[40] Fünftes Buch

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So seufzt ich unbedachtsam mein Unglück über mich,
Und sagte Lästerungen, und Cypris rächte sich.
Ich ging in ihren Hain: hier wirst du von Cytheren,
Wenn dich die Göttinn liebt, dein künftig Schicksal hören:
Ach unglückseelger Flüchtling, zur Qual mach dich gefaßt!
Du wirst dein Schicksal hören, wenn dich die Göttinn haßt. –
Was willst du wissen? gnug, Themir ist dir entrissen,
Ist falsch, hat sich entehrt, – Aedon, was willst du wissen? –
Und kehrt auch mit der Reue die erste Zärtlichkeit
In ihre Brust zurücke – verlangst du sie entweiht? –
Nein, nein, dann ist die Reih an ihr umsonst zu schmachten,
Zu leiden, was ich litt; an dir – sie zu verachten!
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Was soll denn ein Orakel? ach! den elenden Rest
Der Hoffnung dir zu rauben, den noch ein Zweifel läßt?
Es sey! und würde mir der kleine Rest entrissen,
Und hört ich meinen Tod, so ists doch Trost, zu wissen.
Den Zweifel will ich los seyn, der über Meer und Land
Mich rastlos fortgegeißelt – will mit entschloßner Hand
Den tiefgepflanzten Pfeil, mein Unglück, mein Verderben,
Aus meinem Busen ziehn, und ruhen oder sterben.
So dacht ich, und gieng weiter; mein Haar empörte sich,
Die Nacht des Cederwaldes goß einen Schaur auf mich;
Den kalten wilden Schaur, der durch den Frevler fähret,
Wenn sein verwegner Fuß ein Heiligthum entehret.
Und dennoch gieng ich tiefer, drang durch die Schrecken ein;
Doch stumm war das Orakel, und todt der Cedernhain.
Ich kehrte wieder um, und wollte von Cytheren
Im Tempel, am Altar mein letztes Schicksal hören,
Ich gieng bis in den Vorhof, und fand bereits die Schaar,
Die, Cypris zu erwarten, hieher geflossen war.
Ich sah der Jugend Kern, der Insel junge Schönen,
Die mütterliche Huld noch unachtsamen Söhnen,
Wie Pflanzen für die Nachwelt, in ihrem Arm erzieht,
Bis diese sich empfinden, und jene aufgeblüht,
Mit Rosen um die Stirn, in unschuldvollen Reihen,
Gleich jungen Grazien, aus Körben Blumen streuen.
Hier giengen zwanzig Bräute, die durch der Mutter Hand
Der Weichlichkeit entzogen, das rohe Paphos sand.
Sie flohen ihrer Stadt entheiligte Altäre,
Und brachten itzt ihr Herz mit Opfern nach Cythere,
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Schön, wie die Halbgöttinnen; auf ihrem Angesicht
Fand ich die frechen Züge der weichen Sehnsucht nicht,
Nicht dieses wilde Feur, worinn die Wollust lodert,
Die stille Mattigkeit, den Blick, der selber fodert.
Sittsame, holde Züge, die schöne Blödigkeit,
Ihr Anstand, ihre Stellung, ihr ungekünstelt Kleid,
Ihr leicht geschürztes Haar, die Furchtsamkeit, die Jugend,
Der Augen sanfters Feur versprach ein Herz voll Tugend.
Auch das versöhnte Lemnos sand seine beste Schaar
Von Töchtern, und von Söhnen mit Opfern zum Altar,
Das siebente Geschlecht von tugendhaften Saamen,
Von Helden, die hieher von Colchis Ufern kamen.
Es hatten Lemnos Weiber, von Rachbegier entbrannt,
Längst dem Altar der Cypris kein Opfer mehr gesandt;
Vielleicht durch diesen Trotz, des Kriegesgotts Verbrechen,
Den Schimpf des Mulciber an Venus selbst zu rächen.
Zwar strafte sie die Göttinn für den erlittnen Hohn:
Sie wurden unerträglich, und ihre Männer flohn;
Sie sahn den kalten Mann sein Ehebett verlassen,
Und mit verliebtern Arm die Thracerinn umfassen.
Doch diese Rach erweckte, und reizte nur zur Wuth;
Sie rasten, und vergossen der Männer falsches Blut;
Nur noch Hypsipile entflohe den Gestaden,
Und wollte nicht die Hand im Blut des Vaters baden,
Doch endlich traf der Argos, von Cypris hergesandt,
Ans männerlose Ufer, und rettete das Land:
Verliebt empfingen sie die kühnen Argonauten,
Die bald in ihrem Arm die bessre Nachwelt bauten.
