[98] Intermezzo

1.

Durch meine Träume zittert
Der Erde reinste Gestalt,
Die dunklen Augen strafen
Mit göttlicher Gewalt.
Doch eine Träne rieselt
Von ihrem Angesicht,
Die mir von Mitleid, Liebe
Und von Erlösung spricht.

2.

O sieh meine Seele verfaulen
In Elend, Sünd' und Qual,
O neige Dich erbarmend
Zu mir ein einzig Mal.
O lege Deine Hände
Nur einmal weich und mild
Auf meine heiße Stirne,
Du reinstes Frauenbild.
[99]
Dann wird sie von mir weichen –
Die dumpfe Sinnengier,
Aus Elend, Not und Sünde
Schrei' ich empor zu Dir.

3.

O laß bei Dir mich wohnen,
Bei Dir mich immer sein,
Erlösung kann mir werden
Bei Dir, bei Dir allein.
Denn nur bei Dir ist Frieden
Und stilles, tiefes Glück,
O sei nicht grausam, stoß' mich
Nicht in die Nacht zurück.

4.

Dein Name klingt so süß und weich,
Ist ganz und gar Dir selber gleich,
Du blasse, zarte Lilie.
Ich will ihn nicht entweihen,
Nicht an die andern reihen
Aus alter, trüber Zeit,
Wo Sinnengier und Leidenschaft
Mit trotzig ungestümer Kraft
In meinem Herzen wühlte;
[100]
Wo ich verträumt die Tage
Und abends beim Gelage
Der tollste Zecher war.
Mit Deiner Liebe milder Kraft
Hast Du den Bann der Leidenschaft
Zerschmettert und gebrochen.
Ein tiefes, keusches Lieben
Ist alles, was geblieben,
Und das gilt Dir allein.

5.

Und wieder nah'n die düstern,
Hohläugigen Geister der Nacht,
Mit sinnbetörendem Flüstern
Und prüfen gierig und lüstern
Die alte, gewaltige Macht.
O rette, Geliebte, rette!
Hör' meinen verzweifelnden Schrei!
Nicht schreckt sie die heilige Stätte,
Sie schließen um mich ihre Kette,
O hilf, o steh' mir bei!
Auflodert das tollste Begehren,
Der Sünden schlummernde Brunst,
Bei ihrem Gifthauch schwären
Der Seele Wunden und leeren
Ins Hirn ihren krankhaften Dunst.
[101]
Mein tiefes, keusches Lieben
Die flammende Gier durchloht,
Die reinen Gedanken entstieben,
Und nichts ist zurück mir geblieben,
Als wollustrasende Not.
Sieh meine zuckenden Glieder, –
Des Mundes blasigen Schaum;
O neig' zu mir Dich nieder, –
Hinweg das starre Mieder,
Für meine Lippen Raum!
Hinweg von Deinen Brüsten
Das faltige Schleiergewand,
Es ringt mein ganzes Gelüsten
Nach keuschen, ungeküßten,
Hinweg, hinweg Deine Hand!
Ich fühle mein Aug' sich verglasen,
Mein Leib verkohlt, verbrennt,
Jetzt mußt Du mit mir rasen, –
Mußt teilen meine Ekstasen,
Der Seligkeit höchsten Moment.

6.

Auch Dich hab' ich, reinste der Frauen,
Mit Lasterbegierden entweiht.
Nicht darf ich Dein Antlitz mehr schauen
In Ewigkeit.
[102]
Mein Herz ist im Schlamme versunken,
Gespenstig flackert in mir
Nur Sehnsucht, wahnwitztrunken,
Und kranke Gier.
Was soll mein schluchzendes Ringen,
Der Seele Verzweiflungsgebet?
Ich kann die Dämonen nicht zwingen – –
Es ist zu spät.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Intermezzo. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-80AE-5