuldig macht, indem er uns den Minister darstellt, als habe er die Freiheit seiner Meinung verkauft für das Geld, das seine Frau ihm zugebracht und um der Verhätschelung willen, die ihm von ältlichen Damen von jeher zu Theil geworden, und [155] der Referent fügt noch hinzu, daß mehr als eine dieser Damen ihn freigebig in ihrem Testament bedacht habe.
Die ganze Abstimmung im englischen Parlament erklärt dieser Herr für einen galanten Scherz. Wie kommt der Herr dazu, ernste englische Staatsmänner zu bezüchtigen, das Parlament für ein Lokal zur Ablagerung ihrer Privatscherze angesehen zu haben, obwohl einer der eifrigsten Gegner der Frauen ausdrücklich erklärt (Mr. Chaplin): »I am no longer prepared to deny that it is a serious question and one which deserves the anxious and careful attention of this house.« (Ich bin nicht länger geneigt, zu leugnen, daß es eine ernste Frage ist, welche die peinlichste und sorgsame Aufmerksamkeit des Hauses erfordert.) Wahrscheinlich ist der Berichterstatter zu seiner Ansicht durch die Wahrnehmung gelangt, daß bei dergleichen Verhandlungen von den Gegnern der Frauenfreiheit stets jene allbekannten Pöbelwitze über Frauen gerissen werden, die bei unsern Possenaufführungen dem Publikum so unendliches Vergnügen bereiten.
Noch eine besonders feine Bemerkung des Referenten wollen wir nicht übergehen. Er giebt zu, daß die Zahl der unverheiratheten Frauen in England von Jahr zu Jahr steige. Die Schuld dieses Altjungferthums aber trägt seiner Meinung nach die weibliche [156] Erziehung in den höheren Ständen, welche so unnatürlich ist, daß sie dem Manne den Gedanken an das Heirathen verleidet. »Die jungen Damen kommen aus ihren vornehmen Erziehungsinstituten mit allen accomplishments, wie das in England heißt, – sie haben Reiten, Jagen, Singen, Tanzen, Malen, distingnirten Anstand, Wissenschaften, Lateinisch, Griechisch u.s.w. und hundert andere Dinge programmmäßig gelernt.«
Sonderbar! Höchst befremdlich! Diese armen Mädchen – (denn arm müssen sie sein, weil reiche Mädchen, die Natur mag sie bösartig geschaffen haben oder häßlich wie die Nacht, sie mögen griechisch sprechen wie Wasser, oder deutscher, englischer, afrikanischer oder australischer Nationalität sein, stets einen Mann bekommen, zu jeder Stunde, an jedem Ort und in jedem Alter –) woher, sage ich, nehmen diese armen Mädchen das Geld, sich in vornehmen englischen Instituten erziehen zu lassen, was bekanntlich enorm theuer ist; woher nehmen sie das Geld sich Reitpferde zu halten und Wälder zu pachten oder zu kaufen, um darin zu jagen! Höchst eigenthümlich! Vielleicht ist der Berichterstatter der Ansicht, daß die verwerflichen, an der Spitze der Agitation stehenden Emancipirten diesen Mädchen das Geld zu ihrer vornehmen, Männer abschreckenden [157] Erziehung vorstrecken, um sie dann desto sicherer für ihre Emancipationsbande anwerben zu können.
Diese Vossische Zeitung scheint indessen nicht immer ihrer eigenen Meinung zu sein. Während sie hier das Ledigbleiben der Mädchen als eine Calamität bezeichnet, schlendert sie an einer andern Stelle der Frauenemancipation den Vorwurf in's Gesicht, daß sie das Heirathen befördere. Glaubt man mir etwa nicht? In der ersten Septemberwoche 1875 war in der Vossischen Zeitung wörtlich Folgendes zu lesen: »In Wiener Blättern zeigen Herr G. Port, Beamter der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, und Frau die Verlobung ihrer Tochter, der studiosa philosophiae, Frl. Carolina Port mit dem Dr. phil. Arnold Dodel, Docenten an der Universität und am Polytechnicum in Zürich und Verfasser des jüngst bei Brockhaus erschienenen Werkes ›Neuere Schöpfungsgeschichte‹ an. Das kommt davon, wenn man die Töchter nach Zürich studiren schickt.« –
In Deutschland gibt es meines Wissens keine einzige Zeitung, die für das Stimmrecht der Frauen einzutreten bereit wäre. Eine große Zahl der bedeutensten Zeitungen Englands dagegen haben sich zu Gunsten des Frauenstimmrechts ausgesprochen. Wir nennen unter andern: Die Times, Daily News, Examiner, [158] Daily Telegraph, Echo, Globe und andere mehr.
Sollte jemand die Complicität der grundsolidenTimes mit derartigen revolutionären Bestrebungen bezweifeln, so sei hier ein Satz aus derselben vom 23. Juni 1873 angeführt. Er lautet: »Still it must be considered, that a certain number of women already are, and that an increasing number will be on the whole better qualified to choose a candidate for Parliament than a considerable portion of male electors.« (doch ist in Betracht zu ziehen, daß schon jetzt eine gewisse Anzahl von Frauen qualificirt ist und in Zukunft eine immer wachsende Anzahl besser qualificirt sein wird, einen Candidaten in's Parlament zu wählen, als ein beträchtlicher Theil der männlichen Wähler.)