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Der Enkel hat vergessen, was ehedem geschehn,
Und itzo sieht sie Cypris vor ihrem Altar stehn.
Ich sah, nach dieser Schaar, Böotiens Geschlechter;
Smyrn, und Orchomenos sandt dreyßig zarte Töchter,
Vor allen andern kenntlich; man sah, daß ihre Schaar
Von Grazien gebildet, und selbst erzogen war.
Sie unterrichten sie in Anstand, Min und Blicken,
Zum mütterlichen Dienst die würdigsten zu schicken.
Denn hier rauscht am Gebirge der angenehmsten Stadt,
Die acidalsche Quelle, ihr kühles liebstes Bad;
Hier steht ihr alter Sitz, der Wohnplatz ihrer Ehre,
Und manch geweihter Hain, und Tempel, und Altäre.
Die Majestät der Bildung, die keine Min entstellt,
Das Grübchen, das im Lächeln in ihre Wangen fällt,
Der Augen stilles Feur, der Silberton der Stimmen,
Die Backen, die herab um Marmorschultern schwimmen,
Die Rosenvollen Wangen, die feine, schönste Haut,
Die von dem hohen Busen den zarten Flor durchschaut,
Der Augenlieder Fall, die Harmonie der Mienen,
Versprechen Göttinnen, wenn Göttinnen erschienen.
Ihr Reiz war mir zu mächtig; den Schönen gar zu nah,
Empfand ich, was ich fühlte, wenn ich Themiren sah.
Mein Auge ward nicht satt, mein Herz schwoll auf, und pochte;
Themirens Aehnlichkeit war es, die dieß vermochte.
Von Argos freyen Städten, wo Alpheus in der Flucht
Geschwinde Wasser rollet, und Arethusen sucht;
Von Elis, wo sein Strom die ersten Wellen führet,
Und wo er Städte tränkt, und wo er sich verliehret;
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Indem er unterm Meer sich durch Canäle windet,
Bis in Ortygia, wo er sie wiederfindet;
Ehrt alles Cypris Gottheit; von da ward in der Hand
Der tugendhaften Bräute der Weihrauch hergesandt.
Ich sah die sittsamen; sie hielten sich zurücke,
Und schöne Blödigkeit beherrschte alle Blicke.
Bey jedem Gruß des Jünglings, den er der Schönen both;
Durchströmte ihre Wangen das allerschönste Roth;
Stets fertig floh die Hand, die Lippen zu bedecken,
Und hustend suchten sie die Röthe zu verstecken
Schön fand ich alle Bräute, die diese Gegend nährt;
Doch ihrer Unschuld wegen schätzt ich sie liebenswerth.
Die keusche Mutter pflanzt die Zucht der Arethusen,
Von zarter Kindheit an der Tochter in den Busen;
Sie ahmen ihrer Tugend, und ihrer Strenge nach,
Und einen Blick voll Sehnsucht bestrafet ewge Schmach.
Vom fruchtbarn Orient, und von des Niles Strande,
Von Herkuls Säulen her, und von dem letzten Rande
Der fernen Abendländer, wo sich der Erdkreis schließt,
Und in den Schoos der Thetis die Sonn hinunter schießt,
Versammleten sich hier der Städte Schmuck und Ehre,
Und warteten zum Dienst der Ankunft der Cythere.
Ein göttliches Entzücken gieng itzt durch die Natur,
Und Harmonie, und Feyer beseelten Hain, und Flur.
Die sanfte Frühlingsluft starb im Gebüsch der Quellen;
Die Bäche murmelten, und spielten kleinre Wellen;
Der Vogel schlug die Flügel und tausendstimmig drang
Durch die geheimsten Schatten Entzückung, und Gesang,
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Und Cypris kam daher; ich sah den güldnen Wagen
Ein silbernes Gewölk von Frühlingsdüften tragen,
Die ihr ein Heer von Zephyrs aus Thälern voller Pracht,
Von Rosen, und Jesminen, und Veilchen zugefacht.
Die Dryas zitterte, da auf der Bäume Gipfel
Der Fuß der Göttinn trat, und schüttelte den Wipfel,
Der unter ihm sich beugte, und grünt, und düftete.
