[77] Die Willis

Aus schwarzblauer Wolken Geschiebe
Der Funkelstern der Liebe
Glutäugig zu lodern beginnt,
Zerfetzte Nebelstreifen
Grausilbern schwimmen und schweifen
Und schaukeln im Abendwind;
Aus müdgebeugten Weiden
Eintönig rauscht und singt
Ein Wasser durch die Haiden,
Von nickenden Gräsern umringt;
In Lüften, rosig-feuchten,
Kastaniendüfte zieh'n,
Johanniswürmer leuchten,
Nachtvögel huschen und flieh'n.
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Und reich und immer reicher
Entflammt der Sterne Pracht,
Und weich und immer weicher
Und schwüler athmet die Nacht.
Die Wolken sind versunken
Am fernen Horizont;
Flüssigen Silbers trunken,
Weißglühend naht der Mond ...
Die jugendfrischen Mienen
Vom Lichte weich umschienen,
Ein Knab' die Straße zog,
Wie rothe Haideblüthen
Die Wangen ihm erglühten,
Ein Lied vom Mund ihm flog.
Hinaus in die strahlenden, hellen
Gefilde, selig und frei,
Wie Lerchengeschmetter schwellen
Die Töne und verquellen
In einen Jubelschrei.
Im Überschwang der Gefühle
In's Haidekraut er springt,
Und Gräser, thauig-kühle,
Sein bebender Arm umschlingt.
Er küsst die schimmernden Kronen
Am Boden, leben-geschwellt:
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»Möcht' immer auf dir wohnen,
Du liebe, süße Welt.
O Gott, wie ist das Leben
So schön, so wunderschön,
Möcht' wie der Vogel schweben
Leicht über Thal und Höh'n!
Dann wär' die Welt mein eigen,
Die ganze reiche Welt,
Dann wollt' ich niedersteigen,
Wo's eben mir gefällt;
Und jauchzend wollt ich umwinden
Und küssen ein liebliches Kind.
O sagt mir wo eines zu finden,
O sagt es geschwind.« ...
Da schauert leise, leise
In's Ohr ihm eine Weise,
So traurig, sehnsuchtsvoll,
Und schmeichelnde Stimmen erwidern
Mit heiß-durchhauchten Liedern –
Und wildes Schluchzen schwoll.
»Das sind der Willis' Schaaren! –
Jetzt soll mich Gott bewahren.«
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Und nah und immer näher
Ein blasser Reigen schwebt,
Und weh' und immer weher
Ein klagendes Singen bebt:
»Wir sind verstorbene Bräute.
Hochzeitliches Geläute
Umklang uns nie, ach nie!
Uns grüßte statt jauchzender Reigen
Nur weinender Todesgeigen
Grabdunkle Melodie;
Wir haben heiß empfunden,
Doch nie dem Geliebten verbunden,
Hat jede nur Liebe geträumt,
Uns gläubig hinzugeben
Auf Sterben und auf Leben –
Wir habens verschmäht und versäumt.
Nun sind wir schlafen 'gangen,
Doch loderndes Verlangen
Aus Grab und Gruft uns hebt,
Nach Küssen, selig bangen,
Nach zärtlichem Umfangen
Die Seele stöhnt und bebt.
O Du sollst selig werden,
Wie keiner noch auf Erden.
O komm' in unsern Kreis,
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Wir wollen Dich umschließen,
Und jauchzen und genießen –
Und küssen – schwer und heiß.«
Die Willis, blass vor Sehnen,
Sich ihm entgegen dehnen,
Die dunklen Feueraugen
In seine sich senken und saugen
So zärtlich, süß und wild,
Der Lippen Purpurrosen
Die seinen weich umkosen,
Ihr Hauch ihn warm umquillt –
Da schnürt auch ihm die Kehle
Fiebernder Sehnsucht Faust –
Und zischend durch die Seele
Ein Glutstrom sengt und braust.
Die Glieder, die wonnedurchgrauten,
Von trunk'ner Begierde gewiegt,
Mit stammelnden Liebeslauten
Den Willis entgegen er fliegt.
Und in zitterndem Verlangen
Schmiegt er seine heißen Wangen
Einer Willa zärtlich an.
Ihre feinen, weichen Hände
Fassen ihn um's Haupt,
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Küsse, Küsse ohne Ende,
Bis er zu ersticken glaubt.
Seliges Jauchzen der Willis erklingt,
Weiter der Reigen schwingt.
Aus dem Arm der Feinen, Kleinen
Reißt mit zornig-wildem Weinen
Ihn ein düster-schönes Weib.
Hoch auf wogt der üppig-volle,
Leidenschaftlich-zärtlich-tolle,
Lustversengte, blasse Leib –
Und schon hat zu wilden Wonnen
Stürmisch ihn das Weib umsponnen.
Ächzen von Brust zu Brust,
Lallende Laute der Lust,
Jäh dann ein wüthender Schrei:
»Wer wagt sich herbei!
Mein ist er, mein,
Ganz allein!«
Höhnisches Kichern der Willis erklingt,
Weiter der Reigen schwingt.
Schimmernde Leiber umfliegen
Enger und enger den Mann;
Glühende Glieder schmiegen
Keuchend sich an,
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Zitternde, lebenswarme,
Schlangengeschmeidige Arme
Schnüren und pressen ihn ein,
Seligstes Genießen –
Wonnewirbel schießen
Heiß durch Mark und Bein.
Schwellende Jubelweisen;
Wilder und wilder sie kreisen.
Mit weißem Schaum umflogen
Die Lippen scharlachroth,
Die Willis ihn umwogen,
Geschüttelt und gebogen,
Von liebestoller Noth.
Die wollustfeuchten, dunkeln
Nachtaugen blitzen, funkeln,
Sie lodern, sprüh'n und glüh'n,
Wie Sterne – roth und grün.
Toller und toller der Reigen schwingt,
Zähneknirschen der Willis erklingt,
Heisere Gurgeltöne,
Raubthiergestöhne,
Krachen und Klingen von reißendem Fleisch,
Wehegekreisch,
[84]
Gellende Laute der Raserei,
Und inmitten,
Qualenzerschnitten! –
Ein Sterbeschrei ...
Durch müdgebeugte Weiden
Das fahle Frühlicht rann,
Da lag auf rother Haiden
Herzblutig, im Verscheiden,
Ein todtgeliebter Mann ...
Fernab der Reigen der Willis schwingt,
Fernab tosendes Jauchzen verklingt.

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TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Gedichte. Sensationen. Gestalten und Visionen. Die Willis. Die Willis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8167-C