Wir haben einige Hauptgründe der Männer gegen das Stimmrecht der Frauen erörtert, wenden wir uns jetzt einigen Argumenten zu, auf welche die Frauen ihre politischen Ansprüche stützen.
1. Die Frauen fordern das Stimmrecht als ein ihnen natürlich zukommendes Recht.
2. Sie fordern es als eine sittliche Nothwendigkeit, als ein Mittel zur Veredelung ihrer selbst und des Menschengeschlechts.
[159] Die unmittelbaren, praktischen Folgen des Stimmrechts sind vielleicht nicht die wichtigsten. Die Hauptsache aber ist dies: die Gewährung des Stimmrechts ist der Schritt über den Rubikon. Erst mit dem Stimmrecht der Frauen beginnt die Agitation für jene großartigen Reformen, die das Ziel unserer Bestrebungen sind. Die Theilnahme am politischen Leben macht alle anderen Fragen zu offenen.
Die Frauen fordern das Stimmrecht als ihr Recht. Warum soll ich erst beweisen, daß ich ein Recht dazu habe? Ich bin ein Mensch, ich denke, ich fühle, ich bin Bürgerin des Staats, ich gehöre nicht zur Kaste der Verbrecher, ich lebe nicht von Almosen, das sind die Beweise, die ich für meinen Anspruch beizubringen habe. Der Mann bedarf, um das Stimmrecht zu üben, eines bestimmten Wohnsitzes, eines bestimmten Alters, eines Besitzes, warum braucht die Frau noch mehr? Warum ist die Frau gleichgestellt Idioten und Verbrechern? nein, nicht den Verbrechern. Der Verbrecher wird nur zeitweise seiner politischen Rechte beraubt, nur die Frau und der Idiot gehören in dieselbe politische Kategorie.
Die Gesellschaft hat keine Befugniß, mich meines natürlichen politischen Rechts zu berauben, es sei denn, daß dieses Recht sich als unvereinbar erwiese mit der [160] Wohlfahrt des Staatslebens. Den Beweis dieses Antagonismus zwischen Staatsleben und Frauenrechten haben wir zu fordern. Man wird uns darauf warten lassen bis zum jüngsten Tag und sich inzwischen auf das Gottesgericht berufen, welches die Frau durch den Mangel eines Bartes als unpolitisches Wesen gekennzeichnet hat.
Die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse, welche die Lasten der Bürgerschaft trägt, kein Recht habe bestimmend auf diese Lasten einzuwirken, die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse Gesetzen unterworfen sein soll, an deren Abfassung sie keinen Antheil gehabt, hat auf die Dauer nur für einen despotischen Staat Sinn und Möglichkeit. Die Zulassung eines solchen Prinzips ist Tyrannei in allen Sprachen der Welt und für jedes Geschlecht, für den Mann sowohl wie für die Frau.
Der Anspruch politischer Gleichheit der Geschlechter in der Kammer und auf der Tribüne erscheint den Männern als ein sittlicher Frevel und setzt sie der Gefahr eines Lachkrampfes aus. Eine politische Gleichheit aber erkennen sie bereitwillig an:die Gleichheit vor dem Schaffot. Warum lachten Sie nicht, meine Herren, als Marie Antoinette's und Madame Roland's Haupt unter der Guillotine fiel?
[161] »In einem Staate, sagt Frau v. Stael, wo man einer Frau im Interesse des Staates den Hals abschneidet, müßte sie doch wenigstens wissen warum?« Die Männer antworten auf dergleichen naseweise Fragen niemals.
Warum sollten sie auch? Die Stimmen der Besitz-und Machtlosen verschlingt die Welle des großen Lebensstroms – echolos. Erst wenn die Frauen das Stimmrecht erlangt haben, wird ihr Wille, ihr Glück und ihre Meinung in die Wagschale fallen an den Stätten, wo man die Geschicke der Klassen und Nationen abwägt.
Aus ihrer Macht über die Frauen leiten die Männer ihre Rechte den Frauen gegenüber her. Die Thatsache der Herrschaft ist aber kein Recht. Gesetzlich bestimmen sie alle die Maßregeln, Gebräuche und Ordnungen, die zur Unterdrückung des weiblichen Geschlechts dienen und nennen diese Arrangements dann einen Rechtszustand. Das Unrecht wird aber nicht geringer, wenn ein Gesetz es sanktionirt hat, die Unterdrückung nicht weniger nichtswürdig, sondern nur um so furchtbarer, wenn sie einen universellen, einen weltgeschichtlichen Charakter trägt. Es giebt kein Recht des Unrechtes oder sollte doch kein's geben. So lange es heißt: der Mann will und die Frau soll, leben wir nicht in einem Rechtssondern in einem Gewaltstaat.
[162] Und so lange der Mann unverantwortlicher Gesetzgeber für die Frau ist, werden im wesentlichen die Zustände bleiben wie sie sind. Was sollen uns auch Modificationen, Milderungen und wohlwollende Berücksichtigungen, wo das Princip ein lasterhaftes ist, das Princip der Rechtlosigkeit der Frau vor dem Gesetz.