Und seine Göttinn fühlte, und Ehrfurcht rauschete.
Der göttliche Geruch ambrosialscher Düfte
Floß von dem Lockenhaar der Göttinn durch die Lüfte.
Die ganze Schöpfung sahe mit süßer Ehrfurcht zu,
Und alles lebte, blühte, liebkoste, schöpfte Ruh.
Die Nymphen legten schon das Opferholz zusammen,
Und junge Grazien entzündeten die Flammen.
Gerüche wallten wolkicht mit Jubeln in die Höh;
Der helle Altar rauchte, der Tempel schimmerte.
Dieß war ein Augenblick der Ruh bey meinen Wunden;
Die Zeit, in der ich nichts von meinem Gram empfunden.
So lang ich schon Themiren von Cypris Hand besaß,
War dieses die Minute, worinn ich sie vergaß.
Doch zehnfach kam der Schmerz in meine Brust zurücke,
Und bald empfand ich ganz mein schreckliches Geschicke.
Ich ward mir meiner Wunde, und Einsamkeit bewußt,
Und quälte mit dem Argwohn von neuem meine Brust.
Ich einsam ganz allein, verrathen vom Themiren,
(So glaubt ich) sah die Braut den Jüngling neidisch führen;
Ich, der an ihrer Seite sonst in Entzückung schwamm,
Sog itzt aus fremder Freude nur Gift für meinen Gram.
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Zur Pein ward mir die Lust, die andere empfunden;
Ihr grausam Lächeln riß mir Dornen durch die Wunden;
Ich wünschte alles traurig, ihr Kuß, ihr süßer Scherz,
Ihr Blick, voll Huld und Liebe, stieß mir ein Schwert ins Herz.
Wer kann den stillen Neid im Unglück überwinden,
Und ein Vergnügen sehn, das Glückliche empfinden?
Der Anblick ihrer Freude beleidigt unsre Qual,
Schwärzt unser Schicksal tiefer, schlägt, wie ein Donnerstrahl,
Das Herz, das Schwermuth beugt, im Zirkel froher Brüder,
Zu finster für die Lust, in seinem Elend nieder:
Wie konnt ich mich wohl fassen? ach! alles, was ich sah,
Vermehrte meine Unruh, ein Trost für mich war da;
Doch ließ sich noch mein Herz von Hoffnungen verführen,
Mein Auge suchete, wie thöricht! nach Themiren:
Es flohe durch die Menge, hing oft an ein Gesicht
Den starren Blick, betrog sich, und fand Themiren nicht.
Ich stand, und seufzete, Cythere muß mich hassen;
Kein Herz ist misvergnügt, ich aber, wie verlassen,
O Götter, wie verlassen! – warum erschien ich hier?
Du raubst nicht nur Themiren, auch Freunde raubst du mir!
Ich wollte noch einmal die Augen rückwerts drehen,
Nicht um Themiren, nein, nur einen Freund zu sehen;
Indem erschien Zephise; ich sahe stillen Gram
Auf der verblichnern Wange, indem sie näher kam.
Im Stillen freut ich mich an dem geheimen Leide,
Das mir ihr Auge sprach. O! Götter, welche Freude!
Ihr Unglück, das mit meinem aus einer Quell entsprang,
Ein Gott, der mich verfolgte, und sie zu Thränen zwang.
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Ein gleicher Streich des Glücks, der sie von demSeiden,
Und mich von meiner Braut verrätherisch geschieden,
Empfahl mir die Zephise durch nachgeahmten Schmerz;
(Ich wußte nicht ihr Laster, und kannte nicht ihr Herz.)
Mit Zähren im Gesicht, das meine Blicke scheute,
Kam die Verführerinn, und zog mich an die Seite:
Betriegt mich nicht mein Auge, so sprach sie, und der Ton
War, wie der Ton der Wehmuth, so seh ich dich,Aedon:
Und dieß erzürnte Glück, das unser Band geschieden,
Themiren dir entführt, und mir zugleich Seiden;
(Sie trocknete die Augen, und seufzte,) dieses Glück,
Bringt uns noch einst zusammen in dieses Land zurück!
O! laß uns unsern Gram in jene Schatten tragen,
Uns trösten – oder doch uns unbehorcht beklagen.
Ich folgt der Zephisen, stumm in Melancholie; –
Ich selbst verdiente Mitleid, und ich bedaurte sie.

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TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Der Tempel der Liebe. Fünftes Buch. Fünftes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-887A-0