[72] Gedanken über die Mahlerey/ an den berühmten Mahler, Herrn Rahtsherr Hubern in Basel

Aus dem Englischen des Herrn Pope.


O Möcht ich auch mein Lied, an ächtem Zierat schön
Und deinen Farben gleich, beständig scheinend sehn!
O möchte, werter Freund, mein mühsams Reimgefüge
So frey, doch tadellos, wie deine Pinselzüge,
Sanft, aber nicht zu matt, frisch ohne Gaukelschein,
Und mit den Jahren erst an Anmuht reicher seyn,
Mehr durch ein gutes Glück, als schwären Fleiß, gelungen,
Und von den Regeln nur geleitet, nicht gezwungen!
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Du holde Zauberkunst! belebte bunte Schatten,
Worinn sich Feür und Geist mit todten Farben gatten,
Was wirket ihr in uns für angenemen Trug!
Was seh ich? Traümt es mir? Ein jeder Pinselzug
Gebihrt ein neües Werk. Er gibt den kalten Bildern
Den warmen Lebenshauch. Er kan die Regung schildern.
Schau, welch gewölbtes Bild aus glatter Leinwand steigt,
Das die gereizte Hand mit leeren Schatten treügt!
Sie fühlt, und kan doch nichts, als ebne Flächen, finden.
Hier blickt ein weites Land, vertieft mit dunkeln Gründen,
Mit Bergen übertürmt, aus einer Tafel vor.
Da steht ein naher Berg in grünlich-buntem Flor.
Ein andrer hinter ihm weicht allgemach zurücke
In purpurblauem Schmuck, erhellt durch lichte Blicke.
Dort läßt sich weit entfernt durch einen Nebelduft
Ein neüer Gipfel sehn, verloren in der Luft,
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Und streckt sein bleiches Blau ans blaue Reich der Sterne;
Mein Auge reist ihm nach, bewundert seine Ferne,
Und mißt die Meilen aus. Ein silberheller Fluß
Entdeckt und schlängelt sich um der Gebirge Fuß.
Ich seh ein schnelles Schiff auf seinem Rücken schweben,
Ein schwimmendes Gebaü. Die regen Lüfte beben;
Das leichte Segel weht. Es zittern Well und Flut,
Und Phöbus wirft darinn den Abdruck seiner Glut.
So folg ich voller Lust dem angenemen Strande,
Und irre hin und her in diesem Wunderlande,
Bis, wenn ich es zuletzt begihrig durchgereist,
Ein schattenreicher Wald die holde Gegend schleüßt.
So bald erlab ich mich an der gemahlten Kühle;
Des Auges Reizung bringt den Eindruck ins Gefühle;
Es lockt ein hohler Raum, allmählich aufgetahn
Mit grauer Dunkelheit, mich schon zum Schlummer an;
Gleich einem Wandersmann, ermüdet von dem Wege,
Begeb ich mich zur Ruh. Bald werd ich wieder rege.
Ein neües Wunderwerk ermuntert meinen Blick.
Ein Bild. Ein menschlich Bild! der Schöpfung Meisterstück.
Es athmet, wie mich deücht. Die Muskeln sind belebet.
Schau, welch ein linder West in seinen Haaren webet.
Sein Auge spielt und webt, und Schimmert voller Kraft;
Man siht auf Wang und Mund den warmen Lebenssaft,
Die rege Purpurflut in dünnen Adern spielen.
Gibt auch des Künstlers Hand den Farben Geist und Fühlen?
Ein denkend Wesen blickt aus seinem Angesicht;
Ich schau es wundernd an, und warte, bis es spricht.
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Berühmte Wissenschaft, wie groß ist deine Stärke!
O stellte doch mein Kiel die Schönheit deiner Werke
So, wie du die Natur mit Farb und Pinsel, vor!
Mein Huber, lehr es mich! Dir ist der ganze Chor
Der grösten Meister kund. Du kennest ihre Weisen,
Und was an jedem Werk zu tadeln und zu preisen.
Du weist, wie Dürer stets auf strenge Regeln zielt,
Und Holbeins reicher Geist in freyer Schönheit spielt;
Die Zeichnung Raphaels, von keinem Fehl beflecket;
Der Farben Wunderkraft vom Titian entdecket:
Wie Rubens die Natur mit neüer Kraft geziert;
Und wie die Gratien Corregiens Hand geführt.
Du kennst Carraschens Hand und stark-belebte Züge,
An Licht und Schatten reich: der Muskeln Kunstgefüge
Von Bonarotens Hand den Marmorn nachgemacht:
Das Leben, das van Dyk in seine Bilder bracht:
Den Reichtum Tintorets in glücklichem Erfinden;
Und, wo sich Geist und Fleiß zusammen sonst verbinden.
Du folgst den Künstlern nach, doch mehr noch der Natur;
Sie führt Dich für und für auf eine neüe Spur.
Mein eigen Bildniß kan von deinem Ruhme sprechen:
Verliebt in deine Kunst vergeß ich die Gebrechen,
Die mein Gesicht entdeckt. Dein Pinsel macht sie schön,
Und dennoch find ich sie nach neüem Ubersehn.
Du weist die Aehnlichkeit auch schmeichelnd zu erlangen.
Ich schau ein dürres Bild von eingefallnen Wangen,
Der Farbe kränklichs Roht mit Gelbem starck geschmückt,
Und Fünfzig Jahre schon den Zügen eingedrückt.
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Der Anblick lehret mich, ich werde bald erkalten;
Drum suchst Du, werter Freünd! mein Denkmahl zu erhalten.
Umsonst! Weil, wer den Blick auf deine Bilder lenkt,
Mehr an des Künstlers Hand, als nach dem Urbild, denkt.
Wolan! so must du mir nur dieses noch gewähren:
(Dann wird man nebst dem Bild auch mein Gedächtniß ehren;)
Verschaffe, daß darauf die Uberschrift erscheint:
Dies Bild ist Hubers Werk. Er mahlte seinen Freünd.

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TextGrid Repository (2012). Drollinger, Carl Friedrich. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. Gedanken über die Mahlerey. Gedanken über die Mahlerey. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-83B6-C