Die Frauen wollen keine Gnadenbeweise und Privilegien, sie betteln nicht um Wohlthaten und Almosen. Sie fordern Gerechtigkeit.
Jede Frau, die man Gesetzen unterwirft, die andere ohne ihre Mitwirkung gemacht haben, ist in ihrem Recht, wenn sie die Steuern verweigert. Und in der That sind bereits in England und Amerika Frauen mit der Weigerung, die Steuern zu zahlen, vorgegangen. Ein Brief einiger dieser energischen Vorkämpferinnen an die Redaktion einer englischen Frauenzeitung lautet: »Madame, wir würden Ihnen verpflichtet sein, wenn Sie durch Ihr Journal zur Kenntniß brächten, daß wir die Steuern verweigert haben als einen Protest gegen die Pflicht des Steuerzahlens ohne das Recht der Vertretung, und daß es unsere Absicht ist, diesen Protest im nächsten Jahre zu erneuern. Auf diese Weise glauben wir die Ungerechtigkeit, die die Frau vom Staatsleben ausschließt, auf's klarste und zwingendste vor die öffentliche Meinung zu bringen. Wir, Besitzerinnen [163] und Eigenthümerinnen, wollen uns einer so offenbaren Ungerechtigkeit mit unserm Willen nicht unterwerfen, und wir protestiren dagegen praktisch, energisch, öffentlich und friedlich zugleich. Und wir glauben, wenn andere Eigenthümerinnen den Muth hätten sich uns anzuschließen, so würde die Wirkung dieser Kundgebung auf die öffentliche Meinung eine sehr große sein« (folgen die Unterschriften mehrerer Frauen). Auch in Amerika, in St. Louis haben Frauen die Steuern verweigert, weil Steuerzahlung ohne Repräsentation offener Despotismus sei. Die Frauen fordern das Stimmrecht, weil sie der Unterdrückung, der Heuchelei, der Erniedrigung müde sind, sie fordern es, weil sie ein Recht haben, daß ihre Stimme gehört werde bei der Abfassung von Gesetzen, welche ihre sociale Stellung und ihre individuellen Rechte betreffen. Eine jede Klasse hat ihr bestimmtes Gepräge, weiß besser in ihren eigenen Verhältnissen Bescheid als diejenigen, welche diesen Verhältnissen nicht unterworfen sind. Die Männer, sagt die Gesellschaft, repräsentiren die Frauen. Wann übertrug die Frau dem Manne das Mandat? Wann legte er ihr Rechenschaft von seinen Beschlüssen ab? Weder das eine noch das andere ist jemals geschehen. Wenn die Frauen nicht einverstanden sind mit dieser Vertretung, so ist eine Behauptung [164] wie die angeführte eine beleidigende sociale Improvisation der Männer, ein Hohn in's Antlitz der realen Verhältnisse. Genau mit demselben Recht kann der absolute König sagen, er repräsentire sein Volk, oder der Sklavenhalter, er repräsentire seine Sklaven. Es ist ein altes Argument, daß die Arbeiter durch ihre Arbeitgeber zu repräsentiren seien, das Argument hat aber die Arbeiter nicht überzeugt, und mit Energie haben sie diese Vertretung zurückgewiesen. Und die Frauen sollten sie acceptiren? Nimmermehr!
Die Frauen verlangen das Stimmrecht, weil jede Klasse, die am politischen Leben unbetheiligt ist, unterdrückt wird; die Betheiligung am politischen Leben dagegen nothwendig im Laufe der Zeit die Gleichheit vor dem Gesetze zur Folge haben muß. Die Klassen, die das Stimmrecht nicht üben dürfen, sind in der Gewalt der andern Klassen, die es üben. Dieses Princip ist stets so einstimmig von allen liberalen Parteien anerkannt worden, daß die Verleugnung desselben, den Frauen gegenüber, schier unbegreiflich ist.
Bei den Hinduhs wurde der Ehebruch auf das grausamste bestraft, doch änderten sich die Bestrafungen je nach der Kaste der Verbrecher.
Wer hatte diese Gesetze gemacht?
Die Braminen.
[165] Und welche Strafe traf die Braminen, die Ehebruch begingen?
Der – Verlust ihrer Haare.
In der That, der Besuch eines »Salon pour la coupe des cheveux« scheint eine Strafe, die nicht in Betracht kommt gegenüber dem lebendig Schinden und Braten, dem andere Klassen für dasselbe Verbrechen unterworfen wurden.
In der Vossischen Zeitung war vor einigen Wochen zu lesen, daß die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte in der Telegraphie sich gut bewährt habe, indem einmal der Telegraphen-Verwaltung auf diese Weise billigere Arbeitskräfte zugeführt werden. .... Nun wir wünschen der Telegraphen-Verwaltung Glück zu diesem edel gesparten Gelde. Wahrscheinlich greift das Telegraphiren die Männlein mehr an als die Frauen, und aus Mitleid stärkt und tröstet man diese Schwachen durch ein höheres Gehalt.
Glaubt man im Ernst, daß man an der wahlberechtigten Frau jene gemeine und schmachvolle Ungerechtigkeit begehen würde, ihr dieselbe gleich gut geleistete Arbeit geringer zu bezahlen als dem Mann? Es mag paradox klingen und ist doch vollkommen wahr: Die Arbeit der Frau wird deshalb schlechter bezahlt als die des Mannes, weil sie das Stimmrecht nicht hat.
