Die Stubenburschen

Sie waren beide froh und gut,
Und mochten ungern scheiden;
Die Jahre fliehn, es lischt der Mut,
Der Tag bringt Freud' und Leiden,
Geschäft will Zeit und Zeit ist schnell,
So unterblieb das Schreiben,
Doch öfters sprach Emanuel:
»Was mag der Franzel treiben!«
Da trat einst wintermorgens früh
Ein Mann in seine Stube,
Seltsam verschabt wie ein Genie,
Und hager wie Coeur Bube,
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Sah ihn so glau und pfiffig an,
Und blinzelt' vor Behagen:
»Emanuel, du Hampelmann!
Willst du mir denn nichts sagen?«
»Er ist es!« rief der Doktor aus,
Und reicht' ihm beide Hände.
»Willkomm, Willkomm! wie siehst du aus?
Ei, munter und behende.«
»Ha« rief der andre, »Sapperment,
Man sieht, du darfst nicht sorgen!
Wie rot du bist, wie korpulent!
Du hast dich wohl geborgen.«
Drauf saß man zu Kamin und Wein,
Ließ von der Glut sich rösten,
Und ätzte sich mit Schmeichelein,
Den Alternden zu trösten.
Ein jeder warf den Hamen hin
Als wohlgeübter Fischer,
Und jeder dachte still: »Ich bin
Gewiß um zehn Jahr frischer.«
Man schüttelte die Hände derb,
Dann ging es an ein Fragen.
Reich war des Medikus Erwerb,
Und dennoch mocht' er klagen.
Er sah den Franz bedenklich an,
Und dacht', er steck' in Schulden,
Doch dieser prahlt': er sei ein Mann
Von »täglich seinem Gulden.«
Zwei Jahre hat er nur gespart,
Und dann, ein kecker Kämpfer,
Gerasselt mit der Eisenfahrt,
Gestrudelt mit dem Dämpfer!
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O wie er die »Stadt Leyden« pries,
Und der Kajüte Gleißen!
Nach seiner Meinung dürfte sie
»Viktoria« nur heißen.
Das hat den Medikus gerührt,
Ihm den bescheidnen Schlucker
Lebendig vor das Aug' geführt,
Der Klöße aß wie Zucker.
Und gar als jener sprach: »Denkst du
Noch an die halbe Flasche?«
Der Doktor kniff die Augen zu,
Und klimpert' in der Tasche.
Dann ging es weiter: »Denkst du dort?
Und denkst du dies? und jenes?«
Die Bilder wogten lustig fort,
Viel Herzliches und Schönes.
Wie Abendrot zog ins Gemach
Ein frischer Jugendodem,
Und überhauchte nach und nach
Der Pillenschachteln Brodem.
Am nächsten Morgen hat man kaum
Den Doktor mögen kennen,
Man sah ihn lächeln wie im Traum
Und seine Wangen brennen;
Im heiligen Studierklosett
Hört' man die Gläser klingen,
Und ein mißtöniges Duett
Aus Uhukehlen dringen.
Nicht litt am Blute mehr der Mann,
Am Podagra und Grieße;
Sah er den dürren Franzel an,
So schien er sich ein Riese;
Hat er den Franzel angesehn
Mit seinem Gulden täglich,
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So mußt' er selber sich gestehn,
Es geh' ihm ganz erträglich.
Doch als der dritte Tag entschwand,
Da sah man auch die beiden
Betrübten Auges stehn am Strand,
Und wieder hieß es – Scheiden. –
»Leb wohl, Emanuel, leb wohl!« –
– »Leb wohl, du alte Seele!«
Und die »Stadt Leyden« rauschte hohl
Durch Dunst und Wogenschwele.
Drei Monde hat das Jahr gebracht,
Seit Franzel ist geschieden,
Mit ihm des Hypochonders Macht;
Der Doktor lebt in Frieden.
Und will der Dämon hier und dort
Sich schleichend offenbaren,
So geht er an des Rheines Bord
Und sieht »Stadt Leyden« fahren.

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TextGrid Repository (2012). Droste-Hülshoff, Annette von. Gedichte. Gedichte (Die Ausgabe von 1844). Scherz und Ernst. Die Stubenburschen. Die Stubenburschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-84FA-0