[164] 4. Idylle

(Aug. Barbier.)


»Unter rankendem Blätterdach

Duften Blumen und rauscht der Bach,

Badet schimmernd sich die Libelle,

Welche flüchtig den Spiegel streift,

Während die lüstern erregte Welle

Ihr nach dem schillernden Fittich greift.«

(Gottschall.)


Plätschernd über moosbedeckte Steine
Kommt die Quelle, in krystallner Reine,
Einem kühlen Becken zugehüpft;
Wo im Schilfe die Platanen flüstern,
Ist ein Mädchen, nach dem Bade lüstern,
Ihrem leichten Morgenkleid entschlüpft,
Spiegelt in der Flut die nackten Glieder,
Schreitet langsam vorwärts, duckt sich nieder,
Horcht und flüchtet rasch ins hohe Rohr –
Will, Verschämte, schon Gefahr sich zeigen?
Muntre Sänger jubeln auf den Zweigen,
Goldne Käfer summen dir ums Ohr.
[165]
Doch des Kindes Furcht ist schon vergangen.
Sechzehn Lenze zählt sie; unbefangen
Ist ihr Herz; kein eitler Schwätzer pries
Ihrer Augen Schmelz – er müßte warten,
Wenn er's thäte, denn der Mutter Garten
Ist ihr Königreich, ihr Paradies.
Und sie labt sich an des Wassers Frische;
Spielend wagen sich die kleinen Fische
Jetzt heran, und mit den Händchen schlägt
Sie die Flut, die gleich in farb'ge Kreise
Sich zerteilen muß, und leise, leise
Ihr Gemurmel ans Gestade trägt.
Schwalben sucht sie schäkernd zu ergreifen,
Die an ihrer Stirn vorüberstreifen;
Auch gefangen dürften sie entfliehn;
Ameischen, die schlechten Schwimmerinnen,
Läßt sie gern den Rasensaum gewinnen
Und in Gottes Namen fürderziehn.
Rosenblätter werden dann mit Lachen
Hingestreut; sie sendet duft'ge Nachen
Auf die hohe See und bläst sie fort.
Hui, es stürmt! Die Schiffe wehn zur Küste;
Wen'ge retten sich an ihre Brüste
Wie in einen stillen kleinen Port.
[166]
Doch genug gescherzt! Mit ernster Miene
Folgt sie jetzt dem Fleiß der klugen Biene,
Deren Köpfchen in der Sonne glimmt,
Bis das Tierchen des Gehölzes Stille
Zueilt, und das Zirpen einer Grille
Seine Morgenlieder überstimmt.
Wie, nun ist sie gar im warmen Sande
Eingeschlummert? An des Beckens Rande
Ruht ihr Haupt, von Locken halb bedeckt,
Die noch immer tief ins Wasser reichen;
Einem Schwane ist sie zu vergleichen,
Der den Kopf in sein Gefieder steckt.
Sie erwacht. Ein Rascheln und ein Rauschen –
War's ein Menschenfuß? O banges Lauschen!
Droht Verrat, Gespötte, Mädchenraub?
Wie die Frucht des welschen Maulbeerbaumes
Wird sie rot und in des Wellenschaumes
Kräuseln zittert sie wie Espenlaub.
Endlich streicht sie ihre blonden Locken
Von den Augen, immer noch erschrocken,
Und den Feind erspähend lacht sie schon.
Wer die Neckerei ihr nicht ersparte,
Nur ein Geißbock ist's mit langem Barte,
Glotzt sie an – haha! – und läuft davon.

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TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Nachbildungen. 4. Idylle. 4. Idylle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8312-9