[166] Entweder du nimmst den Lohn, den wir dir bieten, oder du hast dich aus unserm Berufskreis zu entfernen, denn, merk' es wohl, nur unsere Güte gestattet dir den Eintritt, nicht dein Recht.
Ja wohl – anstatt gerecht zu sein, ist man mitunter gütig gegen die Frau – mitunter – wo es sich aber um so reelle Güter wie Geld handelt, zieht man in der Regel die Ungerechtigkeit und einen Abzug am Gehalt vor.
Man beraubt die Frau des Stimmrechts, weil es ihrem Geschlecht nicht zukomme. Mit demselben Recht könnte man ihr das Geld nehmen, weil Geldbesitz den physischen Eigenschaften des Weibes widerspreche, man kann ihr den Unterricht verweigern unter dem Vorwand, daß Bildung die Weiblichkeit untergrabe. Und in der That, man hat es gethan, vollständig in vielen, theilweis in manchen Ländern.
Der Mangel des Stimmrechts bedeutet für die Frau: du sollst kein Eigenthum haben, keine Erziehung, kein Recht an den Kindern, dich darf der Mann, der Starke züchtigen, dich stößt die Gesellschaft als Wittwe mit deinen unversorgten Kindern, hülflos wie Hagar in die Wüste des Elends.
Frauen, so lange sie keine Macht haben, sind als Oppositionselemente indifferent.
[167] »Du sollst nicht erwerben,« spricht der Staat, so lange die Männer die Concurrenz der Frauen fürchten. »Erwirb,« spricht dasselbe starke Geschlecht von dem Augenblick an, wo es fürchten muß, daß ihm die unversorgte Wittwe zur Last falle. Fürwahr, der Staat ist klug und weise.
Nach den Grundsätzen der Demokratie ist, was für eine Königin recht ist, auch recht für die einfachste Bürgerfrau. Entweder ist eine regierende Königin eine Fastnachtsidee, ein burlesker Einfall, und jeder Engländer, der seiner Königin gehuldigt und ihr den Eid der Treue geschworen, ist ein Narr und ein Uebelthäter an den Naturgesetzen, oder natürliches, politisches Recht besitzt eine jede Frau. Wenn ein Weib befähigt ist die höchste aller politischen Stellungen einzunehmen, mit welcher Autorität verweigert man ihr die geringeren?
Aber nein, du darfst nicht wählen und wenn du zu den edelsten und reinsten der Menschen gehörst, aber der trunkene Lastträger, er giebt seine Stimme für den Vertreter seiner Rechte ab. Nein, du darfst nicht wählen, und wenn du alle Weisheit und alle Erkenntniß der Welt besäßest; aber der verdummte Bauer, dessen Erkenntnißvermögen nicht über die Scholle Ackers[168] reicht, die er pflügt, er hat bestimmend einzuwirken auf die Gesetze, die die Existenz der Frau bedingen.
Wer darf behaupten, daß ein Gesetz, welches die weiseste und tugendhafteste Frau eines Rechts beraubt, das sie dem versoffenen Landstreicher gewährt, gut und gerecht ist! Die Männer behaupten es. Gott stärke ihre Denkkraft!
Die Gewohnheit, die lange Dauer der Unterwerfung hat die Meinung von ihrem Recht bei den Männern so festgewurzelt, daß sie sich der Thatsache der Unterdrückung, die sie üben, gar nicht bewußt werden, ebensowenig wie die Mehrzahl der Frauen über ihre legale Sklaverei zur Klarheit gelangt.
Denn die Frau ist nicht nur äußerlich unterdrückt, es tritt noch die innere geistige Knechtung hinzu. Ihre ganze Denk- und Gefühlsweise wird durch die Erziehung abgegrenzt und fixirt. Alle diejenigen Begriffe, Anschauungen und Vorstellungen, die mit ihrer socialen Lage übereinstimmen, werden ihr eigebracht, während man alle Erkenntnisse und Einsichten, die sich den thatsächlichen Zuständen feindlich erweisen könnten, ihr vorenthält.
Und so groß ist die Macht der Erziehung und Gewohnheit, daß selbst in Angelegenheiten, zu deren Beurtheilung weder wissenschaftliche Erkenntnisse, noch [169] besondere Verstandeskräfte erforderlich sind, – in Angelegenheiten, wo die Natur eine ausreichende Lehrmeisterin ist, die widernatürlichste und lasterhafteste Gewöhnung den Sieg über das stärkste Naturgefühl davonträgt. Giebt es z.B. ein stärkeres Naturgefühl als dasjenige, welches das Weib lehrt, ihre Person nur dem Manne hinzugeben, den es liebt? Und empört sich nicht die Natur jedes besseren Weibes überall, wo eine solche Hingabe ohne Liebe stattfindet?
Trotzdem ist das Weib von Alters her wie eine Waare an den Meistbietenden verhandelt worden, und es hat diesen Handel als ein von der Vorsehung ihr bestimmtes Geschick willig hingenommen.
