[5] An den Leser

Man verzeihe mir, daß ich ein Gedicht von einigen Blättern, eine Kleinigkeit, drucken lasse. Wenige Blätter haben oft eine Güte, die Bänden fehlet – sie sind geschwinder gelesen. Ich habe Ursachen, die mich zwingen, sie früher drucken zu lassen, als ich gesonnen war – vielleicht auch früher, als ich solte. Ich wünschte mir eine Gelegenheit, dem Publico etwas zu sagen; und ich mußte die erste, die beste ergreiffen, wenn sie auch etwas gezwungen [5] war. Dieses Gedicht schien mir noch eine ziemlich gute zu seyn: denn sein Inhalt ist moralisch.


Ich habe nicht ohne Verwunderung die grobe Klage gelesen, die Herr Lessing in der Vorrede zu seinen Fabeln über mich führet. Wenn der Leser meine Antwort weiß; so kann er entscheiden, ob ich jene verdiene: meine Antwort aber ist diese. Ich habe bisher nicht das Vergnügen gehabt, den Herrn Lessing, den Menschen, zu kennen, noch das mindeste von solchen Umständen, die seine Person angehen, zu wissen. Alles, was ich von ihm weiß, das weiß ich nur von dem Scribenten. Ich [6] hätte ihn also, als Menschen, nicht einmal mißhandeln können, gesetzt auch, daß ich gewollt hätte. Was von dem Schriftsteller gesagt ist, ist eine Klage, die weniger bedeutet; und auch diese gleichgültige gehet mich nicht an. Ich selbst habe von diesem zum Ruhme geredet, nie zur Verkleinerung 1. Wenn Herr Lessing nicht irgend einen ihm nie zugedachten Ausdruck selbst auf sich gedeutet hat, so mögte ich mir [7] doch in solchen Schriften, woran ich den mindesten Antheil nehme, die Stellen zeigen lassen, worin der Mensch gemißhandelt seyn soll!


Die vorgegebene Erbitterung ist theils eingebildet, theils könnte sie, wenn sie es auch nicht wäre, gegen den Herrn Lessing gar nicht gerichtet seyn. Beydes kann ich sehr gut beweisen.


Sie ist eingebildet. Man weiß, was für eine Art von Tadel meine Gedichte haben ausstehen müssen. Niemand, der die Biblioth. der sch. Wissensch. gelesen hat, wird sagen, daß er freundschaftlich war. [8] Ich habe zu meiner Vertheidigung geredet: nicht wider eine blosse Kritik, sondern wider eine anzügliche; nicht wider einen Tadel, der mich allein anging, sondern wider eine Partheylichkeit; nicht für ganze Gedichte, sondern für einzelne Stellen; nicht so heftig, als ich angegriffen wurde, sondern mit einer Bescheidenheit, die dem Kunstrichter alles Recht wiederfahren ließ, wo er, meiner Einsicht nach, Recht hatte. Meine gedruckte Vertheidigung mag es beweisen. – Habe ich etwas dabey versehen, so ist es gewiß keine Erbitterung; mein Versehen ist, daß ich mich überall vertheidiget habe. – Inzwischen ist es geschehen; und HerrLessing [9] sieht wenigstens daraus, daß ich mich gerade zu an diejenigen wende, mit welchen ich zu reden habe. Will man glauben, daß ich für meine Arbeiten eingenommen sey; so habe ich zwar schon bewiesen, daß ich gegründeten Tadel gern annehme; doch werde ich dieses dereinst noch unwidersprechlicher beweisen können. – Jetzo erinnere ich nur, wenn man in diesem Gedichte wenige veränderte Züge aus einem der getadelten erkennet, daß man es für einen Beweis ansehe, wie wenig ich von demselben der Erhaltung würdig achte.


Meine Erbitterung könnte, wenigstens, nicht gegen den Herrn Lessing gerichtet [10] seyn. – Zwar kann ich versichern, obgleich die Herren Verfasser der Bibliothek jetzo überall bekannt seyn sollen, daß ich sie noch um nichts näher kenne, als vorhin: aber deswegen habe ich doch den Herrn Lessing nie für einen Mitarbeiter gehalten. Meine Gewißheit davon hat keinen schlechtern Grund, als einen Brief von Ihm selbst, an einen hiesigen Freund, worin er mich auf eine verbindliche Art versichern ließ, daß er daran keinen Antheil habe. Schon lange vorher, ehe ich etwas zu meiner Vertheidigung drucken ließ, erhielt ich diese Nachricht: und warum sollte ich wol einer Versicherung eines ehrlichen Mannes, die er mir freywillig[11] geben ließ, mißtrauen? Ich wuste, daß Herr Lessing nicht nöthig hatte, mich unter unbekanntem Namen zu beurtheilen; ich wuste, daß es, bisher wenigstens, seine Gewohnheit nicht gewesen war: um desto eher muste ich seinen Worten glauben.


Weil Herr Lessing zugleich die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, anführet, so muß ich auch einige Worte von diesen sagen. Man weiß, wie ich in diesen von beyden Seiten, als Schriftsteller, und als Mensch, gemißhandelt bin. Als Mensch: der Verfasser nennt meinen Namen zu Schriften, von welchen er nicht[12] wissen kann, ob sie die meinigen sind; denn der Verfasser hat sich nicht genannt. Es ist klar, daß es hier auf den Menschen, nicht auf den Schriftsteller, angesehen seyn kann: wenn ich auch alles andere übergehe. Als Schriftsteller: der Verfasser giebt sich Mühe, nicht zu tadeln, sondern lächerlich zu machen. Es ist richtig, ich habe diese Briefe sonst den Verfassern der Bibliothek zugeschrieben: und eben deswegen kann ich den Herrn Lessing nicht in Verdacht gehabt haben. Um Ihn aber völlig hievon zu überzeugen, muß ich noch dieses sagen: eine fast allgemeine Sage seit dieser letzten Messe will mich überzeugen, daß Er einer von den [13] Verfassern dieser Briefe sey. – Allein ich glaube deswegen doch seiner schriftlichen, und gedruckten Versicherung mehr, als einer allgemeinen Sage, und habe nicht das geringste Mißtrauen gegen ihn, und also auch nicht die geringste Erbitterung. Ist der Tadel gegründet; so würde ich mich umsonst vertheidigen: ist er es nicht, so ist mein Tadler, nicht ich, die Person, welche lächerlich gemacht wird.

Fußnoten

1 In meinem Antwortschreiben in den vermischten kritischen und satyrischen Schriften. Im unpartheyischen Correspondenten, in einer Recension des Trauerspiels, philotas, welches ich, wenigstens, dem Herrn Lessing immer zugeschrieben hube.

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TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Das Dorf. An den Leser. An den Leser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8867-9