[66] Verurteilt

Du hast den Richterstab gebrochen
Ob meinem schuldbeladenen Haupt,
Hast klug, sogar gelehrt gesprochen
Und hast vielleicht es selbst geglaubt.
Du sprachst mit vieler Geistentfaltung
Für eine Frau beinah' zu frei,
Wie meiner Seele Mißgestaltung
An allen Fehlern schuldig sei.
Mich könne niemand mehr erretten
Vom Übel und vom Untergang,
Und meiner Sünden Sklavenketten,
Ich trüge sie mein Lebelang ...
Ich aber möcht' Dir heimlich sagen,
Du kennst mich nicht, o nein, o nein,
Noch kann mein Herz für Großes schlagen,
Noch ist mein tiefstes Wollen rein.
[67]
Und würdest Du zu mir Dich neigen,
Es brächte Deiner Liebe Kraft
Für Zeit und Ewigkeit zum Schweigen
Den Dämon meiner Leidenschaft.
Du aber, ach, Du kannst nicht lieben,
Nach Männlichkeit Dein Trachten geht,
Ich seh' die Rettungsfrist entstieben,
Wie lang noch – und es ist zu spät.

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TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Gedichte. Neurotica. Ekstasen. Verurteilt. Verurteilt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8102-0