Und derselbe Handel und dieselbe Willfährigkeit der Frau findet noch heut, wenn auch in milderer Form und mehr oder weniger verdeckt, statt.
Auguste Comte hat in seinem »Cursus der positiven Philosophie« nachgewiesen die Zusammengehörigkeit einer Denkweise und eines politischen Zustandes als Nothwendigkeit und als geschichtliche Thatsache. Daß die Frauen noch Unfreie und Leibeigene sind, ist ein Zeichen, daß die Denkweise unseres Jahrhunderts noch bedrückt wird vom Alp des Mittelalters und versetzt ist mit despotischen Gelüsten.
Lasalle sagt in einer seiner Broschüren: »Der[170] vierte Stand, in dessen Herzfalten kein Keim einer neuen Bevorrechtigung mehr enthalten ist, ist eben deshalb gleichbedeutend mit dem ganzen Menschengeschlecht. Seine Freiheit ist die Freiheit der Menschheit selbst, seine Herrschaft ist die Herrschaft Aller.«
Ja wohl – Aller – mit Ausnahme der größeren Hälfte des Menschengeschlechts. Der seiner Zeit hochgeschätzte englische Bischof Horsley meinte noch im Jahr 1795: er wisse nicht, was die Masse des Volks in irgend einem Lande mit den Gesetzen weiter zu thun habe, als ihnen zu gehorchen. Dieser Satz ist noch heut lebendig in Kopf und Herzen der menschlichen Gesellschaft; denn, ob ich statt Masse des Volks und Arbeiter setze: Frau oder Neger oder Sudra, der Grundbegriff dieser tiefsinnigen Sentenz ist derselbe: Unbedingte Unterthänigkeit der einen Klasse unter die andere. Die Logik der Politik ist absolut. Entweder ist das Volk souverain und mithin auch die Frauen, oder Unterthanen eines Herrn und Königs sind wir alle. Wir können nur zurück zur Despotie, oder vorwärts zum rein demokratischen Staat, wo der Grundsatz zur Geltung kommen muß, daß die Frauen als Bestandtheile des souverainen Volks unantastbaren Anspruch haben auf völlige Gleichheit der bürgerlichen und socialen Rechte.
[171] Ich erkenne Nichts an, was nicht Andere auch in mir anerkennen. Es giebt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen giebt. Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen. Hat jede Frau gesetzmäßig einen Tyrannen, so läßt mich die Tyrannei kalt, die Männer von ihres gleichen erfahren. Einen Tyrannen für den andern.
Und warum ertragen die Frauen so geduldig den Mangel des natürlichsten aller Rechte?
Sehr einfach: Sie müssen; denn ihnen fehlt die Macht, sich diese Rechte zu erzwingen.
Was die Frage des Frauenstimmrechts so schwierig macht, ist ihre ungeheure Einfachheit. Die Gesellschaft sagt: die Frauen sind Staatsangehörige, mit Kopf und Herz begabt wie der Mann, sie haben neben den allgemeinen menschlichen Interessen bestimmte Interessen ihres Geschlechts wahrzunehmen, sie bedürfen wie die Männer eines Maßes von Freiheiten, um ihres Lebens froh zu werden u.s.w. Wären diese Qualificationen hinreichend für ihren Anspruch auf politische Rechte, so raisonnirt die Gesellschaft weiter, so würden sie sich längst im Besitz dieser Rechte befinden. Daß sie derselben nicht theilhaftig sind, ist ein Beweis, daß sie ihnen von Natur- und Gotteswegen nicht zukommen. [172] Eine Ungerechtigkeit kann hier nicht vorliegen, sie wäre zu schreiend und ihre Fortsetzung, Jahrhunderte hindurch, unmöglich.
Es muß so sein, weil es so ist und stets so war – ist die Rechtfertigung letzter Instanz jedes religiösen Glaubens und jedes socialen Aberglaubens. Und mit dieser starken Logik fährt man fort, die bestehende Ordnung der Dinge zu rechtfertigen, ohne zu beweisen, daß die Resultate ersprießlich sind.
Kant schrieb einmal: »ich mußte das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.« So in der Frauenfrage muß ein jeglicher den Verstand verleugnen, damit die Gefühle sich breit machen können, denn verstandesgemäß kann die Ausschließung der Frauen vom politischen Leben nimmermehr begriffen werden. Sie wird und kann niemals etwas anders sein, als ein Glaubensartikel.
Unter den Quäkern in Amerika ist niemals die Rede von Frauenrechten gewesen. Sie verstanden sich von selbst, es waren einfach Menschenrechte.
2) Die Frau fordert das Stimmrecht um der sittlichen Folgen willen.
Ebenso sehr als die politischen sind die sittlichen Folgen des Stimmrechts in Betracht zu ziehen.
Der Frauen Theilnahme am politischen Leben bedeutet [173] Erhöhung des geistigen Niveau's der Frau überhaupt, sie bedeutet ihre geistige und materielle Selbstständigkeit.
Je enger der Kreis ist, auf den sich ein Mensch mit seiner Thätigkeit angewiesen sieht, je unbedeutender die Interessen, denen er sein Leben zu widmen gezwungen wird, je dürftiger wird sein Geistesleben sich gestalten. Wenn man den menschlichen Körper in seiner Kindheit in ein bestimmtes Futteral zwängte, so würde er nur insoweit wachsen, als der Umfang des Futterals es ihm gestattet, und der Körper, der sich nicht entwickeln kann, müßte verkrüppeln. Mit der menschlichen Intelligenz verhält es sich ähnlich. Wo durch autoritative Richtung die befriedigende Ausübung der Fähigkeiten unterdrückt wird, da kann von keinem naturgemäßen Wachsthum der Individualität die Rede sein. Aber nicht nur die Abnahme intellektueller Energie und eine traurige Monotonie der Situationen und Geistesrichtungen wird das Resultat einer solchen Absperrung sein, sondern auch eine Schwächung des moralischen Charakters ist dabei fast immer unausbleiblich.
Eitelkeit und Ehrgeiz gehören zu den Haupttrieben der menschlichen Natur, sie sind oder scheinen wenigstens unausrottbar. Es gilt also, sie in ihr richtiges[174] Bett zu lenken. Bei dem Manne decken sich oder dürfen sich wenigstens decken die Befriedigung der Eitelkeit keit und des Ehrgeizes und die edelsten Bestrebungen, die tüchtigsten Leistungen für den Fortschritt und die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft.
Nicht ward den Frauen ein solches Loos zu Theil. All ihr Wissen und Können bringt ihnen keine Förderung im Staat, sondern viel eher die Mißbilligung der Gesellschaft; ihr Streben mag noch so ideal, ja ihre Gesinnung erhaben sein, auf die Anerkennung ihrer Mitbürger hat sie nicht zu rechnen.
Was bleibt der Frau übrig? – Die Sammtrobe und der indische Shawl, die Künste der Koketterie und die Inscenirung ihrer Reize, wenn sie ein wenig Reclame für sich machen will. Und reclamesüchtig ist nun einmal das menschliche Geschlecht. Da ihr Inwendiges ihr keine Geltung verschafft, verwendet sie ihre Talente auf ihr Auswendiges.
Wie kommen die Männer dazu, sich über die Toilettenausgaben ihrer Damen zu beklagen? irgendwo muß die Frau doch eitel sein. Man wird uns vielleicht hier auf das Beispiel der Mutter der Gracchen verweisen. Beispiele anzuführen ist keine Kunst. Wir könnten eben so gut den Männern mit dem Beispiel des Diogenes in der Tonne aufwarten oder mit Spinoza,[175] der in seinem Kämmerchen sitzt, Brillen schleift und tiefsinnig nachdenkt. Tiefsinnig nachzudenken ist aber nicht Jedermanns Sache, und die Ausübung sublimer Tugend überläßt man gern den Auserwählten und Gottbegnadeten Die höchste Entsagung und die tiefste Denkkraft erblüht in der Geschichte der Menschheit, wie, der Sage nach, die Blume der Aloe nur alle hundert Jahr einmal, und im Allgemeinen, fürchte ich, werden die erhabenen Musterbilder der römischen und griechischen Geschichte mehr Anwendung finden für Schul- und sonstige Aufsätze als für die Gestaltung des wirklichen Lebens.
Wenn die Frau nicht über einen starken Geist gebietet, so verfällt sie dadurch, daß sie in einer niederen Sphäre festgehalten wird, den Sitten und Lastern der Knechtschaft, deren sie bedarf um sich ihre Situation erträglich zu machen. Sie bedarf der List, der Heuchelei, der Intrigue, der Schmeichelei. Wie oft mag das Streben eines edel angelegten und hochbegabten weiblichen Geistes durch die verderblichen Einflüsse seiner Lage verloren gegangen sein, denn jeder Mensch, sei er noch so trefflich angelegt, ist der Entartung fähig.
Der Despotismus der Männer verurtheilt die Frau zur Corruption. Die Frauen haben bis heut keinen Antheil am Staatsleben und die Prostitution [176] blüht in Stadt und Land. Der Despotismus verurtheilt die Frau zur Rolle des bösen Engels neben dem Manne, selbst da, wo von einer sittlichen Decadence ihrerseits nicht die Rede sein kann. »Ich muß bekennen, sagt Tocqueville, daß ich häufig beobachtet habe, wie ein von Natur edler und großmüthiger Mann allmälich durch häuslichen Einfluß in einen feigen, gewöhnlichen, selbstsüchtigen Stellensucher umgewandelt wurde, der an die öffentlichen Angelegenheiten nur dachte als an ein Mittel, sich ein behagliches Leben zu verschaffen. Und dies geschah einzig und allein durch den täglichen Contakt mit einer wohlerzogenen Frau, einem treuen Weibe, einer vortrefflichen Mutter, deren Geist aber von der großen Erkenntniß öffentlicher Pflichten weit entfernt war.«
Sehr erklärlich. Man hat die Frau zu denken gelehrt, daß ihre Zeit, ihre Kräfte und ihre Talente keinen Werth für den Staat haben, wie soll sie sich von dem Bewußtsein ihres Zusammenhanges mit dem Staatsleben durchdringen lassen, wie ihren Pflichten gegen Staat und Gemeinde gerecht werden? Sie, die keine Rechte hat, sie, deren Ehre und Thätigkeit, deren Glück und Geltung in der Gesellschaft mit dem Staatsleben nichts zu schaffen haben? Sie, im Gegentheil, wird das selbstlose Interesse des Mannes am Staatsleben [177] zu unterdrücken trachten, und wo dieses Interesse des Mannes nicht eine sehr starke und reine Flamme war, wird es erlöschen vor dem Feuer am häuslichen Heerde.
Die Männer, als Polizisten des lieben Gottes, zwingen die Gedanken der Frau in niedere Anschauungskreise und sie rächt sich für diesen Despotismus der Gesellschaft, indem sie sich als Ballast an den Fortschritt der Völker hängt.
Der Einfluß der Frauen auf das politische Leben der Männer ist nicht fortzuleugnen und ist meines Wissens auch noch niemals geleugnet worden.
»Sie hat so großen Einfluß gehabt,« sagt Demosthenes, »daß Maßregeln, welche der Staatsmann ein Jahr weislich überlegt hat vereitelt werden können von einer Frau in einem einzigen Tage.«
Es handelt sich nun einfach darum: soll dieser Einfluß direct, offen, unter der Verantwortlichkeit der Frau stattfinden oder soll sie wie bisher fortwirken als schleichende anonyme Macht, als politische Circe, die die Helden des Staatslebens verzaubert, umgarnt und verwandelt, soll sie fortfahren, sich der unedlen Waffen zu bedienen, der Intrigue, der Hinterlist, der Ausnutzung der männlichen Schwächen, oder soll sie in Zukunft mit offenem Visir in die Schranken treten?
[178]Im Interesse einer höheren Sittlichkeit und einer reineren Gestaltung des Lebens muß die Frau diesen Einfluß üben unter dem Gesichtspunkt der Pflicht und der Verantwortlichkeit. Man hat oft genug hervorgehoben, daß die Frauen, wo sie ihre Verantwortlichkeit fühlen, gewissenhafter handeln als die Männer.
Wir dürfen sicher sein, nach einigen Generationen wird das Stimmrecht und die politische Verantwortlichkeit eine Revolution in den Köpfen der Frauen und eine Läuterung ihrer Gesinnung bewirkt haben. Sie werden abschütteln die Lethargie, die bis jetzt ihre Kräfte lähmte, sie werden beschleunigen helfen den Zersetzungsprozeß überlieferter altersschwacher Anschauungen und sie werden es sein, die vorzugsweise die Keime eines neuen frischen Lebens säen.
Nicht den Männern können wir es mit Fug und Recht verdenken, daß sie die Frauen nicht neben sich im Staate dulden wollen. Wir finden es ganz natürlich, daß sie an ihren Geschlechtsprivilegien festhalten mit zäher Standhaftigkeit. Wann hätte je ein Stand oder eine Klasse auf Vorrechte irgend welcher Art freiwillig verzichtet! Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn sie die Suppe nicht kochen und die kleinen Kinder nicht warten wollen, denn der Gedanke [179] an die Mitwirkung der Frau im Staat ist bei den klügsten Männern unzertrennlich von der Vorstellung, daß als Ausgleichung dafür ein Theil ihrer Kräfte in Küche, Kinderstube und im Waschkeller zu Grunde gehen müsse.
Nicht gegen die Männer richten sich unsere bittersten Empfindungen, unsere härtesten Anklagen, sondern gegen die Frauen, die feige es dulden, daß eine Generation nach der andern sie achtlos bei Seite schiebt. Gegen die Frauen empört sich jeder stolzere Sinn und jedes kühnere weibliche Herz, die sich begnügen mit der Freiheit, nach Herzenslust kochen und nähen zu dürfen, und die allergehorsamst vor den Männern zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfen, gegen die Frauen, die fort und fort ihre lebendigen Geister und Herzen darbringen als Opfer auf dem Altar der Männeranbetung, die es immer noch dulden, daß man ihnen das Jammerbild einer Griseldis, dieser Idiotin an Gefühl und Verstand, als Musterbild vollkommener Weiblichkeit vorhält, und die, wenn untauglich geworden zur Lust oder zum Nutzen des Mannes, ohne Murren, mögen sie sich gleich noch Jahrzehnte hindurch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden, in stillen Winkeln das Gnadenbrot der Gesellschaft essen.
[180] Die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, verzichten damit auf die höchsten Stufen menschlicher Entwickelung und erklären sich für eine untergeordnete Species der Gattung: Mensch. So mögen sie fortfahren zu leben von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen, sie mögen fortfahren die Hand zu küssen, die sie züchtigt, und sich spiegeln und brüsten in den Orden und Aemtern ihrer Herren und Gebieter. Und wenn der Himmel ihrem Gatten einen neuen Titel bescheert, so mögen sie wie bisher ihre Nasen und Gemüther hoch erheben und ihren Mitschwestern durch den Wonnelaut imponiren: auch ich bin Geheimräthin! Lakaiennaturen hat es gegeben und wird es geben allezeit.
Meine Seele erglüht gleich der des Mannes vom holden und erhabenen Zauber der Naturschönheit, ich fühle wie er den Schmerz um das Vaterland, wenn es bedroht wird, mein Herz schlägt wie das seine, wo es sich um die höchsten Güter der Menschheit handelt: um Liebe, Schönheit und Freiheit, um Fortschritt im Staat und in der Wissenschaft. Und darum bin ich seinesgleichen und darum soll das Weib sich erheben und kraft seines Menschenrechts das Stimmrecht fordern, denn nicht genügen können ihm fürder die Rechte, die [181] sie mit den Thieren theilt, das Recht zu athmen, zu essen und zu trinken und sich fortzupflanzen. Die Natur, Gott selbst befiehlt ihr zu sprechen, es ist mehr als ihr Recht, es ist ihre Pflicht. Ihre Pflicht aber ist es, weil nur im Zusammenwirken der Geschlechter in Familie und Staat eine harmonische und vollkommene Entwickelung des Staatslebens und der Völkerseelen möglich ist.
Es gilt, Euch zu retten, Ihr Frauen, aus dem traurigen, dumpfen Einerlei, aus der Monotonie Eures vegetirenden Daseins. Reißt ab die Binde, mit der man Eure geistigen Augen verhüllt hat, damit Ihr gleich den Thieren in der Tretmühle den engen Kreislauf Eures Lebens ohne Unruhe und Schwindel vollendet. Werft ab den conventionellen Charakter, den man Euch aufgezwungen und durchbrecht dieses Chinesenthum, das bisher gleichbedeutend war mit Frauenthum. Erhebt Euch und fordert das Stimmrecht!
Nicht fürchtet Spott und Hohn! Witz und Spott sind schneidende Waffen im Bunde mit mächtigen Argumenten, ohne sie sind sie nur hölzernes Rüstzeug, das tönt und klappert, aber Niemand verwundet.
Vergeßt das Eine nicht: Anspruch ohne Macht bedeutet wenig. Dem Despotismus ist immer nur eine[182] Grenze gesetzt worden durch die wachsende Macht der Unterdrückten. Die Menge verlangt nicht Urtheile, nicht Meinungen und Principien, sie will Erfolge.
Wodurch erlangt Ihr Macht?
Vorläufig einzig und allein durch die Concentrirung aller weiblichen Kräfte, die für die politischen Rechte der Frauen einzutreten bereit sind, durch die Organisation und energische Leitung von Vereinen.
In jeder größeren Stadt Englands und der Vereinigten Staaten bestehen Stimmrechtsvereine der Frauen. Nicht so in Deutschland. Vielleicht gibt es auch bei uns viele Frauen, die nur durch den Mangel einer Organisation verhindert sind, eine agitatorische Thätigkeit zu entfalten und Wort und That einzusetzen für die großen Frauenreformen der Zukunft. Oder will die deutsche Frau, das immermüde Dornröschen, ewig schlafen? Erwachet, Deutschlands Frauen, wenn Ihr ein Herz habt zu fühlen die Leiden Eurer Mitschwestern und Thränen sie zu beweinen, mögt Ihr selbst auch im Schooß des Glückes ruhen. Erwachet, wenn Ihr Grimm genug habt, Eure Erniedrigung zu fühlen und Verstand genug, um die Quellen Eures Elends zu erkennen. Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau.[183] Ohne politische Rechte seid Ihr, Eure Seelen mögen von Mitleid, Güte und Edelsinn überfließen, den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos.
Rafft Euch empor! Organisirt Euch! Zeigt, daß Ihr einer begeisterten Hingebung fähig seid und durch Eure That und Euer Wort erweckt die Gewissen der Menschen, erschüttert ihre Herzen und überzeugt die Geister! Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer! Wir haben wenig Freunde und Gesinnungsgenossen unter ihnen. Viele loben und lieben die Frauen, sie schmeicheln ihnen und sind gern bereit, ihnen gegenüber die Vorsehung zu spielen, wenn ihnen keine allzu großen Opfer zugemuthet werden. Ihnen aber hülfreich zur Seite zu stehen, wo es sich um die Erlangung ihres unsterblichen Bürgerrechtes im Menschenthum handelt, dazu möchten sich Wenige bereit finden lassen.
Seid muthig, hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen. Gedenkt des kühnen Wortes des Amerikaners Emerson: »Thue immer, was du dich zu thun scheust.«
Ihr armen Frauen und Opfer des Geschlechtsdespotismus, Ihr habt bis jetzt das Meer des Lebens befahren ohne Steuer und ohne Segel und darum habt Ihr selten das Ufer erreicht und das Schiff Eures [184] Glücks ist zumeist gescheitert an der Windstille oder im Sturm. Lasset das Stimmrecht fortan Euer Steuer sein, Eure eigne Kraft sei Euer Segel, und dann vertraut Euch getrost dem Meere an, seinem Sturm und seinen Klippen, und über kurz oder lang werdet Ihr Land erblicken, das Land, das Ihr »mit der Seele suchtet« seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden, das Land, wo die Frauen nicht den Männern, sondern sich selber angehören. Als der Engländer Somerset einen Sklaven mit nach England brachte, erklärte, trotz der Vorurtheile seiner Zeit, Lord Mansfield, der Sklave sei frei aus dem einfachen Grunde, weil in England kein Mensch ein Sklave sein könne.
So sind auch die Frauen frei, weil in einem Staate freier Menschen es keine Unfreien geben kann. Die Menschenrechte haben kein Geschlecht.
H. D.